Verwaltungsrecht

Zumutbarkeit der Nachholung des Visumverfahrens

Aktenzeichen  10 C 19.1700

Datum:
3.9.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 22542
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 166 Abs. 1 S. 1
ZPO § 114 Abs. 1 S. 1, § 121 Abs. 2
AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 S. 2, § 10 Abs. 3 S. 3, § 25 Abs. 5, § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Nr. 3
GG Art. 6 Abs. 1
EMRK Art. 8
AEUV Art. 20

 

Leitsatz

1. Will ein ohne das erforderliche Visum eingereister Asylbewerber nach erfolglosem Abschluss seines Asylverfahrens einen asylunabhängigen Aufenthaltstitel erlangen, hat er grds. – nicht anders als jeder andere Ausländer – ein Sichtvermerksverfahren im Heimatland durchzuführen (BayVGH BeckRS 2016, 52295 u. BeckRS 2018, 21841). (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Vertragsbestimmungen über die Unionsbürgerschaft verleihen Drittstaatsangehörigen keine eigenständigen Rechte. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 1 K 19.368 2019-07-16 Bes VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

Die Beschwerde, mit der sich der Kläger gegen den die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für seine Klage auf Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 AufenthG sowie hilfsweise nach § 25 Abs. 5 AufenthG oder eines Aufenthaltsrechts aus Art. 20 AEUV ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 16. Juli 2019 wendet, ist unbegründet. Denn die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO und Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 121 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 oder § 25 Abs. 5 AufenthG bzw. auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte nach § 5 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU (analog) voraussichtlich erfolglos bleiben wird.
1. Dem Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bzw. Nr. 3 AufenthG, steht – wie das Verwaltungsgericht zutreffend entschieden hat – bereits die Titelerteilungssperre nach § 10 Abs. 3 Satz 1 und 3 AufenthG entgegen. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht darauf abgestellt, dass ein Anspruch im Sinne des § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG nur vorliegt, wenn ein strikter Rechtsanspruch besteht; ein Sollanspruch oder eine Ermessensreduzierung auf Null bei der Befugnis zu einer Ermessensentscheidung sind hingegen nicht ausreichend (vgl. zuletzt BVerwG, U.v. 12.7.2018 – 1 C 16.17 – juris Rn. 27 m.w.N.; BayVGH, B.v. 27.2.2019 – 10 ZB 18.2188 – juris Rn. 7). Vorliegend steht dem Kläger ein solcher strikter Rechtsanspruch aber schon deswegen nicht zur Seite, weil er ohne das erforderliche Visum eingereist ist und demzufolge die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG nicht erfüllt (vgl. BayVGH, B.v. 30.8.2018 – 10 C 18.1497 – juris Rn. 19; B.v. 27.2.2019 – 10 ZB 19.2188 – juris Rn. 8). Zwar kann hiervon gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG abgesehen werden. Da diese Entscheidung aber im Ermessenswege zu treffen ist, liegt kein Anspruch im Sinne des § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG vor.
Darüber hinaus besteht in der Person des Klägers auch ein Ausweisungsinteresse im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 54 Abs. 2 Nr. 8b und Nr. 9 AufenthG, wobei es nicht darauf ankommt, ob die Ausweisung im Einzelfall rechtsfehlerfrei verfügt werden könnte (vgl. BayVGH, B.v. 16.3.2016 – 10 ZB 14.2634 – juris Rn. 6; Samel in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, § 5 Rn. 48 m.w.N.).
2. Hinreichende Erfolgsaussichten der Klage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG sind ebenfalls nicht gegeben. Zunächst ist fraglich, ob § 25 Abs. 5 AufenthG als Auffangvorschrift für ein sich aus Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK ergebendes Ausreisehindernis herangezogen werden kann, wenn die Erteilungsvoraussetzungen der für die genannten Aufenthaltszwecke bestehenden Normen nicht erfüllt sind (vgl. BayVGH, B.v. 30.10.2018 – 10 ZB 18.1780 – juris Rn. 7 m.w.N.; NdsOVG, U.v. 8.2.2018 – 13 LB 43/17 – ZAR 2018, 176). Jedenfalls stehen die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach dieser Vorschrift genauso wie ein Abweichen von den nach obigen Ausführungen nicht vorliegenden Regelerteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG im Ermessen der Ausländerbehörde (vgl. BayVGH, U.v. 11.3.2014 – 10 B 11.978 – juris Rn. 52). Anhaltspunkte für eine Ermessensreduzierung auf Null ergeben sich aber auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens nicht.
Hinsichtlich der mit Blick auf Art. 6 GG und Art. 8 EMRK erforderlichen umfassenden Abwägung der zu berücksichtigenden Belange verweisen die Beklagte und das Verwaltungsgericht zutreffend auf die Bedeutung des Visumverfahrens für eine wirksame Steuerung der Zuwanderung und darauf, dass es nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts grundsätzlich mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG vereinbar ist, einen Ausländer auf die Nachholung eines erforderlichen Visums zu verweisen (BVerfG, B.v. 4.12.2007 – 2 BvR 2341/06 – juris Rn. 6 m.w.N.). Die (nachträgliche) Einholung des erforderlichen Visums zum Familiennachzug ist nicht als bloße Förmlichkeit anzusehen. Will ein ohne das erforderliche Visum eingereister Asylbewerber nach erfolglosem Abschluss seines Asylverfahrens einen asylunabhängigen Aufenthaltstitel erlangen, hat er daher grundsätzlich – nicht anders als jeder andere Ausländer – ein Sichtvermerksverfahren im Heimatland durchzuführen (vgl. BayVGH, B.v. 23.9.2016 – 10 C 16.818 – juris Rn. 11; B.v. 30.8.2018 – 10 C 18.1497 – juris Rn. 27). In die Abwägung einzustellen ist aber auch, dass die Kinder des Klägers in dieser Zeit hier nicht etwa allein zurückbleiben, sondern weiterhin bei ihrer Mutter leben würden (vgl. OVG Berlin-Bbg, B.v. 15.3.2019 – OVG 11 S 14.19 – juris Rn. 13). Vorliegend kommt hinzu, dass es der Kläger durch die Gestaltung seiner Ausreise selbst in der Hand hat, die für die Durchführung des Visumverfahrens erforderliche Dauer seiner Abwesenheit im Bundesgebiet möglichst kurz zu halten, indem er bspw. eine Vorabzustimmung der zuständigen Ausländerbehörde nach § 31 AufenthV einholt (BayVGH, B.v. 19.6.2018 – 10 CE 18.993 – juris Rn. 5) und eine Überprüfung seiner Personenstandsurkunden veranlasst. Es liegt demnach, worauf das Verwaltungsgericht zu Recht abgestellt hat, im Verantwortungsbereich des Klägers, die Nachholung des Visumverfahrens so familienverträglich wie möglich zu gestalten. Eine maßgebliche, geschweige denn unverhältnismäßig lange zeitliche Ausdehnung einer etwaigen Trennung des Klägers von seiner Ehepartnerin und insbesondere seinen minderjährigen (Klein) Kindern steht unter Berücksichtigung des nach Auskunft der Deutschen Botschaft in Islamabad zu erwartenden Trennungszeitraums von einer Woche bis zu maximal („vorsichtshalber“, s. Behördenakte Bl. 545) einem Monat nicht zu erwarten.
3. Soweit der Kläger erstmals im Klageverfahren einen „europarechtlichen Anspruch … auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß Art. 20 AEUV“ geltend macht (s. Klagebegründung v. 3.6.2019, S. 3) und damit sinngemäß die Ausstellung einer Aufenthaltskarte nach § 5 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU (analog) begehrt (vgl. hierzu, BayVGH, U.v. 25.5.2019 – 10 BV 18.281 – juris Rn. 22 f.), hat seine Klage ebenfalls keine hinreichenden Erfolgsaussichten. Denn die Anwendung unionsrechtlicher Bestimmungen über die Freizügigkeit setzt grundsätzlich einen grenzüberschreitenden Sachverhalt voraus (Tewocht in BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, Stand 1.5.2019, § 1 Rn. 30 FreizügG/EU, § 28 AufenthG Rn. 6; zu Art. 21 AEUV: BayVGH, U.v. 25.5.2019 – 10 BV 18.281 – juris Rn. 26 m.w.N.). Hieran fehlt es im vorliegenden Fall.
Ungeachtet dessen steht, wie das Verwaltungsgericht zutreffend zum Bestehen eines abgeleiteten Aufenthaltsrechts gemäß Art. 20 AEUV ausgeführt hat, diese Vorschrift (nur) nationalen Maßnahmen entgegen, die bewirken, dass den Unionsbürgern der tatsächliche Genuss des Kernbestands der Rechte, die ihnen der Unionsbürgerstatus verleiht, verwehrt wird (vgl. EuGH, U.v. 8.3.2011 – Ruiz Zambrano, C-34/09 – juris -Lsu. Rn. 42 m.w.N.; U.v. 10.5.2017 – Chavez-Vilchez u. 8 andere, C-113/15 – juris Rn. 61). Die Vertragsbestimmungen über die Unionsbürgerschaft verleihen Drittstaatsangehörigen dagegen keine eigenständigen Rechte (vgl. EuGH, U.v. 8.11.2012 – Iida, C-40/11 – juris Rn. 66; U.v. 8.5.2013 – Ymeraga und Ymeraga-Tafarshiku, C-87/12 – juris Rn. 35).
Dies zugrunde gelegt, würde aber die erforderliche Nachholung des Visumverfahrens sowie die damit einhergehende vorübergehende Trennung des Klägers von seinen Kindern grundsätzlich nicht zur Folge haben, dass seine Kinder, von denen er sein Aufenthaltsrecht ableiten möchte, de facto gezwungen wären, nicht nur das Gebiet des Mitgliedstaats, dessen Staatsangehörige sie sind, sondern das Gebiet der Union als Ganzes zu verlassen. Seinen Kindern wird demzufolge die Möglichkeit, den Kernbestand der aus dem Unionsbürgerstatus folgenden Rechte tatsächlich in Anspruch zu nehmen, nicht verwehrt (vgl. EuGH, U.v. 10.10.2013 – Alokpa, C-86/12 – juris Rn. 34 f.; U.v. 30.6.2016 – NA, C-115/15 – juris Rn. 72; U.v. 10.5.2017 – Chavez-Vilchez u. 8 andere, C-113/15 – juris Rn. 69, 78 f.; BayVGH, U.v. 25.5.2019 – 10 BV 18.281 – juris Rn. 39).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine streitwertunabhängige Gebühr anfällt.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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