Verwaltungsrecht

Erfolglose Asylklage afghanischer Staatsangehöriger der Volksgruppe Hazara aus der Provinz Balkh

Aktenzeichen  M 25 K 16.32616

Datum:
23.11.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 132103
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
EMRK Art. 15 Abs. 2

 

Leitsatz

Die wirtschaftliche Lage in Afghanistan ist zwar weiterhin schlecht, soziale Sicherungssysteme existieren praktisch nicht, die soziale Absicherung liegt bei den Familien- und Stammesverbänden, aber sie ist nicht so ernst, dass eine Abschiebung ohne Weiteres gegen die EMRK verstoßen würde. (Rn. 41 – 43) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 23. November 2016 entschieden werden, obwohl die Beklagte nicht erschienen ist. Denn in der Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden könne (§ 102 Abs. 2 VwGO). Die Beklagte ist form- und fristgerecht geladen worden.
Die Klage ist zulässig, bleibt aber in der Sache ohne Erfolg. Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamtes ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 und 5 VwGO).
Die Kläger haben im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG oder auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG oder die Feststellung nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5, 7 AufenthG. Auch die vom Bundesamt nach Maßgabe des § 34 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG erlassene Abschiebungsandrohung sowie das festgesetzte Einreise- und Aufenthaltsverbot von dreißig Monaten sind nicht zu beanstanden.
1. Die Kläger haben keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG.
Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (GK), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe – zur Definition dieser Begriffe vgl. § 3b Abs. 1 AsylG – außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, (a) dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder (b) in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten zunächst Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG), ferner Handlungen, die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG). § 3a Abs. 2 AsylG nennt als mögliche Verfolgungshandlungen beispielhaft u.a. die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt, sowie gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden. Dabei muss gemäß § 3a Abs. 3 AsylG zwischen den Verfolgungsgründen im Sinne von §§ 3 Abs. 1 und 3b AsylG und der Verfolgungshandlung bzw. den Verfolgungshandlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen.
Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die genannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (BVerwG U. v. 20.2.2013 – 10 C 23.12, NVwZ 2013, 936).
Nach § 3c AsylG kann die Verfolgung ausgehen von (1.) dem Staat, (2.) Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder (3.) von nicht staatlichen Akteuren, sofern die in den Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
Ausgehend von diesen Grundsätzen liegen die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht vor.
Eine relevante Verfolgung in diesem Sinne haben die Kläger nicht vorgebracht. Die vorgebrachte Tötung des Vaters und des Bruders des Klägers zu 1. durch die Taliban im Jahr 2000 ist nach dem Sturz der Taliban unbeachtlich. Irgendeine sonstige Verfolgung haben die Kläger, die bis ihrer Ausreise völlig unbehelligt in Afghanistan gelebt haben, nicht vorgebracht.
Die Kläger sind bei einer Rückkehr aufgrund der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara keiner politischen oder politisch motivierten Verfolgung ausgesetzt (BayVGH, U.v. 1.2.2013 – 13a B 12.30045; B.v. 1.12.2015 – 13a ZB 15.30224). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnischen Minderheiten. Die Situation der Hazara hat sich grundsätzlich verbessert (vgl. Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan vom 19.10.2016, S. 9). Auch vereinzelte Angriffe regierungsfeindlicher Kräfte auf Hazara (z.B. 23.07.2016 in Kabul) stellen singuläre terroristische Attacken dar, die an dieser Einschätzung nichts ändern.
2. Die Kläger haben keinen Anspruch auf die hilfsweise begehrte Zuerkennung von subsidiärem Abschiebungsschutz nach § 4 AsylG (§ 60 Abs. 2, 3, 7 Satz 2 AufenthG a.F.).
Solcher ist einem Ausländer zuzuerkennen, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:
1.Die Verhängung der Todesstrafe,
2.Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 AsylG). Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend (§ 4 Abs. 3 AsylG).
a) Die Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG liegen nicht vor. Den Klägern droht nicht die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe.
b) Den Klägern droht kein ernsthafter Schaden i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG. Wann eine „unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung“ vorliegt, hängt vom Einzelfall ab. Eine Schlechtbehandlung einschließlich Bestrafung muss jedenfalls ein Minimum an Schwere erreichen, um in den mit § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG insoweit identischen Schutzbereich des Art. 3 EMRK zu fallen.
Abstrakt formuliert sind unter einer menschenrechtswidrigen Schlechtbehandlung Maßnahmen zu verstehen, mit denen unter Missachtung der Menschenwürde absichtlich schwere psychische oder physische Leiden zugefügt werden und mit denen nach Art und Ausmaß besonders schwer und krass gegen Menschenrechte verstoßen wird (vgl. Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl. 2013, § 60 AufenthG Rn. 35 zur Vorgängerregelung des § 60 Abs. 2 AufenthG a.F.). Dies gilt gemäß §§ 4 Abs. 3 i.V.m. 3c, 3d AsylG. auch dann, wenn die Gefahr von nichtstaatlichen Akteuren ausgeht und kein ausreichender staatlicher oder quasistaatlicher Schutz zur Verfügung steht. Es müssen konkrete Anhaltspunkte oder stichhaltige Gründe dafür glaubhaft gemacht werden, dass der Ausländer im Fall seiner Abschiebung einem echten Risiko oder einer ernsthaften Gefahr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt wäre (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Stand 1.11.2012, § 60 AufenthG Rn. 124 zur Vorgängerregelung des § 60 Abs. 2 AufenthG a.F.).
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Die Kläger haben ihre Heimat ohne jegliche Beeinträchtigung verlassen. Die Angst, dass die Taliban auch ihre Provinz angreifen würden, ist unbeachtlich. Auch aufgrund der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara droht ihnen keine unmenschliche Behandlung (s.o.).
c) Die Kläger haben auch keinen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG.
Vom Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ist auszugehen, wenn die regulären Streitkräfte eines Staates auf eine oder mehrere bewaffneten Gruppen treffen oder wenn zwei oder mehrere bewaffnete Gruppen aufeinandertreffen, ohne dass dieser Konflikt als bewaffneter Konflikt, der keinen internationalen Charakter aufweist, im Sinne des humanitären Völkerrechts eingestuft zu werden braucht und ohne dass die Intensität der bewaffneten Auseinandersetzungen, der Organisationsgrad der vorhandenen bewaffneten Streitkräfte oder die Dauer des Konflikts Gegenstand einer anderen Beurteilung als der des im betreffenden Gebiet herrschenden Grads an Gewalt ist (EuGH, U.v. 30.1.2014 – C-285/12- Diakité, zur identischen Regelung des Art. 15c der Richtlinie 2004/83/EG vom 29.4.2004).
Dabei ist zu überprüfen, ob sich die von einem bewaffneten Konflikt für eine Vielzahl von Zivilpersonen ausgehende – und damit allgemeine – Gefahr in der Person des Klägers so verdichtet hat, dass sie eine erhebliche individuelle Gefahr i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG darstellt. Eine allgemeine Gefahr kann sich insbesondere durch individuelle gefahrerhöhende Umstände zuspitzen. Solche Umstände können sich auch aus einer Gruppenzugehörigkeit ergeben. Der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt muss ein so hohes Niveau erreichen, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, eine Zivilperson würde bei Rückkehr in das betreffende Land oder die betreffende Region allein durch ihre Anwesenheit in diesem Gebiet Gefahr laufen, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein (vgl. EuGH, U.v. 17.2.2009 – Elgafaji, C-465/07 – Slg. 2009, I-921).
Die Frage, ob die in Afghanistan oder Teilen von Afghanistan stattfindenden gewalttätigen Auseinandersetzungen nach Intensität und Größenordnung als innerstaatlicher bewaffneter Konflikt zu qualifizieren ist, kann dahinstehen, weil nach der Überzeugung des Gerichts der Kläger keiner erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt wäre. Bezüglich der Gefahrendichte ist zunächst auf die jeweilige Herkunftsregion abzustellen, in die ein Kläger typischerweise zurückkehren wird (BVerwG, U.v. 14.7.2009 – 10 C 9/08 – BVerwGE 134, 188). Zur Feststellung der Gefahrendichte ist eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung erforderlich (BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 5/09 – BVerwGE 136,377).
Die Kläger stammen aus der Provinz Balkh, so dass hinsichtlich der Gefahrensituation primär darauf abzustellen ist.
Die Provinz Balkh wird von der Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA, Internet: www…unmissions.org) der Nordregion Afghanistans (Provinzen: Balkh, Samangan, Jawzjan, Sari Pul, Faryab) zugeordnet. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass der dort herrschende Konflikt nicht ein solches Maß an Gewalt erreicht hat, dass der Kläger als Angehöriger der Zivilbevölkerung allein aufgrund des Aufenthalts in dieser Region einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt wäre (BayVGH, B.v. 19.2.2015 – 13a ZB 14.30450; B.v. 30.6.2014 – 13a ZB 13.30359). Danach bewegt sich die Gefahrendichte in dieser Region im Promillebereich. Auch aufgrund der neuesten Zahlen hinsichtlich der Zahl der Toten und Verletzten als Folge der Auseinandersetzungen in der Nordregion von Afghanistan (vgl. UNAMA, Annual Report 2015 Protection of Civilians in Armed Conflict, S. 8, wonach in der Nordregion die Zahl der verletzten oder getöteten Zivilpersonen im Jahr 2015 bei 858 lag und ein erheblicher Anstieg dieser Zahlen im Vergleich zu den im Jahr 2009 getöteten oder verletzten Zivilisten in Höhe von 188 vorliegt, jedoch im Vergleich zu den Zahlen für das Jahr 2014 von 1060 getöteten oder verletzten Zivilisten ein Rückgang vorliegt) ist weiterhin davon auszugehen, dass das Risiko Opfer der Auseinandersetzungen zu werden, weiterhin im Promillebereich liegt. Auch der Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 6. November 2015 zählt die Provinz Balkh zu den sicheren Provinzen. Auch trotz gesteigerter Zahlen von Anschlägen im 1. Halbjahr 2016 (vgl. UNAMA Afghanistan Midyear Report 2016) liegt das Risiko, Opfer der Auseinandersetzungen zu werden, weiter im Promillebereich.
Es ist auch nicht anzunehmen, dass sich die allgemeine Gefahr bei den Klägern durch individuelle gefahrerhöhende Umstände zuspitzt.
Solche ergeben sich nicht aus der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara (s.o.).
3. Der Abschiebung der Kläger steht auch kein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 AufenthG entgegen.
a) Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG liegt nicht vor. Eine Abschiebung ist gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG unzulässig, wenn sich dies aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ergibt. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen werden. Wann eine „unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung“ vorliegt, hängt vom Einzelfall ab. Eine Schlechtbehandlung einschließlich Bestrafung muss jedenfalls ein Minimum an Schwere erreichen, um in den Schutzbereich des Art. 3 EMRK zu fallen.
Abstrakt formuliert sind unter einer menschenrechtswidrigen Schlechtbehandlung Maßnahmen zu verstehen, mit denen unter Missachtung der Menschenwürde absichtlich schwere psychische oder physische Leiden zugefügt werden und mit denen nach Art und Ausmaß besonders schwer und krass gegen Menschenrechte verstoßen wird (Renner/Bergmann, Ausländerrecht, 10. Aufl. 2011, § 60 AufenthG Rn. 35 f.). Es müssen konkrete Anhaltspunkte oder stichhaltige Gründe dafür glaubhaft gemacht werden, dass der Ausländer im Fall seiner Abschiebung einem echten Risiko oder einer ernsthaften Gefahr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt wäre.
Dabei sind lediglich zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse zu prüfen. Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 AufenthG kommt nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 13.6.2013 – 10 C 13/12, juris, Rn. 24) auch dann in Frage, wenn die umschriebenen Gefahren nicht durch den Staat oder eine staatsähnliche Organisation drohen oder dem Staat zuzurechnen sind.
Eine derartige menschenrechtswidrige Schlechtbehandlung haben die Kläger weder erlitten noch bei ihrer Rückkehr zu befürchten. Eine solche droht auch nicht aufgrund der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara.
Eine unmenschliche Behandlung droht dem Kläger auch nicht aufgrund der schwierigen Lebensbedingungen in Afghanistan.
Unzureichende wirtschaftliche Verhältnisse im Herkunftsland können in Ausnahmefällen, in denen die schlechten humanitären Verhältnisse eine konkrete Gefahr für Leib oder Leben des Asylbewerbers darstellen, ein Abschiebungsverbot in diesem Sinn begründen. In ganz außergewöhnlichen Fällen können auch (schlechte) humanitäre Verhältnisse Art. 3 EMRK verletzen, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung „zwingend sind“. Dies gilt in den Fällen, in denen die schlechten Bedingungen überwiegend auf die Armut oder die fehlenden staatlichen Mittel, um mit Naturereignissen umzugehen, zurückzuführen sind. Wenn jedoch die Aktionen von Konfliktparteien zum Zusammenbruch der sozialen, politischen und wirtschaftlichen Infrastruktur führen, ist zu berücksichtigen, ob es den Betroffenen gelingt, die elementaren Bedürfnisse, wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft zu befriedigen (EGMR U.v. 28.6.2011 – 8319/07 – Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich – NVwZ 2012, 681 ff.; EGMR U.v. 27.5.2008 – 26565/05 – N/Vereinigtes Königreich; BVerwG U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris). Unter Berücksichtigung sämtlicher Gegebenheiten des Einzelfalls ist von einem sehr hohen Niveau der Gefährdung auszugehen (BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30285 – juris).
In Afghanistan ist die Lage jedoch nicht so ernst, dass eine Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK wäre (vgl. BVerwG, U. v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – Rn. 26 – juris; BayVGH, U. v. 21.11.2014 – 13a B 14.30107 – juris Rn. 25). Besondere individuelle Umstände, aufgrund derer die Kläger einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung unterworfen wären, liegen nicht vor (vgl. BayVGH, U. v. 21.11.2014 – 13a B 14.30107- juris Rn. 25).
Die wirtschaftliche Lage in Afghanistan ist zwar weiterhin schlecht (vgl. Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, Stand: September 2016, S. 22 f.). Soziale Sicherungssysteme existieren praktisch nicht. Die soziale Absicherung liegt bei den Familien- und Stammesverbänden. Die Kläger können bei einer Rückkehr nach Afghanistan auf die Unterstützung eines in … lebenden Familienverbandes zurückgreifen. Sie können Aufnahme und Unterstützung durch die Schwester des Klägers zu 1., bei der sie bis zur Ausreise gewohnt haben, finden. Zusätzlich wohnen noch die Eltern der Klägerin zu 2. in … Die Kläger können weiterhin – wie bis zur Ausreise – durch eigene Arbeit (Klägerin zu 2. als Schneiderin, Kläger zu 1. als Automechaniker) den Lebensunterhalt sichern.
b) Der Abschiebung der Kläger steht auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG entgegen.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen.
aa) Individuelle nur den Klägern drohende Gefahren liegen nicht vor und werden auch nicht vorgebracht.
Hinsichtlich der Kläger besteht auch kein Abschiebungsverbot in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG analog wird die Frage geprüft, ob bei Gefahren, die der Bevölkerung oder der Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein drohen und bei denen eine politische Leitentscheidung nach § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG fehlt, ausnahmsweise Verfassungsrecht in Fällen einer extremen Gefahrenlage ein Abschiebungsverbot erforderlich macht. In diesem Zusammenhang wird auch die schlechte wirtschaftliche Lage im Herkunftsland berücksichtigt (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2001 – 1 C 5.01 – Rn. 15 ff. juris).
Die Kläger wären aber bei einer Rückkehr nach Afghanistan, insbesondere in ihre Herkunftsregion und insbesondere im Hinblick auf die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen nicht mit der für die analoge Anwendung von § 60 Abs. 7 AufenthG erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt. Zwar ist die Versorgungslage in Afghanistan weiterhin schlecht (vgl. Lagebericht a.a.O.) Soziale Sicherungssysteme existieren praktisch nicht. Die soziale Absicherung liegt bei den Familien und Stammesverbänden.
Die Kläger können auf die Unterstützung eines in ihrer Heimatstadt lebenden Familienverbandes zurückgreifen und durch eigene Arbeit ihr Überleben sichern (vgl. oben 3 a)).
4. Die nach Maßgabe der § 34 Abs. 1, § 38 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG erlassene Abschiebungsandrohung nach Afghanistan ist in rechtlicher Hinsicht gleichfalls nicht zu beanstanden. Die Kläger besitzen keinen Aufenthaltstitel und sind auch nicht als Asylberechtigte anerkannt. Gemäß § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten dem Erlass der Androhung nicht entgegen. Nach § 59 Abs. 3 Satz 2 AufenthG zu bezeichnende Staaten, in die eine Abschiebung nicht erfolgen darf, sind nicht ersichtlich. Die Ausreisefrist von dreißig Tagen ergibt sich unmittelbar aus § 38 Abs. 1 AsylG.
Keinen Bedenken begegnet das gemäß § 11 Abs. 2, Abs. 3 AufenthG festgesetzte Einreise- und Aufenthaltsverbot von dreißig Monaten.
5. Die Klage war nach alledem mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung stützt sich auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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