Verwaltungsrecht

Asylbewerbern droht wegen ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara in Afghanistan nicht die Gefahr einer landesweiten Verfolgung

Aktenzeichen  M 17 K 16.34865

Datum:
27.3.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
AsylG AsylG § 3e Abs. 1 Nr. 2, § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, Nr. 3
VwGO VwGO § 55
EMRK EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1 An der Glaubhaftmachung von Verfolgungsgründen fehlt es in der Regel, wenn der Asylsuchende im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellung nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheint. (redaktioneller Leitsatz)
2 Für einen jungen gesunden Mann ist es in einer größeren afghanischen Stadt (hier: Kabul) auch abseits der Herkunftsprovinz möglich, das Existenzminimum zu sichern. (redaktioneller Leitsatz)
3 Volkszugehörige der Hazara unterliegen in Afghanistan zwar noch einer gewissen Diskriminierung, sie sind derzeit und in überschaubarer Zukunft aber weder einer an ihre Volks- oder Religionszugehörigkeit anknüpfenden gruppengerichteten politischen oder religiösen Verfolgung ausgesetzt (ebenso BayVGH BeckRS 2012, 54740). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Soweit die Klage zurückgenommen wurde, wird das Verfahren eingestellt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 23. März 2017 entschieden werden, obwohl die Beklagte nicht erschienen ist. In der Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden könne (§ 102 Abs. 2 VwGO). Die Beklagte ist form- und fristgerecht geladen worden.
Soweit die Klagepartei die Klage zurückgenommen hat, war das Verfahren einzustellen, § 92 Abs. 3 VwGO.
Die Klage in ihrem verbliebenen Umfang hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid des Bundesamtes vom 22. November 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Er hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) weder einen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG noch auf die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Die vom Bundesamt nach Maßgabe des § 34 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG erlassene Abschiebungsandrohung ist damit nicht zu beanstanden.
Zur Begründung wird auf die zutreffende Begründung in dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Ergänzend hierzu wird ausgeführt:
1. Es besteht kein Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG. Danach ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Dabei gilt gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG als ernsthafter Schaden die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3).
1.1. Dass dem Kläger in Afghanistan die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe droht, ist nicht ersichtlich. Ferner hat der Kläger auch nicht glaubhaft vorgetragen, dass er mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit befürchten muss, dass ihm bei einer Rückkehr nach Afghanistan von staatlichen bzw. nichtstaatlichen Stellen eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht.
Wann eine „unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung“ gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG vorliegt, hängt vom Einzelfall ab. Eine Schlechtbehandlung einschließlich Bestrafung muss jedenfalls ein Minimum an Schwere erreichen, um in den mit § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG und Art. 15 lit. b QualRL insoweit identischen Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen. Die Bewertung dieses Minimums ist nach der Natur der Sache relativ. Kriterien hierfür sind abzuleiten aus allen Umständen des Einzelfalles, wie etwa der Art der Behandlung oder Bestrafung und dem Zusammenhang, in dem sie erfolgte, der Art und Weise ihrer Vollstreckung, ihrer zeitlichen Dauer, ihrer physischen und geistigen Wirkungen, sowie gegebenenfalls abgestellt auf Geschlecht, Alter bzw. Gesundheitszustand des Opfers. Abstrakt formuliert sind unter einer menschenrechtswidrigen Schlechtbehandlung Maßnahmen zu verstehen, mit denen unter Missachtung der Menschenwürde absichtlich schwere psychische oder physische Leiden zugefügt werden und mit denen nach Art und Ausmaß besonders schwer und krass gegen Menschenrechte verstoßen wird (vgl. VGH BW, U.v. 6.3.2012 – A 11 S 3070/11 – juris Rn. 16; Hailbronner, Ausländerrecht Bd. 3, Stand 6/2014 § 4 AsylG Rn. 21-27 m.w.N. zur Rechtsprechung).
Der Ausländer hat stichhaltige Gründe für die Annahme darzulegen, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Der Maßstab der stichhaltigen Gründe (essential grounds, Art. 2 lit. f QualRL) bei der Prüfung, ob eine konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung besteht, entspricht dem asylrechtlichen Prognosemaßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“, wobei allerdings das Element der Konkretheit der Gefahr das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation kennzeichnet. Mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit steht die Rechtsgutsverletzung bevor, wenn bei qualifizierender Betrachtungsweise, d.h. bei einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung, die für die Rechtsgutsverletzung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Die in diesem Sinne erforderliche Abwägung bezieht sich nicht allein auf das Element der Eintrittswahrscheinlichkeit, sondern auch auf das Element der zeitlichen Nähe des befürchteten Ereignisses; auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs ist in die Betrachtung einzubeziehen (vgl. VGH BW, U.v. 6.3.2012 – A 11 S 3070/11 – juris Rn. 17 unter Bezugnahme auf BVerwG, B.v. 10.04.2008 – 10 B 28.08 – juris Rn. 6; U.v. 14.12.1993 – 9 C 45.92 – juris Rn. 10 f.; U. v. 05.11.1991 – 9 C 118.90 – juris Rn. 17; Hailbronner, Ausländerrecht Bd. 3, Stand 6/2014 § 4 AsylG Rn. 61ff. m.w.N. zur Rechtsprechung).
Das Gericht muss – für einen Erfolg des Antrags – die volle Überzeugung von der Wahrheit des vom Asylsuchenden behaupteten individuellen Schicksals und hinsichtlich der zu treffenden Prognose, dass dieses die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung und damit ernsthaften Schadens begründet, erlangen. Angesichts des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich Asylsuchende insbesondere hinsichtlich asylbegründender Vorgänge im Herkunftsstaat befinden, kommt dabei dem persönlichen Vorbringen des Asylsuchenden und dessen Würdigung für die Überzeugungsbildung eine gesteigerte Bedeutung zu. Demgemäß setzt die Feststellung des subsidiären Schutzstatus voraus, dass der Asylsuchende den Sachverhalt, der den drohenden ernsthaften Schaden begründen soll, schlüssig darlegt. Dabei obliegt es ihm, unter genauer Angabe von Einzelheiten und gegebenenfalls unter Ausräumen von Widersprüchen und Unstimmigkeiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der geeignet ist, das Asylbegehren lückenlos zu tragen. Auf die Glaubhaftigkeit seiner Schilderung und die Glaubwürdigkeit seiner Person kommt es entscheidend an. Seinem persönlichen Vorbringen und dessen Würdigung ist dabei gesteigerte Bedeutung beizumessen. Der Asylbewerber muss die persönlichen Umstände seiner Verfolgung und Furcht vor einer Rückkehr hinreichend substantiiert, detailliert und widerspruchsfrei vortragen, er muss kohärente und plausible wirklichkeitsnahe Angaben machen.
Daran gemessen muss der Kläger nicht mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit befürchten, dass ihm bei einer Rückkehr nach Afghanistan von staatlichen bzw. nichtstaatlichen Stellen eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Stichhaltige Gründe dafür vermochte der Kläger nicht überzeugend darzulegen.
Sein Vortrag, von den Taliban zum Zeitpunkt seiner Ausreise aus Afghanistan mit der erforderlichen erheblichen Intensität verfolgt worden zu sein und ihm damit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung drohen würde, ist nicht glaubhaft.
Gleichwohl der Kläger seine Gründe, weshalb er Afghanistan verlassen habe sowohl mit Schreiben vom 17. Februar 2017 als auch in der mündlichen Verhandlung näher zu konkretisieren und einige vom Bundesamt in seinem streitgegenständlichen Bescheid kritisierten Ungereimtheiten zu erklären versuchte, verbleibt seine Schilderung detailarm, oberflächlich und stellenweise widersprüchlich, so dass sich der Eindruck aufdrängt, nicht von eigens erlebten Geschehnissen zu berichten.
Diskrepanzen bestehen bereits bei der Aussage darüber, wer die Mine entdeckt hat. Während der Kläger in der Anhörung vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung behauptet, er selbst habe die Mine gefunden, führte er in seiner Klagebegründung vom 17. Februar 2017 aus, die Straßenarbeiter hätten eine Mine entdeckt, die knapp unter der Erddecke eingegraben gewesen sei. Dass der Kläger die Mine erst entdeckte als ein Auto darauf fuhr (ohne zu explodieren), trug der Kläger erstmalig in der mündlichen Verhandlung vor, ohne dieses nicht unmaßgebliche Detail vorher jemals erwähnt zu haben. Ungeachtet dessen, dass der Kläger in seinem Schreiben vom 17. Februar 2017 von etwa 100 Männern, in der mündlichen Verhandlung sodann von 200 Männern sprach, die an diesem Straßenabschnitt tätig gewesen sein sollen, sind auch die Schilderungen über den Entschluss, die Polizei zu rufen, in sich nicht stimmig. So führte der Kläger bei der Anhörung vor dem Bundesamt und in seiner Klageschrift noch aus, dass er gegen den Willen der anderen, die Polizei benachrichtigte, wohingegen er in der mündlichen Verhandlung erklärte, dass zwar viele Straßenbauarbeiter dagegen waren, er aber letztlich dazu bestimmt worden sei, die Polizei zu rufen. Auch konnte der Kläger in der mündlichen Verhandlung keinen überzeugenden Grund nennen, weshalb er die Polizei nicht fern jeglicher Öffentlichkeit über den Minenfund informierte, obwohl ihm die Gefahr, von den Taliban bedroht zu werden, bewusst gewesen sein musste. Dass unschuldige Zivilisten durch diese (defekte) Mine zu Tode kommen, hätte auch durch einen anonymen und vertraulichen Hinweis an die Polizei verhindert werden können. Schließlich divergieren auch die zeitlichen Angaben des Ereignisses erheblich. Während die Straßenreparaturen und die Entdeckung der Mine laut Angaben in der mündlichen Verhandlung an einem Nachmittag ca. gegen 16.00 Uhr im März 2014 stattgefunden haben sollen, berichtet der Kläger in seiner Klageschrift von einem Tag im Juni 2014 und schilderte in seiner Anhörung vor dem Bundesamt, dass er nach der Entfernung der Mine durch die Polizei mittags nach Hause gegangen sei.
Wenig plausibel ist zudem die Schilderung, dass die Taliban just einen Tag nach der Entfernung der Mine eine Kontrollfahrt zu der Straße unternommen haben sollen, obwohl die Mine – wie der Kläger selbst vermutet – schon lange unter der Erde gelegen haben müsse, da sie wohl defekt gewesen sei (Niederschrift zur mündlichen Verhandlung, S. 2). Aus Verwunderung darüber, dass es keine Explosion gegeben habe, wie der Kläger in seiner Klageschrift vom 17. Februar 2017 vermutet, ist im Hinblick darauf, dass die Mine schon lange unter der Erde gelegen haben müsse, als Begründung für das Erscheinen der Taliban am nächsten Tage jedenfalls fernliegend. Ferner erschließt sich einem nicht ohne weiteres, aus welchen Gründen der Bruder trotz der befürchteten Rache durch die Taliban am nächsten Tag bedenkenlos zu den Straßenbauarbeiten gegangen sei und die Straßenbauarbeiten dort anstatt des Klägers fortsetzte.
Ebenso konnte der Kläger die notwendige erhebliche Intensität der Bedrohung gegen ihn nicht anschaulich und glaubhaft darlegen. Er hat die Bedrohung weder persönlich erhalten noch anderweitig zur Überzeugung des Gerichts plausibel schildern können. Die Ausführungen hierzu bleiben vage und oberflächlich. Auf mehrmalige Nachfrage in der mündlichen Verhandlung erklärte der Kläger, dass die Bedrohung gegenüber seinem Bruder bei den Straßenbauarbeiten die einzige Bedrohung der Taliban gewesen sei. Der Kläger erwähnte weder, dass die Taliban bei ihm zu Hause gewesen seien und ihn gesucht hätten (so noch Klageschrift vom 17. Februar 2017), noch, dass die Taliban eine Woche nach der Flucht des Klägers Autos nach ihm durchsucht hätten. Ungeachtet dessen hat der Kläger keine konkreten Angaben darüber gemacht, wann und wo diese Vorfälle passiert sein sollen. Schließlich beantwortete der Kläger die Frage, weshalb die Taliban nach zweieinhalb Jahren immer noch Interesse an seiner Ergreifung haben sollten, pauschal und wenig überzeugend dahingehend, dass die Taliban weiterhin „Leute“ fragen würden, an welchem Ort er sich aufhalte. Sie würden aktiv „Menschen“ kontaktieren, die ihn kennen würden. Auf Nachfrage, dies zu konkretisieren, schilderte der Kläger, sehr allgemein und vage, dass dies „Dorfbewohner“ gewesen seien, was der Kläger von „anderen Dorfbewohnern“ erfahren habe, die ebenfalls in den Iran geflüchtet seien.
Auch soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung darlegte, am nächsten Morgen nach Ghazni zu seiner Cousine geflohen zu sein, weicht dies bei genauer Betrachtung von den Angaben der Klageschrift ab, wonach er sich in Ghazni bei seiner Tante mütterlicherseits und deren Familie versteckt habe.
Soweit der Kläger erstmalig in der mündlichen Verhandlung am 23. März 2017 darauf hinweist, dass es bei der Anhörung vor dem Bundesamt durch einen Iraner in persischer Sprache Verständigungsschwierigkeiten gegeben habe und die Anhörung sodann durch einen Afghanen in der Sprache Dari fortgesetzt wurde, führt dies nicht zu einer Auflösung der festgestellten Widersprüchlichkeiten. Zum einen wurden bislang im gesamten Verfahren keine Verständigungsschwierigkeiten moniert, zum anderen bestätigte der Kläger mit seiner Unterschrift unter der – wohl vom afghanischen Dolmetscher in der Sprache Dari rückübersetzten – Niederschrift zur Anhörung vor dem Bundesamt deren Richtigkeit sowie keine Verständigungsschwierigkeiten gehabt zu haben.
Die beiden vorgelegten Fotographien von Dokumenten in der Sprache Dari können bereits deshalb nicht als Entscheidungsgrundlage herangezogen werden, da sie nicht in einer deutschen Übersetzung vorgelegt wurden. Nach § 55 VwGO i.V.m. § 184 Satz 1 GVG sind nicht in deutscher Sprache abgefasste Schriftsätze und Dokumente für das Gericht grundsätzlich unbeachtlich, sofern nicht – fristgerecht – eine deutsche Übersetzung vorgelegt wird (BVerwG, B.v. 5.2.1990 – 9 B 506/89 – NJW 1990, 3103; Kimmel in Beck’scher Online-Kommentar VwGO, Posser/Wolff, Stand: 1.1.2016, § 55 Rn. 26; Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl., 2014, § 55 Rn. 11). Zudem erklärte der Dolmetscher in der mündlichen Verhandlung erklärte, dass die vorgelegten Dokumente im Wesentlichen unleserlich seien. Auf dem Stempel sei der Ort Ghazni zu lesen und das Datum 1393 (die entspricht dem Jahr 2014) zu entziffern. Ansonsten könne allerdings nichts bestätigt werden.
Unabhängig vom Wahrheitsgehalt des Sachvortrages ist auch davon auszugehen, dass für den Kläger im Hinblick auf seine individuellen Umstände gemäß § 4 Abs. 3 AsylG i.V.m. § 3e Abs. 1 AsylG, Art. 8 Abs. 1 QualRL eine sogenannte interne Schutzalternative besteht. Dem Ausländer wird der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. ernsthaftem Schaden oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung bzw. ernsthaftem Schaden hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und von vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Dem Ausländer dürfen in dem Betracht kommenden Gebiet keine anderen Nachteile und Gefahren drohen, die nach ihrer Intensität und Schwere einer asylerheblichen Rechtsgutbeeinträchtigung gleichkommen, sofern diese existenzielle Gefährdung am Herkunftsort so nicht bestünde (BVerfG, B.v. 10.11.1989 – 2 BvR 403/84 -juris; Hailbronner, Asyl und Ausländerrecht, 4. Aufl. 2017, Rn. 1325). Der Flüchtling muss für eine gewisse Dauerhaftigkeit Schutz erhalten können und sich dort Anfangsstriche niederlassen und von Striche können. Die Verweisung auf eine interne Fluchtalternative ist daher nur zumutbar, wenn dort nicht andere, unzumutbare Nachteile drohen. Eine drohende konkrete Beeinträchtigung elementarer Menschenrechte kann eine Unzumutbarkeit begründen. Zumutbar ist eine Rückkehr nur dann, wenn der Ort der inländischen Schutzalternative ein wirtschaftliches Existenzminimum ermöglicht, zum Beispiel durch zumutbare Beschäftigung oder auf sonstige Weise, oder durch Mittel der Existenzsicherung aufgrund von Leistungen humanitärer Organisationen. Diese Voraussetzung ist nicht gegeben, wenn den Asylsuchenden am Ort der internen Schutzalternative ein Leben erwartet, dass zu Hunger, Verelendung und zum Tod führt oder wenn er dort nichts anderes zu erwarten hat als ein „Dahinvegetieren am Rande des Existenzminimums“ (BVerwG, B.v. 17.5.2006 – 1 B 100/05 – juris; BVerwG, B.v. 21.5.2003 – 1 B 298/02 – juris). Im Hinblick auf den internen Schutz gem. § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG muss für den Rückkehrer in dem schutzgewährenden Landesteil auch die Existenzgrundlage soweit gesichert sein, dass von ihm erwartet werden kann, dass er sich vernünftigerweise dort aufhält. Dies geht als Zumutbarkeitsmaßstab über das Fehlen einer im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 und Satz 5 AufenthG beachtlichen existenziellen Notlage hinaus, wobei das Bundesverwaltungsgericht bislang offen gelassen hat, welche darüber hinausgehenden wirtschaftlichen und sozialen Standards erfüllt sein müssen (vgl. BVerwG, U.v. 29.5.2008 – 10 C 11.07 – juris Rn. 35; U.v. v. 31.01.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 20, jeweils zu § 60 Abs. 7 Sätze 1 und 3 AufenthG a. F.; NdsOVG, U.v. 19.09.2016 – 9 LB 100/15 – juris; OVG NW, B.v. 6.6.2016 – 13 A 1882/15.A – juris Rn. 14). Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen vom 19. April 2016 hält eine innerstaatliche Fluchtalternative in Afghanistan nur für zumutbar, wenn der betreffende Ausländer dort Zugang zu Obdach, Grundleistungen wie Trinkwasser, sanitären Einrichtungen, Gesundheitsfürsorge und Bildung sowie die Möglichkeit, sich eine Existenzgrundlage zu schaffen, hat. Als Ausnahme vom Erfordernis einer externen Unterstützung sieht er alleinstehende, leistungsfähige Männer und Ehepaare im Arbeitsalter an, die nicht aufgrund persönlicher Umstände auf eine besondere Unterstützung angewiesen sind. Solche Personen können dazu in der Lage sein, ohne die Unterstützung durch die Familie oder durch eine Gemeinschaft in städtischen und halbstädtischen Gebieten zu leben, die unter staatlicher Kontrolle sind und die nötige Infrastruktur und die Möglichkeit bieten, die Grundbedürfnisse zu befriedigen (vgl. UNHCR, Eligibility Guidelines for accessing the international protection needs of asylum-seekers from Afghanistan, 19.4.2016, S. 83 f.; NdsOVG, U.v. 19.9.2016 – 9 LB 100/15 – juris Rn. 76). Außerdem muss das Zufluchtsgebiet für den Betroffenen sicher und legal erreichbar sein (Hailbronner, Asyl und Ausländerrecht, 4. Aufl. 2017, Rn. 1325).
Gemessen daran ist das Gericht davon überzeugt, dass sich der Kläger in Afghanistan für ihn zumutbar an einem Ort niederlassen kann, an dem er nach seinem individuellen Risikoprofil verfolgungssicher ist.
Der Kläger trug vor, er habe sich keine interne Schutzalternative in Afghanistan gesucht, da die Taliban ihn überall, auch in großen Städten, jederzeit fänden. Diese Aussage ist zu allgemein.
Es ist nicht beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger, der vor dem Minenfund wohl noch nie mit den Taliban in Konflikt geraten ist – Gegenteiliges wurde jedenfalls nicht vorgetragen -, wegen eines einmaligen sehr lokal begrenzten Vorfalles – letztlich ein einziges mit der Polizei geführtes Telefonat – das bereits Jahre zurückliegt, noch heute in das Visier seiner vermeintlichen Verfolger gelangen sollte. Aus welchen nachvollziehbaren Gründen, die Taliban ein gesteigertes Interesse an der Habhaftwerdung des Klägers haben sollten, konnte der Kläger nicht glaubhaft darlegen. Es erscheint nicht schlüssig, dass die Taliban überhaupt von einer etwaigen Rückkehr des Klägers erfahren würden. Eine Meldepflicht besteht in Afghanistan nicht (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Bundesrepublik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 21.01.2016, aktualisiert am 19.12.2016, S. 188 unter Verweis auf DIS – Danish Immigration Service (5.2012): Afghanistan Country of Origin Information für Use in the Asylum Determination Process; BayVGH, U.v. 20.1.2012 – 13a B 11.30427 – juris Rn. 28; VG Würzburg, U.v. 15.6.2016 – W 2 K 15.30769 – juris Rn. 25; VG Köln, U.v. 6.6.2014 – 14 K 6276/13.A – juris Rn. 42). Die Gefahr, dass der Kläger bei einer Rückkehr an einem anderen Ort in Afghanistan aufgespürt werden könnte, ist damit nicht beachtlich wahrscheinlich.
Dem Kläger, als gesunden, jungen und arbeitsfähigen Mann, ist nach Überzeugung des Gerichts eine Rückkehr in eine größere afghanische Stadt i.S. einer innerstaatlichen Fluchtalternative nach seinen individuellen Verhältnissen auch zumutbar. Das Gericht hat keine durchgreifenden Zweifel daran, dass der Kläger bei einer Rückkehr in sein Heimatland Afghanistan in der Lage wäre, in Kabul oder Herat einen Lebensunterhalt oberhalb des Existenzminimums insoweit zu verdienen, dass von ihm vernünftigerweise erwartet werden kann, sich dort aufzuhalten (vgl. VG Lüneburg, U.v. 6.2.2017 – 3 A 140/16 – juris Rn. 25 ff.; OVG NW, B.v. 8.6.2016 – 13 A 1222/16.A – juris Rn. 10; NdsOVG, U.v. 20.07.2015 – 9 LB 320/14 – juris S. 8; OVG NW, U.v. 27.01.2015 – 13 A 1201/12.A – juris Rn. 46; U.v. 26.08.2014 – 13 A 2998/11.A – juris Rn. 197). Dies gilt gleichermaßen auch für die Stadt Herat mit etwa 477.452 (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Bundesrepublik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 21.01.2016, aktualisiert am 19.12.2016, S. 139) Einwohnern (VG Lüneburg, U.v. 6.2.2017 – 3 A 140/16 – juris Rn. 34 ff.).
Grundsätzlich ist Kabul im Hinblick auf die allgemeine Sicherheitslage als Fluchtalternative derzeit geeignet (VG Lüneburg, U.v. 6.2.2017 – 3 A 140/16 – juris Rn. 25 ff.; VG Augsburg, B.v. 14.3.2017 – Au 5 E 17.31264 – juris Rn. 32 ff.). Das Risiko, dort durch Anschläge Schaden an Leib oder Leben zu erleiden, ist weit unterhalb der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (VG München, U.v. 16.3.2017 – M 17 K 16.35014; BayVGH, B.v. 30.1.2017 – 13a ZB 16.30824 – juris; B.v. 17.8.2016 – 13a ZB 16.30090 – juris, Rn. 10; B.v. 5.2.2015 – 13a ZB 14.30172 – juris, Rn. 7, B.v. 27.5.2014 – 13a ZB 13.30309 – juris, Rn. 4, B.v. 19.6.2013 – 13a ZB 12.30386 – juris und B.v. 18.7.2012 – 13a ZB 12.30150 – juris Rn. 7 ff.; OVG NW, U.v. 3.3.2016 – 13 A 1828/09.A – juris, Rn. 73; B.v. 20.7.2015 – 13 A 1531/15.A – juris Rn. 8; VG Lüneburg U.v. 6.2.2017 – 3 A 140/16 – juris Rn. 29 ff.; U.v. 6.2.2017 – 3 A 126/16 – juris Rn. 46 ff. unter Aufzählung einzelner jüngster Anschläge).
Es ist zu erwarten, dass es dem Kläger bei einer Rückkehr in die Hauptstadt Kabul gelingen wird, die genannten Bedürfnisse zu erfüllen und ein Leben oberhalb des Existenzminimums zu führen. Der Kläger ist nach eigenen Angaben 23 Jahre alt und hat den Großteil seines Lebens, nämlich die Zeit von seiner Geburt bis zur seiner Ausreise im Alter von 19 Jahren in Afghanistan verbracht, ist also mit der dortigen Kultur und den dortigen Lebensumständen vertraut. Die wirtschaftliche Lage in Afghanistan beschrieb der Kläger sogar als „gut“. Im Heimatland leben noch sein Vater, sein Bruder sowie ein Onkel und eine Tante. Der Vater Besitzt ein eigenes Haus sowie Grundstücke. Zudem wäre er in der Stadt Kabul auch nicht auf sich allein gestellt, weil dort zwei seiner Schwestern leben. Allerdings trifft es zu, dass die Situation auf dem Arbeitsmarkt in Afghanistan allgemein schwierig ist. So wird die Arbeitslosenrate in Afghanistan auf bis zu 50% geschätzt (Fortschrittsbericht der Bundesregierung von Nov. 2014, Update der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 13.9.2015, S. 20). Jedes Jahr gelangen weitere ca. 500.000 junge Personen auf den Arbeitsmarkt (Update der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 13.9.2015, S. 20). Es gibt kaum legale Erwerbsmöglichkeiten, insbesondere nicht für Menschen ohne qualifizierte Berufsausbildung oder persönliche Beziehungen (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 2.3.2015). Der Kläger hat zwar weder eine abgeschlossene Schulnoch eine abgeschlossene Berufsausbildung. Er ist aber zum einen jung, arbeitsfähig und verfügt über zahlreiche praktische berufliche Erfahrungen. So hat er in Afghanistan in der Landwirtschaft und als Schneider gearbeitet und hat darüber Straßenbauarbeiten verrichtet. Es steht zu erwarten, dass seine Schwestern ihm jedenfalls dabei behilflich sein werden, in Kabul Arbeit zu finden. Zudem arbeitete der Kläger zuletzt im Iran als Schneider, womit er monatlich ca. 1,5 Mio. Toman verdiente und sich die Reisekosten nach Deutschland ersparen konnte. Da der Kläger in der Lage, in einem für ihn fremden Land, dem Iran, sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen, so ist ihm erst Recht in seiner Heimat der Aufbau eines Lebens, beispielsweise in Kabul, zumutbar.
1.2. Aber auch eine ernsthafte individuelle Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines bewaffneten Konflikts im Sinne von § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG kann nicht bejaht werden.
1.2.1. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist rechtsgrundsätzlich geklärt, dass und unter welchen Voraussetzungen eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts vorliegt. Entsprechend ist zu prüfen, ob von einem bewaffneten Konflikt in der Zielregion für eine Vielzahl von Zivilpersonen eine allgemeine Gefahr ausgeht, die sich in der Person des Klägers so verdichtet, dass sie für diesen eine erhebliche individuelle Gefahr darstellt (vgl. BayVGH, B.v. 17.1.2017 – 13a ZB 16.30182 – juris Rn. 4; BVerwG, U.v. 13.2.2014 – 10 C 6.13 – NVwZ-RR 2014, 487 = juris Rn. 23; BVerwG, U.v. 17.11.2011 -10 C 13.10 – NVwZ 2012, 454 = juris Rn. 17; BVerwG, B.v. 27.6.2013 – 10 B 11.13 – juris Rn. 7; U.v. 17.11.2011 a.a.O.; U.v. 27.4.2010 – 10 C 4.09 – BVerwGE 136, 360; U.v. 24.6.2008 – 10 C 43.07 – BVerwGE 131, 198). Eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr kann auch dann, wenn individuelle gefahrerhöhende Umstände in der Person des Klägers fehlen, ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (BVerwG, U.v. 17.11.2011 a.a.O. Rn. 19; U.v. 14.7.2009 – 10 C 9.08 – BVerwGE 134,188 Rn. 15 mit Verweis auf EuGH, U.v. 17.2.2009 – Elgafaji, C-465/07 – Slg. 2009, I-921 = NVwZ 2009, 705). Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich (BVerwG, U.v. 17.11.2011 a.a.O. Rn. 19; U.v. 27.4.2010 – 10 C 4.09 – BVerwGE 136, 360 Rn. 33).
Zur Ermittlung einer für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr ausreichenden Gefahrendichte ist – in Anlehnung an die Vorgehensweise zur Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts (vgl. dazu BVerwG, U.v. 18.7.2006 – 1 C 15.05 – BVerwGE 126, 243 Rn. 20 ff.) – aufgrund aktueller Quellen die Gesamtzahl der in der Herkunftsprovinz lebenden Zivilpersonen annäherungsweise zu ermitteln und dazu die Häufigkeit von Akten willkürlicher Gewalt sowie der Zahl der dabei Verletzten und Getöteten in Beziehung zu setzen. Insoweit hat das Bundesverwaltungsgericht das vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof ermittelte Risiko für das Jahr 2009 von ca. 1:800 oder 0,12%, in der Herkunftsprovinz verletzt oder getötet zu werden, sowie die auf der Grundlage dieser Feststellungen gezogene Schlussfolgerung, dass der Kläger bei seiner Rückkehr in sein Herkunftsland keiner erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben infolge willkürlicher Gewalt ausgesetzt sei, im Ergebnis revisionsgerichtlich nicht beanstandet (BVerwG, U.v. 17.11.2011 a.a.O. – juris Rn. 22).
1.2.2. Gemessen daran ist die Annahme subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG für den Kläger nicht gerechtfertigt.
a) Das Bestehen individueller, gefahrerhöhender Umstände, die eine Gefährdung im o.g. Sinne dennoch begründen könnten, ergibt sich für den Kläger nach dessen Vorbringen nicht in einem rechtlich relevanten Maße. Insbesondere die Tatsache, dass er Schiit und Hazara ist, führt zu keiner Gefahrenerhöhung. Zwar ist der überwiegende Anteil der Bevölkerung sunnitischer Religionszugehörigkeit, aber Auseinandersetzungen sind selten und seit dem Ende des Taliban-Regimes hat sich die Situation der schiitisch-muslimischen Gemeinde wesentlich verbessert (vgl. VG Lüneburg, U.v. 6.2.2017 – 3 A 140/16 – juris Rn. 42 m.w.N.). Hazara unterliegen zwar noch einer gewissen Diskriminierung, sie sind derzeit und in überschaubarer Zukunft aber weder einer an ihre Volks- bzw. Religionszugehörigkeit anknüpfenden gruppengerichteten Verfolgung noch einer erheblichen Gefahrendichte ausgesetzt (BayVGH, B.v. 20.1.2017 – 13a ZB 16.30996 – juris). Der Kläger gehört auch keiner Berufsgruppe an, wie z.B. Ärzte oder Journalisten, die in besonderem Maße der Gefahr ausgesetzt sind, Opfer von sicherheitsrelevanten Vorfällen zu werden.
b) In Bezug auf die Herkunftsregion Ghazni hat sich die Sicherheitslage trotz der aktuellen Häufung von Anschlägen nicht derart verschärft, dass jede Zivilperson unabhängig von besonderen gefahrerhöhenden Umständen allein aufgrund ihrer Anwesenheit im betreffenden Gebiet konkret und individuell gefährdet ist, einen ernsthaften Schaden zu erleiden (BayVGH, B.v. 20.1.2017 – 13a ZB 16.30996 – juris Rn. 9, wonach für eine verlässliche Prognose, dass sich die Gefahrenlage im Jahre 2016 entscheidend verändert hätte, ausreichende Anhaltspunkte fehlen; B.v. 5.2.2014 – 13a ZB 13.30224; B.v. 4.6.2013 – 13a B 12.30063 – juris). Die Wahrscheinlichkeit für Zivilperson dort verletzt oder getötet zu werden ist nicht so hoch, dass jeder Zivilperson aus Ghazni subsidiärer Schutz zuzuerkennen wäre.
aa) In der Süd-Ost-Region Afghanistans, zu der neben der Provinz Ghazni (Einwohnerzahl: ca. 1.228.831, jeweils nach dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Bundesrepublik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 21.01.2016, aktualisiert am 19.12.2016) Khost (Einwohnerzahl: ca. 574.582), Paktika (Einwohnerzahl: ca. 434.742) und Paktya (Einwohnerzahl: ca. 551.987) zählen (UNAMA, Afghanistan Annual Report on Protection of Civilians in Armed Conflict: 2016, v. Februar 2017, S. 2; UNHCR, Anfragebeantwortung v. 12.05.2016, S. 8) wurden im Jahr 2016 von der UNAMA 903 verletzte oder getötete Menschen gezählt (Afghanistan Annual Report on Protection of Civilians in Armed Conflict: 2016, v. Februar 2017, S. 4ff.). Im Hinblick auf die Einwohnerzahl von ca. 2,28 Millionen ergibt sich daraus ein Verhältnis von 1:2524 (Zentralregion Afghanistans: Risiko von 1:2.768 vgl. VG München, U.v. 16.3.2017 – M 17 K 16.35014; District Kabul: Risiko von 1:2446 bei 1.758 im Jahr 2016 verletzten oder getöteten Personen von 4,3 Mio. Einwohnern).
bb) Das Bundesverwaltungsgericht hat zwar entschieden, dass es neben der quantitativen Ermittlung des Risikos, in der Rückkehrprovinz verletzt oder getötet zu werden, auch einer wertenden Gesamtbetrachtung des statistischen Materials mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen bei der Zivilbevölkerung bedarf. Ist allerdings die Höhe des quantitativ festgestellten Risikos eines dem Kläger drohenden Schadens – wie hier – weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt, vermöge sich das Unterbleiben einer wertenden Gesamtbetrachtung im Ergebnis nicht auszuwirken. Zudem sei die wertende Gesamtbetrachtung erst auf der Grundlage der quantitativen Ermittlung der Gefahrendichte möglich (U.v. 13.2.2014 – 10 C 6.13 – juris Rn. 24; 17.11.2011 – 10 C 13.10 – juris Rn. 23; 27.4.2010 – 10 C 4.09 – juris Rn. 33; BayVGH, B.v. 17.1.2017 – 13a ZB 16.30182 – juris Rn. 7 m.w.N.).
cc) Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus den aktuellen Anmerkungen von UNHCR zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des Bundesministeriums des Innern vom Dezember 2016, auf die der Klägerbevollmächtigte Bezug nimmt (VG München, U.v. 9.3.2017 – M 17 K 16.35022; U.v. 9.3.2017 – M 26 K 16.35363 – UA Bl. 7). Danach liegt eine Zuspitzung der Lage nicht in dem Maße vor, dass von der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes abgewichen werden müsste.
In den Anmerkungen von UNHCR vom Dezember 2016 wird im Wesentlichen ausgeführt, dass sich die Sicherheitslage in Afghanistan deutlich verschlechtert habe. Es werde keine Unterscheidung von „sicheren“ und „unsicheren“ Gebieten vorgenommen, sondern die Bedrohung unter Einbeziehung sämtlicher individueller Aspekte des Einzelfalls bewertet. UNHCR ist der Auffassung, dass das gesamte Staatsgebiet Afghanistans von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt betroffen sei. Es müsse ein starkes soziales Netzwerk im Gebiet der Neuansiedlung geben. Die Wohnraumsituation sowie der Dienstleistungsbereich seien in Kabul aufgrund der andauernden Primär- und Sekundärfluchtbewegungen extrem angespannt und auch in Herat halte sich eine große Zahl von Binnenvertriebenen auf.
Abgesehen davon, dass auch bei der vom UNHCR geforderten Einbeziehung der individuellen Aspekte des Klägers nicht von einer Gefahr, aufgrund eines innerstaatlichen Konflikts getötet oder verletzt zu werden, auszugehen ist, beruht die Bewertung in den genannten Anmerkungen auf den vom UNHCR selbst angelegten Maßstäben, die sich nicht mit den oben dargelegten Anforderungen des Bundesverwaltungsgerichts an einen bewaffneten Konflikt und eine erhebliche individuelle Gefährdung decken (vgl. BayVGH, B.v. 25.1.2017 – 13a ZB 16.30374 – juris Rn. 11 bzgl. des insoweit vergleichbaren UNHCR-Berichts vom 19. April 2016; B.v. 20.1.2017 – 13a ZB 16.30996 – juris Rn. 9; VG München, U.v. 9.3.2017 – M 17 K 16.35022; VG Augsburg, U.v.19.12.2016 – Au 5 K 16. 31939 – juris Rn. 42). Basierend auf den oben dargelegten Zahlen ist auch bei einer Gesamtbetrachtung nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass dem Kläger, bei dem – wie dargestellt – keine individuellen gefahrerhöhenden Umstände vorliegen, ein ernsthafter Schaden im Sinne von § 4 AsylG droht.
Nach alledem ist es angesichts der Bevölkerungszahl auf der einen und den Verletzten und getöteten Zivilpersonen auf der anderen Seite für eine Zivilperson auch bei einer wertenden Gesamtbetrachtung aller Umstände in Ghazni, aber auch Kabul, nicht beachtlich wahrscheinlich, aufgrund eines sicherheitsrelevanten Vorfalls verletzt oder getötet zu werden.
2. Auch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG liegen nicht vor.
Bei den national begründeten Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK und dem nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG handelt es sich um einen einheitlichen und nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand (BVerwG, U.v. 8.9.2011 – 10 C 14.10 – BVerwGE 140, 319 Rn. 16f.).
2.1. § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK steht einer Abschiebung entgegen, wenn es ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür gibt, dass der Betroffene tat-sächlich Gefahr läuft, im Aufnahmeland einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Maßgeblich sind die Gesamtumstände des jeweiligen Falls und Prognosemaßstab ist die beachtliche Wahrscheinlichkeit. Ein Abschiebungsverbot infolge der allgemeinen Situation der Gewalt im Herkunftsland kommt nur in Fällen ganz extremer Gewalt in Betracht und auch schlechte humanitäre Bedingungen können nur in begründeten Ausnahmefällen ein Abschiebeverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK begründen (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 23 – BVerwGE 146, 12-31; EGMR, U.v. 21.1.2011 – Nr. 30696/09, M.S.S. – NVwZ 2011, 413; v. 28.6.2011 – Nr. 8319/07, Sufi und Elmi – NVwZ 2012, 681 und v. 13.10.2011 – Nr. 10611/09, Husseini – NJOZ 2012, 952).
Für das Vorliegen eines Abschiebeverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG wurde nichts vorgetragen und ist auch in Bezug auf den Kläger als arbeitsfähigen, gesunden jungen Mann unter den in Afghanistan derzeit herrschenden Rahmenbedingungen im Allgemeinen nichts ersichtlich (vgl. zur Reichweite der Schutznorm des § 60 Abs. 5 AufenthG: BayVGH, B.v. 30.9.2015 – 13a ZB 15.30063 und die darin zit. obergerichtliche Rspr.; VG München, U.v. 9.3.2017 – M 17 K 16.35022; VG Lüneburg, U.v. 6.2.2017 – 3 A 140/16 – juris Rn. 55 ff.; vgl. BayVGH, B.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris Rn.12).
2.2. Auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG liegt nicht vor.
2.2.1. Die allgemeine Gefahr in Afghanistan hat sich für den Kläger nicht derart zu einer extremen Gefahr verdichtet, dass eine entsprechende Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG geboten ist. Wann allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Die drohenden Gefahren müssten nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Dies setzt voraus, dass der Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit alsbald nach seiner Ausreise in sein Heimatland in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der er sich weder allein noch mit erreichbarer Hilfe anderer befreien kann, der Ausländer somit gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 29.6.2010 – 10 C 10.09 – juris Rn. 15).
Arbeitsfähige, gesunde junge Männer sind auch ohne besondere Qualifikation, nennenswertes Vermögen und familiären Rückhalt in der Lage, durch Gelegenheitsarbeiten ein kleines Einkommen zu erwirtschaften und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums zu bestreiten, so dass für alleinstehende männliche Staatsangehörige keine extreme Gefahrenlage besteht (BayVGH, B.v. 25.1.2017 – 13a ZB 16.30374 – juris Rn. 12; B.v. 23.1.2017 – 13a ZB 17.30044 – juris Rn. 5; B.v. 17.1.2017 – 13a ZB 16.30929 – juris Rn. 2; B.v. 22.12.2016 – 13a ZB 16.30684 – juris Rn. 7; U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris Rn. 17; VG Lüneburg, U.v. 6.2.2017 – 3 A 140/16 – juris Rn. 60). Gerade Rückkehrer aus dem Westen sind dabei in einer vergleichsweise guten Position. Allein schon durch die gegebenenfalls erworbene Sprachkenntnisse sind ihre Chancen, einen Arbeitsplatz zu erhalten, gegenüber den Flüchtlingen, die in Nachbarländer Afghanistans geflohen sind, wesentlich höher (BayVGH, U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris Rn. 21).
Im Hinblick auf eine mögliche Eigenexistenzsicherung hat der Kläger die hierfür erforderliche Leistungsfähigkeit eines gesunden jungen Mannes (s.o.). Die Chancen des Klägers im Verdrängungskampf um die knappen Arbeitsmarktressourcen sind zum gegenwärtigen Entscheidungszeitpunkt als nicht aussichtslos im Vergleich bei der derzeitigen afghanischen Konkurrenzsituation einzuschätzen.
Nach alledem ist vorliegend davon auszugehen, dass der Kläger in dem nach § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der verwaltungsgerichtlichen Beurteilung der Sach- und Rechtslage im Falle einer zwangsweisen Rückführung in sein Heimatland in der Lage wäre, durch Gelegenheitsjobs in der Herkunftsregion bzw. Kabul City, wohin eine Abschiebung erfolgen würde (vgl. zum Abschiebe Weg Auswärtiges Amt, Lagebericht, S. 26), wenigstens ein Einkommen zu erzielen, damit ein Leben oberhalb des Existenzminimums zu finanzieren und sich allmählich wieder in die afghanische Gesellschaft zu integrieren.
Somit kann von einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht ausgegangen werden.
3. Nach alledem ist auch die vom Bundesamt nach Maßgabe des § 34 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG erlassene Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung rechtmäßig.
4. Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich des zurückgenommenen Teils der Klage auf § 155 Abs. 2 VwGO, im Übrigen auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 83 b AsylG gerichtskostenfrei. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO. Vom Ausspruch einer Abwendungsbefugnis wurde abgesehen, da nicht ersichtlich ist, dass auf Beklagtenseite Kosten entstanden wären. Das Bundesamt verzichtete mit allgemeiner Prozesserklärung vom 24. März 2016 auf Kostenfestsetzungsanträge zur Geltendmachung der Pauschale nach § 162 Abs. 2 Satz 3 VwGO i.V.m. Ziffer 7002 der Anlage zum RVG gegenüber den unterliegenden Asylklägern.

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