Verwaltungsrecht

Keine Gruppenverfolgung des sunnitischen Bevölkerungsteils im Irak

Aktenzeichen  B 3 K 17.31455

Datum:
12.10.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3 Abs. 1, § 3a Abs. 1 Nr. 2 u. Abs. 2 Nr. 3 u. 5, § 3c Nr. 2 u. 3, § 3d, § 3e Abs. 1, § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, § 34 Abs. 1, § 74 Abs. 2 S. 1
AufenthG AufenthG § 11 Abs. 1, 2 u. 4, § 60 Abs. 5 u. 7 S. 1, § 60a Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Die Verfolgungshandlungen, denen der sunnitische Bevölkerungsteil im Irak ausgesetzt ist, weisen weder im Staat Irak in seiner Gesamtheit noch in Bagdad die für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche kritische Verfolgungsdichte auf (BayVGH BeckRS 2017, 100394; BeckRS 2017, 102474). (Rn. 46) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.
Das Gericht konnte über die Klage entscheiden, ohne dass die Beklagte an der mündlichen Verhandlung am 11.10.2017 teilgenommen hat. Auf den Umstand, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, wurden die Beteiligten bei der Ladung ausdrücklich hingewiesen (§ 102 Abs. 2 VwGO).
II.
Die zulässige Klage bleibt ohne Erfolg. Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG noch einen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG. Es liegen auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor. Die Abschiebungsandrohung sowie die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes sind ebenfalls nicht zu beanstanden. Der angefochtene Bescheid ist somit rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
1. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG liegen nicht vor.
Nach § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylG besteht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft dann, wenn sich der Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will und er keine Ausschlusstatbestände erfüllt. Eine solche Verfolgung kann nicht nur vom Staat ausgehen (§ 3c Nr. 1 AsylG), sondern auch von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 3c Nr. 2 AsylG) oder nicht staatlichen Akteuren, sofern die in Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschl. internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage sind oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 3c Nr. 3 AsylG). Allerdings wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3e Abs. 1 AsylG).
Für die richterliche Überzeugungsbildung im Sinne von § 108 Abs. 1 VwGO gilt folgendes:
Das Gericht muss sich die volle Überzeugung von der Wahrheit des behaupteten Verfolgungsschicksals und der Wahrscheinlichkeit der Verfolgungsgefahr bilden. Eine bloße Glaubhaftmachung in der Gestalt, dass der Vortrag lediglich wahrscheinlich sein muss ist nicht ausreichend (vgl. grundlegend BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 109.84 – juris). Es ist vielmehr der asylrechtliche Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu Grunde zu legen. Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhaltes die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Hierbei darf das Gericht jedoch hinsichtlich der Vorgänge im Verfolgerland, die zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder der Feststellung eines Abschiebungsverbotes führen sollen, keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen, sondern muss sich in tatsächlich zweifelhaften Fragen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, auch wenn Zweifel nicht völlig auszuschließen sind (BVerwG, U.v. 16.4.1985 a.a.O.). Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris; VG Augsburg, U.v. 11.7.2016 – Au 5 K 16.30604 – juris).
Nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 ist hierbei die Tatsache, dass ein Kläger bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweise darauf, dass die Furcht des Klägers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Kläger erneut von solcher Verfolgung und einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Regelung privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis bei einer Vorverfolgung durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Die Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Kläger eine widerlegbare Vermutung dafür, dass sie erneut von einem ernsthaften Schaden bei einer Rückkehr in ihr Heimatland bedroht werden. Dadurch wird der Kläger, der bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat oder von einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die einen solchen Schaden begründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden.
Als vorverfolgt gilt ein Schutzsuchender dann, wenn er aus einer durch eine eingetretene oder unmittelbar bevorstehende politische Verfolgung hervorgerufenen ausweglosen Lage geflohen ist. Die Ausreise muss das objektive äußere Erscheinungsbild einer unter dem Druck dieser Verfolgung stattfindenden Flucht aufweisen. Das auf dem Zufluchtsgedanken beruhende Asyl- und Flüchtlingsrecht setzt daher grundsätzlich einen nahen zeitlichen (Kausal-) Zusammenhang zwischen der Verfolgung und der Ausreise voraus. Es obliegt aber dem Schutzsuchenden, sein Verfolgungsschicksal glaubhaft zur Überzeugung des Gerichts darzulegen. Er muss daher die in seine Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere seine persönlichen Erlebnisse, in einer Art und Weise schildern, die geeignet ist, seinen geltend gemachten Anspruch lückenlos zu tragen. Dazu bedarf es – unter Angabe genauer Einzelheiten – einer stimmigen Schilderung des Sachverhalts. Daran fehlt es in der Regel, wenn der Schutzsuchende im Lauf des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellungen nach der Lebenserfahrung oder auf Grund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar erscheinen, und auch dann, wenn er sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (VGH BW, U.v. 27.8.2013 – A 12 S 2023/11 – juris; HessVGH, U.v. 4.9.2014 – 8 A 2434/11.A – juris).
Gemessen an diesen Maßstäben hat der Kläger eine an den Merkmalen des § 3 Abs. 1 AsylG ausgerichtete Verfolgung nicht glaubhaft gemacht. Das Gericht folgt zunächst vollumfänglich den Ausführungen im angefochtenen Bescheid (§ 77 Abs. 2 AsylG). Auch nach Durchführung der mündlichen Verhandlung besteht kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG.
a) Der Sachvortrag des Klägers in der mündlichen Verhandlung ist in Teilen bereits unglaubwürdig.
aa) Soweit der Kläger vorträgt, er habe während seines Urlaubs erfahren, dass er in die Provinz Salah ad Din versetzt werden soll, schenkt das Gericht diesem Vorbringen keinen Glauben. Bei seiner Anhörung beim Bundesamt am 02.08.2016 wurde mit keinem Wort eine geplante Versetzung, die mitursächlich für die Flucht gewesen sein soll, erwähnt. Lediglich in einer ergänzenden Stellungnahme des Klägers, die mit undatiertem Schreiben vom 26.05.2017 und damit nach Ablauf der Frist des § 74 Abs. 2 S. 1 AsylG beim Gericht eingegangen ist, wird auf Seite 4 – äußerst oberflächlich und vage – ausgeführt, dass der Kläger nach dem Urlaub in eine andere Einheit versetzt werden sollte. Wohin der Kläger versetzt werden sollte, bleibt auch bei diesen Ausführungen unerwähnt. Trotz wiederholter Nachfrage des Gerichts konnte der Kläger dem Gericht nicht plausibel erklären, warum die geplante Versetzung nicht bereits beim Bundesamt zum Gegenstand des Verfahrens gemacht wurde, obwohl diese – nach dem Vortrag des Klägers in der mündlichen Verhandlung – offensichtlich in nicht unerheblichem Maße zum Fluchtentschluss des Klägers beigetragen hat. Der Kläger rechtfertigte die fehlende Erwähnung beim Bundesamt mit den gerichtsbekannten Ausflüchten, der Dolmetscher habe ihn seinerzeit nicht richtig verstanden. Im Übrigen habe er nur auf konkrete Fragen antworten dürfen, so dass keine Gelegenheit bestanden habe, diesen Aspekt zu erwähnen. Diese allgemeinen Floskeln überzeugen das Gericht nicht, zumal gewisse Verständnisprobleme allenfalls zu einzelnen Unstimmigkeiten im Anhörungsprotokoll führen können. Das Fehlen eines gesamten essentiellen Teils der Fluchtgeschichte ist hingegen mit „Verständnisproblemen“ nicht zu rechtfertigen. Im Übrigen hat der Kläger beim Bundesamt bestätigt, dass es keine Verständigungsprobleme gegeben hat und er zudem ausreichend Gelegenheit hatte, die Gründe für seinen Asylantrag zu schildern. Auf die ausdrückliche Frage des anhörenden Entscheiders beim Bundesamt, ob er seinen Ausführungen noch etwas hinzuzufügen habe, antwortete der Kläger zudem mit „nein“. Soweit nunmehr in der mündlichen Verhandlung die Versetzung in ein Krisengebiet als mitursächlich für die Flucht angeführt wird, geht das Gericht im Ergebnis von einer unglaubwürdigen Steigerung des klägerischen Vortrags aus.
bb) Weiterhin erweist sich der Vortrag des Klägers, er müsse im Falle einer Rückkehr in den Irak wegen Desertion eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verbüßen sowie nach dieser Strafzeit noch zusätzlich drei Monate im Gefängnis bleiben, als schlichtweg unwahr. Der Kläger hat dem Gericht bis zum Schluss vorgespiegelt, er sei von einem Militärgericht wegen „Fahnenflucht“ zu fünf Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilt worden. Ausweislich des Urteils des Militärgerichts vom 22.09.2015 wurde der Kläger jedoch lediglich wegen unerlaubten Fernbleibens von der Truppe gem. Art. 33 Abs. 1 des irakischen Militärstrafgesetzes Nr. 19 aus dem Jahr 2007 zu einer „einfachen“ Gefängnisstrafe von drei Monaten verurteilt. Die Desertion ins Ausland, die gem. Art. 35 Abs. 5 des Militärstrafgesetzes mit einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren bestraft werden kann, ist hingegen überhaupt kein Gegenstand der vom Kläger zitierten Entscheidung. Vielmehr wurde der Kläger weiterhin nach Art. 63 Abs. 2 bis 4 des irakischen Militärstrafgesetzes zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten sowie zu einem Entschädigungsbetrag in Höhe von 11.190.000,00 Dinar verurteilt. Nach den genannten Vorschriften wird derjenige der Waffen, Munition oder hierauf bezogene Ersatzteile, die im Eigentum des Militärs stehen, veruntreut oder stielt, zu einer Freiheitsstrafe von bis zu 15 Jahren verurteilt. Die Schadensersatzforderung stütze das Gericht auf Art. 63 Abs. 3 des Militärstrafgesetzes wonach Entschädigungen in Höhe des fünffachen Wertes zu leisten ist, falls das Diebesgut nicht mehr existiert bzw. verbraucht ist. Der Kläger wurde daher mit Nichten zu einer unmenschlichen Freiheitsstrafe wegen Desertion verurteilt.
Obwohl der Kläger das Urteil sehr genau kannte und zudem in seiner persönlichen, 16-seitigen, Stellungnahme detaillierte Ausführungen zu den strafrechtlichen Konsequenzen nach dem Militärstrafgesetz bei einer Rückkehr in den Irak macht (vgl. dort S. 8), verschwieg er bis zum Schluss, dass der Großteil der Freiheitsstrafe wegen Diebstahls militärischer Ausrüstungsgegenstände verhängt worden ist. Daher glaubt das Gericht schon im Ansatz nicht, dass der Kläger erstmals in der mündlichen Verhandlung durch das Gericht von diesem Vorwurf erfahren haben will. Da dem Kläger die Vorschriften, auf denen der Schuldspruch gestützt ist, bekannt gewesen sind, wäre zu erwarten gewesen, dass ein entsprechender Vortag frühzeitig im Verfahren erfolgt. Dies gilt erst Recht, wenn der Kläger nunmehr behauptet, die Feststellungen im Urteil zum Diebstahl seien falsch und das Urteil beruhe nicht auf rechtlichen, sondern auf politischen Erwägungen. Die diesbezügliche Einlassung in der mündlichen Verhandlung, den zu Unrecht vorgeworfenen Diebstahl habe er beim Bundesamt nicht erwähnt, da er sich kurz fassen musste und nur auf konkrete Fragen antworten dürfte, ist abwegig. Im Übrigen ist für das Gericht ist nicht nachvollziehbar, warum der Kläger, der eine umfassende persönliche Stellungnahme zu mehr oder weniger relevanten Aspekten abgegeben hat, mit keinem Wort auf die (behauptete) inhaltliche Unrichtigkeit des Urteils eingeht und damit einen gravierenden Vorwurf außen vor lässt.
b) Soweit das Gericht den klägerischen Ausführungen glaubt, ergeben sich keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgungshandlung im Sinne des § 3 a AsylG.
Der Kläger hat seine Heimat weder vorverfolgt verlassen noch liegen sogenannte Nachfluchtgründe vor. Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten nur Handlungen, die aufgrund ihrer Art der Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen oder Handlungen in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte bestehen, die so gravierend sind, dass eine Person davon in einer ähnlichen Weise wie in der § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG beschriebenen Weise betroffen sind.
aa) Der Kläger hat sein Herkunftsland nicht vorverfolgt verlassen. Trotz wiederholter Nachfragen des Gerichts hat der Kläger keine konkrete und individuelle Verfolgungshandlung glaubhaft gemacht.
(1) Die geschilderte „Beschattung“ durch einen Unteroffizier aus seiner Militäreinheit, der Angehöriger der schiitischen Miliz Asaib Al-Haq gewesen sein soll, stellt keine Verfolgungshandlung gegenüber dem Kläger im obigen Sinn vor. Der Unteroffizier hat nach Angaben des Klägers diesen zwar „ständig“ bei der Arbeit beobachtet und sich nach Geräten und Ersatzteilen erkundigt. Darüber hinaus ist dem Kläger aber nichts passiert. Er wurde weder bedroht noch anderweitig unmenschlich behandelt. Der Kläger vermutet lediglich, die Beschattung sei erfolgt, weil er Sunnit sei. Selbst wenn der Unteroffizier den Kläger wegen seines sunnitischen Glaubens in der beschriebenen Art und Weise beobachtet haben soll, folgt hieraus nicht einmal im Ansatz eine Maßnahme mit flüchtlingsrechtlicher Relevanz. Die geschilderte „Beschattung“ stellt allenfalls „Mobbing“ am Arbeitsplatz dar.
(2) Flüchtlingsrechtlich völlig irrelevant ist zudem, dass der Kläger bei der Ehrung für die Verdienste der Hubschrauberstaffel nicht berücksichtigt worden ist. Selbst wenn der Kläger vermutet, er sei aufgrund seines sunnitischen Glaubens bei der Auszeichnung außen vor gelassen worden, begründet dies keine Verfolgungshandlung im Sinne des § 3 a AsylG. Es fehlt bereits ersichtlich an der flüchtlingsrelevanten Intensität der Maßnahme.
(3) Soweit der Kläger von der Explosion des Hauses der Familie im Jahr 2007 und der Entstellung eines Bildes seines Vaters berichtet, fehlt es schon am zeitlichen Kausalzusammenhang zwischen der Maßnahme im Jahr 2007 und der Ausreise des Klägers im Jahr 2014.
(4) Die Durchsuchung der Wohnung des Klägers in der Stadt Bagdad unmittelbar nach dem Fernbleiben des Klägers vom Dienst stellt ebenfalls keine Verfolgungshandlung im Sinne des § 3 a AsylG dar. Neben der Tatsache, dass die diesbezüglichen Einlassungen bereits teilweise widersprüchlich sind (beim Bundesamt gab der Kläger an, der militärische Sicherheitsdienst habe aufgrund des Fernbleibens vom Dienst die Wohnung durchsucht; in der mündlichen Verhandlung sollen hingegen schiitische Milizen die Wohnung durchsucht haben), ist für das Gericht jedenfalls keine flüchtlingsrechtliche Relevanz ersichtlich. Es ist auch in anderen Ländern unüblich, dass nach Deserteuren von entsprechenden Militäreinheiten gesucht wird. Allein die Tatsache, dass die Suche nach dem Kläger bereits nach zwei Tagen und nicht wie üblicher Weise erst nach zehn Tagen, begonnen hat, begründet keine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung des Klägers.
(5) Im Übrigen hat der Kläger auch in der mündlichen Verhandlung wiederholt nur auf das Schicksal anderer Personen bzw. auf die allgemeine Sicherheitslage im Irak verwiesen, was schon im Ansatz keine konkret individuelle Verfolgung gegenüber dem Kläger darstellt.
(6) Für das Gericht sind auch keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass der Kläger – durch welche Maßnahmen auch immer – konkret und individuell wegen seines sunnitischen Glaubens verfolgt wurde. Der Kläger stellte wiederholt nur Vermutungen an, könnte jedoch keinerlei Maßnahmen mit flüchtlingsrechtlicher Relevanz im Hinblick auf seinen sunnitischen Glauben konkret und glaubhaft darlegen.
(7) Im Ergebnis kann selbst unter Berücksichtigung des Kummulationsansatzes (§ 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG) von keiner individuellen Vorverfolgung des Klägers ausgegangen werden.
(8) Weiterhin ist in der Rechtsprechung geklärt, dass die Verfolgungshandlungen, denen der sunnitische Bevölkerungsteil ausgesetzt ist, im Irak die für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche kritische Verfolgungsdichte nicht aufweisen. Für die Annahme einer entsprechenden Verfolgungsdichte ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht (BVerwG, U.v. 21.4.2009 –10 C 11/08 – juris). Zwar existieren im Irak schiitische Milizen, die zum Teil auch gewaltsam gegen Sunniten vorgehen. Dabei handelt es sich aber um einzelne Übergriffe. Die Verfolgungshandlungen, denen der sunnitische Bevölkerungsteil ausgesetzt ist, weisen weder im Staat Irak in seiner Gesamtheit noch in Bagdad die für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche kritische Verfolgungsdichte auf (vgl. BayVGH, U.v. 09.01.2017 – 13a ZB 16.30740 – juris; BayVGH, B.v. 01.02.2017 – 13a ZB 16.30990 – juris; BayVGH, B.v. 15.03.2017 – 20 ZB 17.30308 – juris; VG Augsburg, U.v. 12.12.2016 – Au 5 K 16.31959 – juris; VG Augsburg, U.v. 11.07.2016 – Au 5 K 16.30604 – juris; VG Bayreuth, U.v. 18.10.2016 – B 3 K 16.30613).
bb) Nachfluchtgründe sind ebenfalls nicht ersichtlich.
(1) Allein die Tatsache, dass der Kläger illegal seine Einheit verlassen und sich ins Ausland abgesetzt, begründet keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Es besteht keine beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass dem Kläger der Tod bzw. infolge des bestehenden oder eines erneuten Militärgerichtsurteils eine unverhältnismäßig lange Haftstrafe mit unmenschlicher Behandlung im Gefängnis i.S.d. § 3a Abs. 2 Nr. 3 AsylG droht. Aufgrund eines Auskunftsersuchens des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 14.09.2011 in der Streitsache W 4 K 09.30149, wies das Europäische Zentrum für Kurdische Studien in Berlin mit Schreiben vom 28.02.2013 darauf hin, dass sich das Strafmaß der irakischen Militärgerichtsbarkeit, vor der sich der Kläger nach eigenen Angaben fürchtet, nach dem Militärstrafgesetz Nr. 19 aus dem Jahr 2007 richtet. In Art. 33 Abs. 1 des Militärstrafgesetzes heißt es: „Jeder Soldat, der 15 Tage ohne Erlaubnis von seiner Militäreinheit fernbleibt und jeder Offizier, der 10 Tage ohne Erlaubnis und Grund nicht zum Dienst erscheint, wird mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft.“ Weiterhin wird nach Art. 35 Abs. 5 des Militärstrafgesetzes jede Peron, die ins Ausland flüchtet, zu einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren verurteilt (vgl. auch Accord, Abfragebeantwortung zum Irak vom 03.06.2016 und VG Bayreuth, U.v. 28.10.2016 – B 3 K 16.31099).
Nach diesen Grundsätzen der irakischen Militärgerichtsbarkeit hätte der Kläger somit allenfalls mit einer Gefängnisstrafe von 5 Jahren für die Desertion ins Ausland zu rechnen (vgl. auch Accord, Abfragebeantwortung zum Irak vom 03.06.2016). In der obigen Auskunft vom 28.02.2013 wird aber zugleich darauf hingewiesen, dass das Militärstrafgesetz derzeit im Irak nicht umgesetzt wird. In der Praxis werden Offiziere, die 10 Tage nicht zum Dienst erschienen sind, lediglich entlassen. Hintergrund für den „Nichtvollzug“ des Strafgesetzes sind die hohen Desertionszahlen und die damit einhergehende Unmöglichkeit der Strafverfolgung.
Diese „faktische“ Amnesie für Deserteure wird auch in einem Bericht der US-amerikanischen Tageszeitung New York Times vom 28.09.2014 bestätigt (vgl. hierzu: VG Bayreuth, U.v. 28.10.2016 – B 3 K 16.31099):
„The Iraqi military command has begun a campaign to re-enlist soldiers and officers who abandoned their units, a crucial step in its effort to rebuild an army that has been routed in battle after battle by Islamic State jihadists. Even as the government has continued to equip volunteers, the de facto amnesty for deserters is an acknowledgment that the army desperately needs experienced soldiers – even ones who ran – for a force that is sustaining heavy losses despite the American-led airstrike campaign against the Islamic State, also known as ISIS. Army officials at re-enlistment centers in Baghdad and in the northern Kurdistan region say they have seen some success in the effort. More than 6,000 soldiers and officers, including those who were sent home by their commanders as well as those who fled unilaterally, had registered at a military outpost here in Kurdistan, and more than 5,000 had signed up in Baghdad, officials said. […] Most of the soldiers said they had retreated on orders from superiors. Others said there were never orders: Their commanders simply vanished and, lacking leadership, the soldiers followed. […]
‘Our leaders ran away,‘ added Mr. Fawzi, a soldier who had been posted on Hamreen Mountain near Baiji in Salahuddin Province. ‘We were feeling betrayed. We were feeling that the high commanders betrayed us and betrayed our country.‘ During their retreat in June, Mr. Fawzi said, he and others in his unit shed their uniforms, and their weapons were impounded at a checkpoint by officers from the Interior Ministry, which oversees the police forces.“
(NYT, 28. September 2014).
In Anbetracht dieser Erkenntnisse spricht bereits einiges dafür, dass der Kläger bei einer Rückkehr wegen Desertion nicht zwingend verhaftet bzw. bestraft werden würde.
Selbst wenn der Kläger im Irak zur Rechenschaft gezogen wird, rechtfertigt die drohende Gefängnisstrafe im Heimatland für eine begangene „Fahnenflucht“ noch nicht die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Eine Bestrafung wegen Desertion stellt an sich noch keine diskriminierende Maßnahme im Sinne des Flüchtlingsrechts dar (VG München, U.v. 16.11.2016 – M 25 K 15.31291 – juris). Die gesetzliche Freiheitsstrafe von 5 Jahren ist an sich ebenfalls nicht unverhältnismäßig oder diskriminierend i.S.d. § 3a Abs. 2 Nr. 3 AsylG (VG Bayreuth, U.v. 28.10.2016 – B 3 K 16.31099, VG Bayreuth, U.v. 24.4.2017 – B 3 K 17.30796; VG Bayreuth, U.v. 24.8.2017 – B 3 K 17.31275; VG Bayreuth, U.v. 12.10.2017 – B 3 K 17.30523). Zwar fällt das diesbezügliche Strafmaß höher aus als in einigen europäischen Ländern, jedoch findet sich beispielsweise auch im deutschen Wehrstrafrecht eine ähnliche Strafandrohung für den Fall der „Fahnenflucht“ (vgl. § 16 WStG).
Auch die bereits verhängte Strafe nach Art. 33 Abs. 1 des Militärstrafgesetzes (Unentschuldigtes Fernbleiben vom Dienst länger als 10 Tage) bzw. nach Art. 63 Militärstrafgesetzes (Diebstahl von Waffen und Ausrüstung) aufgrund des Urteils vom 22.09.2015 stellt nach Auffassung des Gerichts keine menschenverachtende Strafe dar (vgl. insoweit auch § 15 WStG). Im Übrigen ist bereits fraglich, ob das Urteil in Abwesenheit des Klägers überhaupt Rechtskraft erlangt hat. Weiterhin hätte der Kläger die Möglichkeit gehabt, im Land zu verbleiben und zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen bzw. den Eintritt der Rechtskraft zu verhindern.
Es besteht in Anbetracht der Auskunftslage auch keine beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass Gefangene in irakischen Gefängnissen generell und systematisch menschenverachtend behandelt werden. Insoweit stellte der Kläger lediglich pauschale Behauptungen in den Raum.
(2) Dem Kläger droht bei einer Rückkehr in den Irak auch keine Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, in dem der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfasst, die unter den Anwendungsbereich der Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG bzw. des Art. 12 Abs. 2 der EU-Qualifikations-RL, namentlich Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit, fallen, § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG, Art. 9 Abs. 2 Buchstabe e) EU-Qualifikations-RL.
Eine Anwendung der Bestimmung von Art. 9 Abs. 2 Buchstabe e) der EU-Qualifikations-RL auf den Kläger scheidet zwar nicht bereits deshalb aus, weil der Kläger als Angehöriger einer technischen Einheit nicht unmittelbar an Kampfhandlungen beteiligt war, sondern sich seine Tätigkeit darauf beschränkte, die jederzeitige Einsatzbereitschaft der Kampfhubschrauber zu gewährleisten. Die vorstehende Bestimmung umfasst nämlich alle Militärangehörigen einschließlich des logistischen und unterstützenden Personals (EuGH. U.v. 26.2.2015 – C-472/13 – juris; VG München a.a.O.). Ebenso hat der EuGH in der vorgenannten Entscheidung klargestellt, dass die oben genannte Vorschrift der Qualifikationsrichtlinie auch die Fälle betrifft, in denen der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehrende Antragsteller nur mittelbar an der Begehung von Kriegsverbrechen beteiligt wäre, wenn es bei vernünftiger Betrachtung plausibel erscheint, dass er durch Ausübung seiner Funktion eine für die Vorbereitung oder Durchführung der Kriegsverbrechen unerlässliche Unterstützung leisten würde.
Der Kläger könnte jedoch nicht mit hinreichender Plausibilität darlegen hat, dass die Einheit, der er angehört bzw. in die er versetzt werden sollte, mit hoher Wahrscheinlichkeit Kriegsverbrechen begehen würde. Maßgeblich abzustellen ist insoweit auf die konkrete Einheit des Klägers (vgl. hierzu EuGH a.a.O.; VG München a.a.O.). Es ist nicht ersichtlich, dass seine bisherige Einheit Kriegsverbrechen im obigen Sinne begangen hat. Soweit der Kläger auf eine geplante Versetzung in die Provinz Salah ad Din verweist, ist der diesbezügliche Vortrag bereits unglaubwürdig (s.o.). Im Übrigen hat er Kläger schon nicht im Ansatz glaubhaft gemacht, dass in Salah ad Din von seiner künftigen Einheit Kriegsverbrechen begangen werden. Er führte vielmehr nur aus, dass dort bei einem Massaker 1.700 Soldaten getötet wurden, weswegen er um sein Leben fürchte.
Unabhängig von diesen Erwägungen scheidet eine Schutzgewährung für den Kläger nach nach § 3 Abs. 1 i.V.m. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG jedenfalls deswegen aus, weil das unerlaubte Fernbleiben von der Truppe für ihn nicht das letzte Mittel war, um der von ihm befürchteten Verwicklung in Kriegsverbrechen zu entgehen. Abgesehen davon, dass eine solche Verwicklung ohnehin nicht konkret drohte bzw. nicht hinreichend glaubhaft gemacht wurde, hätte der Kläger andere zumutbare Möglichkeiten gehabt, einem Einsatz als Hubschraubermechaniker und einer damit verbundenen zumindest mittelbaren Verstrickung in möglicherweise bevorstehende Kriegsverbrechen aus dem Weg zu gehen. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass im Irak keine Wehrpflicht besteht und sich der Kläger freiwillig zum aktiven Dienst in der Truppe – noch dazu erst ab dem Jahr 2008, also zu einer Zeit, in der schon ein massiver militärischer Konflikt herrschte – beworben hat, trifft den Kläger eine gesteigerte Obliegenheit, auf legalem Weg eine Änderung seines Einsatzortes zu erreichen oder das Verlassen der Truppe zu erreichen (vgl. VG München a.a.O.). Die Dienstverweigerung muss das einzige Mittel darstellen, das es dem Kläger erlaubt, der Beteiligung an den behaupteten Kriegsverbrechen zu entgehen. Bei dieser Prüfung sind die individuelle Lage und die persönlichen Umstände des Klägers zu berücksichtigen, insbesondere die Tatsache, dass sich der Kläger im vorliegenden Fall freiwillig zum Dienst bei den Streitkräften verpflichtete, als der Konflikt bereits auf dem Höhepunkt war. Verpflichtet sich jemand freiwillig beim Militär, muss dieser jederzeit damit rechnen, dass er – zumindest mittelbar – an kriegerischen Auseinandersetzungen beteiligt wird. Das bringt der gewählte Beruf schon per se mit sich. Der Kläger, ein Offizier, könnte auch nicht ernsthaft davon ausgehen, immer am gleichen Ort eingesetzt zu werden bzw. dass „sein Gerät“ nicht real zum Einsatz kommt. Der Kläger hat somit in vollem Bewusstsein der Bedeutung seiner Schritte den Weg des Soldaten eingeschlagen und sich in Kenntnis der Problematik eines kriegerischen Einsatzes im Irak bewusst für den aktiven Dienst in der Armee entschieden. Die von ihm angeführten Gründe, namentlich das Motiv, einen bewaffneten Einsatz in einer Krisenregion im Irak entgehen zu können, überzeugen vor diesem Hintergrund nicht (vgl. VG München a.a.O.).
Im Übrigen hat der Kläger nicht einmal versucht seinen Dienst vorzeitig legal zu beenden bzw. eine anderweitig Stationierung zu erreichen (vgl. VG München a.a.O.). Unabhängig von der Frage, ob im Irak eine Kriegsdienstverweigerung bei freiwilliger Verpflichtung möglich ist, hat der Kläger zu keinem Zeitpunkt ernsthaft versucht, ein reguläres Entlassverfahren anzustrengen, mit seinen Dienstvorgesetzten ein Gespräch zu führen oder auf anderem Weg eine Versetzung in eine Einheit ohne Kontakt zu Kampfgruppen zu erreichen (vgl. VG München a.a.O.). Dies wäre ihm aber ohne weiteres möglich gewesen. Für das Gericht ist auch nicht ersichtlich, dass ein solches Gesuch völlig aussichtslos gewesen wäre. Der Kläger hat selbst wiederholt ausgeführt, er sei als Sunnit in der Truppe unerwünscht gewesen und man habe ihm nicht vertraut. Daher erscheint eine vorzeitige Entlassung auf Wunsch des Klägers nicht von vorneherein ausgeschlossen.
cc) Letztlich ist dem Kläger jedenfalls deswegen kein Flüchtlingsschutz zuzuerkennen, da ihm eine innerstaatliche Fluchtalternative nach § 3e AsylG offen steht.
Einem Ausländer wird gem. § 3e Abs. 1 AsylG die Flüchtlingseigenschaft aufgrund internen Schutzes nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslands keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3 AsylG hat (Nr. 1) und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (Nr. 2).
Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass der Kläger bei einer Rückkehr im Bedarfsfall Schutz außerhalb seiner Herkunftsregion suchen kann. Der Kläger hat vor seiner Ausreise aus dem Irak bereits mehrere Monate in der Autonomen Region Kurdistan gelebt und gearbeitet. Es ist für das Gericht nicht ersichtlich, warum der Kläger an diese Situation nicht mehr anknüpfen könnte. Insbesondere war es dem Kläger – trotz seiner Vorgeschichte – offenbar komplikationslos möglich, in der Autonomen Region Kurdistan aufgenommen zu werden und legale Arbeit zu finden. Nach den klägerischen Ausführungen beim Bundesamt deutet einiges darauf hin, dass der Kläger Kurdistan und seine dortige Arbeitsstelle vorwiegend deswegen verlassen hat, weil er dort als „Nicht –Parteimitglied“ nur „äußerst geringe Aufstiegschancen“ hatte. Soweit sich der Kläger zudem beim Bundesamt angab, er befürchte wegen Fahnenflucht durch die irakischen Behörden auch in Kurdistan zur Verantwortung herangezogen zu werden, schließt dies nach Auffassung des Gerichts die innerstaatliche Fluchtalternative ebenfalls nicht aus. In Kurdistan hat die irakische Gerichtsbarkeit keinen Einfluss. Fälle, in denen Deserteure in den Zentralirak ausgeliefert wurden sind nach Angaben des Europäischen Zentrums für kurdische Studien im obigen Bericht (vgl. S. 5) nicht bekannt (vgl. hierzu auch VG Bayreuth, U. v. 28.10.2016 – B 3 K 16.31099 – juris).
Der Kläger zudem ist jung, gesund und erwerbsfähig. Er hat keine Unterhaltsverpflichtungen und hat bis zu seiner Ausreise gearbeitet. Es ist dem Kläger zumutbar alle Erwerbsmöglichkeiten auszuschöpfen, insbesondere auch schlichten Hilfstätigkeiten nachzugehen. Das Gericht verkennt dabei nicht, dass es für den Kläger in einer fremden Stadt schwieriger ist, Arbeit zu finden. Darüber hinaus lebt seine Familie im Irak, so dass von wechselseitiger Unterstützung im Rahmen des Familienverbandes auszugehen ist.
2. Dem Kläger steht auch kein Anspruch auf subsidiären Schutz gem. § 4 AsylG zur Seite. Er kann sich weder auf § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 AsylG berufen, noch auf § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG.
a) Es gibt – insbesondere im Hinblick auf die obigen Ausführungen zum Flüchtlingsschutz – keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger bei einer Rückkehr in den Irak ein ernsthafter Schaden (Todesstrafe, Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung) im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 2 AsylG droht. Auch subsidiärer Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG kommt nur dann in Betracht, wenn glaubhaft und konkret individuell die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung droht.
b) Dem Kläger steht der subsidiäre Schutz auch nicht aus § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG zu. Nach dieser Vorschrift gilt als ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson in Folge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Der Begriff des internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes in § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ist unter Berücksichtigung des humanitären Völkerrechts auszulegen (vgl. BVerwG, U.v. 24.6.2008 – 10 C 43/07 – juris). Danach müssen die Kampfhandlungen von einer Qualität sein, wie sie unter anderem für Bürgerkriegssituationen kennzeichnend sind und über innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen hinausgehen. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konfliktes im Sinne des Art. 15 c QualRL nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen, wie sie typischerweise in Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfen zu finden sind. Ein solcher innerstaatlicher bewaffneter Konflikt kann landesweit oder regional bestehen und muss sich nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstrecken (vgl. BVerwG, U.v. 24.6.2008 a.a.O.). Der Grad willkürlicher Gewalt, der vorliegen muss, kann aber umso geringer sein, je mehr der Schutzsuchende möglicherweise belegen kann, dass er aufgrund von in seiner persönlichen Situation liegenden Umständen spezifisch betroffen ist (vgl. EUGH, U.v. 17.2.2009 – C-465.7 – juris).
Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger als Militärangehöriger überhaupt vom Schutz des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG umfasst ist. Zwar geht auch das Gericht davon aus, dass in Bagdad ein innerstaatlicher bewaffneter zumindest nicht ausgeschlossen werden kann, jedoch erreicht der Grad willkürlicher Gewalt nicht das für eine Schutzgewährung erforderliche hohe Niveau, demzufolge jedem Kläger allein wegen seiner Anwesenheit in Bagdad Schutz nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG gewährt werden muss (VG Augsburg, U.v. 24.4.2017 – Au 5 K 17.30922 – juris; VG Ansbach, U.v. 15.12.2016 – AN 2 K 16.30398 – juris; VG Ansbach, U.v. 13.4.2017 – AN 2 K 16.30810 – juris). Weitere individuell gefahrerhöhende Umstände wurden weder vorgetragen noch sind diese für das Gericht ersichtlich. Insbesondere reicht hierfür nicht aus, dass der Kläger nach eigenen Angaben in einen besonders gefährlichen Stadtteil wohnt bzw. dass der Kläger behauptet, es werde nach (ehemaligen) Militärangehörigen verstärkt gesucht.
3. Nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG sind ebenfalls nicht gegeben. Insoweit wird zunächst auf den streitgegenständlichen Bescheid Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 VwGO).
Hervorzuheben ist insbesondere, dass eine Abschiebung trotz schlechter humanitärer Verhältnisse nur in sehr außergewöhnlichen Einzelfällen als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung bewertet werden kann und die Voraussetzung des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK erfüllt. Die derzeitigen humanitären Bedingungen im Irak führen nicht zu der Annahme, dass bei einer Abschiebung des Klägers eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliegt. Aufgrund des klägerischen Vortrags ist die Schwelle zu einer Verletzung der Werte des Art. 3 EMRK nicht erreicht. Die schlechten humanitären Verhältnisse im Umfeld des Klägers gehen nicht über das Maß dessen hinaus, was alle Bewohner in der vergleichbaren Situation hinnehmen müssen. Es gibt keine Anhaltspunkte, dass es dem jungen, gesunden und erwerbsfähigen Kläger nicht gelingen könnte, sich zumindest eine existenzsichernde Grundlage im Irak zu schaffen. Im Übrigen lebt die Großfamilie des Klägers weiterhin im Irak. Es ist nicht ersichtlich, dass das Existenzminimum des Klägers im Rahmen der wechselseitigen Unterstützung innerhalb des Familienverbandes nicht gesichert werden kann.
4. Dem Kläger droht auch keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Anhaltspunkte hierfür sind weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich.
Im Übrigen sind nach § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Beruft sich der Ausländer demzufolge auf allgemeine Gefahren, kann er Abschiebungsschutz regelmäßig nur durch einen generellen Abschiebestopp nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG erhalten. Allgemeine Gefahren in diesem Sinne sind alle Gefahren, die der Bevölkerung des Irak auf Grund der derzeit dort bestehenden Sicherheits- und Versorgungslage allgemein drohen. Dazu zählen neben der Gefahr, Opfer terroristischer Übergriffe zu werden und Gefahren durch die desolate Versorgungslage auch Gefahren krimineller Aktivitäten und Rachebestrebungen von Privatpersonen.
Das Bayerische Staatsministerium des Innern hat mit Rundschreiben vom 10. August 2012 (Az. IA2-2081.13-15) in der Fassung vom 3. März 2014 bekannt gegeben, dass eine zwangsweise Rückführung zur Ausreise verpflichteter irakischer Staatsangehörigen grundsätzlich (Ausnahme: Straftäter aus den Autonomiegebieten) nach wie vor nicht möglich ist und ihr Aufenthalt wie bisher weiterhin im Bundesgebiet geduldet wird. Es ist daher davon auszugehen, dass diese Mitteilung eines faktischen Abschiebungsstopps derzeit einen wirksamen Schutz vor Abschiebung hinsichtlich allgemeiner Gefahren vermittelt, so dass es keines zusätzlichen Schutzes in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bedarf (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2001 – 1 C 2/01 – juris; VG München, U.v. 22.12.2016 – M 4 K 16.33226 – juris).
Entscheidungen nach den vorstehenden Maßgaben ergehen aber nicht durch das Bundesamt im Asylverfahren, sondern allenfalls durch die zuständige Ausländerbehörde.
5. Es bestehen auch gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung einschl. der Zielstaatbestimmung im Hinblick auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG keine Bedenken. Zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, auf den gemäß § 77 Abs. 1 AsylG abzustellen ist, sind Gründe, die dem Erlass der Abschiebungsandrohung gegenüber dem Kläger entgegenstünden, nicht ersichtlich. Denn er ist, wie oben ausgeführt, nicht als Flüchtling anzuerkennen, noch stehen ihm subsidiärer Schutz oder Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG zu. Er besitzt auch keine asylunabhängige Aufenthaltsgenehmigung (§ 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 Abs. 1 und 2 AufenthG).
6. Unabhängig von der Tatsache, dass die Aufhebung des gesetzlichen – nach § 11 Abs. 2 AufenthG von der Beklagten befristeten – Einreise- und Aufenthaltsverbot aus § 11 Abs. 1 AufenthG nach § 11 Abs. 4 AufenthG im Ermessen der Ausländerbehörde und nicht in der Entscheidungskompetenz der Beklagten steht (vgl. § 75 Nr. 12 AufenthG sowie BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 27/16 – juris und OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 28.4.2017 – OVG 11 N 163.16 – juris) sowie ungeachtet der Frage, ob – in Anbetracht der Klageanträge – eine (kürzere) Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots durch die Beklagte nach § 11 Abs. 2 AufenthG überhaupt Gegenstand des Klageverfahrens ist, zumal eine bloße Aufhebung der Befristung im Rahmen einer Anfechtungsklage zu einem unbefristeten Einreise- und Aufenthaltsverbot führen würde, sind Gründe, die gegen die Rechtmäßigkeit der von der Beklagten festgesetzten Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots sprechen, nicht ersichtlich.
7. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gem. § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert bestimmt sich nach § 30 RVG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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