Europarecht

Leistungsausschluss von Unionsbürgern im SGB II

Aktenzeichen  S 11 AS 1222/15

Datum:
14.12.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB XII SGB XII § 18 Abs. 1, § 19 Abs. 1, § 21 S. 1, § 23 Abs. 1 S. 3, Abs. 2, Abs. 3 S. 1, § 27 Abs. 1
SGB II SGB II § 7 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 2, Abs. 5, § 9 Abs. 1, Abs. 2, § 23 Abs. 3 S. 1, § 37 Abs. 2 S. 1, S. 2
FreizügG/EU FreizügG/EU § 2 Abs. 2 Nr. 7, § 4a Abs. 1 S. 1
RL 2004/38/EG RL 2004/38/EG Art. 7 Abs. 1
SGB X SGB X § 18

 

Leitsatz

1 Mit dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II hat der Gesetzgeber den Nachrang des deutschen Sozialleistungssystems gegenüber dem des Herkunftslandes normiert. Das ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Auch der aus dem Leistungsausschluss resultierende faktische Zwang, ins Herkunftsland zurückzukehren oder in einen anderen Mitgliedstaat reisen zu müssen, stellt keine Verletzung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums dar (Anschluss an LSG Bayern BeckRS 2016, 72421). (redaktioneller Leitsatz)
2 Ein Daueraufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 2 Nr. 7 iVm § 4a FreizügG/EU verlangt einen ständigen Aufenthalt von fünf Jahren, in dem ein Unionsbürger durchgehend materiell aufenthaltsberechtigt gewesen ist, mithin freizügigkeitsberechtigt war. (redaktioneller Leitsatz)
3 Da die Sozialhilfe erst ab Kenntnis einsetzt (vgl. § 18 SGB XII), auch wenn diese gemäß § 16 Abs. 2 S. 2 SGB I fingiert wird, entsteht der Leistungsanspruch auch bei einer Antragstellung beim SGB II-Leistungsträger erst ab diesem Zeitpunkt. Eine „Vorverlegung“ auf den Monatsersten ist nicht möglich, weil eine dem § 37 Abs. 2 S. 2 SGB II entsprechende Regelung im SGB XII nicht existiert. Eine analoge Anwendung ist ebenfalls nicht denkbar, da weder eine planwidrige Regelungslücke besteht noch eine Vergleichbarkeit der Fälle vorliegt. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage gegen den Beklagten wird abgewiesen.
II.
Der Beigeladene wird verurteilt, der Klägerin Leistungen zur Grundsicherung nach dem Dritten Kapitel des Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (Hilfe zum Lebensunterhalt) im Zeitraum vom 19. August 2015 bis 15. September 2015 nach den gesetzlichen Vorschriften zu bewilligen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III.
Der Beigeladene trägt die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu einem Zehntel. Ansonsten haben die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten.

Gründe

I.
Die Klage gegen den Beklagten ist zulässig aber unbegründet. Der Beigeladene ist im tenorierten Umfang verpflichtet, die Existenzsicherung der Klägerin nach den Vorschriften des SGB XII zu gewährleisten.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II (2.). Sie kann jedoch Hilfe zum Lebensunterhalt von der Beigeladenen nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII beanspruchen (3.) nicht jedoch über den 15.09.2015 hinaus (4.).
1. Streitgegenstand ist die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, die der Beklagte durch Bescheid vom 09.09.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.16.10.2015 abgelehnt hat. Der streitige Zeitraum reicht vom 01.08.2015 bis 31.07.2016. Der Zeitraum beginnt mit der Antragstellung am 16.08.2016 beim Beklagten, als dem „Türöffner“ für das Verwaltungsverfahren (zuletzt BSG vom 24.04.2015 – B 4 AS 22/14 R – SozR 4-4200 § 11 Nr. 71 RdNr. 17). Gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB II wirkt der Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II auf den Ersten des Monats, also den 01.08.2015, zurück.
Der Zeitraum endet am 31.07.2016, da der Beklagte mit Bescheid vom 07.09.2016 der Klägerin auf deren Antrag vom 29.08.2016 hin Leistungen zur Grundsicherung nach dem SGB II für die Zeit ab 01.08.2016 bis 31.01.2017 gewährt hat.
2. Die form- und fristgerecht eingelegte Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs.4 SGG statthaft und zulässig, jedoch nicht begründet, soweit sie sich gegen den Beklagten richtet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Der Beklagte ist nicht verpflichtet, der Klägerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den streitbefangenen Zeitraum ab August 2016 zu gewähren.
Die Klägerin erfüllt zwar zur Überzeugung der Kammer nach dem Ergebnis der durchgeführten mündlichen Verhandlung grundsätzlich die Leistungsvoraussetzungen nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Insbesondere ist sie hilfebedürftig im Sinne des § 9 Abs. 1 und 2 SGB II.
Jedoch ist die Klägerin nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen.
Nach dieser Vorschrift sind ausgeschlossen „Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt und ihre Familienangehörigen“. Die Voraussetzung ist im vorliegenden Fall erfüllt. Das Aufenthaltsrecht der Klägerin kann sich im streitgegenständlichen Zeitraum allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergeben (§ 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern – FreizügG/EU – in der Fassung vom 02.12.2014, BGBl. I S. 1922 – 1925), da sie im streitigen Zeitraum (und bis auf den Zeitraum von Februar 2012 bis Mai 2012, sowie in dem Zeitraum davor) weder Arbeitnehmerin war noch sie über ausreichende Existenzmittel und Krankenversicherungsschutz verfügte.
Der Leistungsausschluss gemäß § 7 Abs.1 Satz 2 Nr. 2 SGB II verstößt dabei weder gegen europäisches Unionsrecht (vgl. Europäischer Gerichtshof – EuGH -, Urteil vom 15.09.2015, Rs. C – 67/14 – Alimanovic, Rn. 57, juris) noch gegen das Grundgesetz (GG), vgl. auch BSG, Urteile vom 03.12.2015, vom 16.12.2015, B 4 AS 44/15 R mit weiteren Nachweisen, vom 16.12.2015, B 14 As 18/14 R und vom 20.01.2016, B 14 AS 35/5 R mit weiteren Nachweisen).
Mit dem Leistungsausschluss für EU-Ausländer, die ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ableiten, hat der Gesetzgeber den Nachrang des deutschen Sozialleistungssystems gegenüber dem des Herkunftslandes normiert. Das ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. Bayerisches Landessozialgericht – LSG -, Beschluss vom 13.10.2015, Az.: L 16 AS 612/15 ER, juris-Rn. 31ff.). Auch der aus dem gesetzlichen Leistungsausschluss resultierende faktische Zwang, ins Herkunftsland zurückzukehren oder in einen anderen Mitgliedstaat reisen zu müssen, weil es dem EU-Ausländer nicht möglich ist, seinen Lebensunterhalt in der Bundesrepublik Deutschland sicherzustellen, stellt keine Verletzung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums dar. Die Situation ist vergleichbar mit der von Auszubildenden und Studenten, die ihre Arbeitskraft für ihren Lebensunterhalt einsetzen müssen (so zu Recht und überzeugend Bayerisches LSG, a. a. O., unter Bezugnahme auf die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu den Leistungsausschlüssen für Studenten und Auszubildende gemäß § 7 Abs. 5 SGB II vom 03.09.2014, Az.: 1 BvR 1768/11, und vom 08.10.2014, Az.: 1 BvR 886/11).
Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II ist auch deshalb auf die Klägerin anzuwenden, da sich diese weder auf eine Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU, welches nicht von dem Leistungsausschluss umfasst ist, noch auf ein Aufenthaltsrecht nach dem Aufenthaltsgesetz (AufenthG) berufen kann, das eine Ausnahme von dem Ausschluss rechtfertigen vermag (vgl. BSG, Urteil vom 03.12.2015 – B 4 AS 44/15 R -, BSGE (vorgesehen), SozR 4-4200 § 7 Nr. 43, SozR 4-3500 § 23 Nr. 1, SozR 4-6090 Art. 24 Nr. 1, Rn. 19, vom 16.12.2015 -B 14 As 18/14 R, Rn. 19).
Die Klägerin ist dabei insbesondere nicht gemäß § 2 Abs. 3 FreizügG/EU aufenthaltsberechtigt, da sie weniger als ein Jahr beschäftigt war und die kurzfristige Beschäftigung im Jahr 2012 länger als sechs Monate zurückliegt (§ 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügG/EU), somit ist die Rückausnahme zu § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II nicht gegeben.
Die Klägerin verfügt auch nicht über ein Daueraufenthaltsrecht im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 7 in Verbindung mit § 4a FreizügG/EU, wie der Beigeladene schriftsätzlich vorgetragen hat.
Nach § 4a Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU haben Unionsbürger, die sich seit fünf Jahren ständig rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten haben, unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 FreizügG/EU, das Recht auf Einreise und Aufenthalt (Daueraufenthaltsrecht). Ein ständiger Aufenthalt von fünf Jahren genügt allein nicht zur Begründung eines Daueraufenthaltsrechts im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 7, 4a FreizügG/EU; vielmehr muss ein Unionsbürger in diesem Zeitraum auch durchgehend materiell aufenthaltsberechtigt gewesen sein. Mit dem Begriff des rechtmäßigen Aufenthalts wird auf die materiellen Freizügigkeitsvoraussetzungen abgestellt und somit unionsrechtlich vorausgesetzt, dass der Betreffende während einer Aufenthaltszeit von mindestens fünf Jahren ununterbrochen die Freizügigkeitsvoraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 2004/38/EG, die durch das FreizügG/EU in nationales Recht umgesetzt worden sind, erfüllt hat (vgl. Urteil LSG – Nordrhein-Westfalen vom 11.04.2016, Az: L 19 AS 555/15 mit weiteren Nachweisen).
Der fünfjährige Aufenthalt eines Unionsbürgers verbunden mit der im FreizügG/EU enthaltenen generellen Freizügigkeitsvermutung begründet daher allein kein Daueraufenthaltsrecht im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 7, 4a FreizügG/EU und steht auch nicht einer Verlustfeststellung nach § 5 Abs. 4, 6 FreizügG/EU entgegen (vgl. Urteil des LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, a. a. O. mit weiteren Nachweisen). Ein Daueraufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 2 Nr. 7, 4a Abs. 1 FreizügG/EU setzt vielmehr einen fünfjährigen, auf Unionsrecht beruhenden rechtmäßigen Aufenthalt voraus.
Diese Voraussetzungen erfüllt die Klägerin nicht. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob das maßgebende Ereignis für den Fristbeginn der 5-Jahres Frist gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 7, 4a FreizügG/EU der 10.02.2011 ist, oder – wie das Landratsamt L., Amt für Ausländer und Personenstandswesen ausgeführt hat – der 01.10.2011. Weder seit dem 10.02.2011 noch seit dem 01.10.2011 hat die Klägerin ununterbrochen über ausreichende Existenzmittel verfügt, um ihren Lebensunterhalt und Krankenversicherungsschutz selbst zu decken. Bis auf einen kurzen Zeitraum im Jahr 2012 war die Klägerin unstreitig weder als Arbeitnehmerin noch als Selbstständige tätig. Sie verfügte nicht über ausreichende Existenzmittel und bezog nachweislich in den Zeiträumen vom 01.11.2011 bis 31.10.2013, 13.05.2014 bis 30.06.2014 und 21.07.2014 bis 30.06.2015 Leistungen zur Grundsicherung nach dem SGB II von der Beklagten. Ob die Klägerin, wie in der mündlichen Verhandlung vom 14.12.2016 vorgetragen, ab dem 25.11.2016 tatsächlich eine Arbeitnehmertätigkeit ausübt, kann dahinstehen bleiben, da dies nicht den streitgegenstandsrelevanten Zeitraum betrifft.
Anhaltspunkte für ein anderes Aufenthaltsrecht im Sinne des AufenthG sind ebenfalls nicht ersichtlich oder vorgebracht (vgl. zum Vorliegen eines anderen Aufenthaltsrechts nur: BSG vom 30.01.2013 – B 4 AS 54/12 R – BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr. 34, RdNr. 30 ff; BSG vom 25.01.2012 – B 14 AS 138/11 R – SozR 4-4200 § 7 Nr. 28, RdNr. 20 ff). Die beantragte Einbürgerung begründet ebenfalls kein Aufenthaltsrecht in Deutschland, sondern setzt ein solches vielmehr voraus.
3.) Die Klägerin hat einen Leistungsanspruch gegen den Beigeladenen gemäß § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII in gesetzlicher Höhe.
a.) Die Klägerin war leistungsberechtigt im Sinne des Sozialhilferechts, weil sie im streitigen Zeitraum ihren Lebensunterhalt nicht i. S. des § 19 Abs. 1 SGB XII i. V. m. § 27 Abs. 1 SGB XII aus eigenen Kräften und Mitteln decken konnte.
Nach § 19 Abs. 1 SGB XII ist Personen Hilfe zum Lebensunterhalt zu leisten, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln bestreiten können. Dies war bei den Klägern, wie eingangs dargelegt, im streitigen Zeitraum der Fall.
b) Einem Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII stand auch eine mangelnde Kenntnis der Beigeladenen von der Bedürftigkeit der Kläger im streitigen Zeitraum nicht entgegen. Die Klägerin hat zwar „nur“ Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bei dem Beklagten beantragt. Die nach § 18 Abs. 1 SGB XII erforderliche Kenntnis der Beigeladenen von dem Bedarf der Klägerin liegt jedoch gleichwohl vor. Die Beigeladene muss sich insoweit die Kenntnis des Beklagten aufgrund des Antrags auf SGB II-Leistungen nach der gefestigten Rechtsprechung des BSG zurechnen lassen (BSG vom 02.12.2014 – B 14 AS 66/13 R – SozR 4-4200 § 7 Nr. 42 RdNr. 25; BSG vom 13.02.2014 – B 8 SO 58/13 B – SozR 4-3500 § 25 Nr. 4 RdNr. 8; BSG vom 26.08.2008 – B 8/9b SO 18/07 R – SozR 4-3500 § 18 Nr. 1 RdNr. 22 ff). Kenntnis des Beigeladenen in diesem Sinne lag aufgrund der analogen Anwendung des § 16 Abs. 2 Satz 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) demnach mit der Antragstellung beim Beklagten ab dem 19.08.2016 vor. Da die Sozialhilfe erst ab Kenntnis einsetzt (vgl. § 18 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – SGB X -), auch wenn diese gemäß § 16 Abs. 2 Satz 2 SGB I fingiert wird, entsteht der Leistungsanspruch gegen den Beigeladenen erst ab diesem Zeitpunkt. Eine „Vorverlegung“ auf den Monatsersten ist nicht möglich, weil eine dem § 37 Abs. 2 Satz 2 SGB II entsprechende Regelung im Zusammenhang mit der Hilfe zum Lebensunterhalt nicht existiert. Eine analoge Anwendung ist ebenfalls nicht denkbar, da weder eine planwidrige Regelungslücke besteht noch eine Vergleichbarkeit der Fälle. Der Gesetzgeber wollte bewusst keine Vorverlegung der Kenntnis auf den Monatsersten, ansonsten hätte er dies entsprechend geregelt.
c.) Die Hilfe zum Lebensunterhalt ausschließende Tatbestände sind nicht gegeben.
aa.) Die Klägerin war nicht nach § 21 Satz 1 SGB XII von der Hilfe zum Lebensunterhalt ausgeschlossen. § 21 Satz 1 SGB XII bestimmt, dass Personen, die nach dem SGB II als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind, keine Leistungen für den Lebensunterhalt erhalten. Die Klägerin war im streitigen Zeitraum nicht dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem SGB II, weil sie dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II unterfiel. Dies führt dazu, sie dem System des SGB XII zuzuweisen (vgl. BSG, Urteil vom 03.12.2015 – B 4 AS 44/15 R -, BSGE (vorgesehen), SozR 4-4200 § 7 Nr. 43, SozR 4-3500 § 23 Nr. 1, SozR 4-6090 Art. 24 Nr. 1, Rn. 40).
bb.) Ferner ist auch kein Ausschluss gemäß § 23 Abs. 2 SGB XII nicht gegeben, da die Klägerin nicht nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes leistungsberechtigt ist.
cc.) Ebenso ist ein Leistungsausschluss nach § 23 Abs. 3 Satz1, Alt. 1 SGB XII ausgeschlossen. Es mangelt hier insoweit an dem finalen Zusammenhang zwischen Einreise und Sozialhilfebezug (vgl. BSG vom 18.11.2014 – B 8 SO 9/13 R – BSGE (vorgesehen) = SozR 4-3500 § 25 Nr. 5, RdNr. 25). Dieser Zusammenhang liegt vor, wenn der Zweck, Sozialhilfe zu erlangen, den Einreiseentschluss geprägt hat. Wie das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) dies bereits zu der wortgleichen Vorschrift des § 120 Abs. 3 Satz 1 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) entschieden hat, bezeichnet schon die Konjunktion „um ( …) zu ( …)“ ein ziel- und zweckgerichtetes Handeln und damit eine Zweck-Mittel-Relation, in der die Einreise das Mittel und die Inanspruchnahme von Sozialhilfe den mit ihr verfolgten Zweck bildet (vgl. BVerwG vom 04.06.1992 – 5 C 22/87 – BVerwGE 90, 212, 214; im Anschluss daran etwa LSG Berlin-Brandenburg vom 10.09.2009 – L 23 SO 117/06 – juris-RdNr. 27 f; LSG Nordrhein-Westfalen vom 12.01.2009 – L 20 B 58/08 AY – juris-RdNr. 25 ff; LSG Niedersachsen-Bremen vom 27.11.2008 – L 8 SO 173/08 ER – juris-RdNr. 20 f). Nach der unwiderlegten Einlassung der Klägerin war Zweck der Einreise bzw. deren Hauptmotiv nicht die Erlangung von Sozialhilfeleistungen, sondern die Arbeitssuche.
dd.) Schließlich ist auch der Leistungsausschluss gemäß § 23 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 SGB II nicht maßgeblich. Die Voraussetzungen dieser Norm liegen zwar vor, sofern man von einem Aufenthaltsrecht zur Arbeitssuche der Klägerin ausgeht. Diese Norm bewirkt jedoch einen Leistungsausschluss nur im Hinblick auf den Rechtsanspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt gemäß § 23 Abs. 1 Satz1 SGB XII (vgl. BSG vom 03.12.2015, a. a. O., Rn. 51, 52), nicht jedoch im Hinblick auf die im Ermessen stehenden Leistungen der Sozialhilfe gemäß § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII.
d.) Anspruchsgrundlage auf Leistungen zur Hilfe zum Lebensunterhalt ist § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII. Nach der vom BSG entwickelten und gefestigten Rechtsprechung (BSG, a. a. O., Rn. 53), welcher das Gericht folgt, ergibt sich der Leistungsanspruch aus § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII für den tenorierten Zeitraum deshalb, da das Ermessen des Sozialhilfeträgers in einem Fall wie dem vorliegenden dem Grunde und der Höhe nach hinsichtlich der Hilfe zum Lebensunterhalt auf Null reduziert ist.
So ist nach der Auffassung des BSG die Reduzierung auf „O“ stets dann gegeben, wenn sich das Aufenthaltsrecht des ausgeschlossenen Ausländers verfestigt hat, was regelmäßig bei einem sechsmonatigen Aufenthalt in Deutschland der Fall sein soll (BSG, a. a. O., Rn. 53 ff).
Da im vorliegenden Fall von der zuständigen Behörde im streitgegenständlichen Zeitraum noch keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen getroffen worden sind und sich die Klägerin zu diesem Zeitpunkt auch mehr als sechs Monate in Deutschland aufhielt, liegt eine Ermessensreduzierung auf „O“ vor.
Umstände, wonach von einer Ermessensreduzierung abzusehen ist, sind weder vorgetragen noch erkennbar. Derartige Umstände können insbesondere vorliegen, wenn die tatsächlichen Lebensumstände des Unionsbürgers darauf schließen lassen, dass er nicht auf Dauer im Inland verweilen wird. Gleiches gilt, wenn die Ausländerbehörde bereits konkrete Schritte zur Beendigung des Aufenthalts eingeleitet hat (BSG, Urteil vom 03.12.2015 – B 4 AS 44/15 R -, BSGE (vorgesehen), SozR 4-4200 § 7 Nr. 43, Rn. 58). Konkrete Schritte der Ausländerbehörde zur Beendigung des Aufenthalts wurden zumindest für den streitgegenständlichen Zeitraum nicht eingeleitet, ferner wollte bzw. will sich die Klägerin auch dauerhaft im Inland aufhalten.
Der Klage war insoweit stattzugeben.
4.) Die Klage gegen den Beigeladenen war insoweit abzuweisen, als sie auf Leistungsansprüche gegen den Beigeladenen über den 15.09.2015 hinaus gerichtet ist.
Unabhängig von der Frage des Bestehens einer Anspruchsgrundlage gemäß § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII für diesen Zeitraum war die Klage insofern unzulässig, als der Beigeladene die Leistungsansprüche der Klägerin mit Bescheid vom 02.10.2015 für den Zeitraum ab 16.09.2015 bestandskräftig ablehnte.
Im Rahmen des Bescheides vom 02.10.2015 nahm der Beigeladene Bezug auf den bei ihm gestellten Antrag der Klägerin vom 16.09.2015. Der Zeitpunkt der Ablehnung bezieht sich daher, unter Zugrundelegung der tatsächlichen Kenntnis am 16.09.2015 gemäß § 18 SGB X und dem ausdrücklichen Regelungswillen der Behörde auf diesen Zeitpunkt bzw. Zeitraum.
Die im Bescheid vom 02.10.2015 geregelte Ablehnung ist bestandskräftig. Der Akteninhalt des Beigeladenen enthält kein Schreiben der Klägerin, welches innerhalb der Widerspruchsfrist gem. § 84 SGG Abs.1 S.1 SGG beim Beigeladenen zuging und als Widerspruch gegen diesen Bescheid ausgelegt werden kann.
Die Ablehnung durch den Beigeladenen mit Bescheid vom 02.10.2015 ist daher bestandskräftig und somit unanfechtbar. Die Klage war insoweit abzuweisen.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG und entspricht dem Obsiegen bzw. Unterliegen der Klägerin.

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