Strafrecht

Ausweisung eines faktischen Inländers wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln

Aktenzeichen  M 12 K 16.5243

Datum:
6.4.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 110346
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
EMRK Art. 8
AufenthG § 11 Abs. 2, § 53 Abs. 1, § 54 Abs. 1 Nr. 1, § 55 Abs. 1 Nr. 1
GG Art. 6

 

Leitsatz

1 Der Schutz der Bevölkerung vor Betäubungsmitteln stellt ein Grundinteresse der Gesellschaft dar, da der Handel mit Drogen eine Abhängigkeit von Drogenkonsumenten hervorruft oder aufrechterhält. (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)
2 Der Status als faktischer Inländer steht einer Ausweisung nicht zwingend entgegen. (Rn. 53) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 21. Oktober 2016 in der Fassung, die er in der mündlichen Verhandlung gefunden hat, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
1. Die Ausweisung des Klägers aus der BRD durch die Beklagte ist nicht zu beanstanden.
Maßgeblicher Zeitpunkt zur rechtlichen Überprüfung der Ausweisung sowie der weiteren durch die Beklagte getroffenen Entscheidungen ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. nur BVerwG, U.v. 30.7.2013 – 1 C 9.12 – juris Rn. 8; U.v. 10.7.2012 – 1 C 19.11 – juris Rn. 12). Dabei beurteilt sich die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids nach dem Aufenthaltsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), das durch die Art. 5, 8 Abs. 6, 6 des Integrationsgesetzes vom 31. Juli 2016 (BGBl. I S. 1939) geändert worden ist. Hiernach ist die Entscheidung über eine Ausweisung stets eine gerichtlich voll überprüfbare Rechtsentscheidung (vgl. BT-Drs. 18/4097, S. 49; BR-Drs. 612/14, S. 56; VG Ansbach, U.v. 28.1.2016 – AN 5 K 15.00416 – juris Rn. 42).
Die Ausweisungsentscheidung der Beklagten ist rechtmäßig.
Nach § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der BRD gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Dies ist hier der Fall.
Vom Kläger geht eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung aus, § 53 Abs. 1 AufenthG. Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (vgl. BayVGH, U.v. 30.10.2012 – 10 B 11.2744 – juris Rn. 33 m.w.N.). Dabei gilt für die im Rahmen tatrichterlicher Prognose festzustellende Wiederholungsgefahr ein mit zunehmendem Ausmaß des möglichen Schadens abgesenkter Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts (BVerwG, U.v. 4.10.2012 – 1 C 13.11 – juris Rn. 18; U.v. 10.7.2012 – 1 C 19.11 – juris Rn. 16 m.w.N.). Zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung besteht unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass vom Kläger die Gefahr der Begehung von weiteren Straftaten ausgeht.
Der Kläger wurde mit Urteil des Landgerichts … vom … März 2016, rechtskräftig seit 17. März 2016, wegen unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in acht tatmehrheitlichen Fällen zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Unter Berücksichtigung der vom Kläger bei seinen Taten gezeigten kriminellen Energie und des festgestellten Drogenabhängigkeitssyndroms ist die Wiederholungsgefahr beim Kläger gegeben. Gerade der illegale Handel mit Betäubungsmitteln ist regelmäßig mit hoher krimineller Energie verbunden, birgt schwerwiegende Gefahren für Leben und Gesundheit anderer Menschen in sich und berührt damit ein Grundinteresse der Gesellschaft. Der Schutz der Bevölkerung vor Betäubungsmitteln stellt ein Grundinteresse der Gesellschaft dar, da der Handel mit Drogen eine Abhängigkeit von Drogenkonsumenten hervorruft oder aufrechterhält. Er stellt ein großes Übel für den Einzelnen und eine soziale und wirtschaftliche Gefahr für die Menschheit dar (EuGH, U.v. 23.11.2010 – C-145/09 – juris Rn. 47; BVerwG, U.v. 13.12.2012 – 1 C 20/11 – juris Rn. 19). Auch die Menge der vom Kläger gehandelten Drogen, die im Kilogrammbereich liegt, sowie die Professionalität, die der Kläger an den Tag legte, sprechen für eine Wiederholungsgefahr. Der Kläger ist seit 2007 über Jahre hinweg straffällig gewesen. Die Liste seiner Vorstrafen umfasst verschiedenartige Delikte mit im Hinblick auf die Schwere steigender Tendenz. Weiter ist das Landgerichts … in seinem Urteil vom … März 2016 vom Vorliegen einer Hangtat und davon, dass die Gefahr besteht, dass der Kläger infolge des Hangs weiter unerlaubt Handel mit Betäubungsmitteln treibt, ausgegangen. Der Kläger nimmt bereits seit er 14 bzw. 15 Jahre alt ist Drogen. Liegt, wie beim Kläger, die Ursache der begangenen Straftaten (auch) in der Suchtmittelabhängigkeit, so ist nach ständiger Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs die erfolgreiche Absolvierung einer Therapie zwingende Voraussetzung für ein denkbares Entfallen der Wiederholungsgefahr (vgl. BayVGH, B.v. 10.10.2012 – 10 ZB 11.2454 – juris Rn. 9; B.v. 6.5.2015 – 10 ZB 15.231 – juris Rn. 7). Hiervon kann im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht ausgegangen werden. Bislang hat der Kläger weder eine Therapie erfolgreich abgeschlossen noch konnte und musste er sich außerhalb des Maßregelvollzugs bewähren. Trotz des guten Verlaufs der Therapie kann daher derzeit nicht von einem Entfallen der Wiederholungsgefahr ausgegangen werden. Dies gilt insbesondere deshalb‚ weil der Kläger bereits ab dem Alter von 14 bzw. 15 Jahren begonnen hat, Drogen zu konsumieren und zum Zeitpunkt seiner Inhaftierung 2015 etwa fünf Gramm Cannabis pro Tag konsumierte. Die abgeurteilten Straftaten verübte der Kläger zumeist wegen oder zur Beschaffung von Betäubungsmitteln. Auch wenn daher der Kläger nun therapiewillig und -einsichtig ist, muss er insbesondere wegen der schon im Kindesalter begonnenen Abhängigkeit von Drogen erst den Beweis antreten, dass er tatsächlich auch außerhalb des überwachten Haftrahmens ein drogenfreies Leben führen kann. Es kann gerade nicht vorausgesagt werden, ob der Kläger die Therapie erfolgreich beenden und aufgrund dessen beim Kläger tatsächlich keine Wiederholungsgefahr mehr bestehen wird. Daher kann derzeit weder von Drogenfreiheit noch von einer Aufarbeitung der Taten und damit von einem Entfallen der Wiederholungsgefahr die Rede sein. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, den Verlauf einer begonnenen Therapie oder gar den Verlauf der Strafhaft abzuwarten, bevor sie über eine Ausweisung entscheidet (vgl. BVerwG, B.v. 15.4.2013 – 1 B 22.12 – juris).
Die bei Vorliegen einer tatbestandsmäßigen Gefährdungslage i.S.d.
§ 53 Abs. 1 AufenthG zu treffende Abwägung ergibt, dass das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers überwiegt.
a) § 53 AufenthG gestaltet die Ausweisung als Ergebnis einer umfassenden, ergebnisoffenen Abwägung aller Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes aus. Sofern das öffentliche Interesse an der Ausreise das Interesse des Ausländers am Verbleib im Bundesgebiet nach dieser Gesamtabwägung überwiegt, ist die Ausweisung rechtmäßig. In die Abwägung nach § 53 Abs. 1 AufenthG sind die in §§ 54, 55 AufenthG vorgesehenen Ausweisungs- und Bleibeinteressen mit der im Gesetz vorgenommenen grundsätzlichen Gewichtung einzubeziehen. Neben den dort explizit aufgeführten Interessen sind aber noch weitere, nicht ausdrücklich benannte sonstige Bleibe- oder Ausweisungsinteressen denkbar. Die Katalogisierung in den §§ 54, 55 AufenthG schließt die Berücksichtigung weiterer Umstände nicht aus (BT-Drs. 18/4097, S. 49). Nach § 53 Abs. 2 AufenthG sind bei der Abwägung nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen des Ausländers im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen. Die Aufzählung der in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten Kriterien ist aber nicht abschließend (BT-Drs. 18/4097, S. 50). Es sind für die Überprüfung der Verhältnismäßigkeit der Ausweisung maßgeblich auch die Kriterien des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte heranzuziehen (vgl. nur EGMR, U.v. 18.10.2006 – Üner, Nr. 46410/99 – juris; EGMR, U.v. 2.8.2001 – Boultif, Nr. 54273/00 – InfAuslR 2001, 476-481). Hiernach sind vor allem die Art und die Schwere der vom Ausländer begangenen Straftaten, die Dauer des Aufenthaltes in dem Land, aus dem er ausgewiesen werden soll, die seit der Begehung der Straftat verstrichene Zeit und das seitherige Verhalten des Ausländers, die Staatsangehörigkeit der betroffenen Personen, die familiäre Situation des Ausländers, ob zu der Familie Kinder gehören und welches Alter diese haben, sowie die Ernsthaftigkeit der Schwierigkeiten, welche die Familienangehörigen voraussichtlich in dem Staat ausgesetzt wären, in den der Ausländer ausgewiesen werden soll, die Belange und das Wohl der Kinder und die Stabilität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland und zum Zielland zu berücksichtigen (VG Oldenburg, U.v. 11.1.2016 – 11 A 892/15 – juris Rn. 24).
b) Im Hinblick auf den Kläger besteht ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse i.S.d. § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG. Denn er wurde 2016 wegen unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in acht tatmehrheitlichen Fällen zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt.
c) Dem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse steht ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gegenüber. Denn der Kläger ist im Besitz einer Niederlassungserlaubnis und hält sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet auf.
d) Die nach § 53 Abs. 1, Abs. 2 AufenthG durchzuführende Gesamtabwägung ergibt unter Berücksichtigung der §§ 54, 55 AufenthG und unter besonderer Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, dass die Ausweisung des Klägers rechtmäßig ist, weil das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse überwiegt.
Im Rahmen einer umfassenden Gesamtabwägung nach § 53 Abs. 1 AufenthG unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände kann festgestellt werden, ob das Interesse an der Ausweisung das Bleibeinteresse überwiegt (vgl. BT-Drs. 18/4097, S. 49). Vorliegend überwiegt das besonders schwere Ausweisungsinteresse i.S.d. § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG die Interessen des Klägers an einem Verbleib in der BRD, insbesondere sprechen Art. 6 GG und Art. 8 EMRK nicht gegen die Ausweisung des Klägers.
(1) Nach Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jede Person das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens. Die Behörde darf nach Art. 8 Abs. 2 EMRK in die Ausübung dieses Rechts nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. Da Art. 8 Abs. 2 EMRK eindeutig Ausnahmen von den in Art. 8 Abs. 1 EMRK zugesicherten Rechten vorsieht, kann aus Art. 8 Abs. 1 EMRK kein absolutes Recht auf Nichtausweisung abgeleitet werden (Bauer in Bergmann/Dienelt, AuslR, 11. Aufl. 2016, Vor §§ 53-56 Rn. 96 ff.). Vielmehr bedarf es einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung, in die sämtliche Aspekte des Einzelfalls einzustellen sind.
Nach der wertentscheidenden Grundsatznorm des Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG hat der Staat die Pflicht, die Familie zu schützen und zu fördern. Jedoch ergibt sich auch hieraus kein unmittelbarer Anspruch auf Aufenthalt (vgl. nur BVerfG, B.v. 9.1.2009 – 2 BvR 1064/08 – juris Rn. 14). Vielmehr verpflichtet Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG die Ausländerbehörde wie auch die Gerichte, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des Klägers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen bei der Entscheidung zu berücksichtigen (BVerfG, B.v. 23.1.2006 – 2 BvR 1935/05 – juris – Rn. 16; BVerfG, B.v. 9.1.2009 – 2 BvR 1064/08 – juris Rn. 14). Insofern beanspruchen die oben zu Art. 8 EMRK genannten Kriterien auch Geltung für die Beantwortung der Frage, ob der vorliegende Eingriff verhältnismäßig im Sinne von Art. 6 GG, Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 20 Abs. 3 GG ist.
(2) Der Kläger ist bereits im Alter von fünf Jahren eingereist und hat einen Großteil seiner Kindheit in Deutschland verbracht und ist daher faktischer Inländer. Der Status des Klägers als faktischer Inländer macht die Ausweisung aber nicht unverhältnismäßig. Der Kläger ist zwar in Deutschland aufgewachsen, hier bestehen seine wesentlichen sozialen, wirtschaftlichen und familiären Bindungen. Dennoch ist er nicht derart irreversibel in die deutschen Lebensverhältnisse eingefügt, dass ihm ein Leben im Staat seiner Staatsangehörigkeit unzumutbar wäre. Hinsichtlich der wirtschaftlichen Integration des Klägers im Bundesgebiet ist zu berücksichtigen, dass er über keine gesicherte berufliche Position verfügt. Er ist in Deutschland nicht beruflich integriert, sondern war lange Jahre vor seiner Inhaftierung arbeitslos. Er hat zwar den qualifizierten Hauptschulabschluss erworben, allerdings hat er keine Berufsausbildung abgeschlossen. Das Gericht geht davon aus, dass der Kläger die serbische Sprache in Wort und Schrift beherrscht und dem Aufbau einer Existenz in Serbien daher auch keine unüberbrückbare sprachliche Barriere entgegensteht. Er kann die ggf. vorhandenen kulturellen Hürden mit einiger – zumutbarer – Anstrengung überwinden und sich in sein Heimatland integrieren. Darüber hinaus ist der Kläger als erwachsener Mann in der Lage, für sich selbst zu sorgen, und ist nicht mehr auf die Unterstützung seiner Eltern angewiesen. Daher wird sich der Kläger in seinem Heimatland eine neue Existenz aufbauen können.
(3) Weiter ist vor dem Hintergrund des Art. 8 EMRK und des Art. 6 GG zu berücksichtigen, dass der Kläger verlobt ist und er einen guten Kontakt zu seiner Verlobten pflegt. Auch in der Haft besuchte diese ihn ausweislich der Besucherlisten regelmäßig. Ein Verlöbnis ist allerdings nicht einer nach Art. 6 GG, Art. 8 EMRK geschützten Ehe gleichzustellen. Ein Verlöbnis hat allenfalls die „Vorwirkung“ einer Ehe, wenn die Eheschließung und der Beginn der ehelichen Lebensgemeinschaft unmittelbar bevorstehen (BayVGH, B.v. 24.10.2012 – 10 CE 12.2125 – juris). Dies ist regelmäßig nur dann anzunehmen, wenn der Eheschließungstermin feststeht oder jedenfalls verbindlich bestimmbar ist. Dies ist vorliegend nicht gegeben. Weiter ist zu berücksichtigen, dass große Teile der Familie des Klägers in Deutschland leben und er guten Kontakt zu diesen pflegt. Allerdings handelt es sich dabei nicht um die Kernfamilie des Klägers. Der Kläger ist volljährig und damit nicht mehr auf die Pflege und Unterstützung durch seine Mutter angewiesen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass der Bruder der Kläger einer der Mittäter der zuletzt verurteilten Tat war. Es ist ihm zumutbar, telefonisch oder brieflich vom Ausland aus Kontakt zu halten. Soweit geltend gemacht wird, die Familie sei umgekehrt wegen der Krankheit der Mutter und des Vaters auf seine Mithilfe angewiesen, so ist schon nicht ersichtlich, dass der Kläger bisher maßgeblich unterstützend tätig gewesen wäre, da er die letzten zwei Jahre in Haft und in Unterbringung verbracht hat. Es liegt nahe, dass die erforderliche Hilfeleistung auch von den übrigen noch im Haushalt lebenden Geschwistern erbracht werden kann. Damit steht die vorhandene Bindung der Ausweisung des Klägers nicht entgegen.
(4) Vor diesem Hintergrund, unter Berücksichtigung der Schwere der vom Kläger begangenen Taten und der von ihm ausgehenden Wiederholungsgefahr fällt die nach § 53 Abs. 1, Abs. 2 AufenthG zu treffende Gesamtabwägung zu Lasten des Klägers aus. Das Ausweisungsinteresse überwiegt das Bleibeinteresse. Im Rahmen der Abwägung berücksichtigt das Gericht, dass die Ausweisung und die drohende Abschiebung eine extreme Belastung für die Eltern des Klägers darstellen. Diese Interessen müssen allerdings angesichts des Gewichts der gefährdeten Rechtsgüter und der festgestellten hohen Wiederholungsgefahr sowie dem damit einhergehenden schwerwiegenden Ausweisungsinteresse zurückstehen. Die Straftaten des Klägers wiegen schwer. Der Schutz der Bevölkerung vor Gewalttaten sowie vor Betäubungsmittelkriminalität stellt ein Grundinteresse der Gesellschaft dar, zu dessen Wahrung die Ausreise des Klägers erforderlich ist. Ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse ist schon dann gegeben, wenn der Ausländer wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist. Die gegen den Kläger verhängte Strafe beläuft sich auf das Zweieinhalbfache des vom Gesetzgeber für ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse vorgesehenen Mindestmaßes. Ergänzend ist bei der Gewichtung des Ausweisungsinteresses zu sehen, dass die Verurteilung, die die Beklagte zum Anlass für die Ausweisung genommen hat, die Letzte in einer Kette von strafrechtlichen Verfehlungen ist, die dem Kläger zur Last zu legen sind. Erstmals wurde er im Jahr 2007 wegen Körperverletzung zur Verantwortung gezogen. 2008 erfolgte eine zweite Verurteilung wegen versuchter Erpressung in Mittäterschaft in Tateinheit mit zwei tatmehrheitlichen Fällend des Diebstahls in Mittäterschaft in Tatmehrheit mit versuchtem Diebstahl in einem besonders schweren Fall in Mittäterschaft in Tateinheit mit Sachbeschädigung in Mittäterschaft. 2010 erging eine richterliche Weisung wegen unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln, 2011 eine weitere richterliche Weisung wegen des gleichen Vergehens und eine weitere richterliche Weisung wegen eines besonders schweren Falls der falschen Verdächtigung. 2014 erging eine weitere richterliche Weisung wegen unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln und der Kläger wurde wegen unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe von 35 Tagessätzen zu je 15,- € verurteilt. Der Kläger ist in regelmäßigen Abständen straffällig geworden und zeigte sich unbeeindruckt von drohenden Konsequenzen. Es bestehen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger daran gelegen ist, sich zukünftig rechtstreu zu verhalten. Insgesamt hat der Kläger mehrere Chancen, ein straffreies Leben zu führen, nicht ergriffen. Es handelt sich bei den zuletzt abgeurteilten Taten um schwere Delikte, die keinesfalls der Bagatellkriminalität zugerechnet werden können. Die Ausweisung steht auch mit Art. 8 EMRK im Einklang, da sie gesetzlich vorgesehen ist (§ 53 Abs. 1 AufenthG) und einen in dieser Bestimmung aufgeführten legitimen Zweck, nämlich die Verteidigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und die Verhinderung von Straftaten, verfolgt. Straftaten können auch zur Ausweisung führen, wenn der ausländische Straftäter faktischer Inländer ist. Die Ausweisung ist die geeignete, erforderliche und angemessene Maßnahme, um den beabsichtigten Zweck durchzusetzen. Durch ein anderes, milderes Mittel kann der mit ihr verfolgte Zweck vorliegend nicht erreicht werden. Im Ergebnis ist die Ausweisung des Klägers daher verhältnismäßig und rechtmäßig.
Die Ausweisung verfolgt im Übrigen – neben dem spezialpräventiven Zweck zu verhindern, dass der Kläger weitere Straftaten begeht – gleichzeitig auch den Zweck zu verhindern, dass andere Personen, die sich in einer vergleichbaren Situation befinden wie der Kläger, mithin ausländische Personen mit einer langer Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet, es ihm nachtun, indem sie zeigt, dass ein derartiges Verhalten aufenthaltsrechtliche Folgen zeitigt (vgl. zu der Zulässigkeit generalpräventiver Zwecke auch nach neuem Recht: BayVGH, B.19.9.2016 – 19 CS 15.1600 – juris Rn. 34; U.v. 28.6.2016 – 10 B 15.1854 – juris Rn. 38 und B.v. 3.3.2016 – 10 ZB 14.844 – juris Rn. 10). Es entspricht insofern auch der Verwaltungspraxis der Beklagten, im Falle von Drogenhandel – freilich unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls – eine Ausweisung anzuordnen.
2. Die Befristung der Wirkungen der Ausweisung in Nr. 3 des angegriffenen Bescheids auf fünf Jahre bei nachgewiesener Straffreiheit und bei Nichterfüllung dieser Bedingung auf sieben Jahre weist keine Rechtsfehler auf.
Die Ausweisung des Klägers hat gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG ein Wiedereinreise- und Aufenthaltsverbot zur Folge. Dieses ist von Amts wegen zu befristen, § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Diese unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzende Befristung kann gemäß § 11 Abs. 2 Satz 5 AufenthG zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt die längere Befristung, § 11 Abs. 2 Satz 6 AufenthG.
Nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ist über die Länge der Frist nach Ermessen zu entscheiden. Sie darf gemäß § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht.
Da es sich um eine behördliche Ermessensentscheidung handelt, kann gerichtlich nach § 114 Satz 1 VwGO nur überprüft werden, ob überhaupt Ermessen ausgeübt wurde, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist. Gemessen an diesem Maßstab hat die Beklagte ihr Ermessen fehlerfrei ausgeübt.
Die Beklagte berücksichtigte bei der Bestimmung der Länge der Frist das Gewicht des Ausweisungsgrundes und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck. Im Rahmen einer prognostischen Einschätzung des Einzelfalls und unter Berücksichtigung höherrangigen Rechts, also verfassungsrechtlicher Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) und den Vorgaben aus Art. 8 EMRK kam sie in nicht zu beanstandender Weise zu der in dem angegriffenen Bescheid verfügten Fristsetzung.
Die Beklagte durfte nach § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG eine Frist von über fünf Jahren festsetzen, da der Kläger auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist und von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Die Beklagte berücksichtigte im Einzelnen, dass der Kläger schwere Straftaten begangen hat und von ihm eine massive Gefahr ausgeht. Unter Berücksichtigung all dieser Umstände ist es nicht zu beanstanden, dass die Beklagte im Rahmen ihres Ermessens bei nachgewiesener Straffreiheit einen Zeitraum von fünf Jahren für erforderlich hielt, um dem hohen Gefahrenpotential des Klägers Rechnung tragen zu können. Ebenso wenig ist es zu beanstanden, dass die Beklagte im Rahmen ihres Ermessens bei Nichterfüllung der Bedingung i.S.d. § 11 Abs. 2 Satz 5 AufenthG eine Sperrfrist von sieben Jahren ab Ausreise festsetzte.
Diese Fristen sind auch gemessen an den verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen und den Vorgaben des Art. 8 EMRK angesichts der Bedeutung der bedrohten Rechtsgüter und der erheblichen Wiederholungsgefahr nicht zu beanstanden. Gegebenenfalls bestehende besondere Härten können durch die Ausnahmegenehmigung nach § 11 Abs. 8 AufenthG gemildert werden.
3. Die Abschiebung unmittelbar aus der Haft heraus ergibt sich aus § 58 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 3 AufenthG. In diesem Fall bedarf es keiner Fristsetzung nach § 59 Abs. 1 AufenthG. Die Abschiebungsandrohung und die dem Kläger zur freiwilligen Ausreise gesetzte Frist für den Fall, dass er vor Durchführung der Abschiebung aus der Haft entlassen wird, ergeben sich aus §§ 58 Abs. 1 und 59 Abs. 1 AufenthG und sind ebenfalls nicht zu beanstanden.
4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2, Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).

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