Europarecht

Keine systemischen Mängel des Asylverfahrens in Dänemark

Aktenzeichen  Au 6 K 17.50446

Datum:
13.12.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 34a
AsylG AsylG § 29
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1
VO 604/2013/EU (Dublin III-VO)

 

Leitsatz

1 In Dänemark laufen Asylbewerber keine Gefahr, aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung ausgesetzt zu sein. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2 Zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote und inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse sind bei und auch noch nach Erlass der Abschiebungsanordnung zu berücksichtigen, da die Abschiebung nur durchgeführt werden darf, wenn sie rechtlich und tatsächlich möglich ist. (Rn. 28 – 29) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg. Der mit der Klage angegriffene Bescheid des Bundesamtes ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Dies gilt auch, wenn der Ausländer einen Asylantrag in einem anderen auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft zuständigen Staat gestellt hat. Solche Rechtsvorschriften finden sich aktuell in der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (sog. Dublin-III-VO, ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 31).
1. Vorliegend ist davon auszugehen, dass Dänemark für die Prüfung des dort gestellten Asylantrags des Klägers zuständig ist.
Gemäß Art. 3 Abs. 1 VO 604/2013/EU prüft der Mitgliedstaat den Asylantrag, der nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin-III-VO als zuständiger Staat bestimmt wird. Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien festgestellt, dass ein Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig (Art. 13 Abs. 1 Satz 1 VO 604/2013/EU). Dies ist aufgrund der vorliegenden Beweise und Indizien (Art. 22 Abs. 3 VO 604/2013/EU i.V.m. Anhang II Verzeichnis A I Nr. 7, B I Nr. 7 der Durchführungsordnung (EU) Nr. 118/2014 der Kommission vom 30. Januar 2014 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, ABl. L 39 vom 8.2.2014, S. 1) hier der Daten aus der Eurodac-Datei (vgl. Art. 8 Verordnung (EG) Nr. 2725/2000 des Rates vom 11.12.2000 über die Errichtung von „Eurodac“ für den Vergleich von Fingerabdrücken zum Zwecke der effektiven Anwendung des Dubliner Übereinkommens, ABl. L 316 vom 15.12.2000, S. 1, i.V.m. Art. 2 Abs. 3 Satz 5 Verordnung (EG) Nr. 407/2002 des Rates vom 28.2.2002 zur Festlegung von Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 2725/2000 über die Errichtung von „Eurodac“ für den Vergleich von Fingerabdrücken zum Zwecke der effektiven Anwendung des Dubliner Übereinkommens, ABl. L 62 vom 5.3.2002, S. 1), der Fall.
Der Kläger hat sich nachweislich in Dänemark aufgehalten. Bestätigt wird dies durch die Rückübernahmezusage Dänemarks. Dänemark ist somit gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. b) Dublin III-VO gehalten, den Kläger wieder aufzunehmen; die dortigen Behörden haben das Wiederaufnahmegesuch angenommen (Art. 25 Abs. 1 Dublin III-VO). Dänemark ist daher der für die Durchführung des Asylverfahrens zuständige Staat.
2. Gründe, von einer Überstellung nach Dänemark gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 VO 604/2013/EU abzusehen, sind nicht ersichtlich. Diese Vorschrift setzt voraus, dass es sich als unmöglich erweist, einen Kläger an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Kläger in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GrCH mit sich bringen. In diesem Fall setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat die Prüfung der Zuständigkeitskriterien nach Kapitel III der Dublin-III-VO fort, um ggf. die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates festzustellen. Kann keine Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates festgestellt werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat.
Dieser Regelung liegt das Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 – juris) bzw. der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10, C-493/10 – juris) zugrunde. Danach gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der EU den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der EU-Grundrechtecharta entspricht. Allerdings ist diese Vermutung widerleglich. Den nationalen Gerichten obliegt die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für die Kläger führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 GrCH ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH v. 21.12.2011 a.a.O.). Die Vermutung ist jedoch nicht bereits bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen in dem jeweils zuständigen Mitgliedstaat widerlegt. An die Feststellung systemischer Schwachstellen im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 VO 604/2013/EU sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von derartigen Mängeln ist nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im betreffenden Mitgliedstaat regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris Rn. 9).
a) Ausgehend von diesen Maßstäben und im Einklang mit der aktuellen obergerichtlichen Rechtsprechung ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht davon auszugehen, dass ein außerhalb des Konzepts normativer Vergewisserung liegender Ausnahmefall vorliegt oder dass der Kläger in Dänemark aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein.
Hiervon kann nach Auffassung des Gerichts in Übereinstimmung mit der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung nicht ausgegangen werden (vgl. VG Augsburg, B.v. 16.3.2017 – Au 1 S. 17.50060). Gegenteiliges hat auch der Kläger nicht substantiiert vorgebracht. Im Gegenteil bestätigte er gegenüber dem Bundesamt und auch in der mündlichen Verhandlung, eineinhalb Jahre in einer Aufnahmeeinrichtung untergebracht und auch ärztlich versorgt worden zu sein; sein Wunsch nach einer Behandlung seiner psychisch bedingten gelegentlichen Atemnot in Deutschland ist nicht geeignet, systemische Mängel in Bezug auf Dänemark darzutun, zumal er dort auf die Konsultation eines Psychiaters verwiesen wurde.
b) Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die ein Selbsteintrittsrecht der Beklagten nach Art. 17 Abs. 1 VO 604/2013/EU begründen könnten, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, insbesondere bestehen keine zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote (dazu sogleich).
Soweit der Kläger geltend macht, in Dänemark nähmen junge Männer Drogen, stellt dies für ihn keine Gefahr dar und ist leider auch in Deutschland ein Phänomen, vor dem der Kläger daher selbst in Deutschland nicht geschützt werden kann. Soweit er sich gegen eine Rücküberstellung in die Türkei wendet, ist dies vom Bundesamt nicht zu prüfen, das lediglich die Rückführung nach Dänemark angeordnet hat, welche als Signatarstaat der Europäischen Menschenrechtskonvention hinsichtlich seines Asylrechtsvollzugs auch mit Blick auf die Türkei keinen schwächeren Rechtsstandards unterliegt als Deutschland. Rückführungshindernisse hinsichtlich der Türkei zu prüfen, ist Sache Dänemarks (vgl. oben). Dies gilt auch für das Refoulement-Verbot.
Sein Wunsch, wegen seiner Geschwister in Deutschland zu bleiben, ist nicht maßgeblich, weil er und seine Geschwister volljährig sind und bereits zuvor getrennt gelebt haben (der Kläger durfte sie besuchen), so dass eine Abschiebung des Klägers keine bestehende geschweige denn schützenswerte Beistandsgemeinschaft beeinträchtigen würde.
c) Die Abschiebung des Klägers nach Dänemark kann auch durchgeführt werden; sie ist rechtlich bzw. tatsächlich möglich. Ihr stehen weder zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote noch inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse entgegen.
Solche Abschiebungshindernisse sind im Rahmen einer Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 AsylG ausnahmsweise von der sonst allein auf die Prüfung zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote beschränkten Beklagte auch noch nach Erlass der Abschiebungsanordnung zu berücksichtigen (vgl. BVerfG, B.v. 17.9.2014 – 2 BvR 732/14 – AuAS 2014, 244), da die Abschiebung nur durchgeführt werden darf, wenn sie rechtlich und tatsächlich möglich ist. Dies ist hier der Fall; Gegenteiliges ist weder ersichtlich noch vorgetragen.
Nach derzeitiger Sachlage besteht für den Kläger kein tatsächliches Abschiebungshindernis; insbesondere ist er reisefähig und die Rückübernahme durch Dänemark zugesichert, so dass keine inlandsbezogenen Vollstreckungshindernisse entgegenstehen.
d) Auch läuft die Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 1 VO 604/2013/EU von sechs Monaten seit ausdrücklicher Annahme des Überstellungsgesuchs durch Dänemark mit Schreiben vom 6. November 2017 noch bis zum 5. Mai 2018 und ist daher noch nicht abgelaufen, so dass es keiner Entscheidung über die Frage bedarf, ob dem Kläger allein aus dem Fristablauf ein subjektiv-öffentliches Recht erwachsen kann.
e) Einwände gegen das im streitgegenständlichen Bescheid verfügte Einreise- und Aufenthaltsverbot für drei Monate ab dem Tag der Abschiebung, gestützt auf § 11 AufenthG, sind nicht ersichtlich. Insbesondere hat der Kläger keine schützenswerten Bindungen an das Bundesgebiet geltend gemacht, die für seine kürzere Fernhaltung sprächen; solche sind auch sonst nicht ersichtlich. Auf die Ausführungen zu seinen Geschwistern wird verwiesen (vgl. oben).
3. Soweit der Kläger eine Verpflichtung der Beklagten zur Fortführung eines Asylverfahrens, zur Asylanerkennung, zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder subsidiären Schutzes sowie zur Feststellung von Abschiebungsverboten begehrt, fehlt seiner Klage die Zuständigkeit der Beklagten.
4. Nach allem erweist sich der angefochtene Bescheid des Bundesamtes als rechtmäßig und war die Klage demnach mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG. Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO.

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