Verwaltungsrecht

Kein Anspruch auf die nochmalige Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in einem anderen EU-Mitgliedstaat

Aktenzeichen  M 21 S 17.43233

Datum:
17.10.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 36
EMRK EMRK Art. 3
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

Bei einer Abschiebung nach Italien bestehen keine Bedenken wegen einer möglichen unmenschlichen Behandlung, da Asylsuchende hinsichtlich der Gesundheitsversorgung den italienischen Staatsbürgern gleichgestellt sind. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der nicht ausgewiesene Antragsteller ist nach eigenen Angaben malischer Staatsangehöriger. Er reiste am 9. März 2016 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 21. September 2016 bei dem Bundesamt für … (im Folgenden: Bundesamt) einen Asylantrag.
Bei seinem Gespräch zur Klärung der Zulässigkeit des gestellten Asylantrags am 21. September 2016 erklärte der Antragsteller, ihm sei bereits am 20. Mai 2011 in Italien internationaler Schutz zuerkannt worden.
Bei seiner Anhörung durch das Bundesamt am 15. Dezember 2016 führte der Antragsteller weiter aus, er habe in Italien als Schweißer gearbeitet. Sein Heimatland habe er aus Armutsgründen verlassen. Er habe zunächst Fußballprofi werden wollen. In Libyen sei er dann auf ein Boot gebracht und nach Italien geschickt worden. Dort sei er schlecht bezahlt worden und habe seine Miete nicht mehr bezahlen können. Vom Fußball habe er auch nicht leben können.
Auf ein Informationsersuchen nach Art. 34 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 reagierte der Mitgliedstaat Italien nicht. Allerdings findet sich in der Verwaltungsakte die Kopie eines italienischen Permesso di soggiorno, aus dem sich ergibt, dass dem Antragsteller in Italien subsidiärer Schutz gewährt worden ist.
Mit Bescheid vom 26. Mai 2017 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Asylanerkennung sowie auf subsidiären Schutz als unzulässig ab. Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen, andernfalls wurde die Abschiebung nach Italien angedroht. Schließlich wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
Zur Begründung heißt es in dem Bescheid, der Asylantrag sei unzulässig, weil bereits ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Antragsteller internationalen Schutz gewährt habe. Abschiebungsverbote lägen nicht vor. Die humanitären Bedingungen in Italien führten nicht zu der Annahme, dass bei einer Abschiebung des Antragstellers eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege. Die vom EGMR und vom EuGH aufgestellten Anforderungen gelten nur für Asylbewerber, nicht aber für anerkannte Flüchtlinge und Personen mit subsidiären Schutzstatus. Diese würden vielmehr italienischen Staatsangehörigen gleichgestellt. Dass die wirtschaftliche Situation des Antragstellers in Italien schlechter sein werde, als dies in Deutschland der Fall sei, reiche nicht aus, die Schwelle der unmenschlichen Behandlung zu überschreiten.
Hiergegen erhob der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten am 30. Mai 2017 Klage (M 21 K 17. 43232), mit der er beantragt, den Bescheid des Bundesamts vom 26. Mai 2017 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Antrag des Antragstellers auf internationalen Schutz materiell zu prüfen.
Zugleich beantragt er,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung verweist er auf seine Ausführungen im Rahmen der Anhörungen.
Das Bundesamt hat mit Schreiben vom 1. August 2017 die Behördenakten vorgelegt. Eine Äußerung erfolgte weder zum Klagenoch zum Eilverfahren.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowohl in diesem als auch im Klageverfahren sowie auf die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg.
Der Antrag ist zulässig, soweit damit die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die kraft Gesetzes (§ 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, § 75 i.V.m. § 36 AsylG) sofort vollziehbare Abschiebungsandrohung in Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheids erreicht werden soll. Die Antragstellung erfolgte auch fristgerechnet innerhalb der Wochenfrist des § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG.
Der Antrag ist aber nicht begründet.
Bei der Entscheidung darüber, ob die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die insoweit gemäß § 75 AsylG kraft Gesetzes sofort vollziehbare Entscheidung der Antragsgegnerin anzuordnen ist, ist das öffentliche Interesse an einer alsbaldigen Vollziehung des Verwaltungsaktes gegenüber dem Interesse der Betroffenen an einer Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abzuwägen, wobei allerdings gemäß §§ 36 Abs. 1, Abs. 4 Satz 1 AsylG eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nur bei ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des Bescheides in Betracht kommt. Ernstliche Zweifel in diesem Sinne liegen dann vor, wenn zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Entscheidung des Bundesamtes einer rechtlichen Überprüfung wahrscheinlich nicht standhält (vgl. VG Berlin, B. v. 12.7.2017 – 23 L 503.17 A – mit Verweis auf BVerfG, U. v. 11.5.1996 – 2 BvR 1516/93 -, juris).
Entsprechend diesem Maßstab begegnet die Entscheidung des Bundesamts keinen ernstlichen Zweifeln. Das Gericht folgt den Gründen des angefochtenen Bescheids, nimmt auf diesen Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG) und weist ergänzend auf Folgendes hin:
Ernstliche Zweifel hat das Gericht insbesondere nicht hinsichtlich der Verneinung von Abschiebungsverboten nach Italien gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG.
Soweit der die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung teilweise die Auffassung vertritt, eine Überstellung nach Italien sei unzulässig, weil dem Asylantragsteller in Italien im Falle der Zuerkennung internationalen Schutzes unzumutbare Lebensumstände erwarteten (so VGH Baden-Württemberg, B. v. 15.3.2017 – A 11 S 2151/16 – juris), vermag sich das Gericht dem nicht anzuschließen. Das Gericht ist davon überzeugt, dass in Italien anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte grundsätzlich menschenrechtskonform behandelt werden und in der Lage sind, ihre Grundbedürfnisse zu decken, zumal sie in Fragen der Gesundheitsversorgung den italienischen Staatsbürgern gleichgestellt sind und auch tatsächlich die Möglichkeit des Zugangs zu ausreichender gesundheitlicher Versorgung haben (vgl. VG Trier, B. v. 20.7.2017 – 5 L 7778/17.TR -, juris; OVG Rheinland-Pfalz, U. v. 21.2.2014 – 10 A 10656/13.OVG -, VG München, U. v. 6.12.2016 – M 12 K 16.33413 – und B. v. 6.3.2017 – M 17 S. 17.33096 -; OVG Nordrhein-Westfalen, U. v. 22.9.2016 – 13 A 2448/15.A – und 7.7.2016 – 13 A 2132/15.A – m.w.N.).
Auch eine in Italien eventuell drohende Obdachlosigkeit ist nicht ohne weiteres geeignet, generell eine mit den Grundsätzen des europäischen Asylrechts unvereinbare Behandlung anerkannter Flüchtlinge in Italien anzunehmen (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, U. v. 18.7.2016 – 13 A 1859/14.A; VG Trier, a.a.O.). Art. 3 EMRK verpflichtet gerade nicht dazu, anerkannten Flüchtlingen einer Wohnungsunterkunft zur Verfügung zu stellen, sie finanziell zu unterstützen oder ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen (EGMR, U. v. 4.11.2014 – 29217/12 – NVwZ 2015, 127, 129).
Denn anders als während des Asylverfahrens, für das die Migranten einen Anspruch auf Betreuung und Unterkunft haben (vgl. Art. 17 bis 19 Aufnahmerichtlinie RL 2013/33/EG) und dem in Italien angesichts der Vielzahl der dort ankommenden Schutzsuchenden nicht immer systemgerecht entsprochen worden ist, gibt Kapitel VII der Richtlinie 2011/95/EU für anerkannte international Schutzberechtigte lediglich vor, dass sie über dieselben Rechte wie eigene Staatsangehörige beim Zugang zu Wohnraum, Bildung, medizinischer Versorgung, Beschäftigung oder Sozialhilfeleistungen verfügen müssen. Eine staatliche Verpflichtung zur finanziellen Unterstützung, Versorgung oder Unterbringung aller Einzelpersonen folgt daraus ebenso wenig wie aus den Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention (vgl. EGMR, a.a.O.). Selbst wenn der Antragsteller also bei seinem Voraufenthalt in Italien unter schwierigen Bedingungen leben musste, so rechtfertigt dies nicht die Zuerkennung eines Abschiebungsverbotes dorthin, das dann letztlich für jeden aus Italien eingereisten Ausländer oder dortigen Staatsangehörigen gelten müsste, der wegen finanzieller Schwierigkeiten das Land verlassen hat.
Hieran vermag auch der Umstand, dass die wirtschaftliche Situation in dem Zielstaat der Überstellung schlechter ist als diejenige in der Bundesrepublik Deutschland, nichts zu ändern.
Ein anderes ergibt sich auch nicht aus dem Vorlagebeschluss des Bundesverwaltungsgerichts (B. v. 27.6.2017 – 1 C 26/16 – juris), in dem das Gericht selbst davon ausgeht, dass ein anerkannter Flüchtling auch dann keinen Anspruch auf ein weiteres Anerkennungsverfahren in einem anderen EU-Mitgliedstaat hat, wenn die Lebensbedingungen für Flüchtlinge dort zwar nicht gegen Artikel 4 GRC und Art. 3 EMRK verstoßen, es jedoch unterhalb dieser Schwelle tatsächliche Probleme beim Zugang zu den Leistungen gibt, die Art. 20 ff. Richtlinie 2011/95/EU vermitteln. Das Bundesverwaltungsgericht geht in seinem Beschluss davon aus, dass eine Absenkung der durch Art. 4 GRC und Art. 3 EMRK gezogenen Schwelle das gemeinsame europäische Asylsystem und das ihm zugrunde liegende gegenseitige Vertrauen unterlaufen würde. Der Unionsgesetzgeber habe insoweit auf eine Vereinheitlichung des Niveaus staatlicher Leistungen gerade verzichtet. Daraus folge, dass es unionsrechtlich allenfalls dann geboten sein könne, einen Antrag auf nochmalige Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in einem anderen Mitgliedstaat entgegen der dort im nationalen Recht angeordneten Unzulässigkeit derartiger Anträge zu prüfen, wenn die Lebensbedingungen in dem Mitgliedstaat, der dem Antragsteller die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt hat, Art. 4 GRC bzw. Art. 3 EMRK verletzten.
Dies ist im Falle einer Überstellung in den Mitgliedstaat Italien nicht anzunehmen.
Nach all dem bestehen keine ernstlichen Zweifel daran, dass die Antragsgegnerin zu Recht das Vorliegen eines Verbots der Abschiebung nach Italien verneint hat.
Der Antrag ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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