Europarecht

Erfolgreiche Klage eines in der BRD nachgeborenen Kindes gegen sog. Drittstaatenbescheid mit Abschiebezielstaat Griechenland

Aktenzeichen  W 2 K 19.30035

Datum:
19.7.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 18117
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a, Nr. 2, § 34a
EU-GRCharta Art. 4
EMRK Art. 3
Dublin III-VO Art. 20 Abs. 3 S. 2

 

Leitsatz

1. Grundsätzlich ist das Land, das den Eltern internationalen Schutz zuerkannt hatte, auch für den Asylantrag eines nachgeborenen Kindes zuständig (zuständigkeitsakzessorietät). (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Grundsatz der Familieneinheit wird durch die Zuständigkeitsakzessorietät ausnahmsweise dann verletzt, wenn der gemeinsamen Überstellung der Familie einschließlich des nachgeborenen Kindes ein auf den zuständigen Mitgliedstaat bezogenes Abschiebungshindernis  entgegensteht. (Rn. 20 – 23) (redaktioneller Leitsatz)
3. Zu den aktuellen Lebensverhältnissen von international Schutzberechtigten in Griechenland (Rn. 26 – 31) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 12. Februar 2018, Az.: 7353180-997, wird – ausgenommen Ziffer 3 Satz 3 („Die Antragstellerin darf nicht nach Syrien abgeschoben werden.”) – aufgehoben.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Gemäß § 101 Abs. 2 VwGO kann das Gericht mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Entsprechende Einverständniserklärungen liegen mit dem Schreiben des Klägerbevollmächtigten vom 10. Januar 2019 und der allgemeinen Prozesserklärung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 27. Juni 2017 vor.
Zu dem nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ist die Klage zulässig und begründet.
Dabei ist der Klageantrag sachdienlich dahingehend auszulegen, dass er das in Ziffer 3 Satz 3 des Bescheides enthaltene Abschiebungsverbot bezüglich Syriens nicht umfassen soll.
Der Bescheid vom 12. Februar 2018 ist im verfahrensrelevanten Umfang rechtwidrig und verletzt die Klägerin in ihren eigenen Rechten, § 113 Abs. 1 VwGO.
1. Die Klage ist zulässig.
Die von der Beklagtenseite vorgetragene Verfristung der Klage liegt nicht vor, da dem angegriffenen Bescheid vom 12. Februar 2018 keine wirksame Rechtsbehelfsbelehrung:beigefügt war.
In der Rechtsbehelfsbelehrung:wird eine Klagefrist von einer Woche genannt. Diese kurze Klagefrist könnte sich nur aus § 74 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG ergeben. § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG kann allerdings bei der vom Bundesamt im vorliegenden Fall gewählten Tenorierung nicht herangezogen werden, weil in diesem Fall gerade kein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zulässig ist. Nach Ziffer 2 Satz 1 Halbsatz 2 des Bescheids vom 12. Februar 2018 hat eine Klage per se aufschiebende Wirkung, so dass für einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung das Rechtsschutzbedürfnis fehlt (vgl. VG Würzburg, B.v. 8.3.2018 – W 2 S 18.30434).
In diesem Zusammenhang muss nicht darauf eingegangen werden, dass das Bundesamt im vorliegenden Fall in der Ziffer 3 eine Tenorierung gewählt hat, die zugunsten der Klägerin von der gesetzlichen Regelung abweicht. Denn die Rechtsbehelfsbelehrung:durfte keine Rechtsbehelfsfrist von einer Woche nennen, da § 74 Abs. 1 Satz 1 AsylG nicht anwendbar ist. Insoweit ist die Rechtsbehelfsbelehrung:unrichtig und eine Klageerhebung war nach § 58 Abs. 2 VwGO noch innerhalb eines Jahres zulässig.
2. Die Klage ist begründet.
Die Ablehnung des klägerischen Asylantrags als unzulässig (Ziffer 1 des Bescheides) ist rechtswidrig. Die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig lässt sich im Fall der Klägerin als in der Bundesrepublik „nachgeborenes“ Kind von Eltern, die bereits in einem anderen EU-Mitgliedstaat Flüchtlingsschutz erhalten haben, nicht auf § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a, Nr. 2 AsylG stützen.
2.1 Das Urteil des Verwaltungsgericht Würzburg vom 15. Mai 2019 – W 2 K 19.30964 enthält hierzu folgende zutreffende Ausführungen, die sich die erkennende Einzelrichterin zu eigen macht:
„Zwar erstreckt Art. 20 Abs. 3 S. 2 Dublin III-VO die zeitliche Reichweite der Zuständigkeitsakzessorietät für den Asylantrag eines nach Asylantragstellung der Eltern geborenen Kindes grundsätzlich auch auf deren Anerkennung als Flüchtlinge (vgl. BayVGH, B.v. 17.8.2015 – 11 B 15.50110 – juris; VG Stuttgart, B.v. 28.12.2016, A 5 K 8144/16 – juris; VG Bayreuth, U.v. 22.3.2016 – B 3 K 15.30570; VG Meiningen, B.v. 4.12.2014 – 5 E 20238/14 Me; a.A. VG Lüneburg, U.v. 24.5.2016 – 5 A 194/14 – juris). Dies gilt jedoch gem. Art. 20 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. Satz 1 Dublin III-VO nur, sofern dies dem Wohl des Minderjährigen dient. Zwar ist grundsätzlich davon auszugehen, dass auch ein nachgeborenes Kind die asylrechtliche Situation seiner sorgeberechtigten Eltern teilt. In der Regel entspricht dieser auf die Wahrung der Familieneinheit gerichtete Grundsatz dem Wohl des Kindes. Grundsätzlich ist damit das Land, das den Eltern internationalen Schutz zuerkannt hatte, auch für den Asylantrag des nachgeborenen Kindes zuständig.
Der auch von der Beklagten als tragend erachtete Grundsatz der Familieneinheit ist durch eine solche Zuständigkeitsakzessorietät jedoch ausnahmsweise dann verletzt, wenn der gemeinsamen Überstellung der Familie, also einschließlich des nachgeborenen Kindes, ein auf den für den Asylantrag zuständigen Mitgliedstaat bezogenes Abschiebungshindernis gem. § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG entgegensteht. Dann widerspricht eine solche Zuständigkeitszuweisung dem Kindeswohl. Denn in dieser Situation kann der von Art. 20 Abs. 3 Dublin III-VO bezweckte Gleichlauf der Asylzuständigkeit in der Praxis gerade nicht realisiert werden, so dass dem nachgeborenen Kind eine Prüfung seines Asylantrags mangels Überstellbarkeit in dem eigentlich gem. Art. 20 Abs. 3 Dublin IIII-VO zuständigen Mitgliedstaat genauso verwehrt wäre wie in dem Mitgliedstaat seiner Geburt bzw. seines dann nicht nur vorübergehenden Aufenthalts. Um eine effektive Durchführung des Asylverfahrens des nachgeborenen Kindes zu ermöglichen, muss die Zuständigkeit für den Asylantrag des nachgeborenen Kindes im Fall des Vorliegens von zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen bezogen auf den eigentlich zuständigen Mitgliedstaat, entsprechend dem Rechtsgedanken des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 3 Dublin III-VO vielmehr bei dem Mitgliedstaat seiner Geburt verbleiben.“
Auch steht bei der Klägerin einer Gewährung internationalen Schutzes auch § 60 Abs. 1 Satz 3 AufenthG nicht entgegen, denn ihr wurde anders als bei ihren sorgeberechtigten Eltern und ihren minderjährigen Geschwistern noch nicht in einem EU-Mitgliedsland internationaler Schutz zugesprochen. In einer solchen Fallkonstellation ist der Asylantrag des nachgeborenen Kindes nicht gem. § 29 Abs. 1 Nr. 1a, Nr. 2 AsylG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 Dublin III-VO unzulässig.
Dem steht auch die Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs im Beschluss vom 17. August 2015 (11 B 15.50110 – juris) nicht entgegen. Denn im dort entschiedenen Fall lagen hinsichtlich des gem. Art. 20 Abs. 3 Satz 2 Dublin III-VO zuständigen Mitgliedstaats gerade keine auf den dortigen Kläger und seine Eltern bezogenen Abschiebungshindernisse vor.
2.2 Für die Klägerin als eineinhalbjähriges Kleinkind besteht bezüglich Griechenland ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 5 AufenthG, so dass eine Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG nicht durchgeführt werden kann.
Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Vorliegend droht der Klägerin im Falle einer Abschiebung nach Griechenland eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK. Nach dieser Vorschrift darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden. Hieraus folgen neben Unterlassungsauch staatliche Schutzpflichten. Eine Verletzung von Schutzpflichten kommt in Betracht, wenn sich die staatlich verantworteten Lebensverhältnisse von international Schutzberechtigten in Griechenland allgemein als unmenschlich oder erniedrigend darstellen.
Ob einem in einem anderen Mitgliedstaat anerkannten Flüchtling eine unmenschlich oder entwürdigende Behandlung droht, erfordert grundsätzlich, wie die Feststellung systemischer Mängel im Asylsystem, eine aktuelle Gesamtwürdigung der zur jeweiligen Situation vorliegenden Berichte und Stellungnahmen (vgl. BVerfG, B.v. 21.4.2016 Az. 2 BvR 273/16 – juris).
Nach der dem Gericht vorliegenden aktuellen Erkenntnisse und auch unter Berücksichtigung der neuen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-297/17, C-318/17, C-319/17 und C-438/17 -, juris) geht die erkennende Einzelrichterin aufgrund einer Gesamtbewertung der besonderen Umstände des Einzelfalls davon aus, dass die Klägerin zu der Gruppe der besonders schutzbedürftigen Personen gehören, denen ohne eine konkret-individuelle Zusicherung von Seiten Griechenlands eine unmenschliche oder entwürdigende Behandlung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht . Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Aufnahmebedingungen für anerkannte Schutzbedürftige in Griechenland grundsätzlich so ausgestaltet sind, dass sie im Fall einer Überstellung bei allen Schutzberechtigten zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S. Art. 4 EUGrCh bzw. Art. 3 EMRK führen.
Mit dem oben genannten Urteil vom 19. März 2019 hat der EuGH die Maßstäbe – aufgrund des allgemeinen und absoluten Charakters von Art. 4 EUGRCh für Asylbewerber und Anerkannte in gleicher Weise wie für Rückführungen im Dublinraum präzisiert und partiell verschärft. Hiernach darf ein Asylbewerber aufgrund des fundamental bedeutsamen EU-Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens grundsätzlich immer in den Mitgliedstaat rücküberstellt werden, der nach der Dublin III-VO eigentlich für die Bearbeitung seines Antrags zuständig ist oder ihm bereits Schutz gewährt hat, es sei denn, er würde dort ausnahmsweise aufgrund der voraussichtlichen Lebensumstände dem „real risk“ einer Lage extremer materieller Not ausgesetzt, die gegen das Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK verstößt, d.h. die physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre. Die Annahme eines solchen Verstoßes gegen Art. 4 GRCh, d.h. ein diesbezüglicher Stopp der Rücküberstellung ist danach nur zulässig, wenn aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalles asylrelevante Schwachstellen oder andere Umstände eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen. Zunächst ist hiernach auf den (Arbeits-)Willen (und reale Arbeitsmöglichkeiten) sowie die persönlichen Entscheidungen des Betroffenen abzustellen. Ein Art. 4 GRCh-Verstoß kann erst angenommen werden, wenn unabhängig hiervon eine Situation extremer materieller Not einträte, die es nicht erlaubte, die elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, insbesondere eine Unterkunft zu finden, sich zu ernähren und zu waschen (kurz: „Bett, Brot, Seife“). Grundsätzlich irrelevant sei bei gesunden und arbeitsfähigen Flüchtlingen sogar, wenn überhaupt keine existenzsichernden staatlichen Leistungen bestünden, soweit dies für Inländer ebenso gelte.
Der EuGH weist aber auch in Übereinstimmung mit der Tarakhel-Rechtsprechung des EGMR (U.v. 4.11.2014 – 29217/12 -juris) darauf hin, dass unterschieden werden muss zwischen gesunden und arbeitsfähigen Flüchtlingen einerseits, für die diese „harte Linie“ gilt, sowie andererseits Antragstellern mit besonderer Verletzbarkeit, also Vulnerablen, die unabhängig vom eigenen Willen und persönlichen Entscheidungen in eine Situation extremer materieller Not geraten können. Für Kleinkinder, minderjährige unbegleitete Flüchtlinge, Kranke bzw. sonstige vulnerable Personen ist im Dublinraum mithin von einem anderen, höheren Schutzstandard auszugehen. (vgl. VGH BW, B.v. 27.5 2019 – A 4 S 1329/19 – juris).
Ausgehend von diesen Vorgaben ist davon auszugehen, dass die Klägerin und ihre Familie im Falle einer Rücküberstellung ohne einer besonderen Zusicherung von Seiten der zuständigen griechischen Behörden mit überwiegender Wahrscheinlichkeit der Gefahr der Obdachlosigkeit und einer existenzielle Notlage ausgesetzt würden, die sie nicht aus eigener Kraft abwenden könnten, weshalb eine Überstellung – wie im vorliegenden Fall – eine menschenrechtswidrige Behandlung darstellt (so auch VG Regensburg, U.v.3.1.2019 – RN 11 K 18.31292 – juris m.w.N; VG München, B.v. 12.1.2018 – M 28 S 17.35846 – juris.; VG Gelsenkirchen, B.v. 21.5.2019 – 5aL 790/19A – juris; VG Düsseldorf, B.v. 8.4.2019 – Az. 22 L 3736/19.A -s juris).
Während Schutzberechtigten der Bezug von Sozialleistungen bis Mitte 2018 faktisch kaum möglich war (vgl. Stellungnahme der Stiftung Pro Asyl zu den Lebensbedingungen international Schutzberechtigter in Griechenland vom 23. Juni 2017, S. 13 und 27; VG Würzburg, B.v. 12.3.2018 – W 2 S. 18-30408 – juris), sind mittlerweile Zugangshürden entfallen. Rückkehrer sehen sich jedoch im Vergleich zu Personen, die Griechenland nicht verlassen haben, besonderen Schwierigkeiten konfrontiert. Diese liegen in den Leistungsvoraussetzungen des griechischen Sozialstaats, wonach ein dauerhafter und legaler Aufenthalt im Inland Leistungsvoraussetzung ist. Dabei wird der dauerhafte Aufenthalt grundsätzlich mit einer inländischen Steuererklärung des Vorjahrs dokumentiert (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an VG Schwerin vom 26.9.2018, S. 3). In Griechenland ist der grundsätzlich gewährte Zugang zu Sozialleistungen, zum Wohnungs- und Arbeitsmarkt durch das eigenverantwortliche Handeln des Einzelnen geprägt. Der jeweilige Schutzberechtigte muss daher grundsätzlich befähigt sein, sich den schwierigen Bedingungen zu stellen und durch eine hohe Eigeninitiative selbst für seine Unterbringung und seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Bei vulnerablen Personen kann sich daher die Verweigerung staatlicher Hilfeleistungen zu einer existenzbedrohenden Gefahr verdichten. Gerade unter diesem Gesichtspunkt hängt das Ausmaß, in dem der Einzelne von den zweifelsohne harten Lebensbedingungen für anerkannte Schutzberechtigte in Griechenland getroffen wird, von den individuellen Verhältnissen des jeweiligen Einzelnen statt; die Entscheidung über das Vorliegen eines Abschiebungsverbots hat daher immer mit Blick auf diese zu erfolgen (vgl. VG Saarland, B.v. 27.12.2016 Az. 3 L 2691/16 – juris). Insoweit ist auch der Umstand zu berücksichtigen, dass anerkannte Schutzberechtigte, anders als die griechische Bevölkerung, nicht über ein familiäres Netzwerk verfügen, welches in Griechenland bei der sozialen Absicherung eine besondere Rolle spielt (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an VG Trier vom 22.12.2016, S. 2). Bei der aktuellen Lage in Griechenland kann aus Sicht des Gerichts nur mit konkret-individuellen Zusicherungen den Vorgaben des EGMR zu vulnerablen Personengruppen entsprochen werden.
Die Klägerin als eineinhalbjähriges Kleinkind und ihre Familie mit insgesamt vier minderjährigen Kindern, ohne die die Klägerin zur Wahrung der Familieneinheit nicht abgeschoben werden dürfte, gehören zu den besonders schutzbedürftigen Personen im obigen Sinne. Hierzu zählen insbesondere auch Familien mit Klein- und Kleinstkindern. Dabei wird dem Umstand Rechnung getragen, dass diese Kinder besondere Bedürfnisse haben, extrem verwundbar sind und besondere Herausforderungen und Schwierigkeiten bei der Befriedigung der existenziellen Grundbedürfnisse bestehen. Dies gilt nach der Rechtsprechung des EGMR (vgl. U.v. 4.11.2014 – 29217/12, Tarakhel/Schweiz – juris) auch dann, wenn die Kinder von ihren Eltern begleitet sind. Eine Überstellung nach Griechenland verstößt daher nur dann nicht gegen Art. 3 EMRK, wenn die griechischen Behörden für die Kläger eine individuelle Garantieerklärung abgeben, wonach sie eine Unterkunft erhalten und ihre elementaren Bedürfnisse abgedeckt sind. Die vom EGMR in der „Tarakhel“-Entscheidung dargelegten Grundsätze sind auch auf Personen anzuwenden, die mit einem Schutzstatus in den diesen gewährenden Drittstaat rücküberstellt werden sollen (vgl. VG Regensburg, U.v. 3.1.2019 – RN 11 K 18.31292- juris; VG Göttingen, B.v. 26.4.2017 Az. 3 B 267/17 – juris).
Das Bundesamt wäre deshalb verpflichtet gewesen, konkrete Zusagen zur Unterbringung der Klägerin und ihrer Familie einzuholen oder zumindest auf andere Weise sicher zu stellen, dass der speziellen Situation der Klägerin Rechnung getragen wird. Eine solche individuelle Zusicherung der zuständigen griechischen Stellen ist für die Klägerin nach Aktenlage aber bisher nicht erteilt worden und auch nicht mehr zu erwarten.
Mithin ist eine Überstellung der Klägerin nach Griechenland rechtlich nicht möglich. Eine Zuweisung der Zuständigkeit für den Asylantrag der Klägerin an Griechenland würde der Klägerin folglich dauerhaft die Möglichkeit eines zulässigen Asylverfahrens abschneiden. Dem steht – wie dargelegt – das Kindeswohl der Klägerin entgegen, so dass es eine Ablehnung des Asylantrags als unzulässig entsprechend Art. 20 Abs. 3 Satz 2 Dublin III-VO nicht in Betracht kommt.
Da andere Rechtsgrundlagen für die Ablehnungsentscheidung nicht ersichtlich sind, ist die Ablehnung des klägerischen Asylantrags als unzulässig in Ziffer 1 des verfahrensgegenständlichen Bescheides rechtswidrig.
3. Rechtswidrig ist – unabhängig von der Anwendbarkeit von Art. 20 Abs. 3 Satz 2 Dublin III-VO – aus den dargestellten Gründen jedenfalls auch die Ziffer 2 des Bescheides, in der festgestellt wird, dass Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen.
Ziffer 3 und 4 fußen auf Ziffern 1 und 2 und teilen mithin – von Ziffer 3 Satz 3 abgesehen – ebenfalls deren Rechtswidrigkeit.
Der Klage war insgesamt stattzugeben.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Gerichtsverfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei.

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