Verwaltungsrecht

Keine Verfolgungsgefahr bei Rückkehr nach Eritrea wegen Auslandsaufenthalts im wehrpflichtigen Alter

Aktenzeichen  M 12 K 16.31078

Datum:
20.9.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3

 

Leitsatz

1 Die eritreisch-orthodoxe Kirche ist von der eritreischen Regierung anerkannt und darf sich religiös betätigen. (redaktioneller Leitsatz)
2 Es liegen keine substantiellen Anhaltspunkte dafür vor, dass die eritreische Regierung auch Personen verfolgt, die sich dem Nationalen Dienst lediglich dadurch entzogen haben, dass sie sich im wehrpflichtigen Alter nicht mehr in Eritrea aufgehalten haben. Anders als Deserteure, Fahnenflüchtige oder Wehrdienstverweigerer haben solche Personen im Falle ihrer Rückkehr nach Eritrea lediglich mit ihrer Einberufung zum Nationalen Dienst, nicht aber mit Inhaftierung, Folter, unmenschlicher Behandlung und/oder sonstigen Repressalien zu rechnen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 20. September 2016 entschieden werden, obwohl außer des Klägers und seinem Prozessbevollmächtigten keiner der Beteiligten erschienen ist. Denn in der Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden könne (§ 102 Abs. 2 VwGO). Die Beklagte ist form- und fristgerecht geladen worden.
Verfahrensgegenstand ist die Frage, ob der Bescheid des Bundesamtes vom 18. April 2016 in seiner Nr. 2 rechtswidrig und deshalb aufzuheben ist und ob der Kläger einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG hat (Antrag des Klägerbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung).
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 AsylG.
Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl, 1953 II S.559, 560-Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet. Eine Verfolgung kann dabei gem. § 3c AsylG ausgehen von einem Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die zuvor genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Weiter darf für den Ausländer keine innerstaatliche Fluchtalternative bestehen, § 3e AsylG.
Maßgeblich ist, ob der Asylsuchende bei Rückkehr in sein Heimatland der Gefahr politischer Verfolgung ausgesetzt wäre, wobei auf den Sachstand im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Tatsachenentscheidung abzustellen ist, § 77 Abs. 1 AsylG. Hat der Ausländer sein Heimatland bzw. den Staat des gewöhnlichen Aufenthalts auf der Flucht vor eingetretener oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen, besteht Anspruch auf Verfolgungsschutz bereits dann, wenn er bei Rückkehr vor erneuter Verfolgung nicht hinreichend sicher sein kann (herabgestufter Prognosemaßstab). Ist der Ausländer hingegen unverfolgt ausgereist, hat er einen Anspruch auf Schutz nur, wenn ihm aufgrund asylrechtlich beachtlicher Nachfluchttatbestände mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung droht (gewöhnlicher Prognosemaßstab).
Das Gericht muss – für einen Erfolg des Antrags – die volle Überzeugung von der Wahrheit des vom Asylsuchenden behaupteten individuellen Schicksals und hinsichtlich der zu treffenden Prognose, dass dieses die Gefahr politischer Verfolgung begründet, erlangen. Angesichts des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich Asylsuchende insbesondere hinsichtlich asylbegründender Vorgänge im Verfolgerland befinden, kommt dabei dem persönlichen Vorbringen des Asylsuchenden und dessen Würdigung für die Überzeugungsbildung eine gesteigerte Bedeutung zu (BVerwG, Urt. vom 16.04.1985, Buchholz 402.25 § 1 AsylG Nr. 32). Demgemäß setzt ein Asylanspruch bzw. die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG voraus, dass der Asylsuchende den Sachverhalt, der seine Verfolgungsfurcht begründen soll, schlüssig darlegt. Dabei obliegt es ihm, unter genauer Angabe von Einzelheiten und gegebenenfalls unter Ausräumung von Widersprüchen und Unstimmigkeiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der geeignet ist, das Asylbegehren lückenlos zu tragen (BVerwG, Urt. vom 08.05.1984, Buchholz § 108 VwGO Nr. 147).
An der Glaubhaftmachung von Verfolgungsgründen fehlt es in der Regel, wenn der Asylsuchende im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellung nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheint, sowie auch dann, wenn er sein Asylvorbringen im Laufe des Asylverfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Asylbegehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29.11.1990, InfAuslR 1991, 94, 95; BVerwG, Urteil vom 30.10.1990, Buchholz 402.25 § 1 AsylG Nr. 135; Beschluss vom 21.07.1989, Buchholz a.a.O., Nr. 113).
In Anwendung dieser Grundsätze ist bei dem Kläger keine Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG festzustellen. Es lässt sich nicht feststellen, dass der Kläger vor seiner Ausreise aus Eritrea oder im Falle einer Rückkehr nach Eritrea landesweit von religiöser oder politischer Verfolgung betroffen war bzw. bedroht sein würde.
Der Kläger hat bezüglich seiner Vorverfolgung Sachverhalt dargestellt, aus dem nicht auf das Vorliegen der Flüchtlingseigenschaft geschlossen werden kann bzw. der unglaubwürdig ist.
Die Ausführungen des Klägerbevollmächtigten in der Klagebegründung, der Kläger sei als orthodoxer Christ Verfolgung ausgesetzt gewesen, finden keinen Anhaltspunkt im klägerischen Vorbringen beim Bundesamt. Auch in der mündlichen Verhandlung hat der Kläger nicht vorgetragen, aus Furcht vor religiöser Verfolgung geflohen zu sein. Der Vortrag in der Klagebegründung ist insoweit eine erhebliche Steigerung des Vorbringens, die das gesamte Vorbringen des Klägers unglaubhaft macht. Im Übrigen ist die eritreisch-orthodoxe Kirche von der eritreischen Regierung anerkannt und darf sich religiös betätigen (Lagebericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Eritrea vom 14.12.2015; im Folgenden: Lagebericht, I., 1. 4.)
Die Einlassung des Klägers, man habe ihn einberufen wollen, er habe sich versteckt (Bl. 73 BA) ist unglaubhaft. Der Kläger hat nicht substantiiert vorgetragen, wie er hätte einberufen werden sollen. Seine Einlassung, es habe Razzien gegeben, an denen die im wehrpflichtigen Alter mitgenommen worden seien (Bl. 73 BA), überzeugt nicht. Der angeblich im Jahr 19** geborene Kläger ist ab dem Jahr 2007 wehrdienstfähig (Lagebericht, I.,1.6.) und hat bis zu seiner Ausreise im Jahr 2014 offenbar ziemlich unbehelligt in seinem Heimatland gelebt, zumindest wurde er nicht im Rahmen einer Razzia mitgenommen. Seine Einlassung, er habe sich verstecken müssen (Bl. 73 BA), ist nicht überzeugend. Es ist nicht glaubhaft, dass sich der Kläger 7 Jahre lang ununterbrochen vor dem Militärdienst verstecken konnte. Wahrscheinlicher ist, dass die Militärbehörden am Kläger bis zu seinem 25. Lebensjahr kein Interesse hatten.
Die Ausführungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung, er wolle seine Familie nachholen und dies sei sein Hauptgrund, dass er Flüchtlingseigenschaft wolle, führen nicht dazu, dass ihm Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen wäre. Dies gilt auch für die Ausführungen, er habe in Eritrea an einen anderen Ort gehen müssen, um für die Familie sorgen zu können.
Das Vorbringen des Klägers und des Klägerbevollmächtigten in der Klagebegründung, der Kläger befürchte in Eritrea zum Wehrdienst eingezogen zu werden, führt nicht dazu, dass die Beklagte zu verpflichten wäre, dem Kläger Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG zuzuerkennen. Dem Kläger droht in Eritrea, dem Land seiner behaupteten Staatsangehörigkeit (Herkunftsland) nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit landesweit eine Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger seine eritreische Staatsangehörigkeit glaubhaft gemacht hat. Nur unter dieser Voraussetzung kann er den Flüchtlingsstatus in Bezug auf eine ihm in Eritrea drohende flüchtlingsschutzrechtlich relevante Verfolgungsgefahr beanspruchen.
Dabei ist unter Zugrundelegung des eigenen Vorbringens des Klägers davon auszugehen, dass er nicht vorverfolgt aus Eritrea ausgereist ist (vgl. obige Ausführungen). Maßstab für die flüchtlingsschutzrechtliche Beurteilung der vom Kläger geltend gemachten Verfolgungsgefahr ist daher, ob mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von einer Verfolgungsgefahr für den Kläger in dem von ihm behaupteten Herkunftsland (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 AsylG) Eritrea in Anknüpfung an die geschützten Persönlichkeitsmerkmale (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) auszugehen ist.
Eine solche Verfolgungsgefahr in Eritrea vermag das Gericht wegen des Nationalen Dienstes (Militärdienst einschließlich nationaler Dienstverpflichtung) nicht zu erkennen. In diesem Zusammenhang stellt die bloße Heranziehung zum Nationaldienst als solchen deshalb keine flüchtlingsschutzrechtlich relevante Verfolgung dar, weil die Heranziehung zum Militärdienst ausweislich der Regelung in § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG flüchtlingsschutzrechtlich schon grundsätzlich nicht dem Schutzversprechen unterfällt. Denn diese Vorschrift definiert lediglich Verfolgungshandlungen im Zusammenhang mit einer Verweigerung des Militärdienstes nur in einem Konflikt als relevante Verfolgungshandlungen, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen (Kriegsverbrechen; schwere nichtpolitische Straftaten, Zuwiderhandlungen gegen die Grundsätze der Vereinten Nationen). Im Übrigen trifft der eritreische Nationaldienst alle Staatsangehörigen ohne Ansehen der Persönlichkeitsmerkmale des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG gleichermaßen.
Der Zuerkennung des Flüchtlingsstatus steht im vorliegenden Fall weiter entgegen, dass keine substantiellen Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die eritreische Regierung auch Personen verfolgt, die sich – wie der Kläger – dem Nationalen Dienst lediglich dadurch (bisher) entzogen haben, dass sie sich im wehrpflichtigen Alter (ab dem 18. Lebensjahr) nicht (mehr) in Eritrea befunden haben. Vielmehr ist davon auszugehen, dass solche Personen im Falle einer Einreise nach Eritrea mit einer Einberufung zum Nationalen Dienst zu rechnen haben, also anders als Deserteure, Fahnenflüchtlinge oder Wehrdienstverweigerer nicht mit Inhaftierung, Folter, unmenschlicher Behandlung und/oder sonstigen Repressalien seitens des eritreischen Staates rechnen müssen. Selbst eine ggf. drohende Strafverfolgung wegen Wehrpflicht-/Kriegsdienstverweigerung durch eine illegale Ausreise wäre gem. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG nur dann flüchtlingsschutzrechtlich relevant, wenn sie entweder zielgerichtet gegenüber bestimmten Personen eingesetzt würde, die durch die Maßnahmen in einem der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten flüchtlingsschutzrechtlich relevanten Persönlichkeitsmerkmale getroffen werden sollen, oder wenn sie wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt erginge, in welchem der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen (Treiber in GK-AufenthG, Band 3, § 60 AufenthG Rn. 167 ff., Stand April 2011 m.w.N. aus der Rspr.). § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG bezieht sich – in Umsetzung von Art. 9 Abs. 2 lit. e der Qualifikationsrichtlinie – also auf einen „Konflikt“. Eine Kriegsdienstverweigerung, die – aus welchen Gründen auch immer – außerhalb eines solchen Konfliktes stattfindet, kann demnach nicht in den Anwendungsbereich der Vorschrift fallen (EuGH, U.v. 26. 2. 2015 – Rs. C-472/13 zur unionsrechtlichen Vorgängernorm des Art. 9 Abs. 2 lit. e Richtlinie 2004/83/EG – juris).
Hiernach würde selbst eine in Eritrea ggf. drohende Bestrafung wegen Umgehung der Wehrpflicht durch eine illegale Ausreise, die ggf. mit inhumanen Umständen der Strafvollstreckung verbunden sein könnte, keine flüchtlingsschutzrechtlich relevante Verfolgung darstellen. Dies gilt auf der Ebene des Flüchtlingsschutzes erst recht für den vorliegenden Fall einer Umgehung der Wehrpflicht durch bloße Ausreise aus Eritrea.
Eine in Eritrea drohende Strafverfolgung wegen Wehrpflicht-/Kriegsdienstverweigerung durch eine illegale Ausreise ist vorliegend schon deshalb nicht beachtlich wahrscheinlich, weil der Kläger nicht substantiiert und glaubhaft dargelegt hat, dass er sich dem Wehrdienst entzogen hat. Die Flucht des Klägers aus Eritrea löst keine Zuerkennung des Flüchtlingsstatus aus. Denn dieses Verhalten steht nicht im Zusammenhang mit einem Konflikt im Sinne von § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG. Eritrea befindet sich derzeit (§ 77 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz AsylG) in keinem Konflikt im Sinne der Vorschrift – sei es mit anderen Staaten (internationaler Konflikt), sei es mit aufständischen innerstaatlichen Gruppen (innerstaatlicher Konflikt). Kriegerische Auseinandersetzungen mit den Nachbarstaaten Äthiopien, Dschibuti und Sudan finden zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht statt.
Die bloße Asylantragsstellung in Deutschland begründet ebenfalls nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgungsgefahr für den Kläger in Eritrea (Auswärtiges Amt, Lagebericht Eritrea, 14. Dezember 2015, S. 17).
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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