Aktenzeichen 5 Sa 153/16
BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 10
Leitsatz
1. Die Bezeichnung als AT-/ÜT-Mitarbeiter begründet bei nicht tarifgebundenen Parteien nur dann einen arbeitsvertraglichen Anspruch auf Wahrung eines Tarifabstands, wenn besondere Anhaltspunkte für einen so weitreichenden Bindungswillen hinzukommen.
2 Auch die Anlehnung an einen nicht normativ anwendbaren Tarifvertrag als betriebliches Vergütungssystem/Vergütungsordnung führt nicht dazu, dass wie bei einem tarifgebundenen Arbeitgeber (dazu BAG BeckRS 2015, 65716; BAG BeckRS 2015, 65717 und BAG BeckRS 2009, 72156) ein Anspruch auf Wahrung eines Tarifabstandes besteht, schon weil eine betriebliche Vergütungsordnung auch den außertariflichen Bereich erfasst (so auch Parallelentscheidungen LAG München Urt. v. 27.9.2016 – 9 Sa 217/16 und LAG München Urt. v. 29.9.2016 – 7 Sa 215/16). (Rn. 41) (red. LS Ulf Kortstock)
Verfahrensgang
26 Ca 2612/15 2015-12-10 Endurteil ARBGMUENCHEN ArbG München
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 10.12.2015, Az.: 26 Ca 2612/15 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I.
Die gemäß § 64 Abs. 2 lit. b) und c) statthafte und auch in der richtigen Form und rechtzeitig (§ 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, §§ 519 Abs. 2, 520 Abs. 3 ZPO, § 66 Abs. 1 S. 1, 2 und 5 ArbGG) eingelegte und begründete Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 02.02.2016 – Az.: 17 Ca 3108/15 bleibt erfolglos. Das Berufungsgericht schließt sich der sorgfältigen Begründung des Arbeitsgerichts München im Ergebnis und in wesentlichen Teilen seiner Begründung an.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung einer Vergütung, die den Tarifabstand wahrt. Soweit das Arbeitsgericht zutreffend einen Anspruch des Klägers aus Tarifvertrag, aus einer Regelungsabrede, aus einer Betriebsvereinbarung und aus einer betrieblichen Übung verneint hat, ergeben sich aus der Berufungsbegründung keine neuen Aspekte, so dass auf eine erneute, nur wiederholende Darstellung verzichtet werden kann (§ 69 Abs. 2 ArbGG).
Im Hinblick auf die Ausführungen der Parteien der Berufungsinstanz wird zusammenfassend noch einmal festgehalten, dass der Kläger sich nicht auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts berufen kann, wonach eine konstitutive „Ernennung“ zum außertariflichen Angestellten bei beiderseitiger Tarifgebundenheit eine arbeitsvertragliche Zusicherung enthält, diesen Status durch Zahlung einer der Tarifentwicklung und ggf. einer tarifvertraglichen Abstandsklausel entsprechenden außertariflichen Vergütung zu erhalten (BAG 03.09.2014, 5 AZR 1020/12; BAG 03.09.2014, 5 AZR 240/13 und BAG 19.05.2009, 9 AZR 505/08).
Ein arbeitsvertraglicher Anspruch des Klägers auf Erhalt des Tarifabstandes ist insbesondere deshalb zu verneinen, weil aufgrund der fehlenden beiderseitigen Tarifgebundenheit aus den getroffenen Vereinbarungen auch durch Auslegung kein Bindungswille des Arbeitgebers hergeleitet werden kann, auf Dauer eine Vergütung zu bezahlen, die entsprechend den nicht anwendbaren tarifvertraglichen Regelungen die Definition eines außertariflichen Mitarbeiters erfüllt.
1. Es besteht unstreitig keine Tarifbindung der Parteien. Eine ausdrückliche Vereinbarung über die Höhe der Vergütung des Klägers in Relation zu der höchsten tarifvertraglichen Vergütung besteht ebenfalls nicht. Der Arbeitsvertrag sieht lediglich vor, dass der Kläger in der Vertragsgruppe A des Außertariflichen Kreises geführt wird und verweist auf die Allgemeinen Vertragsbestandteile für den Außertariflichen Kreis. Zudem sieht der Arbeitsvertrag vor, dass tarifvertragliche Regelungen für das Arbeitsverhältnis nicht gelten. Eine Definition des Begriffes „außertariflich“ enthält weder der Arbeitsvertrag, noch die die Allgemeinen Vertragsbestandteile. Das Arbeitsgericht hat deshalb berechtigterweise darauf hingewiesen, dass der Wortlaut des Vertragstextes gegen einen Anspruch des Klägers auf Einhaltung des Tarifabstandes spricht. Die Verwendung des Ausdrucks „Außertariflicher Kreis“ stellt zwar einen Bezug zu einem Tarifvertrag her und ordnet den Kläger einer anderen Personengruppe, nämlich einem sog. „Außertariflichen Kreis“ zu. Jedoch enthalten die Vertragsbestimmungen keine Verknüpfung zur Vergütungshöhe des Tarifvertrages. Es wird im Gegenteil ausdrücklich vereinbart, dass tarifvertragliche Regelungen für das Arbeitsverhältnis nicht gelten. Zudem enthält der Arbeitsvertrag eine abschließende Regelung hinsichtlich des Einkommens des Klägers, das sich aus den Komponenten „Monatsgehalt“ und „Beteiligung am Geschäftserfolg“ zusammensetzt. Eine Verpflichtung zu einer weitergehenden Zahlung in Anlehnung an einen Tarifvertrag enthält das Vertragswerk gerade nicht. Der Kläger hat zudem in der mündlichen Verhandlung am 16.11.2016 selbst ausgeführt, dass es ihm wichtig war, eine höhere Vergütung zu bekommen, als ein Mitarbeiter, der nach Tarifvertrag bezahlt wird und er deshalb auf der Formulierung „außertariflich“ bestanden hat, dass aber über die Höhe der Vergütung und einen Tarifabstand bei Abschluss des Arbeitsvertrages nicht gesprochen wurde.
2. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob die Rechtsvorgängerin der Beklagten für den Kläger aufgrund seiner Wiedereinstellung in der „Vertragsgruppe A des Außertariflichen Kreises“ eine vertragliche Verpflichtung begründen wollte, stets eine Vergütung zu bezahlen, die den Tarifabstand nach dem jeweils gültigen MTV wahrt, ob also die Bezeichnung „außertariflich“ Bezug nimmt auf die jeweils gültige Definition des einschlägigen MTV oder in diesem Zusammenhang lediglich übertariflich bedeutet.
2.1 Für einen so weitreichenden Bindungswillen, der dazu führen würde, dass zwischen nicht tarifgebundenen Parteien die Regelungen des geltenden Tarifvertrages hinsichtlich der außertariflichen Mitarbeiter dynamisch die Mindesthöhe der Vergütung des entsprechenden Mitarbeiters bestimmt, braucht es besondere Anhaltspunkte. Erst dann, wenn solche vorliegen, stellt sich die Frage, ob eine dementsprechende Auslegung mit EG-Recht (insbesondere EuGH 18.07.2013, C-426/11 (…), zitiert nach juris) vereinbar wäre. Die Beklagte hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die vom Kläger begehrte Auslegung zu dem Ergebnis führen würde, dass ein Erwerber zwar seine Tarifbeschäftigten nur noch statisch nach dem Tarifvertrag bezahlen, aber an die übertariflich Beschäftigten die Tariferhöhung weitergeben müsste.
2.2 Derartige besondere Anhaltspunkte für die vom Kläger begehrte Auslegung seines Arbeitsvertrages liegen nicht vor. Gegen einen solchen Willen der Parteien spricht zunächst die Tatsache, dass die Vergütung für Mitarbeiter des außertariflichen Kreises durch Betriebsvereinbarungen geregelt wurde und dass in die BV EFA explizit die Wahrung des Tarifabstands aufgenommen wurde. Nach deren Ablösung wurden sodann jährlich neu Regelungsabreden hierzu abgeschlossen. Das LAG München hat in seinen Entscheidungen vom 29.09.2016, 7 Sa 215/16 und 27.09.2016, 9 Sa 217/16 zu Recht darauf hingewiesen, dass hieraus gefolgert werden kann, dass die Wahrung des Tarifabstands für die betroffenen Mitarbeiter gerade nicht als selbstverständlich galt. Hätte es ein allgemeines Verständnis im Betrieb gegeben, dass die Mitarbeiter des AT-Kreises einzelvertraglich Anspruch auf Zahlung des Tarifabstands haben, hätte es dieser kollektivrechtlichen Vereinbarungen gerade nicht bedurft.
Daraus, dass unstreitig die Vergütung im Betrieb der Beklagten sich aufgrund von Betriebsvereinbarungen am ERA-Tarifvertrag der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie anlehnt und dass der Kläger bis einschließlich 2013 immer eine Vergütung erhalten hat, die über dem Tarifabstand lag oder diesen gewahrt hat, kann also umgekehrt nicht entnommen werden, dass individualrechtlich ein Anspruch aus dem Arbeitsvertrag begründet werden sollte.
2.3 Auf die Vereinbarung eines außertariflichen Arbeitsverhältnisses, das durch Zahlung des Tarifabstands auf Dauer als außertarifliches erhalten bleiben soll, kann auch nicht deshalb geschlossen werden, weil die Vereinbarung nur mit diesem Inhalt wirksam wäre. Hier kommt es entscheidend auf die fehlende Tarifbindung der Parteien an. Anders als in den vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fällen (BAG 03.09.2014, 5 AZR 1020/12; BAG 03.09.2014, 5 AZR 240/13 und BAG 19.05.2009, 9 AZR 505/08, jeweils zitiert nach juris) ist es vorliegend mangels Tarifbindung der Parteien für die Wirksamkeit der Vereinbarung insgesamt nicht erforderlich, dass der Tarifabstand auf Dauer eingehalten wird. Da ein Arbeitsvertrag, der einen Tarifvertrag nur einzelvertraglich in Bezug nimmt, einvernehmlich einzelvertraglich geändert werden kann, ohne dass die Einschränkungen des § 4 Abs. 3 TVG entgegenstehen, kann aus der Vereinbarung einer übertariflichen Vergütung nicht gefolgert werden, dass es sich um eine außertarifliche Vergütung unter Wahrung des Tarifabstands handelt. Dass der Tarifvertrag im Betrieb als Vergütungsordnung angewendet wird, steht dem nicht entgegen. Teil der betrieblichen Vergütungsordnung ist auch die Vergütungsstruktur im sog. AT- oder ÜT-Kreis. In diese kann ein Mitarbeiter durch einvernehmliche Vertragsänderung wechseln, ohne dass sich Einschränkungen aus § 4 Abs. 3 TVG ergeben. Die betriebliche Vergütungsordnung wird dadurch nicht verlassen (s. auch LAG München 27.09.2016, 9 Sa 217/16 und LAG München 29.09.2016, 7 Sa 215/16 zu Parallelverfahren).
Nur bei einer beiderseitigen Tarifgebundenheit ist nach der Interessenlage der Parteien davon auszugehen, dass die Vereinbarung einer Zugehörigkeit zum „außertariflichen Kreis“ eine so weitgehende arbeitsvertragliche Zusicherung enthält, diesen Status durch Zahlung einer der Tarifentwicklung Rechnung tragenden, entsprechenden außertariflichen Vergütung zu erhalten. Denn nur bei beiderseitiger Organisationszugehörigkeit liegt der Wille der Parteien nahe, wegen des sonst geltenden Günstigkeitsprinzips (§ 4 Abs. 3 TVG) den neuen Status des Arbeitnehmers durch dessen Herausnahme aus dem tarifvertraglichen Geltungsbereich zwingend konstitutiv abzusichern.
Das Arbeitsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass beide Parteien nicht Mitglied von Tarifvertragsparteien sind und sich somit bewusst gegen eine Unterwerfung von Regeln entschieden haben, deren Inhalt sie nicht direkt beeinflussen können. In einer solchen Situation könne nicht davon ausgegangen werden, dass allein durch die Verwendung des Begriffes „Außertariflicher Kreis“ eine Verpflichtung eingegangen werden sollte, das Gehalt des Klägers in Abhängigkeit zu einem Tarifvertrag zu setzen, ohne dies ausdrücklich zu vereinbaren.
Die Auslegung des Arbeitsvertrages ergibt damit keine Vereinbarung eines dynamisch zu wahrenden Tarifabstands. Daher kommt es für die Entscheidung auf die von der Beklagten aufgeworfenen, europarechtlichen Fragen und möglichen Grenzen der Auslegung zur Vermeidung einer unzulässigen Bindung nicht tarifgebundener Erwerber an Tarifentwicklungen, auf deren Zustandekommen sie mangels Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband keinen Einfluss ausüben können, nicht an.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 64 Abs. 6 ArbGG, § 97 Abs. 1 ZPO.
III.
Die Revision war gem. § 72 Abs. 2 Ziff. 2 ArbGG zuzulassen, da eine Divergenz zu dem Urteil des Landesarbeitsgerichts Hessen vom 25.08.2016, 6 Sa 1424/15 besteht, das in einem Parallelfall, in dem ebenfalls keine Tarifbindung der Parteien vorlag, einen Anspruch des klagenden Arbeitnehmers auf die Tarifabstandszahlung für das Jahr 2014 bejaht hat.