Verwaltungsrecht

Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts eines kroatischen Staatsangehörigen bei Handeltreiben mit Betäubungsmitteln

Aktenzeichen  M 12 K 16.2918

Datum:
24.11.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FreizügG/EU FreizügG/EU § 6 Abs. 1, Abs. 4, Abs. 5

 

Leitsatz

1 Die elfmonatige Inhaftierung eines Unionsbürgers führt zur Unterbrechung der Kontinuität seines Aufenthalts in der Bundesrepublik und bewirkt, dass der verstärkte Schutz des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU für ihn nicht zur Anwendung kommt, selbst wenn er sich vor seiner Inhaftierung mehr als zehn Jahre im Bundesgebiet aufgehalten hat. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Entscheidung des EuGH vom 16. Januar 2014 (EUGH BeckRS 2014, 80039). (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Die für den Verlust des Freizügigkeitsrechts bei nach § 4a FreizügG/EU Daueraufenthaltsberechtigten vorausgesetzten schwerwiegenden Gründe liegen vor, wenn die vom betroffenen Unionsbürger ausgehenden Beeinträchtigungen zu schweren Gefahren für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit führen. Hierfür ist eine erhebliche Gefahr der Begehung mindestens mittlerer oder schwerer Straftaten oder einer Gefährdung der inneren Sicherheit erforderlich. (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Gerade der Handel mit Betäubungsmitteln, der die Abhängigkeit anderer Drogenkonsumenten aufrecht erhält oder verstärkt und der auf eine Erweiterung des Kundenkreises von bisher nicht abhängigen Personen angelegt ist, führt zu erheblichen Gefahren für die Gesellschaft, deren Abwehr im Interesse des Schutzes der öffentlichen Ordnung auch einschneidende Maßnahmen rechtfertigt (vgl. BVerwG BeckRS 2013, 52674). (red. LS Clemens Kurzidem)
4 Liegt bei einem Unionsbürger die Ursache von ihm begangener Straftaten (auch) in der Suchtmittelabhängigkeit, so ist die erfolgreiche Absolvierung einer Therapie zwingende Voraussetzung für ein denkbares Entfallen der Wiederholungsgefahr (vgl. VGH München BeckRS 2015, 46385). (red. LS Clemens Kurzidem)
5 Sind von einem Unionsbürger auch künftig Straftaten von erheblichem Gewicht zu erwarten, steht der Annahme „schwerwiegender Gründe“ im Sinne von § 6 Abs. 4 FreizügG/EU nicht entgegen, dass er nicht wegen einer einzelnen Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist (vgl. VG Saarlouis BeckRS 2010, 56795). (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet, da der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. Satz 1 VwGO).
I.
Die Feststellung, dass der Kläger sein Recht auf Einreise und Aufenthalt verloren hat, ist rechtmäßig im Sinne von § 6 FreizügG/EU.
Maßgeblicher Zeitpunkt der Sach- und Rechtslage ist dabei der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. der Entscheidung des Tatsachengerichts (vgl. BayVGH B.v. 10.10.2013 – 10 ZB 11.607 – juris; BVerwG U. v. 3.8.2004 – 1 C 30/02 – juris).
Die Beklagte geht in dem streitgegenständlichen Bescheid zutreffend davon aus, dass beim Kläger, der ein Daueraufenthaltsrecht erworben hat, nach § 6 Abs. 1 und 4 FreizügG/EU die Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet aus schwerwiegenden Gründen getroffen werden konnte. Rechtsgrundlage für die Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts ist vorliegend § 6 Abs. 1 und 4 FreizügG/EU. Auf den höheren Schutz nach § 6 Abs. 5 FreizügG/EU kann sich der Kläger nicht berufen.
Nach § 6 Abs. 5 Satz 1 FreizügG/EU darf eine Feststellung nach Absatz 1 bei Unionsbürgern, die ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit getroffen werden.
Die Tatsache, dass sich der Kläger elf Monate im Gefängnis befunden hat, unterbricht die Kontinuität des Aufenthalts und führt dazu, dass der verstärkte Schutz des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU für den Kläger nicht gilt, obwohl er sich vor seiner Inhaftierung mehr als zehn Jahre im Bundesgebiet aufgehalten hat. Dafür spricht schon der Wortlaut („in den letzten zehn Jahren“) und die Tatsache, dass Gefängnisaufenthalte auch für das Erreichen eines Daueraufenthaltsrechts schädlich sind. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Entscheidung des EuGH vom 16. Januar 2014 (EUGH, U. v. 16.1.2014 – C-400/12 – juris). Dort spricht der EuGH zwar widersprüchlich einmal davon, dass die Verbüßung einer Freiheitsstrafe die Kontinuität des Aufenthalts grundsätzlich unterbricht (Ziffer 33) und an anderer Stelle, dass der Gefängnisaufenthalt grundsätzlich nur geeignet ist, die Kontinuität des Aufenthalts zu unterbrechen. Jedenfalls führt die geforderte Einzelfallprüfung (Ziffer 35) nach Auffassung des Gerichts dazu, dass die Kontinuität des Aufenthalts durch die Haft unterbrochen wurde. Bereits vor der Inhaftierung bestanden nur geringe Integrationsverbindungen im Bundesgebiet. So hat der Kläger keine Ausbildung abgeschlossen, stets nur in geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen gearbeitet und war von 2011 bis zu seiner Inhaftierung 2015 arbeitslos. Allein aus dem langen Aufenthalt im Bundesgebiet kann nicht auf eine Kontinuität geschlossen werden. Der Kläger kann sich somit nicht auf den besonderen Schutz nach § 6 Abs. 5 FreizügG/EU berufen (vgl. Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Auflage 2015, § 6 FreizügG/EU Rn. 64 m. w. N).
Der Verlust des Freizügigkeitsrechts kann – unabhängig von den Verlustgründen nach § 5 Abs. 5 FreizügG/EU – nach § 6 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit festgestellt werden. Dabei genügt die Tatsache einer strafrechtlichen Verurteilung für sich allein nicht, um die in Abs. 1 genannten Entscheidungen oder Maßnahmen zu begründen, § 6 Abs. 2 Satz 1 FreizügG/EU. Es dürfen nur im Bundeszentralregister noch nicht getilgte strafrechtliche Verurteilungen und diese nur insoweit berücksichtigt werden, als die ihnen zugrunde liegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt, § 6 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU. Es muss eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, § 6 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU. Bei dieser Entscheidung sind insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Betroffenen in Deutschland, sein Alter, sein Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration in Deutschland und das Ausmaß seiner Bindung zum Herkunftsland zu berücksichtigen, § 6 Abs. 3 FreizügG/EU. Nach Erwerb des Daueraufenthaltsrechts darf die Feststellung nur aus schwerwiegenden Gründen getroffen werden, § 6 Abs. 4 FreizügG/EU.
Dabei besagt das Erfordernis einer gegenwärtigen Gefährdung der öffentlichen Ordnung nicht, dass eine „gegenwärtige Gefahr“ im Sinne des deutschen Polizeirechts vorliegen muss, die voraussetzt, dass der Eintritt des Schadens sofort und nahezu mit Gewissheit zu erwarten ist. Es verlangt vielmehr eine hinreichende – unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit nach dem Eintritt des möglichen Schadens und dem Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu differenzierende – Wahrscheinlichkeit, dass der Ausländer künftig die öffentliche Ordnung beeinträchtigen wird.
Die bei Inhabern des Daueraufenthaltsrechts nach § 4a FreizügG/EU vorausgesetzten schwerwiegenden Gründe liegen vor, wenn die drohende Beeinträchtigung zu schweren Gefahren für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit führt. Die erhebliche Gefahr mindestens mittlerer oder schwerer Straftaten oder für die innere Sicherheit ist daher erforderlich, um schwerwiegende Gründe im Sinne des § 6 Abs. 4 FreizügG/EU annehmen zu können (Hailbronner, Kommentar zum AuslR, Stand: 81. Aktualisierung April 2013, FreizügG/EU, § 6 Rn. 68).
Zu Recht ist die Beklagte davon ausgegangen, dass in der Person des Klägers eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, und dass diese gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung schwerwiegend ist.
Die strafrechtliche Verurteilung wegen vorsätzlichen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln stellt im vorliegenden Fall eine Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit im Sinne des § 6 Abs. 1 und 4 FreizügG/EU dar. Es liegen schwerwiegende Gründe vor. Zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit liegen bei schweren Rauschgiftdelikten vor, die regelmäßig mit einer hohen kriminellen Energie verbunden sind und das Leben und die Gesundheit anderer Menschen in schwerwiegender Weise gefährden. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit Urteil vom 23. November 2010 (C-145/09 – juris) auf die Bedeutung und Schädlichkeit des Drogenhandels sowohl für den Einzelnen als auch für die Mitgliedstaaten hingewiesen. Gefahren, die vom illegalen Handel mit Betäubungsmitteln ausgehen, schwerwiegend sind und ein Grundinteresse der Gesellschaft berühren. Gerade der Handel mit Betäubungsmitteln, der die Abhängigkeit anderer Drogenkonsumenten aufrecht erhält oder verstärkt und der auf eine Erweiterung des Kundenkreises von bisher nicht abhängigen Personen angelegt ist, führt zu erheblichen Gefahren für die Gesellschaft, deren Abwehr im Interesse des Schutzes der öffentlichen Ordnung auch einschneidende Maßnahmen rechtfertigt (vgl. BVerwG U.v. 14.5.2013 – 1 C 13.12; BayVGH U.v. 27.9.2012 – 10 B 10.1084, beide juris). Die betroffenen Schutzgüter des Lebens und der Gesundheit nehmen in der Hierarchie der in den Grundrechten enthaltenen Wertordnung einen hohen Rang ein (vgl. EuGH, U.v. 23.11.2010 – C-145/9 – juris Rn. 45 ff.; BayVGH, B.v. 6.5.2015 -10 ZB 15.231 – juris Rn. 4). Illegaler Drogenhandel gehört auch zu den in Art. 83 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV angeführten Straftaten im Bereich der schweren Kriminalität.
Auch die Wiederholungsgefahr, von der die Beklagte beim Kläger ausgegangen ist, liegt weiterhin vor. Ob eine Wiederholungsgefahr in diesem Sinne besteht, kann nicht gleichsam automatisch bereits aus der Tatsache einer strafrechtlichen Verurteilung geschlossen, sondern nur aufgrund einer individuellen Würdigung der Umstände des Einzelfalls beurteilt werden. Dabei ist u. a. zu prüfen, ob eine etwaige Verbüßung der Strafe erwarten lässt, dass der Unionsbürger künftig keine die öffentliche Ordnung gefährdende Straftat mehr begehen wird (vgl. BVerwG, U.v. 3.8.2004 – 1 C 30/02 – juris Rn. 26 m. w. N.). Liegt, wie beim Kläger, die Ursache der begangenen Straftaten (auch) in der Suchtmittelabhängigkeit, so ist nach ständiger Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs die erfolgreiche Absolvierung einer Therapie zwingende Voraussetzung für ein denkbares Entfallen der Wiederholungsgefahr (vgl. BayVGH, B.v. 10.10.2012 – 10 ZB 11.2454 – juris Rn. 9; B.v. 6.5.2015 – 10 ZB 15.231 – juris Rn. 7). Die Therapiebestrebungen des Klägers ändern nichts am Bestehen der Wiederholungsgefahr, denn zum Zeitpunkt der Entscheidung liegt noch nicht ansatzweise eine abgeschlossene Therapie vor, die jedoch Voraussetzung für das Entfallen einer Wiederholungsgefahr wäre (vgl. BayVGH, B.v. 17.12.2015 – 10 ZB 15.1394 – juris Rn. 17; B.v. 26.11.2015 – 10 ZB 14.1800 – juris Rn. 7 m. w. N.; VG München, U. v. 21.4.2016 – M 12 K 16.649 – juris Rn. 41). Die beim Kläger vorliegende – offensichtliche massive – Drogensucht ist nicht therapiert (vgl. hierzu BayVGH, B. v. 15.12.2015 – 10 ZB 13.2665 – juris Rn. 8). Wie das Amtsgericht München in seinem Urteil vom 30. Oktober 2015 feststellt, ist ohne die Bekämpfung des Hangs des Klägers, Drogen zu konsumieren mit weiteren Straftaten zu rechnen. Es ist nicht absehbar, ob der Kläger eine Therapie erfolgreich abschließen wird. Laut einer Stellungnahme des …Klinikums vom 27. Oktober 2016 ist der Kläger mehrmals disziplinarisch aufgefallen. Es besteht bei ihm keine authentische Therapiemotivation. Die Behandlungsprognose wird als ungünstig eingeschätzt. Daher kann derzeit nicht von Drogenfreiheit und damit von einem Entfallen der Wiederholungsgefahr die Rede sein. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, den Verlauf einer begonnenen Therapie oder gar den Verlauf der Strafhaft abzuwarten, bevor sie über eine Ausweisung entscheidet (vgl. BVerwG, B.v. 15.4.2013 – 1 B 22.12 – juris). Dazu kommt, dass der Kläger wegen verschiedener Delikte und mit hoher Rückfallgeschwindigkeit erheblich vorbestraft ist (versuchter Diebstahl im Jahr 2009, Körperverletzung im Jahr 2010, Betrug und Hausfriedensbruch im Jahr 2010, Körperverletzung im Jahr 2011, Beleidigung im Jahr 2013). Der Kläger geht keiner Beschäftigung nach, so dass davon auszugehen ist, dass der Kläger seinen Unterhalt und seine Sucht (Drogen) weiterhin durch Straftaten finanzieren würde. Dafür spricht auch die hohe Rückfallgeschwindigkeit der Straftaten. Es ist daher mit einer hohen Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Kläger bei einem Verbleib bzw. einer Wiedereinreise in das Bundesgebiet erneut massiv straffällig würde.
Da vom Kläger auch künftig weiterhin Straftaten von erheblichem Gewicht zu erwarten sind, steht der Annahme „schwerwiegender Gründe“ im Sinne von § 6 Absatz 4 FreizügG/EU nicht entgegen, dass der Kläger nicht wegen einer einzelnen Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist (vgl. VG Saarlouis, U.v. 28.10.2010 – 10 K 5/10 – juris).
Zwar ist nach Nr. 6.4.1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Freizügigkeitsgesetz/EU des Bundesministeriums des Innern vom 26.10.2009 (GMBl. 2009, 1270) die Annahme schwerwiegender Gründe, die nach Erwerb des Daueraufenthaltsrechts gemäß § 4a FreizügG/EU zum Verlust des Aufenthaltsrechts führen können, insbesondere bei drohender Wiederholung von Verbrechen und besonders schweren Vergehen gerechtfertigt, wenn der Betroffene wegen eines einzelnen Deliktes rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden und die Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Ebenso die Gesetzesbegründung zu § 6 Absatz 3 FreizügG/EU a. F., der eine Verlustfeststellung nach Erwerb eines Daueraufenthaltsrechts nur aus „besonders schwerwiegenden Gründen“ vorsah (vgl. BT-Drs. 15-240 (105) zu Abs. 3).
Hierbei handelt es sich indes lediglich um ein Regelbeispiel, welches es nicht ausschließt, im Einzelfall nach Verurteilung wegen schwerwiegender Straftaten aufgrund des abgeurteilten Verhaltens des Unionsbürgers und der insoweit anzustellenden aktuellen Gefährdungsprognose gleichwohl eine schwerwiegende, das Grundinteresse der Gesellschaft berührende Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung anzunehmen.
In Anbetracht der soweit fortbestehenden gegenwärtigen Gefahr, dass der Kläger hinsichtlich der Begehung weiterer schwerwiegender Straftaten wieder rückfällig wird, geht auch das staatliche Interesse des Schutzes der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dem klägerischen Interesse an einem Fortbestehen seines Rechts auf Einreise und Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland eindeutig vor.
Die Beklagte hat die persönlichen Interessen des Klägers ausreichend berücksichtigt und zutreffend gewichtet. Das Gericht kann die Ermessensentscheidung der Beklagten gemäß § 114 Satz 1 VwGO lediglich daraufhin überprüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist. Gemessen an diesen Vorgaben ist die Entscheidung der Beklagten nicht zu beanstanden.
Nach § 6 Abs. 3 FreizügG/EU sind bei der Verlustfeststellung insbesondere Dauer des Aufenthalts des Betroffenen in Deutschland, sein Alter, sein Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration in Deutschland und das Ausmaß seiner Bindungen zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen. Daneben spielen die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bedrohten Rechtsguts, sowie die Entwicklung und die Lebensumstände des Klägers eine wichtige Rolle (vgl. BayVGH, B.v. 23.11.2010 – 19 ZB 10.584 – juris). In dem streitgegenständlichen Bescheid hat die Beklagte alle für den Kläger maßgeblichen Umstände berücksichtigt und sich auch mit den Schutzgütern des Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention -EMRK- und des Art. 6 GG auseinandergesetzt.
Einen Verstoß gegen Art. 8 EMRK hat die Beklagte zu Recht verneint. Nach Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens. Der Eingriff einer Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nur statthaft, soweit er gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist, vgl. Art. 8 Abs. 2 EMRK. Ein Eingriff in die Schutzgüter des Art. 8 EMRK kommt dann in Betracht, wenn der Betroffene im Aufenthaltsstaat über intensive persönliche und familiäre Bindungen verfügt, insbesondere bei Ausländern, die aufgrund ihrer gesamten Entwicklung faktisch zu Inländern geworden sind und denen wegen der Besonderheiten des Einzelfalles ein Leben im Staat ihrer Staatsangehörigkeit, zu dem sie keinen Bezug haben, nicht zuzumuten ist (vgl. BVerwG U. v. 29.9.1998 – 1 C 8/96 – juris)
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die Ermessensentscheidung der Beklagten nicht zu beanstanden. Zutreffend hat die Beklagte gewürdigt, dass der Kläger den Status eines faktischen Inländers hat, es ihm aber zuzumuten ist, sich für eine Zeit in Kroatien aufzuhalten. Er spricht kroatisch. Seine Großmutter lebt dort. Auch dort kann er weiterhin von seiner Mutter finanziell unterstützt werden. Mangels beruflicher Qualifikation wird es dem Kläger in jedem Land schwerfallen, sich beruflich zu integrieren. Bzgl. des Bedürfnisses, die familiären Bindungen zu pflegen bzw. aufzubauen, kann der volljährige Kläger auf Telefonate, Briefe und einzelne Besuche verwiesen werden. Auf die weiteren Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid wird insoweit Bezug genommen, § 117 Abs. 5 VwGO.
II.
Die in Ziffer 2 des angegriffenen Bescheides verfügte Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots auf sechs Jahre begegnet ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 7 Abs. 2 FreizügG/EU. Die festgesetzte Frist von sechs Jahren erscheint jedenfalls angemessen, um dem beim Kläger bestehenden hohen Gefahrenpotential Rechnung zu tragen.
III.
Die Abschiebungsandrohung in Ziffer 3 des Bescheids entspricht § 7 Abs. 1 Satz 2 FreizügG/EU.
IV.
Daher war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 5.000,- festgesetzt (§ 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz -GKG-).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,– übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.

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