Aktenzeichen M 19 S 18.52991
VwGO § 80 Abs. 5
Leitsatz
In Österreich läuft ein Asylbewerber nicht Gefahr, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein. Es bestehen keine systemischen Mängel im österreichischen Asylverfahren oder bei den Aufnahmebedingungen. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die Abschiebung nach Österreich im Rahmen des sog. Dublin-Verfahrens.
Der am 26. März 1992 geborene Antragsteller, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste am 17. Oktober 2018 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Diese Angaben beruhen auf seinen Aussagen, Dokumente wurden nicht vorgelegt. Er stellte hier am 26. Oktober 2018 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) Asylantrag.
Bei seinen Befragungen/Anhörungen durch das Bundesamt am 26. und 29. Oktober 2018 gab der Antragsteller an, über Italien und Österreich nach Deutschland eingereist zu sein. Er habe mehrere Jahre in Österreich gelebt und dort auch ein Asylverfahren durchlaufen. Er gab an, an Epilepsie sowie psychischen Beeinträchtigungen zu leiden.
Eine Eurodac-Recherche am 18. Oktober 2018 ergab einen Treffer der Kategorie 1 für Österreich.
Das Bundesamt stellte am 12. November 2018 ein Wiederaufnahmeersuchen an Österreich. Die österreichischen Behörden erklärten mit Schreiben vom 12. November 2018 die Zustimmung der Übernahme des Antragstellers.
Mit Bescheid vom 14. November 2018, zugestellt am 17. November 2018, lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Nr. 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht vorliegen (Nr. 2), ordnete die Abschiebung nach Österreich an (Nr. 3) und setzte ein Einreise- und Aufenthaltsverbot von 6 Monaten ab dem Tag der Abschiebung nach § 11 Abs. 1 AufenthG fest (Nr. 4). Zur Begründung führte es insbesondere aus, dass Österreich aufgrund des dort gestellten Asylantrags für dessen Bearbeitung zuständig sei. Gründe zur Annahme systemischer Mängel im österreichischen Asylverfahren und der dortigen Aufnahmebedingungen lägen nicht vor.
Am 21. November 2018 erhob der Antragsteller Klage zum Verwaltungsgericht München (M 19 K 18.52990). Gleichzeitig beantragte er,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheids anzuordnen.
Zur Begründung wurde auf die Angaben beim Bundesamt Bezug genommen.
Das Bundesamt legte die Asylakte auf elektronischem Weg vor, stellte aber keinen Antrag.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten in beiden Verfahren und die vorgelegte Asylakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Er ist zwar zulässig, insbesondere wurde er innerhalb der Wochenfrist des § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG gestellt.
Der Antrag ist jedoch nicht begründet.
Nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen. Bei dieser Entscheidung sind einerseits das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts und andererseits das Interesse des Betroffenen, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts von dessen Vollziehung verschont zu bleiben, gegeneinander abzuwägen. Maßgebliche hierfür sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache. Für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage kommt es dabei auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) an.
An der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung bestehen bei summarischer Prüfung keine Zweifel. Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) an, sobald feststeht, dass diese durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Österreich ist für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig.
1. Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 v. 29.6.2013, S. 31) – im Folgenden: Dublin III-VO – für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.
Art. 3 Abs. 1 Dublin III-VO sieht vor, dass der Asylantrag von dem Mitgliedstaat geprüft wird, der nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-VO als zuständiger Staat bestimmt wird. Ausgehend von den Eurodac-Daten und dem Vortrag des Antragstellers ist vorliegend Österreich für die Prüfung des Asylantrags zuständig. Der Umstand der Asylantragstellung in Österreich wird belegt durch den für den Antragsteller erzielten EURODAC-Treffer mit der Kennzeichnung „AT1“.
2. Diese Zuständigkeit ist nicht nach Art. 13 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO entfallen. Auch nach Art. 23 Abs. 3 Dublin III-VO trat kein Zuständigkeitsübergang auf die Antragsgegnerin ein, weil das Wiederaufnahmegesuch für den Antragsteller fristgerecht innerhalb von zwei Monaten nach der Eurodac-Treffermeldung bzw. von drei Monaten nach Asylantragstellung erfolgte. Die österreichischen Behörden haben der Wiederaufnahme des Antragstellers mit Schreiben vom 12. November 2018 zugestimmt (Art. 25 Abs. 1 Dublin III-VO). Österreich ist daher nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. a Dublin III-VO innerhalb der offenen sechsmonatigen Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO verpflichtet, den Antragsteller wieder aufzunehmen.
3. Die Überstellung ist auch nicht rechtlich unmöglich im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO. Dies würde voraussetzen, dass es wesentliche Gründe für die Annahme gäbe, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Österreich systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-Grundrechtecharta) mit sich bringen.
Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 – juris Rn. 181 ff.) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10, C-493/10 – juris Rn. 79 ff.) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der EU-Grundrechtecharta entspricht. Allerdings ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für die Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 EU-Grundrechtecharta ausgesetzt zu werden. Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelmäßig so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10, C-493/10 – Rn. 86 ff.; BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris Ls. und Rn. 6).
Ausgehend von diesen Maßstäben ist im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht anzunehmen, dass der Antragsteller aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Österreich tatsächlich Gefahr läuft, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein. Derartige Gründe sind nach der übereinstimmenden Rechtsprechung für Österreich nicht ansatzweise erkennbar (vgl. z.B. Österreich: VG München, B.v. 16.8.2018 – M 9 K 18.52543 – juris Rn. 29; VG Greifswald, B.v. 9.11.2017 – 4 B 2196/17 As HGW – juris Rn. 14). Individuelle, außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO notwendig machen, sind nicht ersichtlich.
4. Der Abschiebung stehen zudem weder zielstaatsbezogene noch inlandsbezogene Abschiebungshindernisse entgegen, so dass sie auch im Sinne des § 34a AsylG durchgeführt werden kann. Auch die vom Antragsteller beim Bundesamt vorgelegten ärztlichen Schreiben ändern hieran nichts. Der Antragsteller bezieht sich dabei zunächst auf gesundheitlichen Beeinträchtigungen, hauptsächlich seien das Epilepsie und nicht näher spezifizierte psychische Einschränkungen. Unabhängig davon, dass die vorgelegten Unterlagen nicht den – auch in diesem Verfahren geltenden – Anforderungen des § 60a Abs. 2c AufenthG entsprechen und unabhängig davon, dass die Unterlagen keine belastbaren Diagnosen enthalten sondern lediglich erste Einschätzungen einer Notärztin sind, ergibt sich aus diesen weder eine Reisefähigkeit des Antragstellers noch ein zielstaatsbezogenes Hindernis in Bezug auf die Abschiebung nach Österreich. Ersteres deswegen, weil die Beschwerden des Antragstellers, unterstellt, sie treffen so zu wie von ihm behauptet, den Transport nach Österreich nicht hindern. Letzteres, weil keine Zweifel daran bestehen, dass die Beschwerden des Antragstellers in Österreich behandelt werden können und behandelt werden. Dass er in Österreich während des Aufenthalts dort tatsächlich medizinisch betreut wurde, hat der Antragsteller selbst vorgetragen.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83 b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).