Europarecht

Erfolgloser Eilantrag gegen Dublin-Bescheid (Italien)

Aktenzeichen  M 9 S 17.51607

Datum:
2.7.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 14326
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2, Art. 5, Art. 12 Abs. 2, Abs. 4
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a, § 34a
AEUV Art. 80

 

Leitsatz

Das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Italien weisen keine systemischen Mängel auf. (Rn. 27) (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die bevorstehende Überstellung nach Italien im Rahmen des sog. Dublin-Verfahrens.
Der Antragsteller ist (alles nach eigenen Angaben, der Antragsteller hat keine Personaldokumente seines Heimatlandes vorgelegt) Staatsangehöriger von Myanmar und geboren am … … … Er ist (ebenfalls nach eigenen Angaben) am 7. Februar 2017 nach Deutschland gekommen (vgl. Bl. 28 der Bundesamtsakte) und hat am 24. Februar 2017 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) – Außenstelle München einen Asylantrag gestellt.
Am 18. April 2017 fand die Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrags gem. § 29 Abs. 1 Nr. 1 – 4 AsylG i.V.m. § 25 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 AsylG statt. Auf die Frage, ob es Staaten gebe, in die er nicht überstellt werden wolle, bejahte der Antragsteller; da er kein anderes Land in Europa und auch Italien nicht kenne, könne er dazu nichts sagen. Auf die Frage, ob er Beschwerden bzw. Erkrankungen habe, gab der Antragsteller nichts an. Auf die Niederschrift im Übrigen wird Bezug genommen (Bl. 78 – 82 der Bundesamtsakte).
Bereits am 21. März 2017 fand außerdem noch eine Anhörung gemäß § 25 AsylG statt. Auf die Niederschrift über die Anhörung wird Bezug genommen (Bl. 52 – 60 der Bundesamtsakte).
Bereits am 10. März 2017 fand seitens der Regierung von Oberbayern – Zentrale Ausländerbehörde Oberbayern / Zentrale Passbeschaffung Bayern eine Befragung zur Identitätsklärung statt. Auf das Befragungsprotokoll (Bl. 84 – 87 sowie die Anlage Bl. 88) und die „Einschätzung“ zur Erstbefragung (Bl. 89f. der Bundesamtsakte) wird Bezug genommen.
Für den Antragsteller folgt aus dem von der Antragsgegnerin vorgelegten Verwaltungsvorgang ein italienischer VIS-Treffer (ITA* …, Bl. 50f. der Bundesamtsakte) für ein am 24. Januar 2017 erteiltes Schengen-Kurzaufenthaltsvisum mit Gültigkeit vom 2. bis 19. Februar 2017. Aus dem Auszug aus der VIS-Antragsauskunft geht ebenfalls hervor, dass der Antragsteller zum Zeitpunkt der Beantragung bzw. Ausstellung des Visums im Besitz eines Reisepasses (Nummer: MB* …*) der Republik der Union Myanmar mit Gültigkeit vom 16. September 2016 bis 15. September 2021 gewesen ist.
Auf ein Übernahmeersuchen der Antragsgegnerin vom 27. März 2017 an Italien erfolgte keine Reaktion.
Mit Bescheid vom 20. Juni 2017 lehnte das Bundesamt den Antrag als unzulässig ab (Nr. 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2) und ordnete die Abschiebung nach Italien an (Nr. 3). Die Nr. 4 des Bescheids enthält die Befristungsentscheidung hinsichtlich des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG. Auf den Bescheid und seine Begründung wird Bezug genommen.
Einen Zustellungsnachweis enthält die Bundesamtsakte nicht, allerdings hat der Antragsteller bei der Rechtsantragstelle des Verwaltungsgerichts München die Kopie einer Empfangsbestätigung abgegeben, der zufolge der Bescheid am 26. Juni 2017 zugestellt wurde.
Der Antragsteller erhob am 30. Juni 2017 zur Niederschrift bei der Rechtsantragstelle des Verwaltungsgerichts München Klage (Az.: M 9 K 17.51606) mit dem Antrag,
den Bescheid „vom 22. Juni 2017“, erhalten am 26. Juni 2017, aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG bestehen.
Außerdem wurde beantragt,
hinsichtlich der Abschiebungsanordnung nach Italien die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen.
Zur Begründung gab der Antragsteller an, er sei direkt von Bangkok nach Frankfurt am Main (Umstieg Flugzeug am Flughafen in Katar) geflogen und er habe keine Fingerabdrücke in Italien abgegeben. Er habe in Deutschland einen Asylantrag gestellt.
Die Antragsgegnerin legte die Behördenakten vor, äußerte sich in der Sache aber nicht.
Mit Schreiben vom 21. Juli 2017 bestellte sich der Bevollmächtigte für den Antragsteller und begründete Klage und Antrag weiter. Auf den Schriftsatz wird Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten in diesem und im dazugehörigen Klageverfahren und der Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Für das Gericht ist hinsichtlich der Sach- und Rechtslage der Zeitpunkt der Entscheidung maßgeblich (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG).
Der Antrag ist zwar zulässig, insbesondere ist er fristgerecht gestellt, § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
Der Antrag ist jedoch unbegründet, denn die Hauptsacheklage hat voraussichtlich keinen Erfolg.
Der Bescheid der Antragsgegnerin vom 20. Juni 2017, auf den im Sinne von
§ 77 Abs. 2 AsylG Bezug genommen wird, ist voraussichtlich rechtmäßig.
Gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann.
1. Italien ist als Mitgliedstaat, der dem der Antragsteller ausweislich des VIS (= europäisches Visa-Informationssystem) – Treffers ein Visum ausgestellt hat, für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig.
Die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens richtet sich vorliegend nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO). Die Zuständigkeitskriterien der Dublin III-VO finden nach Art. 49 Abs. 2 dieser Verordnung auf Asylanträge, die – wie hier – nach dem 1. Januar 2014 gestellt worden sind, Anwendung.
Art. 3 Abs. 1 Dublin III-VO sieht vor, dass der Asylantrag von dem Mitgliedstaat geprüft wird, der nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-VO als zuständiger Staat bestimmt wird. Bei Anwendung dieser Kriterien ist ohne weiteres Italien für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig. Das ergibt sich aus Art. 12 Abs. 2 Dublin III-VO, hier i.V.m. Art. 12 Abs. 4 Unterabs. 1 Dublin III-VO, da der Antragsteller mit einem von Italien ausgestellten Visum in den Schengen-Raum bzw. in den Anwendungsbereich der Dublin III-VO eingereist ist. Damit ist Italien als der Staat, der das Visum ausgestellt hat, für die Prüfung des Asylantrags des Antragstellers zuständig. Der Umstand der Ausstellung des Visums durch Italien unterliegt keinen Zweifeln; er ergibt sich eindeutig aus dem italienischen VIS-Treffer als auch aus dem eigenen Vortrag des Antragstellers (vgl. z.B. Bl. 86 der Bundesamtsakte). Dass der Antragsteller in Italien keinen Asylantrag gestellt hat, ist wegen des italienischen Visums für die Zuständigkeit ebenso irrelevant wie der Umstand, dass der Antragsteller nach eigenen Angaben ohne einen zwischenzeitlichen Aufenthalt in Italien in den Schengenraum bzw. direkt nach Frankfurt eingereist ist. Damit ist vorliegend Italien der für die Durchführung des Asylverfahrens zuständige Mitgliedstaat.
Da die italienischen Behörden auf das Wiederaufnahmeersuchen der Antragsgegnerin nicht reagiert haben, ist gemäß Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO davon auszugehen, dass dem Wiederaufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die betreffende Person wieder aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen (Art. 18 Abs. 1 Dublin III-VO). Soweit der Bevollmächtigte des Antragstellers geltend macht, die Abschiebungsanordnung sei „auch“ deshalb rechtswidrig, weil die Antragsgegnerin von der Zustimmungsfiktion Gebrauch mache, obwohl sie im Hinblick auf die Aufnahmebedingungen in Italien verpflichtet sei, zunächst eine konkrete Zusicherung der zuständigen Behörden Italiens einzuholen, dass unmittelbar nach Überstellung die Versorgung des Antragstellers gewährleistet ist, trifft das nicht zu. In Fällen wie dem vorliegenden besteht nahezu unstreitig bzw. jedenfalls nach der einhelligen Rechtsprechung keine entsprechende Verpflichtung, was sich aus den Ausführungen sogleich unter 2. ergibt.
2. Die Abschiebung nach Italien kann gemäß § 34a Abs. 1 AsylG auch durchgeführt werden.
Die Zuständigkeit ist nicht gem. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 3 Dublin III-VO auf die Antragsgegnerin übergegangen, weil eine Überstellung an Italien als den zuständigen Mitgliedstaat an Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO scheitern würde. Es sind keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Antragsteller im Falle einer Abschiebung nach Italien infolge systemischer Schwachstellen des dortigen Asylverfahrens oder der dortigen Aufnahmebedingungen einer hinreichend wahrscheinlichen Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausgesetzt wäre.
Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v.14.05.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 –, juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v.21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 –, juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Grundrechtscharta) entspricht. Allerdings ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für den jeweiligen Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 Grundrechtscharta ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, U.v.21.12.2011 a.a.O.). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B.v.19.03.2014 – 10 B 6.14 –, juris).
Ausgehend von diesen Maßstäben und im Einklang mit der aktuellen obergerichtlichen Rechtsprechung ist im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht davon auszugehen, dass der Antragsteller in Italien aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (vgl. BayVGH, U.v.28.2.2014 – 13a B 13.30295 –, juris; OVG NRW, B.v. 16.2.2017 – 13 A 316/17.A – juris Rn. 3 – 5; U.v.22.9.2016 – 13 A 2248/15.A –, juris Rn. 72ff.; U.v.18.7.2016 – 13 A 1859/14.A –, juris Rn. 54ff.; U.v.24.4.2015 – 14 A 2356/12.A –, juris; U.v. 07.3.2014 – 1 A 21/12.A –, juris; NdsOVG, U.v. 4.4.2018 – 10 LB 96/17 – juris; VGH BW, U.v. 16.4.2014 – A 11 S 1721/13 –, juris; OVG Rh-Pf, U.v.21.2.2014 – 10 A 10656/13.OVG –, juris; OVG LSA, U.v.2.10.2013 – 3 L 645/12 –, juris; OVG Berlin-Bbg, B.v.17.6.2013 – OVG 7 S 33.13 –, juris; NdsOVG, B.v.30.1.2014 – 4 LA 167/13 –, juris; U.v.25.6.2015 – 11 LB 248/14 –, juris; VG Osnabrück, B.v. 8.8.2017 – 5 B 212/17 – juris; vgl. auch BVerfG, Kammerb.v.17.9.2014 – 2 BvR 732/14 –, juris). Danach verfügt Italien unter Berücksichtigung der Verwaltungspraxis über ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes, richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren, welches trotz einzelner Mängel nicht nur abstrakt, sondern gerade auch unter Würdigung der vor Ort tatsächlich anzutreffenden Rahmenbedingungen prinzipiell funktionsfähig ist und dabei insbesondere sicherstellt, dass der rücküberstellte Asylbewerber im Normalfall nicht mit schwerwiegenden Verstößen und Rechtsbeeinträchtigungen rechnen muss. Obwohl sich in Teilbereichen der tatsächlichen Aufnahmebedingungen durchaus erhebliche Mängel und Defizite feststellen lassen, werden diese, weder für sich genommen noch insgesamt, als so gravierend bewertet, dass ein grundlegendes, systemisches Versagen des Mitgliedstaates vorläge, welches für einen Dublin-Rückkehrer nach dem Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit Rechtsverletzungen im Schutzbereich von Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK mit dem dafür notwendigen Schweregrad impliziert (vgl. OVG NRW, U.v.07.03.2014, a.a.O, Rn 132; OVG Rh-Pf, U.v. 21.02.2014, a.a.O, Rn 45 f.).
Das Gericht schließt sich damit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte an (vgl. EGMR, B.v.02.04.2013 – Hussein u.a../.Niederlande und Italien, Nr. 27725/10 –, ZAR 2013, 336; B.v.18.06.2013 – Halimi./.Österreich und Italien, Nr. 53852/11 –, ZAR 2013, 338). Unter Berücksichtigung der Berichte von Regierungs- und Nichtregierungsinstitutionen und -organisationen über die Aufnahmeprogramme für Asylbewerber in Italien kam der Gerichtshof zu dem Schluss, dass die allgemeine Situation und die Lebensbedingungen in Italien für Asylbewerber zwar einige Mängel aufweisen mögen, dass die vorliegenden Materialien jedoch kein systemisches Versagen der Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen für Asylbewerber als Mitglieder einer besonders schutzbedürftigen Personengruppe aufzeigen würden. Berichte des UNHCR und des Menschenrechtskommissars wiesen auf jüngste Verbesserungen der Situation hin mit dem Ziel der Mängelbeseitigung; alle Berichte zeigten übereinstimmend und ausführlich die Existenz ausgearbeiteter Strukturen von Einrichtungen und Hilfsmaßnahmen, die auf die Bedürfnisse der Asylbewerber zugeschnitten seien. Diese Rechtsauffassung hat der EGMR, dessen Rechtsprechung für die Auslegung der EMRK auch über den jeweilig entschiedenen Fall hinaus eine Orientierungs- und Leitfunktion hat (BVerfG, U.v.04.05.2011 – 2 BvR 2333/08 –, juris), durch seine Entscheidung vom 10. September 2013 (Nr. 2314/10 – HUDOC) ausdrücklich bestätigt.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Urteil des EGMR vom 4. November 2014 im Verfahren T. … ./. Schweiz (Az. 29217/12, NVwZ 2015, 127 ff.). Der EGMR hat hier lediglich entschieden, dass die Schweizer Behörden die Abschiebung einer Familie nach Italien nicht vornehmen dürfen, ohne vorher individuelle Garantien von den italienischen Behörden erhalten zu haben, dass die Antragsteller in Italien in einer dem Alter der Kinder adäquaten Art und Weise behandelt werden und die Familie zusammenbleiben darf. Das Urteil beinhaltet damit keine Aussage zu eventuellen systemischen Mängeln in Italien, sondern lediglich eine Einschränkung für die Abschiebung von Familien nach Italien. Zudem hat der EGMR in seiner Entscheidung vom 5. Februar 2015 im Verfahren A.M.E. ./. Niederlande (Az. 51428/10) entschieden, dass die Struktur und die Gesamtsituation des italienischen Flüchtlings- und Asylbewerberaufnahmesystems kein genereller Grund sind, eine Überstellung im Zuge des sog. Dublin-Verfahrens zu verbieten. Unabhängig davon sind die Umstände des streitgegenständlichen Falles des Antragstellers mit denjenigen in der Entscheidung des EGMR nicht vergleichbar.
Auch aus neueren Erkenntnismitteln können keine Hinweise auf systemische Mängel entnommen werden. In dem vom Europäischen Rat für Flüchtlinge und im Exil lebende Personen (ECRE) für das Projekt AIDA – Asylum Information Database erstellten Länderbericht zu Italien vom Dezember 2015 (abrufbar unter http://www.asylumineurope.org/reports/country/italy) wird zwar ausgeführt (vgl. S. 62 ff. des Berichts), dass dort zumindest in der Vergangenheit nicht für alle Asylbewerber adäquate Aufnahmeeinrichtungen zur Verfügung gestanden haben und die Zahl von Unterbringungsplätzen nur unzureichend war. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass der italienische Staat hiergegen erfolgsversprechende Gegenmaßnahmen ergreift. Zum einen werden die Kapazitäten der Aufnahmeeinrichtungen dem vorgenannten Bericht zufolge seit 2013 deutlich erhöht. UNHCR und Nichtregierungsorganisationen beraten die staatlichen Stellen bei der Verbesserung der Aufnahmebedingungen. Speziell für Dublin-Rückkehrer wurden zum anderen Zentren zur übergangsweisen Unterbringung eingerichtet (vgl. S. 63f. des Berichts). Ein systemisches Versagen der Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen lässt sich dem AIDA-Bericht nicht entnehmen. Ein systemischer Mangel der Aufnahmebedingungen kann daher auch für die Personengruppe, der der Antragsteller angehört, nicht angenommen werden.
Auch aus dem Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe von August 2016 (vgl. Schweizerischen Flüchtlingshilfe (https://www.fluechtlingshilfe.ch/…/160815-sfh-bericht-italien-aufnahmebedingungen) ergibt sich nichts Anderes. Denn erstens handelt es sich hierbei nicht um das einzig richtige bzw. einzig maßgebliche Erkenntnismittel, vielmehr ergibt eine Berücksichtigung dieses Erkenntnismittels in der Zusammenschau mit den zahlreichen anderen vorhandenen Erkenntnismitteln eben im Ergebnis, dass systemische Mängel im italienischen Asylverfahren nicht vorliegen. Zweitens wäre die Schwelle zur unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung durch Italien erst dann überschritten, wenn absehbar wäre, dass auf die erhöhte Zahl von Einwanderern keinerlei Maßnahmen zur Bewältigung des Problems ergriffen würden. Dafür gibt es auch nach dem aktuellen Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe aus dem August 2016 keine Hinweise (vgl. VG Schwerin, U.v.26.09.2016 – 16 A 1757/15 As SN –, juris Rn. 122), auch ansonsten ist das nicht der Fall (vgl. z.B. OVG NRW, U.v.18.07.2016 – 13 A 1859/14.A –, juris Rn. 103ff.).
Der Hinweis auf Entscheidungen anderer Verwaltungsgerichte ändert am Ergebnis nichts. In einem Rechtssystem mit der Regelung, dass die Richter unabhängig und nur dem Gesetze unterworfen sind, vgl. Art. 97 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), ist das Gericht nicht an die Entscheidungen anderer Gerichte gebunden, weder an Entscheidungen von im Instanzenzug übergeordneten Gerichten noch an Entscheidungen von Gerichten derselben Instanz. Im Übrigen vermag die (mittlerweile vollkommen) vereinzelte Auffassung einzelner Verwaltungsgerichte, dass das italienische Asylsystem an systemischen Mängeln leide, nicht die Richtigkeit des gegenteiligen Ergebnisses, das von einer Vielzahl von Gerichten aller Instanzen vertreten wird (vgl. oben S. 8 unten/ Seite 9, wo ein kleiner Ausschnitt aus der insoweit unübersehbaren Rechtsprechung nachgewiesen ist), in Frage zu stellen.
Die gegenwärtig hohe Zahl von Einwanderern nach Italien stellt keinen Umstand dar, der eine andere Beurteilung rechtfertigen könnte. Die Schwelle zur unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung durch Italien würde erst dann überschritten, wenn auf die erhöhte Zahl von Einwanderern hin keinerlei Maßnahmen zur Bewältigung der damit verbundenen Probleme ergriffen würden. Davon kann jedoch nicht ausgegangen werden (vgl. OVG NRW, U.v.24.04.2015 a.a.O., U.v. 18.7.2016 – 13 A 1859/14.A – juris Rn. 105).
Auch der Umstand, dass sich die Situation des Antragstellers in Italien u.U. deutlich schlechter als im Bundesgebiet darstellt, begründet keinen systemischen Mangel des Asylverfahrens (vgl. EGMR, B.v.02.04.2013 – a.a.O.).
Auch im Hinblick auf medizinische Betreuung und Versorgung ergibt sich keine Verpflichtung der Antragsgegnerin, das Asylverfahren durchzuführen (vgl. EGMR, U.v.30.6.2015 – 39350/13 – A.S. gegen Schweiz), da Italien über eine umfassende Gesundheitsfürsorge verfügt, die italienischen Staatsbürgern sowie Flüchtlingen, Asylbewerbern und unter humanitären Schutz stehenden Personen gleichermaßen zugänglich ist. Nach der bestehenden Auskunftslage funktioniert die notfallmedizinische Versorgung und der Zugang zu Hausärzten grundsätzlich ebenso wie das Angebot von psychologischer und psychiatrischer Behandlung (vgl. VG Ansbach, U.v.11.12.2015 – AN 14 K 15.50316 –, juris Rn. 26 m.w.N.). Auch der bereits erwähnte Bericht von AIDA bestätigt die Gleichstellung von Asylsuchenden und international Schutzberechtigten mit italienischen Staatsangehörigen hinsichtlich der gesundheitlichen Versorgung (vgl. dort S. 84). Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 21. Januar 2013 an das OVG Sachsen-Anhalt steht eine kostenfreie medizinische Versorgung auch Personen zu, die nicht in einer staatlichen Unterkunft untergebracht sind. Eine aktuelle Vereinbarung zwischen der italienischen Zentralregierung und den Regionen garantiert dabei die Not- und Grundversorgung auch von Personen, die sich illegal im Land aufhalten (VG Augsburg, B.v.19.09.2015 – Au 7 S 15.50412 – juris). Die Notambulanz ist für alle Personen in Italien kostenfrei (VG München, B.v.05.11.2014 – M 18 S 14.50356 – juris m.w.N.). Auch bei Überstellung von kranken Personen, deren Asylverfahren in Italien negativ abgeschlossen ist, besteht damit die Möglichkeit der Behandlung. Es ist daher davon auszugehen, dass der Antragsteller, der selbst im Verwaltungsverfahren trotz entsprechender Gelegenheit nicht angegeben hat, an Erkrankungen usw. zu leiden, in Italien Zugang zu einer angemessenen medizinischen Versorgung hat. Die im Verwaltungsstreitverfahren vorgelegten beiden ärztlichen Unterlagen vom 18. Februar 2017 und vom 27. April 2017 ändern hieran nichts. Unabhängig davon, dass, wie soeben dargelegt, keine Zweifel daran bestehen, dass etwaige Erkrankungen in Italien behandelt werden können und behandelt werden, ist nicht nachvollziehbar, was der Bevollmächtigte des Antragstellers mit der Vorlage der beiden Unterlagen erreichen will. Aus der Unterlage vom 27. April 2017 geht ausdrücklich hervor, dass beim Antragsteller „kein Anhalt für eine ansteckende Lungenerkrankung“ besteht. Dass dem Antragsteller geraten wird, sollte er zukünftig doch Beschwerden haben, einen Arzt aufzusuchen, ist ein gut gemeinter Rat, aber keine Diagnose. Auch aus der Unterlage vom 18. Februar 2017 folgt gerade keine Erkrankung. Unabhängig davon, dass diese zweieinhalb Monate früher datiert als die Unterlage vom 27. April 2017 und ihr daher, da sich beide mit demselben Verdacht beschäftigen, ohnehin keine aktuelle Aussagekraft mehr zukommt, geht aus ihr gerade hervor, dass eine Lungentuberkulose beim Antragsteller ausgeschlossen wird. Soweit der Bevollmächtigte schließlich noch darauf verweist, dass für den Fall, dass der „IGRA-Test […] positiv ausfallen“ sollte, eine Therapie empfohlen wird, ist das ebenfalls keine Diagnose, sondern Spekulation. Da in der Folge offenbar auch keine weiteren ärztlichen Untersuchungen stattgefunden haben bzw. jedenfalls nicht vorgetragen wurden, kann ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass für den Antragsteller insofern auch nichts vorliegt.
Individuelle, außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO notwendig machen, liegen nicht vor. Ebenso wenig liegen inlandsbezogene oder zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse vor. Im Verwaltungsstreitverfahren wurde für den Antragsteller hauptsächlich vorgetragen, dass in Italien systemische Mängel des Asylverfahrens einschließlich der Aufnahmebedingungen vorliegen sollen, was nach dem oben Gesagten aber nicht der Fall ist. Auch unter Berücksichtigung des übrigen Vortrags im Verwaltungsstreitverfahren und im Verwaltungsverfahren ergibt sich kein anderes Ergebnis.
Soweit vom Antragstellerbevollmächtigten ein beachtlicher Fehler bezüglich des persönlichen Gesprächs, das Art. 5 Dublin III-VO vorschreibt, geltend gemacht wird, trifft das nicht zu. Aus der Niederschrift über das persönliche Gespräch geht hervor, dass dem Antragsteller Gelegenheit gegeben wurde, sich u.a. auch zu Krankheiten usw. zu äußern. Die vom Antragstellerbevollmächtigten monierte Eintragung von „Sternchen“ – Zeichen in der Niederschrift bei den diesbezüglichen Fragen soll ganz offensichtlich bedeuten, dass der Antragsteller insofern nichts angegeben hat. Wie die Behörde der Antragsgegnerin insofern, wenn der Antragsteller selbst trotz Gelegenheit keine Angaben macht, etwas aufklären soll, bleibt im Dunkeln. Auch der Einwand, dass das Bundesamt dem Antragsteller bezüglich seiner Mitwirkungspflichten die notwendigen Informationen nicht erteilt hat, geht fehl. Aus der Bundesamtsakte geht ohne weiteres hervor, dass der Antragsteller sehr wohl über seine Mitwirkungspflichten belehrt wurde.
Schließlich ergibt sich auch aus primärrechtlichen Vorschriften des EU-Rechts – der Antragstellerbevollmächtigte macht insoweit Art. 80 AEUV geltend – kein Anspruch des Antragstellers auf die Ausübung des Selbsteintritts gemäß Art. 17 Dublin III-VO. Unabhängig davon, dass weder Umstände, die für eine Ermessensreduzierung sprechen, ersichtlich sind, noch dass irgendetwas dafür spricht, dass Art. 80 AEUV dem Antragsteller subjektive Rechte verleihen könnte – angesichts von Wortlaut, systematischer Stellung und Sinn der Zweck der Vorschrift ist das ausgeschlossen –, spricht auch in der Sache nichts dafür, dass die Antragsgegnerin gehindert ist, den Antragsteller nach Italien zu überstellen; dass die Zuständigkeit Italiens hier auf der Erteilung eines Visums beruht, ändert nichts, denn die Zuständigkeitsbegründung auf der Grundlage von Art. 12 Dublin III-VO ist nicht etwa nachrangig oder, anders als der Antragstellerbevollmächtigte offenbar meint, quasi qualitativ schlechter als die übrigen Zuständigkeitsvorschriften der Dublin III-VO.
Der Vortrag in der Dublin-Anhörung bezogen auf die Verhältnisse in Italien begründet keine – nach dem oben Gesagten nicht vorliegenden – systemischen Schwachstellen des italienischen Asylverfahrens; im Übrigen unterliegt es gerade nicht der Disposition des Antragstellers, wo er sein Asylverfahren zu durchlaufen hat.
Die Angaben des Antragstellers im Rahmen der Anhörung nach § 25 AsylG führen ebenfalls nicht zu einem anderen Ergebnis. Hierbei handelt es sich um die Geltendmachung von Umständen, die für die Überstellung des Antragstellers im Rahmen der Anwendung der Dublin III-Verordnung nicht relevant sind, vielmehr handelt es sich um sog. zielstaatsbezogenes Vorbringen, das zum Asylantrag des Antragstellers gehört, für den die Antragsgegnerin aber gerade nicht zuständig ist.
Auch gegen die Rechtmäßigkeit der Entscheidungen in den Nummern 2 und 4 des streitgegenständlichen Bescheids bestehen daher keine Bedenken.
3. Der Antrag wird daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abgelehnt. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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