Aktenzeichen M 19 S 18.52174
VwGO § 80 Abs. 5
VO (EU) Nr. 604/2013 Art. 2 lit. g, Art. 3 Abs. 1, Art. 7 Abs. 2, Art. 9, Art. 10, Art. 13 Abs. 1 S. 1, Art. 17 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 S. 2, Art. 22 Abs. 3, Art. 23 Abs. 2, Art. 29 Abs. 1, Abs. 2
GG Art. 6 Abs. 1, Abs. 2
Leitsatz
1. Nach Art. 23 Abs. 2 Dublin III-VO kann sich das Wiederaufnahmegesuch auch auf andere Beweismittel stützen, soweit diese in den Verzeichnissen nach Art. 22 Abs. 3 Dublin III-VO aufgeführt sind. Dies ist bei einem amtlichen Dokument wie der auf den Kläger ausgestellten italienischen Gesundheitskarte („tessera sanitaria“)der Fall. (Rn. 23 – 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Im gegenwärtigen Zeitpunkt ist nicht anzunehmen, dass aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Italien eine tatsächlich Gefahr besteht, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein. (Rn. 33 – 37) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei einer gelebten Eltern-Kind-Gemeinschaft besteht aufgrund der Schutzwirkungen des Art. 6 Abs. 1 und 2 GG ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis, das im Rahmen einer Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 AsylG ausnahmsweise von der sonst allein auf die Prüfung zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote beschränkten Bundesamt auch noch nach Erlass der Abschiebungsanordnung zu berücksichtigen.(Rn. 46 – 47) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 16. Juli 2018 gegen den Bescheid vom 9. Juli 2018 wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die Abschiebung nach Italien im Rahmen des sog. Dublin-Verfahrens.
Der am … 1987 geborene Antragsteller, ein nigerianischer Staatsangehöriger, reiste am 1. März 2018 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Diese Angaben beruhen auf seinen Aussagen, Dokumente wurden nicht vorgelegt. Der Antragsteller stellte am 19. April beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) einen förmlichen Asylantrag. Die Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender vom 1. März 2018 trägt den Eingangstempel des Bundesamts vom 6. März 2018.
Bei seinen Anhörungen und Befragungen durch die Regierung von Oberbayern (Zentrale Ausländerbehörde) am 4. April 2018 und vor dem Bundesamt am 19. April 2018 und am 4. Juni 2018 gab er an, dass er Nigeria im September 2014 über den Landweg verlassen habe. Er habe sich in Niger und Libyen zunächst rund neun Monate aufgehalten und sei anschließend über den Seeweg Richtung Europa gereist. Er sei während seiner Überfahrt auf dem Meer aufgegriffen und nach Italien gebracht worden. Dort habe er sich knapp drei Jahre aufgehalten. Danach über Österreich nach Deutschland gefahren. Ihm seien in Italien und Österreich Fingerabdrücke abgenommen worden. Er sei nicht verheiratet, habe aber ein Kind mit seiner Partnerin, die ebenfalls mit ihm in Deutschland lebe.
Der Kläger legte dem Bundesamt eine am 4. September 2014 ausgestellte italienische Gesundheitskarte („tessera sanitaria“) vor.
Eine Eurodac-Recherche vom 1. März 2018 ergab einen Treffer der Kategorie 1 für Österreich für den 10. September 2017.
Das Bundesamt stellte ausweislich der Zugangsbestätigung vom 23. April 2018 ein Wiederaufnahmeersuchen an Österreich, das aber unter Hinweis auf eine irrtümliche Speicherung in der Datenbank mit Schreiben vom 2. Mai 2018 zurückgewiesen wurde. Es wurde mitgeteilt, dass der Antragsteller in Österreich aufgegriffen und auf Basis eines bilateralen Abkommens nach Italien überstellt worden sei.
Das Bundesamt stellte sodann ausweislich der Zugangsbestätigung vom 8. Mai 2018 unter Verwendung des „einheitlichen Formulars zur Bestimmung des für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedstaates“ ein entsprechendes Ersuchen an Italien, das nicht beantwortet wurde.
Mit Bescheid vom 9. Juli 2018, zugestellt am 13. Juli 2018, lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Nr. 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht vorliegen (Nr. 2), ordnete die Abschiebung nach Italien an (Nr. 3) und setzte ein Einreise- und Aufenthaltsverbot von 6 Monaten ab dem Tag der Abschiebung nach § 11 Abs. 1 AufenthG fest (Nr. 4). Zur Begründung führte es insbesondere aus, dass Italien aufgrund des dort gestellten Asylantrags für dessen Behandlung zuständig sei. Gründe zur Annahme systemischer Mängel im italienischen Asylverfahren und der dortigen Aufnahmebedingungen lägen nicht vor.
Am 16. Juli 2018 erhob der Antragsteller Klage zum Verwaltungsgericht München (M 19 K 18.52173). Gleichzeitig beantragte er,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebeanordnung des streitgegenständlichen Bescheids anzuordnen.
Zur Begründung bezog er sich auf seine Angaben gegenüber dem Bundesamt und teilte mit, dass seine (namentlich bezeichnete) Lebensgefährtin und deren im November 2017 geborene (gemeinsame) Tochter sich ebenfalls in Deutschland befänden. Eine Rückkehr nach Italien mit Kleinkind sei nicht zumutbar.
Das Bundesamt legte die Asylakte auf elektronischem Weg vor, stellte aber keinen Antrag.
Die vom Antragsteller zwischenzeitlich Bevollmächtigte legte mit Schreiben vom 15. November 2018 eine Kopie einer Geburtsurkunde und einer Vaterschaftsanerkennung für ein am 26. November 2017 geborenes Mädchen vor. Außerdem wurd erklärt, dass ein Termin für die Beurkundung des gemeinschaftlichen Sorgerechts beim zuständigen Jugendamt (wenn auch erst für den 4. September 2019) vereinbart wurde. Ferner wurden Kopien der Aufenthaltstitel der Mutter und des Kindes vorgelegt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten in beiden Verfahren und die vorgelegte Asylakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat Erfolg.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist zulässig, da wegen § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i.V.m. § 75 Abs. 1 AsylG der Klage keine aufschiebende Wirkung zukommt und er innerhalb der Wochenfrist des § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG gestellt wurde.
Der Antrag ist auch begründet.
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen. Bei dieser Entscheidung sind einerseits das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts und andererseits das Interesse des Betroffenen, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts von dessen Vollziehung verschont zu bleiben, gegeneinander abzuwägen. Maßgebliche Bedeutung kommt dabei den Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu. Der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist hierbei der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG).
An der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung in Nummer 3 des Bescheids vom 9. Juli 2018 bestehen bei summarischer Prüfung durchgreifende Bedenken, so dass die Erfolgsaussichten der Hauptsache als zumindest offen anzusehen sind. Infolgedessen überwiegt das Interesse des Betroffenen, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts von dessen Vollziehung verschont zu bleiben.
Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung unter anderem in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) an, sobald feststeht, dass diese durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Der Asylantrag war daher als unzulässig abzulehnen. Da auch die Abschiebung weder tatsächlich unmöglich noch rechtlich unzulässig ist, war auch die Abschiebung nach Italien anzuordnen.
1. Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 v. 29.6.2013, S. 31) – im Folgenden: Dublin III-VO – für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.
a) Art. 3 Abs. 1 Dublin III-VO sieht vor, dass der Asylantrag von dem Mitgliedstaat geprüft wird, der nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-VO als zuständiger Staat bestimmt wird. Bei Anwendung dieser Kriterien ist Italien für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig.
Gemäß Art. 13 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO ist derjenige Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig, über dessen Grenze der Asylbewerber aus einem Drittstaat illegal eingereist ist. Das war bereits nach dem eigenen, mit verbreiteten Fluchtrouten übereinstimmenden Vortrag des Antragstellers Italien.
Zwar ergab eine Eurodac-Recherche vom 1. März 2018 einen Treffer der Kategorie 1 für Österreich für den 10. September 2017. Allerdings ergibt sich aus einer am 4. September 2014 auf den Kläger ausgestellten italienische Gesundheitskarte („tessera sanitaria“), dessen vorheriger Aufenthalt in Italien.
Nach Art. 23 Abs. 2 Dublin III-VO kann sich das Wiederaufnahmegesuch auch auf andere Beweismittel stützen, soweit diese in den Verzeichnissen nach Art. 22 Abs. 3 Dublin III-VO aufgeführt sind. Dies ist bei einem amtlichen Dokument wie der Gesundheitskarte der Fall (vgl. Verzeichnis A Abschnitt II Nr. 2: „Auszüge aus Registern“).
Wegen der nachgewiesenen Antragstellung in Italien greift infolge des Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO die Erlöschungsregel des Art. 13 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO unabhängig des seit der illegalen Einreise nach Italien verstrichenen Zeitraums nicht ein.
b) Auch trat kein Zuständigkeitsübergang auf die Antragsgegnerin nach Maßgabe des Art. 23 Abs. 3 Dublin III-VO ein, weil das Wiederaufnahmegesuch vom 8. Mai 2018 fristgerecht innerhalb von drei Monaten nach der Antragstellung vom 19. April 2018 erfolgte. Auf einen Fristablauf könnte sich der Antragsteller berufen (vgl. OVG Münster, B.v. 6.9.2017 – 11 A 1810/15.A – juris Rn. 25).
c) Gleichfalls ist die sechsmonatige Überstellungsfrist (fristauslösendes Ereignis ist die Annahme des Wiederaufnahmegesuchs oder die endgültige Entscheidung über einen Rechtsbehelf) gemäß Art. 29 Abs. 1 und Abs. 2 Dublin III-VO, die einen Zuständigkeitswechsel begründen würde auch ohne, dass der zuständige Mitgliedstaat die Verpflichtung zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person ablehnt, noch nicht abgelaufen, worauf sich ein Antragsteller berufen könnte (vgl. EuGH, U.v. 25.10.2017 – C-201/16 – NVwZ 2018, 43 ff.).
d) Die Zuständigkeit ist schließlich auch nicht gemäß Art. 3 Abs. 2 UAbs. 3 der Dublin III-VO auf die Antragsgegnerin übergegangen, weil eine Überstellung an Italien als den zuständigen Mitgliedsstaat an Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 der Dublin III-VO scheitern würde.
Dies würde voraussetzen, dass es wesentliche Gründe für die Annahme gäbe, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Italien systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-Grundrechtecharta) mit sich bringen. Dies ist nicht der Fall.
Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 – juris Rn. 181 ff.) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10, C-493/10 – juris Rn. 79 ff.) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der EU-Grundrechtecharta entspricht.
Allerdings ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für die Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 EU-Grundrechtecharta ausgesetzt zu werden. Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt.
An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10, C-493/10 – juris Rn. 86 ff.; BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris Ls. und Rn. 6).
Ausgehend von diesen Maßstäben ist im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht anzunehmen, dass der Antragsteller aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Italien tatsächlich Gefahr läuft, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein. Es mag zwar vorkommen, dass Asylsuchende während der Bearbeitung ihres Asylantrags in Italien auf sich alleine gestellt und zum Teil obdachlos sind. Dies wird in aktuellen Erkenntnismitteln erwähnt, wie etwa dem Länderbericht des Europäischen Flüchtlingsrats (ECRE) für das Projekt AIDA – Asylum Information Database – zu Italien, Update Februar 2017, und dem Bericht der Schweizer Flüchtlingshilfe von August 2016 (abrufbar unter:
– http://www.asylumineurope.org/reports/country/italy,
– https://www.fluechtlingshilfe.ch/assets/news/2016/160815-sfh-bericht-italien-aufnahmebedingungen-final.pdf).
Diese Umstände und auch die teilweise lange Dauer von Asylverfahren sind darauf zurückzuführen, dass das italienische Asylsystem aufgrund der hohen Asylbewerberzahlen stark ausgelastet und an der Kapazitätsgrenze ist. Die im Bereich der Unterbringung und Versorgung der Asylbewerber feststellbaren Mängel und Defizite sind jedoch weder für sich genommen noch insgesamt als so gravierend zu bewerten, dass ein grundlegendes, systemisches Versagen des Mitgliedstaats vorläge, mit der Folge einer zu prognostizierenden, systembedingt unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EU-Grundrechtecharta oder Art. 3 EMRK. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass der italienische Staat hiergegen wirksame Gegenmaßnahmen ergriffen und dass der UNHCR weiterhin keine generelle Empfehlung dahingehend ausgesprochen hat, Asylbewerber nicht nach Italien zu überstellen. Der Umstand, dass sich die Situation des Antragstellers in Italien gegebenenfalls als deutlich schlechter darstellen mag als im Bundesgebiet, begründet keinen systemischen Mangel des Asylverfahrens (vgl. EGMR, B.v. 2.4.2013 – Nr. 27725/10 – juris).
Eine andere Beurteilung der Situation in Italien gebietet sich auch nicht vor dem Hintergrund des Vorlagebeschlusses des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Juni 2017 (1 C 26.16 – juris) und des Vorabentscheidungsersuchens des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg an den Europäischen Gerichtshof vom 15. März 2017 (A 11 S 2151/16 – juris). Die jeweils gestellten Fragen betreffen nicht das konkrete Verfahren des Antragstellers (vgl. BVerfG, B.v. 14.12.2017 – 2 BvR 1872/17 – juris Rn. 20 ff.).
Schließlich folgt nichts anderes aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 4. November 2014 im Verfahren … ./. … (Nr. 29217/12; NVwZ 2014, 127), weil sich daraus lediglich eine Einschränkung für die Abschiebung von Familien mit Kleinkindern nach Italien ergibt. Zudem hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seiner Entscheidung vom 5. Februar 2015 im Verfahren A.M.E. ./. Niederlande (Nr. 51428/10; juris) entschieden, dass die Struktur und die Gesamtsituation des italienischen Flüchtlings- und Asylbewerberaufnahmesystems kein genereller Grund sind, eine Überstellung im Zuge des Dublin-Verfahrens zu verbieten.
Nach alledem vermag das Gericht – jedenfalls soweit es sich nicht um besonders schutzbedürftige Personen handelt – derzeit keine systemischen Mängel des Asylverfahrens in Italien zu erkennen und schließt sich damit der ganz überwiegenden Meinung in der Rechtsprechung an (vgl. nur VG München, B.v. 11.5.2018 – M 9 S 17.51806; B.v. 3.4.2018 – M 3 S 18.50618; OVG Lüneburg, U.v. 6.4.2018 – 10 LB 109/18 – juris Ls. und Rn. 26; BayVGH, U.v. 28.02.2014 – 13a B 13.30295 – juris).
e) Die bestehende Zuständigkeit Italiens ändert sich auch nicht deshalb, weil durch die vom Antragsteller vorgetragene Ehe oder vorgetragene Vaterschaft eine Zuständigkeit der Bundesrepublik nach Art. 9 oder Art. 10 Dublin III-VO – jeweils in Verbindung mit Art. 2 Buchst. g Dublin III-VO – begründet würde.
aa) Ein Fall nach Art. 9 Dublin III-VO liegt nicht vor. Ungeachtet der Frage, ob die Partnerin des Antragstellers oder dessen Kind den Status eines Familienangehörigen im Sinne von Art. 2 Buchst. g Dublin III-VO innehaben, fehlt es schon daran, dass eine der genannten Personen als Begünstigter internationalen Schutzes in der Bundesrepublik aufenthaltsberechtigt ist. Hierzu ist nichts vorgetragen oder ersichtlich.
bb) Die Voraussetzungen des Art. 10 Dublin III-VO liegen ebenfalls nicht vor.
(1) Die Partnerin des Klägers ist bereits keine Familienangehörige nach Art. 2 Buchst. g erster Spiegelstrich Dublin III-VO. Hiernach ist der Ehegatte des Antragstellers oder sein nicht verheirateter Partner als solcher anzusehen, der mit dem Antragsteller eine dauerhafte Beziehung führt, soweit nach dem Recht oder nach den Gepflogenheiten des betreffenden Mitgliedstaats nicht verheiratete Paare ausländerrechtlich vergleichbar behandelt werden wie verheiratete Paare. Diese Voraussetzungen liegen jedoch nicht vor.
Der Antragsteller ist nicht der Ehegatte seiner Lebensgefährtin im Sinne dieser Vorschrift. Nach Angaben des Antragstellers ist er mit seiner Partnerin nicht verheiratet.
Eine möglicherweise bestehende dauerhafte Beziehung zwischen dem Antragsteller und der von ihm bezeichneten Frau führt ebenfalls nicht zur Bejahung der Eigenschaft als Familienangehörige, weil nach deutschem Recht nicht verheiratete Paare ausländerrechtlich nicht vergleichbar behandelt werden wie verheiratete Paare (vgl. OVG NW, U.v. 18.7.2016 – 13 A 1859/14.A – juris Rn. 32 ff. m.w.N.; VG Augsburg, U.v. 13.6.2018 – Au 6 K 18.50557 – juris Rn. 22). Daher ist eine anerkannte Eheschließung erforderlich; eheähnliche Beziehungen reichen nicht aus.
(2) Da der Antragsteller und seine mögliche Lebenspartnerin kein Paar im Sinne des Art. 2 Buchst. g erster Spiegelstrich Dublin III-VO sind, ist das von seiner Partnerin zwischenzeitlich geborene Kind auch kein Familienangehöriger des Antragstellers nach Art. 2 Buchst. g zweiter Spiegelstrich Dublin III-VO. Ohnehin findet die Norm auf nachgeborene Kinder keine Anwendung, wie der einleitende Halbsatz in Art. 2 Buchst. g Dublin III-VO zum Familienbestand bereits im Herkunftsland verdeutlicht. Aus Art. 20 Abs. 3 Satz 2 Dublin III-VO ergibt sich ebenfalls nur, dass die Situation des Minderjährigen mit einem Familienangehörigen untrennbar verknüpft ist und insoweit für den Minderjährigen kein eigenständiges Zuständigkeitsverfahren durchgeführt wird. Hieraus folgt aber nicht, dass ein nachgeborenes Kind als Familienangehörige im Sinne von Art. 10 Dublin III-VO anzusehen ist.
f) Ob sich an der bestehenden Zuständigkeit Italiens etwas ändert, weil die möglicherweise bestehende Eltern-Kind-Beziehung des Antragstellers zu seiner Tochter humanitäre Gründe bilden, die die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO notwendig machen, kann vorliegend offen bleiben.
2. Denn jedenfalls ist die Überstellung an Italien rechtlich nicht zulässig und kann daher die Abschiebung im Sinne des § 34a AsylG nicht durchgeführt werden. Es besteht ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis, das im Rahmen einer Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 AsylG ausnahmsweise von der sonst allein auf die Prüfung zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote beschränkten Antragsgegnerin auch noch nach Erlass der Abschiebungsanordnung zu berücksichtigen (vgl. BVerfG, B.v. 17.9.2014 – 2 BvR 732/14 – AuAS 2014, 244; Bergmann in Dienelt/Bergmann, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, § 29 AsylG Rn. 35) ist.
Die jedenfalls im vorläufigen Rechtsschutzverfahren anzunehmende Vaterschaft des Antragsstellers bildet ein rechtliches Abschiebungshindernis. Die Schutzwirkungen des Art. 6 Abs. 1 und 2 GG bestehen grundsätzlich erst ab der Geburt des Kindes (OVG SA, B. v. 3.4.2006 – 2 M 82/06 – juris Rn. 11 ff.). Diese Voraussetzung ist vorliegend ausweislich der vorgelegten Kopie des Geburtenregisters gegeben. Das Bundesverfassungsgericht knüpft die Schutzwirkungen des Art. 6 Abs. 1 und 2 GG außerdem daran, dass eine verantwortungsvoll gelebte Eltern-Kind-Gemeinschaft vorhanden ist, die durch Betreuungsbeiträge der Eltern sowie eine geistige und emotionale Auseinandersetzung geprägt ist (BVerfG, B. v. 8.12.2005 – 2 BvR 1001/04 – juris 4. Leitsatz, Rn. 21 f.). Zwar ist vorliegend nicht vorgetragen, dass eine solche Gemeinschaft gibt. Allerdings hat der Kläger schon in seiner Anhörung beim Bundesamt von seiner Partnerin, die er in Italien kennengelernt hat, und der gemeinsamen Tochter berichtet. Durch die nunmehr – wenngleich erst rund ein Jahr nach der Geburt der Tochter – vorgelegte, vor dem Standesamt Fürstenfeldbruck abgegebenen Vaterschaftsanerkennungserklärung vom 4. Oktober 2018, der die Mutter zugestimmt hat, liegt ein weiteres Indiz für ein entsprechend fürsorgliches Verhalten des Antragstellers vor (vgl. Bauer/Dollinger in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, § 60a AufenthG Rn. 23 ff.).
Es wurde ferner vorgetragen, dass ein Termin für die Beurkundung des gemeinschaftlichen Sorgerechts beim zuständigen Jugendamt vereinbart wurde, aber nicht kurzfristig vereinbart werden konnte. Dieser Vortrag ist glaubhaft; dem Gericht ist bekannt, dass die Wartezeiten der Jugendämter nicht selten mehrere Monate betragen. Der Antragsteller und seine Partnerin leben ausweislich der in der Anerkennungsurkunde angegebenen Anschrift außerdem in der gleichen Unterkunft – insoweit stehen einer verantwortungsvoll gelebten Eltern-Kind-Gemeinschaft jedenfalls keine grundsätzlichen Hindernisse im Weg.
Ob und in welchem Umfang der Antragsteller tatsächlich diese Beziehung lebt, bleibt den Feststellungen im Hauptsacheverfahren vorbehalten. Gegenwärtig ist jedenfalls angesichts der vorgetragenen Umstände davon auszugehen, dass es eine solche gelebte Beziehung gibt.
Offen bleiben kann, ob Abschiebungsschutz nur zu gewähren ist, wenn das Kind und seine Mutter über ein gesichertes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet verfügen (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, B.v. 10.12.2014 – 2 M 127/14 – juris Rn. 6 a. E.; VG Bayreuth, B.v. 08.01.2016 – B 4 E 16.9 – juris Rn. 31). Denn vorliegend verfügen die Mutter des Kindes und das Kind über einen Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 3 AufenthG, die am 27. April 2018 für ein Jahr – bis 26. April 2019 – ausgestellt wurden.
Insoweit sprechen nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen summarischen Prüfung die gewichtigeren Umstände dafür, den Verbleib des Antragstellers und Vaters im Bundesgebiet vorerst zu erlauben.
Da die Klage in der Hauptsache hinsichtlich der streitgegenständlichen Nummer 3 des Bescheids vom 9. Juli 2018 zumindest als offen angesehen werden kann, ist die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO anzuordnen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).