Europarecht

Auslieferung aufgrund Europäischen Haftbefehls

Aktenzeichen  1 AR 68/17

Datum:
4.4.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
GG GG Art. 19 Abs. 4
VwGO VwGO § 40 Abs. 1 S. 1
IRG IRG § 12, § 13, § 29, § 41, § 78, § 79, § 80, § 81, § 83, § 83b

 

Leitsatz

1. Geht in einem Auslieferungsverfahren die Bewilligungsentscheidung über die Zulässigkeitsentscheidung des Oberlandesgerichts hinaus bzw. deckt sie nicht alle in der gerichtlichen Zulässigkeitsentscheidung aufgeführten Kriterien ab, so kommt der Bewilligungsentscheidung ein eigener Regelungsgehalt zu.
2. Dasselbe gilt, wenn vor der Bewilligungsentscheidung eine gerichtliche Zulässigkeitsentscheidung nicht ergeht, etwa weil sich der Verfolgte mit seiner vereinfachten Auslieferung einverstanden erklärt und die Generalstaatsanwaltschaft keine gerichtliche Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung gem. § 29 Abs. 2 IRG beantragt hat.
3. In allen diesen Fällen ist die Bewilligungsentscheidung isoliert anfechtbar. Dies folgt aus der Rechtsweggarantie aus Art. 19 Abs. 4 GG.
4. Zuständig für die Entscheidung über die Anfechtung der Bewilligungsentscheidung ist das Oberlandesgericht.
5. Beantragt die Generalstaatsanwaltschaft, nachdem sie die Auslieferung bereits bewilligt hatte, gem. § 29 Abs. 2 IRG die gerichtliche Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung, so ist die vor diesem Antrag getroffene Bewilligungsentscheidung prozessual überholt und hat sich dadurch erledigt.
6. Seit seiner Entscheidung vom 20.02.2017 (OLG München, Beschluss vom 20. Februar 2017 – 1 AR 68/17 -, juris, betreffend eine Auslieferung nach Rumänien) hält es der Senat nicht länger für erforderlich, dass der ersuchende EU-Mitgliedsstaat zu den Haftbedingungen eine völkerrechtlich verbindliche Zusicherung abgibt. Ausreichend sind insoweit “zusätzliche Informationen” im Sinne der diesbezüglichen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 05.04.2016 in der verbundenen Rechtssache Aranyosi und Cäldäraru – C 404/15 und C 659/15).
7. Ergibt sich aus den insoweit eingeholten ergänzenden Informationen des ersuchenden Mitgliedsstaats (hier: Bulgarien), dass der Verfolgte dort nach seiner Auslieferung in einer Haftanstalt untergebracht werden wird, in der es (auch) Zellen gibt, in denen dem einzelnen Gefangenen 4 Quadratmeter persönliche Fläche zur Verfügung stehen, so ist es ausreichend, aber auch erforderlich, dass die Zulässigkeit der Auslieferung unter die Bedingung der Unterbringung des Verfolgten in einer entsprechenden Zelle dieser Haftanstalt gestellt wird.
8 Die Bewilligungsentscheidung ist nur in denjenigen Fällen unanfechtbar, in denen die Oberlandesgerichte im Rahmen der Zulässigkeitsentscheidung alle subjektiven öffentlichen Rechtspositionen des Verfolgten umfassend berücksichtigt und die Entscheidung insoweit nicht (allein) der Bewilligungsbehörde überlassen hat. (redaktioneller Leitsatz)
9 Die Ermessensentscheidung der Bewilligungsbehörde, ein entsprechendes Bewilligungshindernis nicht geltend zu machen, kann gerichtlich im Rahmen der Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung nur auf Ermessensfehler überprüft werden. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Anfechtung der Bewilligungsentscheidung der Generalstaatsanwaltschaft München vom 13.03.2017 hat sich erledigt.
2. Die Auslieferung des Verfolgten an die bulgarischen Behörden zur Strafverfolgung wegen der im Europäischen Haftbefehl der Bezirksstaatsanwaltschaft V. vom 28.07.2015, Gz.: …, aufgeführten Straftaten wird mit der Maßgabe für zulässig erklärt, dass der Verfolgte in Bulgarien ausschließlich in der Haftanstalt St. W. inhaftiert und dort in einem Haftraum untergebracht wird, in dem ihm eine Fläche von mindestens 4 Quadratmetern zur Verfügung steht.

Gründe

I.
Hinsichtlich des bisherigen Verfahrensgangs wird auf die Senatsentscheidungen vom 02.09.2016, 13.09.2016, 19.10.2016, 17.11.2016 und 19.01.2017 Bezug genommen. Der Verfolgte hat sich bereits am 23.08.2016 zu Protokoll des Ermittlungsrichters des Amtsgerichts München mit seiner vereinfachten Auslieferung nach Bulgarien einverstanden erklärt. Am 02.09.2016 hat der Senat gegen ihn Auslieferungshaft angeordnet und den Auslieferungshaftbefehl gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die vorgenannten Senatsentscheidungen Bezug genommen.
Mit Verfügung vom 13.03.2017 hat die Generalstaatsanwaltschaft München die Auslieferung des Verfolgten an die bulgarischen Behörden zum Zwecke der Strafverfolgung wegen der im Europäischen Haftbefehl der Bezirksstaatsanwaltschaft V. vom 28.07.2017, Gz.: aufgeführten Straftaten bewilligt. Auf die Beachtung des Grundsatzes der Spezialität wurde hierbei nicht verzichtet.
Mit Schriftsatz seines Rechtsbeistands vom 17.03.2017, eingegangen bei der Generalstaatsanwaltschaft München am 20.03.2017, hat der Verfolgte diese Bewilligungsentscheidung der Generalstaatsanwaltschaft München angefochten.
Mit weiterem Schriftsatz vom 17.03.2017 hat der Rechtsbeistand des Verfolgten für diesen beim Oberlandesgericht München beantragt, die Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft „über die Zulässigkeit der Auslieferung“ vom 13.03.2017 für unzulässig zu erklären und aufzuheben, die Auslieferung für unzulässig zu erklären und den Auslieferungshaftbefehl vom 02.09.2016 aufzuheben, hilfsweise den Aufschub der Auslieferung anzuordnen.
Die Generalstaatsanwaltschaft München hat mit Schreiben vom 24.03.2017 beantragt, gem. § 29 Abs. 2 IRG über die Zulässigkeit der Auslieferung zu entscheiden.
Im Hinblick auf ein vom Verfolgten im Schriftsatz seines Rechtsbeistands vom 17.03.2017 für möglich gehaltenes Bewilligungshindernis gem. § 83b Abs. 2 Nr. 1 IRG hat die Generalstaatsanwaltschaft München mit Schreiben vom 30.03.2017 mitgeteilt, dass sie nicht beabsichtigt, ein Bewilligungshindernis gem. § 83b Abs. 2 Nr. 1 IRG geltend zu machen bzw. die aufgrund der Antragstellung gem. § 29 Abs. 2 IRG nach erfolgter Zulässigkeitsentscheidung von ihr erneut zu treffende Bewilligungsentscheidung unter die Bedingung der Rücküberstellung zur Strafvollstreckung zu stellen. Dies hat sie wie folgt begründet:
„Im vorliegenden Fall wäre die Auslieferung eines Deutschen gem. § 80 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 IRG zulässig.
Die dem Europäischen Haftbefehl der Bezirksstaatsanwaltschaft V. vom 28.07.2015, Gz.: zugrunde liegenden Taten weisen einen maßgeblichen Bezug zu Bulgarien als ersuchendem Mitgliedsstaat im Sinne von § 80 Abs. 1 Satz 2 IRG auf. Die entsprechenden Tathandlungen wurden in Bulgarien begangen; auch ist der Erfolg der Tathandlungen dort eingetreten.
Die Generalstaatsanwaltschaft München beabsichtigt auch nicht, anlehnend an § 80 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 IRG die Auslieferung unter der Bedingung zu bewilligen, dass der Verfolgte im Falle der Verhängung einer rechtskräftigen Freiheitsstrafe auf seinen Wunsch zur Vollstreckung in die Bundesrepublik Deutschland zurück zu überstellen ist. Maßgeblich für dieses Ergebnis sind die folgenden Erwägungen:
Zwar ist der geschiedene Verfolgte bei Zugrundelegung der von ihm bzw. seinem Rechtsbeistand im Laufe des Auslieferungsverfahrens erfolgten Ausführungen bereits seit 2001 in der Bundesrepublik Deutschland wohnhaft. Auch ist er Vater eines mittlerweile 25-jährigen Sohnes, der jedoch nicht mehr bei ihm in einem Haushalt lebt und in München Geographie studiert. Auch ist der Verfolgte Eigentümer des von ihm bewohnten Hauses in … (Deutschland). Schließlich ist er seit 2001 als Kellner in einem Speiserestaurant beschäftigt.
Gleichwohl ist bei Berücksichtigung dieser Umstände nicht von einer derart persönlichen bzw. sozialen Einbindung in Deutschland auszugehen, die letztlich es zwingend gebietet, die Auslieferung unter der Bedingung der Rücküberstellung zu bewilligen. Vorliegend ist nicht ersichtlich, dass der Verfolgte ein unabweisbares Interesse an einer Resozialisierung im deutschen Strafvollzug hätte, sodass eine Inhaftierung im bulgarischen Strafvollzug als unbillige Härte erscheinen würde.
Insoweit ist zu berücksichtigen, dass es sich bei dem ersuchenden Staat um den Heimatstaat des Verfolgten handelt, d. h. im Falle einer Inhaftierung wären keine sprachlichen Probleme zu befürchten, die einer Resozialisierung durchgreifend entgegenstehen würden. Umgekehrt ist vielmehr zu berücksichtigen, dass die deutschen Sprachkenntnisse des Verfolgten trotz seines langjährigen Aufenthalts noch nicht vergleichbar ausgeprägt sind, da sich der Verfolgte im Rahmen der mündlichen Anhörungen vor dem Amtsgericht München am 23.08.2016 und am 26.09.2016 einer Dolmetscherin bedienen musste. Demnach erschiene eine Resozialisierung im deutschen Strafvollzug schon im Hinblick auf die noch eingeschränkten Kenntnisse des Verfolgten der deutschen Sprache von vornherein schwieriger als im bulgarischen Strafvollzug.
Zur familiären Situation des Verfolgten ist auszuführen, dass dieser zwar Vater eines Sohnes ist.
1 AR 328/16 – Seite 4 Der Sohn ist jedoch bereits 25 Jahre alt und als Student mit eigenem Hausstand nicht von einem persönlichen Kontakt mit dem Verfolgten vergleichbar abhängig wie z. B. als Minderjähriger.
Auch die langjährige Beschäftigung des Verfolgten in einem Speiserestaurant führt zu keiner anderen Beurteilung. Diese Arbeitsstelle würde der Verfolgte im Falle einer Verbüßung von einer nicht nur völlig unwesentlichen Freiheitsstrafe auch im deutschen Strafvollzug ohnehin verlieren.
Letztlich entscheidend für die Entscheidung, die Auslieferung nicht unter der Bedingung der Rücküberstellung zu bewilligen, ist aber der Gesichtspunkt, dass der Verfolgte letztlich in Bulgarien nach Mitteilung der bulgarischen Behörden mit der Verhängung einer Freiheitsstrafe von maximal 8 Monaten zu rechnen hat. Selbst im Falle einer Vollverbüßung im bulgarischen Strafvollzug erscheint bei Berücksichtigung der maximal möglichen Strafdauer im Hinblick auf das vorhandene Wohneigentum sowie seine familiären Kontakte in Deutschland, woran erneut angeknüpft werden könnte, eine Rückkehr in die Bundesrepublik bzw. in das Alltagsleben unproblematisch und ohne wesentliche Aufwendungen zur Resozialisierung möglich.”
Diese Begründung hat die Generalstaatsanwaltschaft München gem. § 79 Abs. 3 Satz 2, 2. Halbsatz IRG dem Verfolgten und seinem Rechtsbeistand bekannt gemacht.
ii. Die Anfechtung der Bewilligungsentscheidung vom 13.03.2017 ist prozessual überholt und hat sich daher erledigt.
Die Anfechtung der Bewilligungsentscheidung vom 13.03.2017 war zulässig und wurde auch zu Recht vor dem Oberlandesgericht München erhoben.
Zwar handelt es sich bei der Anfechtung einer Bewilligung der Auslieferung um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nicht verfassungsrechtlicher Art im Sinne von § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Streitigkeit ist jedoch durch § 13 Abs. 1 Satz 1 IRG den ordentlichen Gerichten und hierbei den Oberlandesgerichten zugewiesen (§ 40 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz VwGO).
§ 13 Abs. 1 Satz 1 IRG bestimmt, dass die gerichtlichen Entscheidungen vorbehaltlich der §§ 21, 22 und 39 Abs. 2 IRG das Oberlandesgericht erlässt. Diese Bestimmung regelt nicht nur die sachliche Zuständigkeit in Auslieferungssachen innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit, sondern enthält zugleich eine Rechtswegzuweisung an die ordentlichen Gerichte im Sinne von § 40 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz VwGO (vgl. BVerwG, Beschluss vom 18.05.2010 – 1 B 1/10, BVerwGE 137, 52).
Die Konzentration der gerichtlichen Überprüfung in Auslieferungssachen bei den Oberlandesgerichten entspricht dem Willen des Gesetzgebers und dem mit der Gesamtregelung des Europäischen Haftbefehlsgesetzes verfolgten Zweck, die Auslieferungsverfahren innerhalb der Europäischen Union zu beschleunigen und die mit einem gespaltenen Rechtsweg verbundenen Nachteile zu vermeiden (vgl. BT-Drs. 16/1024, S. 13).
Für die Entscheidung über eine Anfechtung der Bewilligungsentscheidung der Generalstaatsanwaltschaft vom 13.03.2017 ist daher entsprechend der allgemeinen Regel in § 13 Abs. 1 Satz 1 IRG das Oberlandesgericht München zuständig.
Von der Frage des Rechtswegs und der sachlichen Zuständigkeit ist die Frage zu unterscheiden, ob die Anfechtung der konkreten Bewilligungsentscheidung zulässig ist.
Das Bundesverfassungsgericht hält die Überprüfung von Bewilligungsentscheidungen für nicht bzw. nur eingeschränkt für möglich (vgl. BVerfG, Beschluss v. 09.06.2015 – 2 BvR 965/15), wobei das Bundesverfassungsgericht dabei davon ausging, dass die rechtlichen Voraussetzungen der Auslieferung im gerichtlichen Zulässigkeitsverfahren geklärt werden. In diesen Fällen stelle sich die nachfolgende Bewilligungsentscheidung gemäß § 12 IRG anders als die gerichtliche Zulässigkeitsentscheidung als Entscheidung der Bewilligungsbehörde gegenüber dem ersuchenden Staat dar.
Im Hinblick auf die Rechtschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG kann diese Überlegung aber nur in denjenigen Fällen zu einer Unanfechtbarkeit der Bewilligungsentscheidung führen, in denen die Oberlandesgerichte im Rahmen der Zulässigkeitsentscheidung alle subjektiven öffentlichen Rechtspositionen des Verfolgten umfassend berücksichtigt haben und die Entscheidung insoweit nicht (allein) der Bewilligungsbehörde überlassen haben. Im Falle einer positiven Zulässigkeitsentscheidung verbleibt der Bewilligungsbehörde, ungeachtet ihrer aus Art. 1 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 3 GG folgenden Pflicht zur eigenen Rechtmäßigkeitskontrolle einerseits und etwaiger völkerrechtlicher Bindungen andererseits, ein gerichtlich allenfalls eingeschränkt überprüfbarer außenpolitischer Entscheidungsspielraum (vgl. BVerfG, Beschluss v. 25.11.2008 -2 BvR 2196/08).
Etwas anderes gilt auch nicht im Auslieferungsverkehr zwischen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. In diesem Zusammenhang stellt sich nach den §§ 78 ff. IRG die Bewilligung als rechtlich eingebettete Entscheidung der Bewilligungsbehörde dar. § 79 Abs. 1 IRG statuiert insoweit eine grundsätzliche Pflicht zur Bewilligung, welche nur unter den in den folgenden Normen explizit genannten Gründen, namentlich unter den Voraussetzungen von § 83b IRG, abgelehnt werden kann. Bei Auslieferungen an einen Mitgliedsstaat der Europäischen Union erlangt die Bewilligungsentscheidung damit den Charakter einer gegenüber dem Verfolgten die gesetzlichen Voraussetzungen für den Grundrechtseingriff konkretisierenden Maßnahme.
Diese muss wegen der Rechtsweggarantie aus Art. 19 Abs. 4 GG der gerichtlichen Kontrolle unterliegen (BVerfGE 113, 273). § 79 Abs. 2 u. Abs. 3 IRG sehen dies für die dort geregelten Teilbereiche auch vor. Daraus, dass der hier vorliegende Fall dort nicht geregelt ist, folgt nicht, dass insoweit eine gerichtliche Kontrolle der Bewilligungsentscheidung nicht eröffnet wäre.
Geht eine Bewilligungsentscheidung über die Zulässigkeitsentscheidung des Oberlandesgerichts hinaus bzw. deckt sie nicht alle in der Zulässigkeitsentscheidung aufgeführten Kriterien ab, so ist die Bewilligungsentscheidung isoliert anfechtbar. Denn in diesem Fall kommt der Bewilligungsentscheidung gleichsam ein eigener Regelungsgehalt zu, schon deswegen muss eine eigenständige gerichtliche Überprüfung der Bewilligungsentscheidung möglich sein.
Nachdem sich vorliegend der Verfolgte mit seiner vereinfachten Auslieferung einverstanden erklärt hatte und somit ein Fall von § 41 Abs. 1 IRG vorlag, konnte die Generalstaatsanwaltschaft gem. § 12 IRG auch ohne gerichtliche Zulässigkeitsentscheidung über die Bewilligung der Auslieferung entscheiden. Gleichwohl hat sie die Senatsentscheidungen vom 13.09.2016, 19.10.2016, 17.11.2016 und 19.01.2017 abgewartet, in denen Anforderungen an die Haftbedingungen für den Verfolgten in Bulgarien gestellt wurden, und hat erst danach am 13.03.2017 über die Bewilligung der Auslieferung entschieden.
Hierbei hat sie berücksichtigt, dass sich nach der letzten Senatsentscheidung im gegenständlichen Auslieferungsverfahren vom 19.01.2017 die ständige Rechtsprechung des Senats geändert hat, soweit der ersuchende Staat eine EU-Mitgliedsstaat ist.
Insoweit hält es der Senat seit seiner, eine Auslieferung nach Rumänien betreffenden, Entscheidung vom 20.02.2017 (OLG München, Beschluss vom 20. Februar 2017 – 1 AR 68/17 -, juris) nicht länger für erforderlich, dass der ersuchende EU-Mitgliedsstaat zu den Haftbedingungen eine völkerrechtlich verbindliche Zusicherung abgibt. Ausreichend sind insoweit nun auch nach Ansicht des Senats „zusätzliche Informationen“ im Sinne der diesbezüglichen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 05.04.2016 in der verbundenen Rechtssache Aranyosi und Cäldäraru – C 404/15 und C 659/15).
Auch zu der Frage, ob der ersuchende Staat ein Besuchsrecht für diplomatische bzw. konsularische Vertreter zuzusichern hat (was insbesondere auch der Kontrolle der Haftbedingungen dienen soll), hat der Senat seit der vorgenannten Entscheidung vom 20.02.2017 seine Rechtsprechung geändert. Handelt es sich bei dem ersuchenden Staat um eine EU-Mitgliedsstaat, so hält der Senat wegen des Grundsatzes des Vertrauens zwischen den Mitgliedsstaaten der EU (vgl. Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 05.04.2016 in der verbundenen Rechtssache Aranyosi und Cäldäraru – C 404/15 und C 659/15) seither nicht länger für erforderlich, dass der ersuchende Mitgliedsstaat die Möglichkeit von Besuchen diplomatischer bzw. konsularischer Vertreter zusichert.
Es kann dahinstehen, ob unter Berücksichtigung der vorgenannten Umstände der Bewilligungsentscheidung vom 13.03.2017 überhaupt ein eigener Regelungsgehalt zukam, denn jedenfalls ist die Bewilligungsentscheidung vom 13.03.2017 prozessual dadurch überholt, dass die Generalstaatsanwaltschaft selbst im Hinblick auf die zahlreichen Anträge des Verfolgten vom 17.03.2017 mit Schreiben vom 24.03.2017 gemäß § 29 Abs. 2 IRG beantragt hat, über die Zulässigkeit der Auslieferung zu entscheiden.
Bereits durch diesen Antrag ist die Bewilligungsentscheidung vom 13.03.2017 prozessual überholt und hat sich dadurch erledigt. Ergänzend hat die Generalstaatsanwaltschaft mit Schreiben vom 30.03.2017 mitgeteilt, dass sie nach der auf ihren Antrag hin ergehenden Zulässigkeitsentscheidung eine neue Bewilligungsentscheidung „in Anlehnung an die Zulässigkeitsentscheidung des Senats“ treffen wird. Auch aus diesem Grund ist die Anfechtung der Bewilligungsentscheidung vom 13.03.2017 prozessual überholt und hat sich dadurch erledigt.
Aufgrund des Antrags des Verfolgten vom 17.03.2017 und des Antrags der Generalstaatsanwaltschaft vom 24.03.2017 war nunmehr auf der Grundlage der vorgenannten Änderungen der Rechtsprechung des Senats und der Mitteilung der Generalstaatsanwaltschaft, kein Bewilligungshindernis gem. § 83b Abs. 2 Nr. 1 IRG geltend zu machen bzw. die Bewilligung nicht unter die Bedingung der Rücküberstellung zur Strafvollstreckung stellen zu wollen, über die Zulässigkeit der Auslieferung zu entscheiden.
Das dem Verfolgten unter Ziffer I. 1. des Europäischen Haftbefehls der Bezirksstaatsanwaltschaft V. vom 28.07.2015, Gz.: … zur Last gelegte Verhalten ist nach bulgarischem Recht nach Art. 278 Abs. 1 des bulgarischen Strafgesetzbuches strafbar. Es ist auch nach deutschem Recht strafbar gemäß § 246 Abs. 1 des deutschen Strafgesetzbuchs.
Das dem Verfolgten unter Ziffer I. 2. des Europäischen Haftbefehls der Bezirksstaatsanwaltschaft V. vom 28.07.2015, Gz.: …, zur Last gelegte Verhalten ist nach bulgarischem Recht strafbar gemäß Art. 278 a Abs. 4 i. V. m. Art. 1, 20 Abs. 2 des bulgarischen Strafgesetzbuchs. Insoweit liegt eine Katalogtat gemäß Art. 2 Abs. 2 RbEuHB (illegaler Handel mit Kulturgütern, einschließlich Antiquitäten und Kunstgegenstände) vor, die nach bulgarischem Recht mit einer freiheitsentziehenden Sanktion im Höchstmaß von mindestens drei Jahren bedroht ist, sodass die beiderseitige Strafbarkeit nach § 81 Nr. 4 IRG nicht zu prüfen ist.
Die Auslieferungsfähigkeit ergibt sich weiterhin aus § 81 Nr. 1 IRG.
Auslieferungshindernisse nach §§ 2 ff., 80, 81, 83 IRG sind weiterhin nicht ersichtlich.
§ 83b Abs. 2 Nr. 2 IRG ist vorliegend nicht anwendbar, da es sich nicht um eine Auslieferung zur Strafvollstreckung, sondern zur Strafverfolgung handelt.
Wegen des langjährigen Aufenthalts des Verfolgten in Deutschland kommt dagegen ein Bewilligungshindernis gem. § 83b Abs. 2 Nr. 1 IRG in Betracht.
Die Generalstaatsanwaltschaft München hat bereits mitgeteilt, dass sie nicht beabsichtigt, ein entsprechendes Bewilligungshindernis geltend zu machen und auch nicht beabsichtigt, die Bewilligung unter die Bedingung der Rücküberstellung zur Strafvollstreckung zu stellen. Dies hat sie, wie oben unter I. ausgeführt, begründet. Es handelt sich hierbei um eine Ermessensentscheidung.
Die Ermessensentscheidung der Bewilligungsbehörde, ein entsprechendes Bewilligungshindernis nicht geltend zu machen, kann vom Senat im Rahmen der Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung nur auf Ermessensfehler überprüft werden (vgl. Grützner/Pötz/Kress/Böse, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Aufl., § 79 IRG Rn. 19) und hält vorliegend der rechtlichen Nachprüfung stand.
Bei der Beurteilung, ob ein fakultatives Bewilligungshindernis geltend gemacht wird, ist der Bewilligungsbehörde ein Wertungsspielraum eröffnet (vgl. EuGH-Urteil vom 06.10.2009 in NJW 2010, 283 und Grützner/Pötz/Kress/Böse, § 79 IRG Rn. 20). Dieser Wertungsspielraum ist vorliegend eingehalten.
Es handelt sich zudem um eine Auslieferung in das Heimatland des Verfolgten. Dies stellt regelmäßig keine besondere Härte für den Verfolgten dar.
Soweit der Verfolgte rügt, dass nicht ausreichend sichergestellt sei, dass die bulgarischen Behörden dem Verfolgten garantieren, dass er Besuch von diplomatischen bzw. konsularischen Vertretern in der Haft erhalten kann, führt dies nicht zur Unzulässigkeit der Auslieferung, da der Senat eine solche Zusicherung – wie oben ausgeführt – im Auslieferungsverkehr auf der Grundlage des Europäischen Haftbefehls nicht länger für erforderlich erachtet.
Ergänzende Informationen zu den den Verfolgten in Bulgarien erwartenden Haftbedingungen haben die bulgarischen Behörden gemacht. Insoweit wird auf die Senatsentscheidungen vom 19.10.2016 und vom 17.11.2016 Bezug genommen. Daraus geht hervor, dass es in der Haftanstalt St. Wraza, in der der Verfolgte nach den ergänzenden Informationen der bulgarischen Behörden inhaftiert werden wird, (auch) Zellen gibt, in denen dem einzelnen Gefangenen 4 Quadratmeter zur Verfügung stehen. Es erscheint insoweit ausreichend, aber auch erforderlich, dass die Zulässigkeit der Auslieferung unter die Bedingung einer entsprechenden Unterbringung in St. W. gestellt wird.
Die Auslieferung war daher mit der Maßgabe für zulässig zu erklären, dass der Verfolgte ausschließlich in der Haftanstalt in St. W. inhaftiert wird und dass er dort in einem Haftraum mit einer Fläche von mindestens 4 Quadratmetern pro Gefangenem untergebracht wird.
Nachdem sich hinsichtlich der Voraussetzungen zur Aufrechterhaltung des Auslieferungshaftbefehls sowie der Aufrechterhaltung der Außervollzugsetzung des Auslieferungshaftbefehls keine Veränderungen zu Gunsten des Verfolgten ergeben haben, bestand weder Veranlassung den Auslieferungshaftbefehl vom 02.09.2016 aufzuheben, noch die Auflagen, unter denen dieser vom Senat außer Vollzug gesetzt wurde, zu verändern.
Schon weil die Generalstaatsanwaltschaft auf der Grundlage der gegenständlichen Zulässigkeitsentscheidung des Senats noch keine (neue) Bewilligungsentscheidung getroffen hat, bestand keinerlei Veranlassung, den Aufschub der Auslieferung, wie vom Rechtsbeistand des Verfolgten beantragt, anzuordnen.

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