Aktenzeichen Au 6 K 17.33826
Leitsatz
1 Ob der Asylbewerber auf dem Luftweg nach Deutschland eingereist ist, beurteilt das Gericht gemäß § 108 Abs. 1 S. 1 VwGO nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Eine wesentliche Grundlage bilden dabei die Angaben des Asylbewerbers selbst zu den Reisemodalitäten, ferner alle denkbaren „körperlichen“ Unterlagen und Nachweise zur behaupteten Einreiseart wie benutzter Pass, Flugticket, Bordkarte u.ä. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2 In der Behandlung Strafverdächtiger zeigt sich ein ambivalentes Bild: Einerseits verfolgt die Türkei offiziell eine Null-Toleranz-Politik gegenüber Folter des Staates und hat seit dem Jahr 2008 ihre vormals zögerliche strafrechtliche Verfolgung von hiergegen verstoßenden Soldaten, Gendarmen und Polizeibeamten nachweisbar verbessert. Allerdings kommt es vor allem mangels Kooperation der Behörden bei der Tatsachenfeststellung nur in wenigen Einzelfällen tatsächlich zu Verurteilungen. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
3 Hinsichtlich der Strafzumessungs- und Strafverfolgungspraxis in der Türkei zeigt sich ebenfalls ein ambivalentes Bild: Einerseits wurden der Türkei Fortschritte im Bereich der Justiz bescheinigt, andererseits bestehen auch erhebliche Defizite (zB teilweise exzessiv lange Dauer der Strafverfahren und der Untersuchungshaft). Die Notstandsdekrete und Gesetzesänderungen im Nachgang des Putschversuchs vom Juli 2016 haben die Unabhängigkeit der Justiz eingeschränkt. (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)
4 Der private Gebrauch der in der Türkei gesprochenen kurdischen Sprachen Kurmandschi und des weniger verbreiteten Zaza ist in Wort und Schrift keinen Restriktionen ausgesetzt, der amtliche Gebrauch ist allerdings eingeschränkt. (Rn. 48) (redaktioneller Leitsatz)
5 Seit einem Parlamentsbeschluss im Februar 2015 sind alevitische Gebetsstätten namens „Cem-Haus“ (Cem Evi) mit Glaubensstätten anderer Religionen, beispielsweise mit Moscheen, gleichzustellen. Trotz der faktisch verbesserten Situation erkennen nur wenige Stadtverwaltungen die alevitischen Gotteshäuser als religiöse Stätten an. (Rn. 52) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klagen werden abgewiesen.
II. Die Kläger haben als Gesamtschuldner die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch den jeweiligen Vollstreckungsgläubiger durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die zulässigen Klagen sind nicht begründet. Die Kläger haben zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf die Gewährung subsidiären Schutzes oder auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 29. Juni 2017 ist daher rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Es wird insoweit in vollem Umfang Bezug genommen auf die Gründe des angefochtenen Bescheids (§ 77 Abs. 2 AsylG) und ergänzend ausgeführt:
1. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Asylanerkennung nach Art. 16a GG.
a) Die Kläger sind wegen einer mutmaßlichen Einreise auf dem Landweg vom Asylanspruch ausgeschlossen.
Nach Art. 16a Abs. 2 Satz 1 und 2 GG kann sich auf das Asylrecht nicht berufen, wer aus einem Mitgliedsstaat der Europäischen Gemeinschaft oder aus einem anderen durch Gesetz zu bestimmenden Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Da alle Nachbarstaaten der Bundesrepublik Deutschland entweder auf Grund ihrer Mitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft oder auf Grund der Anlage I zu § 26a AsylG sichere Drittstaaten sind, hat jeder Asylsuchende, der auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland gelangt ist, den Ausschlussgrund der Einreise aus einem sicheren Drittstaat verwirklicht (vgl. BVerwG, U.v. 7.11.1995 – 9 C 73/95 – BVerwGE 100, 23). Die Drittstaatenregelung nach Art. 16a Abs. 2 GG greift nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 – DVBl 1996, 729) immer dann ein, wenn feststeht, dass der Ausländer nur über einen sicheren Drittstaaten in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sein kann; es muss nicht geklärt werden, um welchen sicheren Drittstaat es sich dabei handelt. Da nach der derzeit geltenden Rechtslage (Art. 16 a Abs. 2 Satz 1 GG und Anlage I zu § 26 a AsylG) alle an die Bundesrepublik Deutschland angrenzenden Staaten (Anrainerstaaten) sichere Drittstaaten sind, ist ein auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland einreisender Ausländer von der Berufung auf Art. 16 a Abs. 1 GG ausgeschlossen, auch wenn sein Reiseweg nicht im Einzelnen bekannt ist. Eine Anerkennung als Asylberechtigter scheidet auch aus, wenn eine Einreise ohne Kontakt zu einem sicheren Drittstaat nicht nachgewiesen wird.
Ob der Asylbewerber auf dem Luftweg nach Deutschland eingereist ist, beurteilt das Gericht gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Eine wesentliche Grundlage bilden dabei die Angaben des Asylbewerbers selbst zu den Reisemodalitäten, ferner alle denkbaren „körperlichen“ Unterlagen und Nachweise zur behaupteten Einreiseart wie benutzter Pass, Flugticket, Bordkarte u.ä. Nach der Rechtsprechung (BVerwG U.v. 29.6.1999 – 9 C 36/98; BayVGH B.v. 16.2.2002 – 25 ZB 02.3003 und vom 2.4.2001 – 19 ZB 00.32067) trifft den Asylbewerber zwar keine Beweisführungspflicht hinsichtlich des Einreiseweges; er trägt aber die materielle Beweislast für seine Behauptung, ohne Berührung eines sicheren Drittstaates auf dem Luftweg nach Deutschland eingereist zu sein. Dabei obliegt dem Asylbewerber im Hinblick auf seine Mitwirkungspflichten (§ 15 und § 25 AsylG) der Nachweis der behaupteten Luftwegeinreise durch entsprechend substantiierte, stimmige und lückenlose Angaben sowie durch Vorlage der dabei benutzten Identitätspapiere und Flugunterlagen. Insoweit befindet er sich in der Regel nicht in einem Beweisnotstand, der eine Lockerung der Nachweispflicht geböte bzw. rechtfertigte. Kann er den Nachweis nicht erbringen, geht dies somit zu seinen Lasten.
Die Kläger haben nicht nachgewiesen, dass sie auf dem Luftweg eingereist sind. Sie konnten keinerlei Unterlagen vorlegen, wie beispielsweise Reisepass, Bordkarte oder etwa einen Gepäckschein. Die Angaben, der Schleuser habe die Reisepässe der Kläger mitgenommen, in denen Visa des Deutschen Generalkonsulats … eingetragen gewesen seien, ist unglaubhaft. Nachforschungen des Einzelrichters über die Ausländerbehörde haben zwar Hinweise ergeben, dass den Kläger unter ihrem Namen Visa für den Schengen-Raum erteilt worden sind. Sie können also mit ihrem eigenen Reisepass auf dem Luftweg über den Flughafen … mit den dortigen Grenzkontrollen aus … kommend eingereist sein. Dafür benötigten sie aber nicht die Hilfe eines Schleusers, weil es sich um eine legale Aus- und Einreise handelte. Zudem gelten Schengen-Visa für jeden Einreiseweg, sind also nicht auf den Luftweg beschränkt. Andererseits haben die Kläger aber keinerlei Angaben zu dem Flug, der Fluggesellschaft und den Abflugzeiten gemacht. In der mündlichen Verhandlung räumten sie ein (Niederschrift vom 1.8.2018, S. 3), ob sie mit ihren eigenen Reisepässen, die auf ihren Namen lauteten, oder mit Reisepässen mit fremden Namen gereist seien, wüssten sie nicht genau. Ihr Begleiter habe alles in seinen Händen gehabt und behalten und sie einsteigen und nachher aussteigen lassen. Koffer hätten sie keine mitgebracht, nur Handgepäck, so dass auch keine Gepäckanhänger vorlägen.
Die Nichterweislichkeit der behaupteten Einreise auf dem Luftweg geht zu Lasten der Kläger, welche die materielle Beweislast für ihre Behauptung, ohne Berührung eines sicheren Drittstaates eingereist zu sein, tragen. Eine Anerkennung als Asylberechtigte scheidet somit schon aus diesen Gründen aus.
b) Auch im Übrigen haben die Kläger in der Sache keinen Anspruch auf Asylanerkennung.
Nach Art. 16a Abs. 1 GG genießen politisch Verfolgte Asylrecht. Politisch verfolgt ist, wer wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung eine durch Tatsachen begründete Furcht vor Verfolgung hegen muss, die mit Gefahr für Leib, Leben, persönliche Freiheit oder einem die Menschenwürde verletzenden Eingriff in sonstige Rechtsgüter verbunden ist. Dabei gelten für die Beurteilung, ob ein Asylsuchender politisch Verfolgter i.S. des Art. 16a Abs. 1 GG ist, unterschiedliche Maßstäbe je nachdem, ob er seinen Heimatstaat auf der Flucht vor eingetretener oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen hat oder ob er unverfolgt in die Bundesrepublik Deutschland gekommen ist (BVerfG, B.v. 10.7.1989 – 2 BvR 502/86 – BVerfGE 80, 315 ff.). Dem Vorverfolgten ist die Rückkehr in den Verfolgerstaat grundsätzlich nur dann zuzumuten, wenn an seiner Sicherheit vor abermals einsetzender Verfolgung bei Rückkehr in den Heimatstaat keine ernsthaften Zweifel bestehen (BVerwG, U.v. 25.9.1984 – 9 C 1784 – BVerwGE 70, 169 ff. m.w.N.; BVerwG, U.v. 20.11.1990 – 9 C 72/90 – BVerwGE 87, 141/143). Hat der Asylsuchende sein Heimatland unverfolgt verlassen, kann ihm Asyl nur gewährt werden, wenn bei Würdigung aller Umstände eine politische Verfolgung aufgrund von Nachfluchtgründen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Droht diese Gefahr nur in einem Teil seinem Heimatstaates, so kann der Betroffene auf Gebiete verwiesen werden, in denen er vor politischer Verfolgung hinreichend sicher ist, es sei denn, es drohen dort andere nach den oben dargelegten Grundsätzen unzumutbare Nachteile und Gefahren (BVerfG, B.v. 10.7.1989 a.a.O.).
Dabei ist es stets Sache des Ausländers, seine Gründe für eine Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Herkunftsland zu verbleiben oder dorthin zurückzukehren. Wegen des sachtypischen Beweisnotstands, in dem sich Flüchtlinge insbesondere im Hinblick auf asylbegründende Vorgänge im Verfolgerland vielfach befinden, genügt für diese Vorgänge in der Regel eine Glaubhaftmachung. Voraussetzung für ein glaubhaftes Vorbringen ist allerdings ein detaillierter und in sich schlüssiger Vortrag ohne wesentliche Widersprüche und Steigerungen.
Gemessen hieran bestehen nach Überzeugung des Gerichts keine ernsthaften Zweifel, dass die Kläger bei einer Rückkehr in die Türkei keiner landesweiten individuellen politischen Verfolgung ausgesetzt sein werden.
Hierbei ist der Bescheidsbegründung der Beklagten zu folgen, wonach die Kläger keine landesweiten an sie individuell gerichteten Bedrohungen oder gar Übergriffe geschildert haben. Zwar hat der Kläger zu 1 angegeben, in den letzten 2 bis drei Jahren vor ihrer Ausreise drei oder vier Mal von der Armee wegen Verdachts der Unterstützung der PKK mitgenommen worden zu sein, aber er ist nach eigenen Angaben auch jedes Mal wieder kurzfristig entlassen worden. Eine Anklage oder eine Verurteilung haben er und seine Frau auf Frage aber ausdrücklich verneint. Die Festnahmen lagen also unterhalb der Schwere einer Strafverfolgung. Sie waren offenbar der Drucksituation geschuldet, dass die Kläger im o.g. Heimatdorf Druck der PKK, diese zu unterstützen, und Gegendruck der türkischen Armee, die PKK nicht zu unterstützen, ausgesetzt waren. In der Stadt … hingegen, wo sie auch gelebt haben, befürchteten sie Anschläge des IS. Angesichts des weiten Rückzuges des IS auf Grund seiner militärischen Rückschläge hingegen ist die Sicherheitssituation auch in der Südosttürkei nicht mehr dieselbe wie im Zeitpunkt der Ausreise der Kläger im Januar 2017. Selbst wenn damals noch eine konkrete Gefahr durch den IS bestanden hätte, hat diese jedenfalls deutlich abgenommen.
Eine entsprechende Verfolgungsgefahr von asylerheblicher Schwere hat für die Kläger jedenfalls schon im Zeitpunkt ihrer Ausreise nicht und vor allem nicht landesweit bestanden, insbesondere wäre ihnen ein innerstaatliches Ausweichen in die Westtürkei möglich und zumutbar gewesen, wie die Beklagte zutreffend ausgeführt hat (dazu sogleich). Sie geraten daher auch bei einer Rückkehr nicht in die Gefahr einer asylerheblichen Verfolgung in der Türkei.
Gegen die Gefahr einer asylerheblichen Verfolgung in der Türkei spricht, dass die Kläger, sollte ihr Vorbringen zur Einreise mit eigenen Reisepässen und Schengen-Visa zutreffen (vgl. oben), jedenfalls die seit dem Putschversuch im Sommer 2016 bekannt strengen Aus- und Einreisekontrollen in der Türkei (dazu unten) ungehindert haben passieren können, was gegen ein aktuelles und insbesondere fluchtauslösendes (landesweites) Verfolgungsinteresse des türkischen Staates gegen die Kläger, insbesondere den Kläger zu 1, spricht.
2. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG.
Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560 – Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet. Eine Verfolgung i. S. des § 3 AsylG kann nach § 3c Nr. 3 AsylG auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern der Staat oder ihn beherrschende Parteien oder Organisationen einschließlich internationale Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten.
Im Einzelnen sind definiert die Verfolgungshandlungen in § 3a AsylG, die Verfolgungsgründe in § 3b AsylG und die Akteure, von denen eine Verfolgung ausgehen kann bzw. die Schutz bieten können, in §§ 3c, 3d AsylG. Einem Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG, der nicht den Ausschlusstatbeständen nach § 3 Abs. 2 AsylG oder nach § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG unterfällt oder der den in § 3 Abs. 3 AsylG bezeichneten anderweitigen Schutzumfang genießt, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt (§ 3 Abs. 4 AsylG). Als Verfolgung i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG gelten Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG), oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG). Zwischen den Verfolgungsgründen (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG i.V.m. § 3b AsylG) und den Verfolgungshandlungen – den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen, § 3a AsylG – muss für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG).
Eine Verfolgung i.S.d. § 3 AsylG kann nach § 3c Nr. 3 AsylG auch von nicht-staatlichen Akteuren ausgehen, sofern der Staat oder ihn beherrschende Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten.
Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht des Betroffenen vor Verfolgung begründet i.S.v. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ist, gilt einheitlich der Prognosemaßstab der tatsächlichen Gefahr („real risk“), der demjenigen der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25/10 – juris) entspricht.
Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassen-den Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. zum Ganzen: BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris Rn. 32).
Die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU in Form einer widerlegbaren Vermutung ist im Asylerstverfahren zu beachten, wenn der Antragsteller frühere Verfolgungshandlungen oder Bedrohungen mit Verfolgung als Anhaltspunkt für die Begründetheit seiner Furcht geltend macht, dass sich die Verfolgung im Falle der Rückkehr in das Heimatland wiederholen werde. Die solchen früheren Handlungen oder Bedrohungen nach Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU zukommende Beweiskraft ist von den zuständigen Behörden unter der sich aus Art. 9 Abs. 3 RL 2011/95/EU ergebenden Voraussetzung zu berücksichtigen, dass diese Handlungen oder Bedrohungen eine Verknüpfung mit dem Verfolgungsgrund aufweisen, den der Betreffende für seinen Antrag auf Schutz geltend macht (vgl. zum Ganzen BVerwG, B.v. 6.7.2012 – 10 B 18/12 – juris Rn. 5 unter Bezugnahme auf EuGH, U.v. 2.3.2010 – Rs. C-175/08 u.a. – juris Rn. 93; BVerwG, U.v. 5.5.2009 – 10 C 21/08 – juris Rn. 25). Die vorgenannte Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften. Hat der Asylbewerber seine Heimat jedoch unverfolgt verlassen, kann sein Asylantrag nur Erfolg haben, wenn ihm auf Grund von Nachfluchttatbeständen politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit (BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 5.09 – BVerwGE 136, 377/382 Rn. 18) droht.
Es ist Sache des Schutzsuchenden, seine Gründe für eine Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Herkunftsland zu verbleiben oder dorthin zurückzukehren. Wegen des sachtypischen Beweisnotstands, in dem sich Flüchtlinge insbesondere im Hinblick auf asylbegründende Vorgänge im Verfolgerland vielfach befinden, genügt für diese Vorgänge in der Regel eine Glaubhaftmachung. Voraussetzung für ein glaubhaftes Vorbringen ist allerdings ein detaillierter und in sich schlüssiger Vortrag ohne wesentliche Widersprüche und Steigerungen.
a) Die Kläger haben keine staatliche Verfolgung in der Türkei als Individualverfolgung geltend gemacht.
Hierbei ist der Bescheidsbegründung der Beklagten zu folgen, wonach die Kläger keine an sie individuell gerichteten flüchtlingsrelevanten Bedrohungen oder gar Übergriffe geschildert haben. Zwar hat der Kläger zu 1 angegeben, in den letzten 2 bis drei Jahren vor ihrer Ausreise drei oder vier Mal von der Armee wegen Verdachts der Unterstützung der PKK mitgenommen worden zu sein, aber er ist nach eigenen Angaben auch jedes Mal wieder kurzfristig entlassen worden. Eine Anklage oder eine Verurteilung haben er und seine Frau auf Frage aber ausdrücklich verneint. Die Festnahmen lagen also unterhalb der Schwere einer Strafverfolgung (vgl. oben) und sind nach Schwere und Zahl nicht so schwerwiegend, dass die Kläger deswegen in eine aussichtslose Situation geraten wären, der sie sich nur durch Ausreise hätten entziehen können. Zumindest heute ist eine Wiederholung der Maßnahmen nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten, wenn die Kläger sich entweder wieder in … – statt im Heimatdorf – niederlassen, um dem Druck der PKK und dem Gegendruck der Armee auf dem Dorf zu entgehen, oder in die Westtürkei ausweichen (dazu sogleich).
aa) Eine Verfolgung i. S. des § 3 i.V.m. § 3a Abs. 2 Nr. 1 AsylG durch Anwendung physischer oder psychischer sowie sexueller Gewalt droht insbesondere dem Kläger zu 1 nicht.
In der Behandlung Strafverdächtiger zeigt sich ein ambivalentes Bild: Einerseits verfolgt die Türkei offiziell eine Null-Toleranz-Politik gegenüber Folter des Staates und hat seit dem Jahr 2008 ihre vormals zögerliche strafrechtliche Verfolgung von hiergegen verstoßenden Soldaten, Gendarmen und Polizeibeamten nachweisbar verbessert. Allerdings kommt es vor allem mangels Kooperation der Behörden bei der Tatsachenfeststellung nur in wenigen Einzelfällen tatsächlich zu Verurteilungen (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Türkei vom 19.2.2017, S. 16 f., 23 f. – im Folgenden: Lagebericht; auch AI, Amnesty Report Türkei 2016, S. 2) Seit dem Putschversuch vom Juli 2016 kommt es wieder vermehrt zu Folter- und Misshandlungsvorwürfen gegen Strafverfolgungsbehörden. Zwar rückt die Türkei nach Ansicht des Sonderberichterstatters der Vereinten Nationen über Folter nach seinem Besuch im November 2016 nicht von ihrer Null-Toleranz-Politik ab. In unmittelbarer zeitlicher Nähe zum Putschversuch und im Rahmen des Vorgehens der Sicherheitskräfte gegen die PKK im Südosten des Landes kam bzw. kommen allerdings Misshandlungen von in Gewahrsam befindlichen Personen vor. Dem entsprechend weist auch der Sonderberichterstatter auf das Auseinanderfallen von Anspruch und Wirklichkeit der Null-Toleranz-Politik hin. Ob es darüber hinaus wieder vermehrt zu Misshandlungen im Polizeigewahrsam kommt, kann nach Auffassung des Auswärtigen Amts noch nicht abschließend beurteilt werden, zumal Menschenrechtsorganisationen davon berichten, dass Dritten der Zugang zu ärztlichen Berichten über den Zustand inhaftierter bzw. in Gewahrsam genommener Personen häufig verweigert wird und eine unabhängige Überprüfung von Foltervorwürfen nur schwer möglich ist. Anhaltspunkte für eine systematische Folter werden nicht gesehen (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht, S. 16 f., 23 f.; eine Zunahme der Berichte über Misshandlungen in Polizeigewahrsam bestätigt AI, Amnesty Report Türkei 2016, S. 2; AI, Stellungnahme an das VG Karlsruhe vom 9.3.2017, S. 2; Kamil Taylan, Gutachten an das VG Karlsruhe vom 13.1.2017, S. 17 f.; Schweizer Flüchtlingshilfe SFH, Schnellrecherche an das VG Karlsruhe vom 17.2.2017, S. 3). Teils wird auf im Erlassweg eingeräumte Straffreiheit der entsprechend der Notstandsverordnungen tätigen Staatsbediensteten verwiesen (vgl. AI, Stellungnahme an das VG Karlsruhe vom 9.3.2017, S.). Misshandlungen von am Putschversuch Beteiligter wie Piloten und Offiziere in den ersten Tagen nach dem Putschversuch im Juli 2016 werden aber als gesichert angesehen (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Ansbach vom 4.4.2017, S. 2; AI, Auskunft an das VG Magdeburg vom 1.3.2018, S. 3; offiziell genehmigte Fotos gefolterter Offiziere bei Kamil Taylan, Gutachten an das VG Karlsruhe vom 13.1.2017, S. 20).
Der Kläger ist zwar mehrfach nach seinen Angaben verhaftet, misshandelt und kurzfristig auch wieder freigelassen worden. Diese Maßnahmen waren aber regional auf das Heimatdorf und zeitlich auf den Zusammenhang mit der eingeräumten Unterstützung der PKK (BAMF-Akte Bl. 105, 110) beschränkt; eine Wiederholung insbesondere in der Westtürkei ist nicht zu befürchten (vgl. unten), zumal die Kläger schon in … dieses Problem nicht (mehr) hatten.
bb) Eine Verfolgung i. S. des § 3 i.V.m. § 3a Abs. 2 AsylG in Gestalt einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Strafverfolgung oder Bestrafung droht nicht.
Hinsichtlich der Strafzumessungs- und Strafverfolgungspraxis in der Türkei zeigt sich ein ambivalentes Bild: Einerseits wurden der Türkei Fortschritte im Bereich der Justiz bescheinigt, andererseits bestehen auch erhebliche Defizite (z.B. teilweise exzessiv lange Dauer der Strafverfahren und der Untersuchungshaft). Die Notstandsdekrete und Gesetzesänderungen im Nachgang des Putschversuchs vom Juli 2016 haben die Unabhängigkeit der Justiz eingeschränkt; Massenentlassungen und der Ersatz erfahrener Richter und Staatsanwälte durch unerfahrenes Personal haben zu Kapazitätsengpässen in der Justiz geführt und neben dem auf die Justiz ausgeübten politischen Druck die Aussicht auf ein ordnungsgemäßes und faires Verfahren eingeschränkt (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Türkei vom 19.2.2017, S. 15 – im Folgenden: Lagebericht; auch AI, Amnesty Report Türkei 2016, S. 1). Ebenso wurde im zweiten Anlauf der Hohe Rat der Richter und Staatsanwälte (HSYK), welcher u.a. über Verwarnungen, Versetzung oder den Verbleib im Beruf dieser Justizbediensteten entscheidet, einer stärkeren Kontrolle des Justizministeriums unterworfen; im Nachgang zum Putschversuch wurde ein nicht unerheblicher Teil des HSYK-Personals (insgesamt 14.993) im Rahmen von Versetzungen ausgetauscht. Mit dem sog. Sommer-Beschluss wurden im Jahr 2016 beispielsweise 3.228 (2015: 2.664; 2014: 2.517; 2011: 529; 2010: 271) Richter und Staatsanwälte der administrativen Justiz und 518 der zivilen Justiz – insgesamt 3.746 – versetzt. Seit dem Putschversuch vom Juli 2016 wurden außerdem 3.456 Richter und Staatsanwälte vom Dienst suspendiert (vgl. Lagebericht ebenda S. 16; Zahlen auch bei Kamil Taylan, Gutachten an das VG Karlsruhe vom 13.1.2017, S. 13).
Das türkische Recht sichert die grundsätzlichen Verfahrensgarantien im Strafverfahren. Anders als bei Fällen von allgemeiner Kriminalität sind in Verfahren mit politischen Tatvorwürfen bzw. Terrorismusbezug unabhängige Verfahren kaum bzw. zumindest nicht durchgängig gewährleistet, insbesondere werden im Südosten Fälle mit Bezug zur angeblichen Mitgliedschaft in der PKK oder KCK häufig als geheim eingestuft und eine Akteneinsicht von Verteidigern, bisweilen auch ihre Teilnahme an Befragungen unterbunden. Im Zuge der strafrechtlichen Aufarbeitung des Putschversuches vom Juli 2016 schränkte das Dekret 668 am 27. Juli 2016 die regulären Verfahrensgarantien für Personen weitreichend ein, gegen die im Zuge der Verfahren auf Grund der Notstandsdekrete ermittelt wird. So wurde für diese Personengruppe u.a. die maximale Dauer des Polizeigewahrsams auf 30 Tage erhöht. Außerdem wurde für die Strafverfolgungsbehörden die Möglichkeit geschaffen, das Recht von inhaftierten Beschuldigten, ihren Verteidiger zu treffen, für fünf Tage einzuschränken bzw. für diese Zeit auch jeden Kontakt zu verbieten. Teile dieser Bestimmungen wurden durch eine Änderung der Notstandsdekrete vom 23. Januar 2017 allerdings wieder rückgängig gemacht. Die Kommunikation zwischen Mandanten und Verteidigern kann audio-visuell überwacht werden; in zahlreichen Fällen im Zusammenhang mit Terrorismusvorwürfen wurde der überwachte Kontakt mit dem Verteidiger auf bis zu eine Stunde pro Woche in Anwesenheit eines Beamten reduziert (vgl. Lagebericht ebenda S. 16).
Grundsätzlich kommt es nicht zu einer Verurteilung, wenn der Angeklagte bei Gericht – etwa durch Abwesenheit – nicht gehört werden konnte. Es kommen dann die Fristen für Verfolgungs- und Vollstreckungsverjährung zum Tragen (vgl. Lagebericht ebenda S. 16).
Vorliegend haben die Kläger eine Anklage oder Verurteilung sowohl beim Bundesamt (BAMF-Akte Bl. 105, 110) als auch in der mündlichen Verhandlung (Niederschrift vom 1.8.2018, S. 3) ausdrücklich verneint, so dass keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Strafverfolgung im Fall der Rückkehr besteht.
b) Die Kläger haben keine staatliche Verfolgung als Gruppenverfolgung in der Türkei geltend gemacht. Anhaltspunkte für eine staatliche oder staatlich geduldete Gruppenverfolgung liegen auch sonst nicht vor.
Die Annahme einer Gruppenverfolgung setzt voraus, dass entweder sichere Anhaltspunkte für ein an asylerhebliche Merkmale anknüpfendes staatliches Verfolgungsprogramm oder für eine bestimmte Verfolgungsdichte vorliegen, welche die „Regelvermutung“ eigener Verfolgung rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne Weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht.
aa) Die Kläger haben keine Gruppenverfolgung als ethnische Kurden als Vorverfolgung erlitten bzw. im Fall einer Rückkehr zu befürchten.
Kurdische Volkszugehörige zählen etwa 13 Mio. bis 15 Mio. Menschen auf dem Gebiet der Türkei und stellen noch vor Kaukasiern und Roma die größte Minderheit in der Bevölkerung der Türkei (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Türkei vom 19.2.2017, S. 13 – im Folgenden: Lagebericht); sie unterliegen demnach aufgrund ihrer Abstammung keinen staatlichen Repressionen, zumal aus den Ausweispapieren in der Regel – sofern keine spezifisch kurdischen Vornamen geführt werden – nicht hervorgeht, ob ein türkischer Staatsbürger kurdischer Abstammung ist (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht, S. 13). Der private Gebrauch der in der Türkei gesprochenen kurdischen Sprachen Kurmandschi und des weniger verbreiteten Zaza ist in Wort und Schrift keinen Restriktionen ausgesetzt, der amtliche Gebrauch ist allerdings eingeschränkt. Unterricht in kurdischer Sprache an öffentlichen Schulen war bis 2012 nicht erlaubt und wurde seither stufenweise bei entsprechender Nachfrage erlaubt; Dörfer im Südosten können ihre kurdischen Namen zurückerhalten. Die verfassungsrechtliche Festschreibung von Türkisch als einziger Nationalsprache bleibt jedoch erhalten und erschwert die Inanspruchnahme öffentlicher Dienstleistungen durch Kurden und Angehörige anderer Minderheiten, für die Türkisch nicht Muttersprache ist (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht, S. 13 f.). Seit der Verhängung des Notstands aber hat sich die Lage verändert: Zwei Drittel der per Notstandsdekret geschlossenen Medien sind kurdische Zeitungen, Onlineportale, Radio- und Fernsehsender, darunter auch IMC TV und die Tageszeitung „Özgür Gündem“ unter dem Vorwurf, „Sprachrohr der PKK“ zu sein (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht, S. 14).
Kurdische Volkszugehörige unterliegen damit in Türkei zwar einer gewissen Diskriminierung. Es fehlt aber jedenfalls an der für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderlichen kritischen Verfolgungsdichte (vgl. zur Gruppenverfolgung BVerfG, B.v. 23.1.1991 – 2 BvR 902/85, 2 BvR 515/89, 2 BvR 1827/89 – BVerfGE 83, 216 m.w.N.; BVerwG, B.v. 24.2.2015 – 1 B 31/14 – juris). Das Gericht geht aufgrund der vorliegenden und ins Verfahren eingeführten Erkenntnismittel davon aus, dass eine Verfolgung kurdischer türkischer Staatsangehöriger jedenfalls nicht die von der Rechtsprechung verlangte Verfolgungsdichte aufweist, die zu einer Gruppenverfolgung und damit der Verfolgung eines jeden Mitglieds führt (im Ergebnis wie hier VG Aachen, U.v. 5.3.2018 – 6 K 3554/17.A – juris Rn. 51 m.w.N.). Unabhängig davon steht Kurden in der Westtürkei trotz der auch dort problematischen Sicherheitslage und der schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen eine inländische Fluchtalternative offen (vgl. SächsOVG, U.v. 7.4.2016 – 3 A 557/13.A; BayVGH, B.v. 22.9.2015 – 9 ZB 14.30399, alle juris). Sie können den Wohnort innerhalb des Landes wechseln und so insbesondere in Ballungsräumen in der Westtürkei eine in der Südosttürkei auf Grund der gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen türkischen Sicherheitskräften und PKK etwa höhere Gefährdung verringern. Keine Ausweichmöglichkeiten hingegen bestehen, soweit eine Person Ziel behördlicher oder justizieller Maßnahmen wird, da die türkischen Sicherheitskräfte auf das gesamte Staatsgebiet Zugriff haben (Lagebericht ebenda S. 22).
Dies gilt auch für die nicht ortsgebundenen Kläger, wie sie durch ihren Umzug von … ins Heimatdorf gezeigt haben. Dass sie den Maßnahmen türkischer Sicherheitskräfte gegen die PKK nicht entgangen sind, lag hier nicht an ihrer ethnischen Zugehörigkeit als Kurden, sondern an ihrem Wohnort inmitten zwischen PKK und türkischem Staat umstrittener Gebiete. Bereits in … hatten sie diese Probleme nicht; erst recht nicht hätten sie diese in der Westtürkei.
bb) Die Kläger haben keine Gruppenverfolgung als Angehörige der Religionsgruppe der Aleviten als Vorverfolgung erlitten bzw. im Fall einer Rückkehr zu befürchten.
Nach den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnismitteln bilden die türkischen, zum Teil auch kurdischen Aleviten mit schätzungsweise 15 -20 Mio. Menschen nach den Sunniten die zweitgrößte Glaubensgemeinschaft der Türkei. Sie werden nicht als separate Konfession bzw. Glaubensgemeinschaft anerkannt und können sich nur als Verein oder Stiftung organisieren. Seit einem Parlamentsbeschluss im Februar 2015 sind alevitische Gebetsstätten namens „Cem-Haus“ (Cem Evi) mit Glaubensstätten anderer Religionen beispielsweise mit Moscheen gleichzustellen. Trotz der faktisch verbesserten Situation erkennen nur wenige Stadtverwaltungen die alevitischen Gotteshäuser als religiöse Stätten an. Die bekannten Hauptforderungen der Aleviten nach Anerkennung und Gleichstellung der Cem-Häuser als religiöse Stätten und Baugenehmigungen für diese, nach Abschaffung der staatlichen (sunnitischen) Religionsbehörde („Diyanet“), nach Einführung einer Freiwilligkeit der Teilnahme am staatlichen Unterrichtsfach „Religions- und Gewissenskunde“ sowie nach Beendigung der Sunnitisierungspolitik wurden bislang noch nicht erfüllt. Die Möglichkeit der Abwahl des Religionsunterrichts wurde lediglich ausgeweitet (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Türkei vom 19.2.2017, S. 15 – im Folgenden: Lagebericht).
Soweit die Kläger geltend machen, sie seien von der übrigen Bevölkerung als Aleviten ausgegrenzt worden, kann darin nach Intensität und Häufigkeit keine Verfolgung gesehen werden. Eine Ablehnung aus dem sozialen Umfeld bedeutet noch keine Verfolgungshandlung, zumal sie hier nicht von einem Verfolger ausgeht, sondern von einem privaten Dritten, dessen Handeln insbesondere dem türkischen Staat nicht zurechenbar ist. Die Hausdurchsuchungen und Festnahmen sind zwar dem türkischen Staat zurechenbar, zumal wenn dieser – wie der Kläger zu 1 in der mündlichen Verhandlung bestätigte (Niederschrift vom 1.8.2018, S. 3) – auf die allgemeine Situation abstellte; als Kurde und Alevit sei ihnen eine Anhängerschaft und Unterstützung der PKK vorgeworfen worden. Dass die Kläger PKK-Kämpfer auch tatsächlich u.a. mit Nahrung unterstützt haben, haben sie selbst eingeräumt (BAMF-Akte Bl. 105, 110) und sich mithin auch konkret verdächtig gemacht. Dies und nicht ihre alevitische Religion war aber Anknüpfungspunkt der Maßnahmen der Sicherheitsbehörden. Eine Gruppenverfolgung als Aleviten lag mangels genereller, die gesamte Religionsgruppe treffender Maßnahmen daher hier nicht vor.
c) Schließlich steht den nicht staatlich verfolgten Klägern eine sichere inländische Zuflucht in der Westtürkei offen.
Die erwerbsfähigen Kläger zu 1 und zu 2 sind – wie vom Bundesamt im angefochtenen Bescheid ausgeführt – grundsätzlich im Stande, ihr und ihrer Kinder Existenzminimum – ggf. unter (ergänzender) Zuhilfenahme staatlicher Unterstützung (vgl. unten zur Existenzsicherung zu § 60 Abs. 5 AufenthG) in zumutbarer Weise zu sichern. In der Westtürkei gerieten sie auch nicht – wie in ihrem Heimatdorf – in den (wohl begründeten) Verdacht einer Unterstützung der PKK und wären auch vor Terroranschlägen des IS, die sie in … und landesweit befürchten (BAMF-Akte Bl. 105, 110, Niederschrift vom 1.8.2018, S. 4), entgegen ihrer Einschätzung hinreichend sicher.
3. Die Kläger haben auch keinen Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes i.S. des § 4 Abs. 1 AsylG. Sie haben keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vorgebracht, dass ihnen bei einer Rückkehr in die Türkei ein ernsthafter Schaden i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 bis 3 AsylG droht.
Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG i.V.m. Art. 15 RL 2011/95/EU die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.
Die Aufenthaltsbeendigung eines Ausländers durch einen Konventionsstaat kann Art. 3 EMRK verletzen, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme vorliegen und bewiesen sind, dass der Ausländer im Zielstaat einer Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung ausgesetzt zu werden. Dann ergibt sich aus Art. 3 EMRK die Verpflichtung für den Konventionsstaat, den Betroffenen nicht in dieses Land abzuschieben (vgl. EGMR, U.v. 13.12.2016 – 41738/10 – NVwZ 2017, 1187 ff. Rn. 173 m.w.N.).
a) Die Kläger haben eine ernsthafte Bedrohung, so sie eine Gefährdungslage i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG in Gestalt der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe begründen würde, nicht glaubhaft gemacht.
Die Todesstrafe ist in der Türkei abgeschafft (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Türkei vom 19.2.2017, S. 24 – im Folgenden: Lagebericht). Für extralegale Hinrichtungen liegen keine Anhaltspunkte vor. Etwaige Tötungen durch Private wie Familienangehörige stellen keine „Todesstrafe“ hierzu berechtigter Institutionen dar und stehen auch in der Türkei als Kapitaldelikt unter Strafe.
b) Die Kläger haben eine ernsthafte Bedrohung, so sie eine Gefährdungslage i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG wegen Folter, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung begründen würde, nicht glaubhaft gemacht.
Unter Heranziehung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu Art. 15b RL 2011/95/EU und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK ist als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG eine absichtliche, d.h. vorsätzliche Zufügung schwerer körperlicher oder seelischer Leiden zu verstehen, die im Hinblick auf Intensität und Dauer eine hinreichende Schwere aufweisen (vgl. nur EGMR, U.v. 21.1.2011 – 30696/09 – NVwZ 2011, 413 Rn. 220 m.w.N.; EGMR U.v. 25.7.2006 – 54810/00 – NJW 2006, 3117 Rn. 67; BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – NVwZ 2013, 1167 Rn. 22 ff. m.w.N.), Eine erniedrigende Behandlung setzt als Schweregrad eine Demütigung oder Herabsetzung voraus, die im Opfer Gefühle von Furcht, Todesangst und Minderwertigkeit verursacht und geeignet sind, diese Person zu erniedrigen oder zu entwürdigen und möglicherweise ihren psychischen oder moralischen Widerstand zu brechen.
Für die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines solchen ernsthaften Schadens gilt der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit („real risk“) unabhängig davon, ob der Betroffene bereits vor seiner Ausreise einen ernsthaften Schaden i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG erlitten hat; eine solche Vorschädigung stellt aber einen ernsthaften Hinweis darauf dar, dass er tatsächlich Gefahr läuft, (erneut) ernsthaften Schaden zu erleiden (zur Vermutungswirkung vgl. Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU).
Gleichwohl hat das Verwaltungsgericht für die Beurteilung der Wahrscheinlichkeit sich nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO seine freie, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnene Überzeugung zu bilden. Auch im Asylverfahren muss die danach gebotene Überzeugungsgewissheit dergestalt bestehen, dass das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit (nicht etwa nur von der Wahrscheinlichkeit) des behaupteten individuellen Schicksals erlangt hat. Wegen des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich der Betroffene insbesondere hinsichtlich der von ihm vorgetragenen Vorgänge vielfach befindet, genügt für diese Vorgänge in der Regel die Glaubhaftmachung, wodurch allerdings das Gericht nicht von einer Überzeugungsbildung im Sinne des § 108 Abs. 1 VwGO enthoben ist. Vielmehr darf das Gericht keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit verlangen. Es muss sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der den Zweifeln Schweigen gebietet, auch wenn sie nicht völlig auszuschließen sind (vgl. zum Ganzen VGH BW, U.v. 25.4.2018 – A 11 S 924/17 – juris Rn. 32 ff.). Es ist daher zunächst Sache des Schutzsuchenden, die Gründe für seine Furcht vor Verfolgung schlüssig vorzutragen. Dazu hat er unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei verständiger Würdigung ergibt, dass ihm in seinem Heimatstaat Verfolgung droht. Hierzu gehört, dass er zu den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Anspruch lückenlos zu tragen. Erhebliche Widersprüche und Unstimmigkeiten im Vorbringen können dem entgegenstehen, es sei denn, diese können überzeugend aufgeklärt werden (vgl. zum Maßstab bereits oben zu § 3 AsylG).
Eine solche Gefahr besteht im Fall der Kläger nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit; auf die Würdigung ihres Vorbringens zu § 3 AsylG wird insoweit verwiesen. Zudem steht ihnen eine inländische hinreichend sichere Zuflucht offen (vgl. oben) und einem subsidiären Schutzanspruch nach § 3e i.V.m. § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG entgegen.
4. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor. Auf den Bescheid des Bundesamts wird Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG) und ergänzend ausgeführt:
a) Den Klägern steht kein Anspruch auf Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG zu.
Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Nach Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden. Dies ist auch der Fall, wenn es dem Betroffenen nicht (mehr) gelingen würde, seine elementaren Bedürfnisse wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft, zu befriedigen (vgl. BayVGH, U.v. 21.25.2014 – 13a B 14.30285 – Asylmagazin 2015, 197) und die aus zu erwartenden schwierigen Lebensbedingungen resultierenden Gefährdungen im Einzelfall eine solche Intensität aufweisen, dass auch ohne konkret drohende Maßnahmen von einer unmenschlichen Behandlung auszugehen ist.
Hier liegen diese besonders strengen Voraussetzungen nicht vor:
aa) Der erwachsene, gesunde und erwerbsfähige Kläger zu 1 würde mit seiner Familie im Fall ihrer Abschiebung in die Türkei keiner besonderen Ausnahmesituation ausgesetzt sein, die mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu führen würde, dass ihre elementarsten Bedürfnisse im Sinne eines absoluten Existenzminimums nicht gesichert wären (vgl. bereits oben zur zumutbaren inländischen Fluchtalternative).
Die Grundversorgung und die medizinische Versorgung sind nach Überzeugung des Gerichts für Rückkehrer in der Türkei jedenfalls im Umfang des absoluten Existenzminimums gesichert.
In der Türkei gibt es zwar keine mit dem deutschen Recht vergleichbare staatliche Sozialhilfe. Sozialleistungen für Bedürftige werden aber über den Förderungsfonds für Soziale Hilfe und Solidarität gewährt und von den in 81 Provinzen und 850 Kreisstädten vertretenen 973 Einrichtungen der Stiftungen für Soziale Hilfe und Solidarität (Sosyal Yardımlaşma ve Dayanişma Vakfi) ausgeführt, die den Gouverneuren unterstellt sind. Anspruchsberechtigt sind bedürftige Staatsangehörige, die sich in Armut und Not befinden, nicht gesetzlich sozialversichert sind und von keiner Einrichtung der sozialen Sicherheit ein Einkommen oder eine Zuwendung beziehen, sowie Personen, die gemeinnützig tätig und produktiv werden können. Die Leistungsgewährung wird von Amts wegen geprüft. Eine neu eingeführte Datenbank vernetzt Stiftungen und staatliche Institutionen, um Leistungsmissbrauch entgegenzuwirken. Leistungen werden gewährt in Form von Unterstützung der Familie (Nahrungsmittel, Heizmaterial, Unterkunft), Bildungshilfen, Krankenhilfe, Behindertenhilfe sowie besonderen Hilfeleistungen wie Katastrophenhilfe oder Volksküchen. Die Leistungen werden in der Regel als zweckgebundene Geldleistungen für neun bis zwölf Monate gewährt. Darüber hinaus existieren weitere soziale Einrichtungen, die ihre eigenen Sozialhilfeprogramme haben (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Türkei vom 19.2.2017, S. 26 f. – im Folgenden: Lagebericht).
Die medizinische Versorgung durch das staatliche Gesundheitssystem hat sich in den letzten Jahren strukturell und qualitativ erheblich verbessert, vor allem in ländlichen Gegenden sowie für die arme, (bislang) nicht krankenversicherte Bevölkerung. Auch wenn Versorgungsdefizite vor allem in ländlichen Provinzen bei der medizinischen Ausstattung und im Hinblick auf die Anzahl von Ärzten bzw. Pflegern bestehen, sind landesweit Behandlungsmöglichkeiten für alle Krankheiten gewährleistet. Landesweit gab es im Jahr 2013 1.517 Krankenhäuser mit einer Kapazität von 202.031 Betten, davon ca. 60% in staatlicher Hand. Die Behandlung bleibt für die bei der staatlichen Krankenversicherung Versicherten mit Ausnahme der „Praxisgebühr“ unentgeltlich. Grundsätzlich können sämtliche Erkrankungen in staatlichen Krankenhäusern angemessen behandelt werden, insbesondere auch chronische Erkrankungen wie Krebs, Niereninsuffizienz (Dialyse), Diabetes, Aids, Drogenabhängigkeit und psychiatrische Erkrankungen. Wartezeiten in den staatlichen Krankenhäusern liegen bei wichtigen Behandlungen/Operationen in der Regel nicht über 48 Stunden. In vielen staatlichen Krankenhäusern ist es jedoch (nach wie vor) üblich, dass Pflegeleistungen nicht durch Krankenhauspersonal, sondern durch Familienangehörige und Freunde übernommen werden. Durch die zahlreichen Entlassungen nach dem gescheiterten Putschversuch, von denen auch der Gesundheitssektor betroffen ist, kommt es nach Medienberichten gelegentlich zu Verzögerungen bei der Bereitstellung medizinischer Dienstleistungen (vgl. Lagebericht ebenda S. 27). Psychiater praktizieren und zwölf psychiatrische Fachkliniken mit einer Bettenkapazität von rund 4.400 standen im Jahr 2011 zur Verfügung, weitere Betten gibt es in besonderen Fachabteilungen einiger Regionalkrankenhäuser. Auch sind therapeutische Zentren für Alkohol- und Drogenabhängige vorhanden (vgl. Lagebericht ebenda S. 27; zur Behandlung psychischer Erkrankungen auch S. 34 f.).
Zum 1. Januar 2012 hat die Türkei eine allgemeine, obligatorische Krankenversicherung eingeführt für alle Personen mit Wohnsitz in der Türkei mit Ausnahmen u.a. für Soldaten/Wehrdienstleistende und Häftlinge. Die obligatorische Krankenversicherung erfasst u. a. Leistungen zur Gesundheitsprävention, stationäre und ambulante Behandlungen und Operationen, Laboruntersuchungen, zahnärztliche Heilbehandlungen sowie Medikamente, Heil- und Hilfsmittel. Unter bestimmten Voraussetzungen sind auch Behandlungen im Ausland möglich. Nicht der Sozialversicherungspflicht unterfallende türkische Staatsbürger mit einem Einkommen von weniger als einem Drittel des Mindestlohns können von der Beitragspflicht befreit werden. Bei einem Einkommen zwischen einem Drittel und dem doppelten Mindestlohn gelten ermäßigte Beitragssätze. Bis Mitte des Jahres 2014 haben sich rund 12 Mio. Türken einer solchen Einkommensüberprüfung unterzogen, für rund 8 Mio. von ihnen hat der Staat die Zahlung der Beiträge übernommen (vgl. Lagebericht ebenda S. 28).
Die für eine gesundheitliche Versorgung mittelloser türkischer Staatsbürger bisher geltenden „Grünen Karten“ (2011: knapp 9 Millionen Inhaber) sind ausgelaufen, ihre Inhaber sollen in die allgemeine Krankenversicherung überwechseln. Für Kinder bis zum Alter von 18 bzw. 25 Jahren, Ehepartner und (Schwieger-)Elternteile ohne eigenes Einkommen besteht die Möglichkeit einer Familienversicherung. Besondere Beitragsregelungen gelten schließlich auch für Bezieher von Alters- und Erwerbsminderungsrenten (vgl. Lagebericht ebenda S. 29).
Die Kläger zu 1 und zu 2 sind erwerbsfähig und er war in der Türkei auch lange Jahre erwerbstätig; sie verfügen über Grundeigentum und über Wohnraum und Vermögen in der Türkei, so dass ihnen die Sicherung des Lebensunterhalts für sich und ihre Kinder möglich und zumutbar ist.
bb) Die Kläger würden im Fall ihrer Abschiebung in die Türkei auch nicht wegen einer Asylantragstellung unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.
Rückkehrerinnen und Rückkehrer werden nach vorliegenden Erkenntnissen keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe unterworfen. Dem Auswärtigen Amt und türkischen Menschenrechtsorganisationen, zu denen die Deutsche Botschaft engen Kontakt unterhält, ist in den letzten Jahren kein Fall bekannt geworden, in dem ein aus Deutschland in die Türkei zurückgekehrter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten – dies gilt auch für exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen – gefoltert oder misshandelt worden ist (vgl. Lagebericht ebenda S. 29).
Aufgrund eines Runderlasses des türkischen Innenministeriums dürfen keine Suchvermerke (insbesondere für Wehrdienstflüchtlinge oder zur Fahndung ausgeschriebene Personen) mehr ins Personenstandsregister eingetragen werden; vorhandene Suchvermerke sollen Angaben türkischer Behörden zufolge im Jahr 2005 gelöscht worden sein (vgl. Lagebericht ebenda S. 29).
Unbegleitet zurückkehrende Minderjährige finden in der Regel Aufnahme bei Verwandten, sonst im Einzelfall ggf. in einem Waisenhaus oder Kinderheim. in letzterem Fall sollten die zuständigen türkischen Behörden rechtzeitig informiert werden (vgl. Lagebericht ebenda S. 29).
In der Türkei finden Ausreisekontrollen für alle Personen statt. Türkischen Staatsangehörigen, gegen welche ein vom türkischen Innenministerium oder von einer Staatsanwaltschaft verhängtes Ausreiseverbot vorliegt und die auf einer entsprechenden Liste stehen, wird die Erteilung eines Reisepasses versagt oder sie werden bei Besitz eines Reisepasses an der Ausreise gehindert. Bei bestehendem Ausreiseverbot kann ein Reisepass auch durch Bestechung kaum erlangt werden, denn seine Ausstellung erfordert, dass ein vorhandener Listeneintrag zuvor auf amtliche Veranlassung durch richterlichen Beschluss oder Beschluss des Innenministeriums gelöscht wird (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das BAMF vom 11.6.2018, S. 1 f.).
In der Türkei finden Einreisekontrollen für alle Personen statt. Bei dieser Personenkontrolle können türkische Staatsangehörige mit einem gültigen türkischen, sie zur Einreise berechtigenden Reisedokument die Grenzkontrolle grundsätzlich ungehindert passieren. Seit dem Putschversuch vom Juli 2016 werden alle türkischen Staatsangehörigen auch auf Inlandsflügen einer fahndungsmäßigen Überprüfung unterzogen. In Fällen von Rückführungen gestatten die Behörden die Einreise nur mit türkischem Reisepass oder Passersatzpapier (vgl. Lagebericht ebenda S. 29). Die Einreisekontrollen wurden bereits im Zuge der Flüchtlingskrise verstärkt, nicht erst seit dem Putschversuch (vgl. Kamil Taylan, Gutachten an das VG Karlsruhe vom 13.1.2017, S. 3), nun aber gezielter mit Listen mutmaßlicher Gülen- oder PKK-Anhänger (Schweizer Flüchtlingshilfe SFH, Schnellrecherche an das VG Karlsruhe vom 17.2.2017, S. 2). Ein abgelehnter kurdischer Asylbewerber läuft bei der Rückkehr nicht Gefahr, allein wegen seiner Volkszugehörigkeit verhaftet zu werden, außer er hat sich für kurdische Rechte oder Organisationen aktiv eingesetzt oder z.B. an pro-kurdischen Demonstrationen teilgenommen (vgl. Kamil Taylan, Gutachten an das VG Karlsruhe vom 13.1.2017, S. 3 f., 28 f.; auch SFH ebenda S. 2, 3, 10 f.).
Da die Kläger die Türkei aber nach dem Putsch und – ihrer Behauptung zu Folge – auf dem Luftweg streng kontrolliert und unbehelligt verlassen haben, ist nicht damit zu rechnen und auch nicht beachtlich wahrscheinlich, dass sie mit dem Putsch in Verbindung gebracht würden. Die Einreisekontrollen als solche stellen keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung dar.
b) Ein Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 ff. AufenthG wegen einer zielstaatsbezogenen erheblichen konkreten Gefahr für Leib oder Leben aus gesundheitlichen Gründen, die eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung voraussetzt, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, liegt im Fall der Kläger nicht vor.
5. Nachdem sich auch die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach § 11 Abs. 1 AufenthG – mangels gegenläufiger schutzwürdiger Belange der Kläger – als rechtmäßig erweist, war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1, § 159 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.