Aktenzeichen M 9 S 17.52576
VwGO § 80 Abs. 5
AufenthG § 11 Abs. 1, § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
Leitsatz
1 Es ist im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht davon auszugehen, dass der Antragsteller in Italien aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die gegenwärtig hohe Zahl von Einwanderern nach Italien stellt keinen Umstand dar, der die Annahme systemischer Mängel rechtfertigen könnte. Die Schwelle zur unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung durch Italien würde erst dann überschritten, wenn auf die erhöhte Zahl von Einwanderern hin keinerlei Maßnahmen zur Bewältigung der damit verbundenen Probleme ergriffen würden. Davon kann jedoch nicht ausgegangen werden. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die bevorstehende Überstellung nach Italien im Rahmen des sog. Dublin-Verfahrens.
Der Antragsteller ist (alles nach eigenen Angaben, der Antragsteller hat keine Personaldokumente seines Heimatlandes vorgelegt) nigerianischer Staatsangehöriger und geboren am 3. März 1988. Auf die Angaben im persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats und die persönliche Anhörung zur Klärung der Zulässigkeit des gestellten Asylantrags am 22. August 2017, Bl. 39 – 42 der Bundesamtsakte, wird Bezug genommen. Er habe sein Heimatland am 4. Oktober 2004 verlassen. Er sei über den Niger, Libyen, Italien, wo er sich ca. acht Jahre aufgehalten habe, und Österreich nach Deutschland gekommen, wo er am 12. August 2017 angekommen sei und wo er am 22. August 2017 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) – Außenstelle Manching einen Asylantrag gestellt hat. Er sei mit seiner Lebensgefährtin hier.
Am 23. August 2017 fand die Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrags gem. § 29 Abs. 1 Nr. 1 – 4 AsylG i.V.m. § 25 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 AsylG statt. Dort gab der Antragsteller an, er wolle nicht nach Italien, weil er dort nur betteln und seine Familie nicht versorgen könne. Auf die Frage, ob er Beschwerden bzw. Erkrankungen habe, machte der Antragsteller keine Angaben. Auf die Niederschrift im Übrigen wird Bezug genommen (Bl. 69 – 72 der Bundesamtsakten).
Ebenfalls am 23. August 2017 fand außerdem noch eine Anhörung gemäß § 25 AsylG statt. Auf die Niederschrift über die Anhörung wird Bezug genommen (Bl. 60 – 68 der Bundesamtsakten).
Am 6. September 2017 fand seitens der Regierung von Oberbayern – Zentrale Ausländerbehörde Oberbayern / Zentrale Passbeschaffung Bayern eine Befragung zur Identitätsklärung statt. Auf das Befragungsprotokoll (Bl. 119 – 124 sowie die Anlage Bl. 125) und die „Einschätzung“ zur Erstbefragung (Bl. 126f. der Bundesamtsakte) wird Bezug genommen.
Für den Antragsteller folgt aus dem von der Antragsgegnerin vorgelegten Verwaltungsvorgang ein Eurodac-Treffer für Italien (IT1CZ00BD6, Bl. 2 bzw. Bl. 5 bzw. Bl. 77 der Bundesamtsakte).
Auf das Übernahmeersuchen der Antragsgegnerin vom 24. August 2017 an Italien erfolgte keine Reaktion.
Mit Bescheid vom 11. September 2017 lehnte das Bundesamt den Antrag als unzulässig ab (Nr. 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2) und ordnete die Abschiebung nach Italien an (Nr. 3). Die Nr. 4 des Bescheids enthält die Befristungsentscheidung hinsichtlich des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG. Auf den Bescheid und seine Begründung wird Bezug genommen.
Ausweislich der in der Bundesamtsakte enthaltenen Kopie der Postzustellungsurkunde wurde der Bescheid am 13. September 2017 zugestellt.
Der Antragsteller erhob hiergegen am 14. September 2017 zur Niederschrift bei der auswärtigen Rechtsantragstelle des Verwaltungsgerichts München in Manching Klage (Az.: M 9 K 17.52575) mit dem Antrag,
den Bescheid vom 11. September 2017 aufzuheben.
Außerdem wurde beantragt,
hinsichtlich der Abschiebungsanordnung nach Italien die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen.
Zur Begründung der Rechtsbehelfe wird Bezug genommen auf die Angaben gegenüber dem Bundesamt, außerdem führte der Antragsteller aus, dass er mit … …, geb. 29. November 1989, über deren Asylverfahren noch nicht entschieden sei, traditionell verheiratet sei.
Mit Schreiben vom 5. März 2018 bestellte sich eine Bevollmächtigte für den Antragsteller und begründete Antrag und Klage weiter. Der Antragsteller sei mit … …, geb. 29. November 1989 verheiratet und habe mit dieser zwei Kinder, … … …, geboren am 17. März 2015 und … … …, geboren am 31. Mai 2017. Das Asylverfahren der Ehefrau samt Kindern sei noch bei der Antragsgegnerin anhängig. Eine Kopie der Heiratsurkunde sei von der Ehefrau bei der Antragsgegnerin eingereicht worden. Aufgrund der Tatsache, dass es sich beim Antragsteller um einen Familienvater einer Familie mit Kindern unter drei Jahren handele, sei unter Anwendung der „Tarakhel“ – Entscheidung eine Überstellung nach Italien ausgeschlossen.
Mit Schreiben der Antragstellerbevollmächtigten vom 3. April 2018 wurden zwei kopierte Unterlagen in italienischer Sprache vorgelegt, bei denen es sich (nach der Angabe der Antragstellerbevollmächtigten) um Geburtsbestätigungen der beiden Kinder handele und aus denen hervorgehe, dass der Antragsteller der Vater sei.
Auf entsprechende Aufforderung des Gerichts wurden die Unterlagen mit Schreiben vom 9. Mai 2018 in deutscher Übersetzung vorgelegt.
Die Antragsgegnerin legte die Behördenakten vor und äußerte sich auf entsprechende Aufforderungen des Gerichts mit Schreiben vom 20. März 2018 und vom 6. Juli 2018, auf die Bezug genommen wird.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten in diesem und im dazugehörigen Klageverfahren und der Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Für das Gericht ist hinsichtlich der Sach- und Rechtslage der Zeitpunkt der Entscheidung maßgeblich (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG).
Der Antrag ist zwar zulässig, insbesondere ist er fristgerecht gestellt, § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
Der Antrag ist jedoch unbegründet, denn die Hauptsacheklage hat voraussichtlich keinen Erfolg.
Der Bescheid der Antragsgegnerin vom 11. September 2017, auf den im Sinne von
§ 77 Abs. 2 AsylG Bezug genommen wird, ist voraussichtlich rechtmäßig.
Gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann.
1. Italien ist als Mitgliedstaat, über dessen Grenze der Antragsteller aus einem Drittstaat illegal eingereist ist, für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig.
Die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens richtet sich vorliegend nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO). Die Zuständigkeitskriterien der Dublin III-VO finden nach Art. 49 Abs. 2 dieser Verordnung auf Asylanträge, die – wie hier – nach dem 1. Januar 2014 gestellt worden sind, Anwendung.
Art. 3 Abs. 1 Dublin III-VO sieht vor, dass der Asylantrag von dem Mitgliedstaat geprüft wird, der nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-VO als zuständiger Staat bestimmt wird. Bei Anwendung dieser Kriterien ist ohne weiteres Italien für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig. Gemäß Art. 13 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO ist derjenige Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig, über dessen Grenze der Asylbewerber aus einem Drittstaat illegal eingereist ist. Das ist auch nach dem eigenen Vortrag des Antragstellers Italien; unabhängig davon hat er dort auch einen Asylantrag gestellt. Der Umstand der Asylantragstellung in Italien wird belegt durch den für den Antragsteller erzielten Eurodac-Treffer mit der Kennzeichnung „IT1“. Die Ziffer „1“ steht für einen Antrag auf internationalen Schutz (Art. 24 Abs. 4 i.V.m. Art. 9 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 vom 26.6.2013 (Neufassung) (EURODAC-VO)). Die Zuständigkeit Italiens ist auch nicht gemäß Art. 13 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO erloschen. Damit ist vorliegend Italien der für die Durchführung des Asylverfahrens zuständige Mitgliedstaat.
Da die italienischen Behörden auf das Wiederaufnahmeersuchen der Antragsgegnerin nicht reagiert haben, ist gemäß Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO davon auszugehen, dass dem Wiederaufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die betreffende Person wieder aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen (Art. 18 Abs. 1 Dublin III-VO).
2. Die Abschiebung nach Italien kann gemäß § 34a Abs. 1 AsylG auch durchgeführt werden.
Die Zuständigkeit ist nicht gem. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 3 Dublin III-VO auf die Antragsgegnerin übergegangen, weil eine Überstellung an Italien als den zuständigen Mitgliedstaat an Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO scheitern würde. Es sind keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Antragsteller im Falle einer Abschiebung nach Italien infolge systemischer Schwachstellen des dortigen Asylverfahrens oder der dortigen Aufnahmebedingungen einer hinreichend wahrscheinlichen Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausgesetzt wäre.
Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v.14.05.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 –, juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v.21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 –, juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Grundrechtscharta) entspricht. Allerdings ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für den jeweiligen Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 Grundrechtscharta ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, U.v.21.12.2011 a.a.O.). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B.v.19.03.2014 – 10 B 6.14 –, juris).
Ausgehend von diesen Maßstäben und im Einklang mit der aktuellen obergerichtlichen Rechtsprechung ist im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht davon auszugehen, dass der Antragsteller in Italien aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (vgl. BayVGH, U.v.28.2.2014 – 13a B 13.30295 –, juris; OVG NRW, B.v. 16.2.2017 – 13 A 316/17.A – juris Rn. 3 – 5; U.v.22.9.2016 – 13 A 2248/15.A –, juris Rn. 72ff.; U.v.18.7.2016 – 13 A 1859/14.A –, juris Rn. 54ff.; U.v.24.4.2015 – 14 A 2356/12.A –, juris; U.v. 07.3.2014 – 1 A 21/12.A –, juris; NdsOVG, U.v. 4.4.2018 – 10 LB 96/17 – juris; VGH BW, U.v. 16.4.2014 – A 11 S 1721/13 –, juris; OVG Rh-Pf, U.v.21.2.2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris; OVG LSA, U.v.2.10.2013 – 3 L 645/12 –, juris; OVG Berlin-Bbg, B.v.17.6.2013 – OVG 7 S 33.13 –, juris; NdsOVG, B.v.30.1.2014 – 4 LA 167/13 –, juris; U.v.25.6.2015 – 11 LB 248/14 –, juris; VG Osnabrück, B.v. 8.8.2017 – 5 B 212/17 – juris; vgl. auch BVerfG, Kammerb.v.17.9.2014 – 2 BvR 732/14 –, juris). Danach verfügt Italien unter Berücksichtigung der Verwaltungspraxis über ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes, richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren, welches trotz einzelner Mängel nicht nur abstrakt, sondern gerade auch unter Würdigung der vor Ort tatsächlich anzutreffenden Rahmenbedingungen prinzipiell funktionsfähig ist und dabei insbesondere sicherstellt, dass der rücküberstellte Asylbewerber im Normalfall nicht mit schwerwiegenden Verstößen und Rechtsbeeinträchtigungen rechnen muss. Obwohl sich in Teilbereichen der tatsächlichen Aufnahmebedingungen durchaus erhebliche Mängel und Defizite feststellen lassen, werden diese, weder für sich genommen noch insgesamt, als so gravierend bewertet, dass ein grundlegendes, systemisches Versagen des Mitgliedstaates vorläge, welches für einen Dublin-Rückkehrer nach dem Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit Rechtsverletzungen im Schutzbereich von Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK mit dem dafür notwendigen Schweregrad impliziert (vgl. OVG NRW, U.v.07.03.2014, a.a.O, Rn 132; OVG Rh-Pf, U.v. 21.02.2014, a.a.O, Rn 45 f.).
Das Gericht schließt sich damit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte an (vgl. EGMR, B.v.02.04.2013 – Hussein u.a../.Niederlande und Italien, Nr. 27725/10 –, ZAR 2013, 336; B.v.18.06.2013 – Halimi./.Österreich und Italien, Nr. 53852/11 –, ZAR 2013, 338). Unter Berücksichtigung der Berichte von Regierungs- und Nichtregierungsinstitutionen und -organisationen über die Aufnahmeprogramme für Asylbewerber in Italien kam der Gerichtshof zu dem Schluss, dass die allgemeine Situation und die Lebensbedingungen in Italien für Asylbewerber zwar einige Mängel aufweisen mögen, dass die vorliegenden Materialien jedoch kein systemisches Versagen der Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen für Asylbewerber als Mitglieder einer besonders schutzbedürftigen Personengruppe aufzeigen würden. Berichte des UNHCR und des Menschenrechtskommissars wiesen auf jüngste Verbesserungen der Situation hin mit dem Ziel der Mängelbeseitigung; alle Berichte zeigten übereinstimmend und ausführlich die Existenz ausgearbeiteter Strukturen von Einrichtungen und Hilfsmaßnahmen, die auf die Bedürfnisse der Asylbewerber zugeschnitten seien. Diese Rechtsauffassung hat der EGMR, dessen Rechtsprechung für die Auslegung der EMRK auch über den jeweilig entschiedenen Fall hinaus eine Orientierungs- und Leitfunktion hat (BVerfG, U.v.04.05.2011 – 2 BvR 2333/08 –, juris), durch seine Entscheidung vom 10. September 2013 (Nr. 2314/10 – HUDOC) ausdrücklich bestätigt.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Urteil des EGMR vom 4. November 2014 im Verfahren Tarakhel ./. Schweiz (Az. 29217/12, NVwZ 2015, 127 ff.). Der EGMR hat hier lediglich entschieden, dass die Schweizer Behörden die Abschiebung einer Familie nach Italien nicht vornehmen dürfen, ohne vorher individuelle Garantien von den italienischen Behörden erhalten zu haben, dass die Antragsteller in Italien in einer dem Alter der Kinder adäquaten Art und Weise behandelt werden und die Familie zusammenbleiben darf. Das Urteil beinhaltet damit keine Aussage zu eventuellen systemischen Mängeln in Italien, sondern lediglich eine Einschränkung für die Abschiebung von Familien nach Italien. Zudem hat der EGMR in seiner Entscheidung vom 5. Februar 2015 im Verfahren A.M.E. ./. Niederlande (Az. 51428/10) entschieden, dass die Struktur und die Gesamtsituation des italienischen Flüchtlings- und Asylbewerberaufnahmesystems kein genereller Grund sind, eine Überstellung im Zuge des sog. Dublin-Verfahrens zu verbieten. Unabhängig davon sind die Umstände des streitgegenständlichen Falles des Antragstellers mit denjenigen in der Entscheidung des EGMR nicht vergleichbar; diesbezüglich wird im Einzelnen auf die Ausführungen zu Art. 17 Dublin III-VO (sogleich unten) verwiesen.
Auch aus neueren Erkenntnismitteln können keine Hinweise auf systemische Mängel entnommen werden. In dem vom Europäischen Rat für Flüchtlinge und im Exil lebende Personen (ECRE) für das Projekt AIDA – Asylum Information Database erstellten Länderbericht zu Italien vom Dezember 2015 (abrufbar unter http://www.asylumineurope.org/reports/country/italy) wird zwar ausgeführt (vgl. S. 62 ff. des Berichts), dass dort zumindest in der Vergangenheit nicht für alle Asylbewerber adäquate Aufnahmeeinrichtungen zur Verfügung gestanden haben und die Zahl von Unterbringungsplätzen nur unzureichend war. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass der italienische Staat hiergegen erfolgsversprechende Gegenmaßnahmen ergreift. Zum einen werden die Kapazitäten der Aufnahmeeinrichtungen dem vorgenannten Bericht zufolge seit 2013 deutlich erhöht. UNHCR und Nichtregierungsorganisationen beraten die staatlichen Stellen bei der Verbesserung der Aufnahmebedingungen. Speziell für Dublin-Rückkehrer wurden zum anderen Zentren zur übergangsweisen Unterbringung eingerichtet (vgl. S. 63f. des Berichts). Ein systemisches Versagen der Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen lässt sich dem AIDA-Bericht nicht entnehmen. Ein systemischer Mangel der Aufnahmebedingungen kann daher auch für die Personengruppe, der der Antragsteller angehört, nicht angenommen werden.
Auch aus dem Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe von August 2016 (vgl. Schweizerischen Flüchtlingshilfe (https://www.fluechtlingshilfe.ch/…/160815-sfh-bericht-italien-aufnahmebedingungen) ergibt sich nichts Anderes. Denn erstens handelt es sich hierbei nicht um das einzig richtige bzw. einzig maßgebliche Erkenntnismittel, vielmehr ergibt eine Berücksichtigung dieses Erkenntnismittels in der Zusammenschau mit den zahlreichen anderen vorhandenen Erkenntnismitteln eben im Ergebnis, dass systemische Mängel im italienischen Asylverfahren nicht vorliegen. Zweitens wäre die Schwelle zur unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung durch Italien erst dann überschritten, wenn absehbar wäre, dass auf die erhöhte Zahl von Einwanderern keinerlei Maßnahmen zur Bewältigung des Problems ergriffen würden. Dafür gibt es auch nach dem aktuellen Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe aus dem August 2016 keine Hinweise (vgl. VG Schwerin, U.v.26.09.2016 – 16 A 1757/15 As SN –, juris Rn. 122), auch ansonsten ist das nicht der Fall (vgl. z.B. OVG NRW, U.v.18.07.2016 – 13 A 1859/14.A –, juris Rn. 103ff.).
Die gegenwärtig hohe Zahl von Einwanderern nach Italien stellt keinen Umstand dar, der eine andere Beurteilung rechtfertigen könnte. Die Schwelle zur unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung durch Italien würde erst dann überschritten, wenn auf die erhöhte Zahl von Einwanderern hin keinerlei Maßnahmen zur Bewältigung der damit verbundenen Probleme ergriffen würden. Davon kann jedoch nicht ausgegangen werden (vgl. OVG NRW, U.v.24.04.2015 a.a.O., U.v. 18.7.2016 – 13 A 1859/14.A – juris Rn. 105).
Daran ändert sich nichts durch den Umstand, dass einzelne Verwaltungsgerichte zu einem anderen Ergebnis kommen. In einem Rechtssystem mit der Regelung, dass die Richter unabhängig und nur dem Gesetze unterworfen sind, vgl. Art. 97 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), ist das Gericht nicht an die Entscheidungen anderer Gerichte gebunden, weder an Entscheidungen von im Instanzenzug übergeordneten Gerichten noch an Entscheidungen von Gerichten derselben Instanz. Im Übrigen vermag die (mittlerweile vollkommen) vereinzelte Auffassung einzelner Verwaltungsgerichte, dass das italienische Asylsystem an systemischen Mängeln leide, nicht die Richtigkeit des gegenteiligen Ergebnisses, das von einer Vielzahl von Gerichten aller Instanzen vertreten wird (vgl. oben Seite 8 unten/ Seite 9, wo ein kleiner Ausschnitt aus der insoweit unübersehbaren Rechtsprechung nachgewiesen ist), in Frage zu stellen.
Auch der Umstand, dass sich die Situation des Antragstellers in Italien u.U. deutlich schlechter als im Bundesgebiet darstellt, begründet keinen systemischen Mangel des Asylverfahrens (vgl. EGMR, B.v.02.04.2013 – a.a.O.).
Auch im Hinblick auf medizinische Betreuung und Versorgung ergibt sich keine Verpflichtung der Antragsgegnerin, das Asylverfahren durchzuführen (vgl. EGMR, U.v.30.6.2015 – 39350/13 – A.S. gegen Schweiz), da Italien über eine umfassende Gesundheitsfürsorge verfügt, die italienischen Staatsbürgern sowie Flüchtlingen, Asylbewerbern und unter humanitären Schutz stehenden Personen gleichermaßen zugänglich ist. Nach der bestehenden Auskunftslage funktioniert die notfallmedizinische Versorgung und der Zugang zu Hausärzten grundsätzlich ebenso wie das Angebot von psychologischer und psychiatrischer Behandlung (vgl. VG Ansbach, U.v.11.12.2015 – AN 14 K 15.50316 –, juris Rn. 26 m.w.N.). Auch der bereits erwähnte Bericht von AIDA bestätigt die Gleichstellung von Asylsuchenden und international Schutzberechtigten mit italienischen Staatsangehörigen hinsichtlich der gesundheitlichen Versorgung (vgl. dort S. 84). Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 21. Januar 2013 an das OVG Sachsen-Anhalt steht eine kostenfreie medizinische Versorgung auch Personen zu, die nicht in einer staatlichen Unterkunft untergebracht sind. Eine aktuelle Vereinbarung zwischen der italienischen Zentralregierung und den Regionen garantiert dabei die Not- und Grundversorgung auch von Personen, die sich illegal im Land aufhalten (VG Augsburg, B.v.19.09.2015 – Au 7 S 15.50412 – juris). Die Notambulanz ist für alle Personen in Italien kostenfrei (VG München, B.v.05.11.2014 – M 18 S 14.50356 – juris m.w.N.). Auch bei Überstellung von kranken Personen, deren Asylverfahren in Italien negativ abgeschlossen ist, besteht damit die Möglichkeit der Behandlung. Es ist daher davon auszugehen, dass der Antragsteller, der ohnehin angegeben hat, gesund zu sein, in Italien Zugang zu einer angemessenen medizinischen Versorgung hat.
Individuelle, außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO notwendig machen, liegen nicht vor. Ebenso wenig liegen inlandsbezogene oder zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse vor. Insbesondere ändert sich am Ergebnis nichts auf Grund des Vortrags, dass bei einer Überstellung des Antragstellers dieser in Bezug auf die vom Grundgesetz, der Europäischen Menschenrechtskonvention und der EU-Grundrechtecharta geschützte familiäre Gemeinschaft zur geltend gemachten Ehefrau und den geltend gemachten, hier aufhältigen Kindern verletzt würde.
Denn es fehlt hierfür zunächst an einem Nachweis der Ehe und insbesondere der Vaterschaft des Antragstellers hinsichtlich der beiden geltend gemachten Kinder. Unabhängig davon ist jedoch auch die Identität des Antragstellers nicht nachgewiesen, was es ebenfalls ausschließt, dass der Antragsteller die geltend gemachten familiären Beziehungen auch tatsächlich nachweisen kann.
Für die Ehe mit der geltend gemachten Ehefrau ist dem Gericht gegenüber überhaupt kein Nachweis vorgelegt worden. Lediglich quasi nachrichtlich wurde mitgeteilt, dass die Heiratsurkunde im Verfahren der geltend gemachten Ehefrau vorgelegt wurde. Der Stellungnahme des Bundesamts vom 20. März 2018 lässt sich entnehmen, dass lediglich eine Kopie einer Heiratsurkunde zu den Akten gereicht wurde. Das Bundesamt weist insofern zu Recht darauf hin, dass diese Kopie eine nach deutschem Recht beachtliche Verheiratung nicht belegen kann. Denn erstens ist laut Vortrag des Bundesamts, an dem zu zweifeln das Gericht keinen Anlass hat, in der vorgelegten Kopie als Datum der Heirat der 1. April 2004 angegeben, was unter Berücksichtigung des bezüglich der geltend gemachten Ehefrau von der Antragstellerbevollmächtigten selbst angegebenen Geburtsdatums eine nach deutschem Recht unzulässige Kinderehe bedeutet. Und zweitens genügt die Vorlage einer bloßen Kopie eines derartigen Dokuments nicht, um eine nach deutschem Recht beachtliche Eheschließung nachzuweisen. Dafür bedürfte es etwa einer legalisierten Eheschließungsurkunde o.ä.
Ebenso wenig ist die Abstammung der geltend gemachten beiden Kinder vom Antragsteller nachgewiesen. Die vorgelegten Kopien „Zusammenfassender Auszug aus dem Register der Geburtsurkunden […]“ aus Italien genügen dafür nicht. Auch insofern wären mindestens legalisierte Auszüge aus dem Geburtsregister erforderlich, an deren Vorlage es aber fehlt. Das Bundesamt weist in seiner Stellungnahme mit Schreiben vom 6. Juli 2018 außerdem darauf hin, dass die Bevollmächtigte des Antragstellers gebeten wurde, die Originalurkunden vorzulegen; auch diesen Umstand hat die Antragstellerbevollmächtigte nicht für Wert befunden, dem Gericht mitzuteilen. Der Aufforderung wurde jedoch nicht entsprochen, sondern vielmehr sei laut Bundesamt darauf verwiesen worden, dass die Original-Geburtsurkunden bei einer Vorsprache im Ankunftszentrum in der M. P. Straße vorgelegt worden seien. Das Bundesamt trägt jedoch vor, dass diese Angabe nach erfolgter Überprüfung nicht stimmt. Das Gericht kann diese Umstände nicht aus eigener Anschauung beurteilen, jedenfalls aber steht im Ergebnis fest, dass weder die Original-Geburtsurkunden vorliegen noch sonst Unterlagen, die den Anforderungen an den zu führenden Nachweis genügen. Die somit bestehende non-liquet-Situation – da es sich bei dem Vortrag der Abstammung der beiden geltend gemachten Kinder des Antragstellers um einen Umstand handelt, der aus der Verantwortungssphäre des Antragstellers stammt, und hinsichtlich dessen keine weiteren Möglichkeiten der Aufklärung bestehen – ist dahingehend aufzulösen, dass der Antragsteller die Folge der Nichterweislichkeit der behaupteten Umstände trägt (sogenannte materielle Beweis- oder Feststellungslast), da es sich um Umstände handelt, die für die geltend gemachte Rechtsposition des Antragstellers günstig sind.
Wiederum unabhängig davon steht aber auch die nicht nachgewiesene Identität des Antragstellers dem Nachweis der geltend gemachten familiären Beziehungen entgegen.
Dem liegt die folgende Überlegung zu Grunde: Selbst wenn von der Antragstellerbevollmächtigten im Laufe des Verfahrens noch den oben dargestellten Anforderungen genügende Unterlagen zur Geburt der beiden Kinder vorgelegt würden, würde das immer noch nichts daran ändern, dass nicht feststeht, dass der Antragsteller die Person ist, die in den Auszügen aus dem italienischen Geburtenregister als Vater der geltend gemachten Kinder bezeichnet wird. Dieser Nachweis könnte nur geführt werden, wenn für den Antragsteller eine geklärte, belegte Identität festgestellt wäre. Das ist aber eindeutig nicht der Fall. Vielmehr hat der Antragsteller weder Personaldokumente seines Heimatlands vorgelegt noch sonst zum Nachweis der von ihm geltend gemachten Identität geeignete Dokumente oder Unterlagen. Dass der Antragsteller im Verwaltungsverfahren angegeben hat (z.B. Bl. 61 oder Bl. 120 der Bundesamtsakte), früher einen Pass gehabt, diesen dann aber verloren zu haben, steht dem nicht entgegen; im Gegenteil belegen die entsprechenden Angaben des Antragstellers – er habe in Rom im Jahr 2012, also lange nach seiner Ausreise aus Nigeria, von der nigerianischen Botschaft einen nigerianischen Pass ausgestellt bekommen –, dass grundsätzlich für ihn die Möglichkeit besteht / bestand, ein nigerianisches Personaldokument zu bekommen. Ebenso wenig steht dem der Umstand entgegen, dass der Antragsteller im Verwaltungsverfahren und auch im Verwaltungsstreitverfahren unter der von ihm angegebenen Identität geführt wird; das hat mangels entsprechendem Nachweis nicht zur Folge, dass diese Identität für den Antragsteller nachgewiesen wäre, vielmehr handelt es sich dabei um einen aus praktischen Bedürfnissen herrührenden „Notbehelf“.
Aus dieser zuletzt genannten Überlegung heraus kann die gegenständliche Entscheidung auch bereits unter dem heutigen Datum ergehen. Das Schreiben des Gerichts vom 4. Juli 2018 steht dem nicht entgegen. Denn die darin gesetzte Äußerungsfrist bis zum 25. Juli 2018 bezieht sich aus dem Zusammenhang des Inhalts des Schreibens ersichtlich auf eine Äußerung zu dem mit diesem Schreiben erteilten richterlichen Hinweis. Dieser beschäftigt sich entsprechend der von der Antragstellerbevollmächtigten im Schreiben vom 9. Mai 2018 geäußerten Bitte nur mit der Frage, ob die vorgelegten übersetzten italienischen Registerauszugskopien als Nachweis ausreichen. Nach nochmaliger Beschäftigung mit der gegenständlichen Verwaltungsstreitsache hat das Gericht aber erkannt, dass selbst die Anerkennung dieser Kopien als tauglicher Nachweis nichts daran ändern würde, dass dem Antragsteller der Nachweis der geltend gemachten familiären Beziehungen nicht gelingen kann (vgl. dazu die Ausführungen soeben auf Seite 17).
Nach alledem ist die Ablehnung der Antragsgegnerin, von der Möglichkeit des Selbsteintritts gemäß Art. 17 Dublin III-VO Gebrauch zu machen, nicht zu beanstanden, insbesondere ist diese Entscheidung ermessensfehlerfrei.
Der Vortrag in den Dublin-Anhörungen bezogen auf die Verhältnisse in Italien begründet keine – nach dem oben Gesagten nicht vorliegenden – systemischen Schwachstellen des italienischen Asylverfahrens, abgesehen davon, dass der Antragsteller nach eigenen Angaben acht Jahre in Italien gelebt hat; im Übrigen unterliegt es gerade nicht der Disposition des Antragstellers, wo er sein Asylverfahren zu durchlaufen hat.
Die Angaben des Antragstellers im Rahmen der Anhörung nach § 25 AsylG führen ebenfalls nicht zu einem anderen Ergebnis. Hierbei handelt es sich um die Geltendmachung von Umständen, die für die Überstellung des Antragstellers im Rahmen der Anwendung der Dublin III-Verordnung nicht relevant sind, vielmehr handelt es sich um sog. zielstaatsbezogenes Vorbringen, das zum Asylantrag des Antragstellers gehört, für den die Antragsgegnerin aber gerade nicht zuständig ist.
Auch gegen die Rechtmäßigkeit der Entscheidungen in den Nummern 2 und 4 des streitgegenständlichen Bescheids bestehen daher keine Bedenken.
3. Der Antrag wird daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abgelehnt. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).