Aktenzeichen M 26 S 16.50279
VO (EU) Nr. 604/2013 Art. 3 Abs. 2
VwGO VwGO § 58 Abs. 1
Leitsatz
Die §§ 26a, 34a AsylG ermächtigen das Bundesamt nicht zum Ausspruch einer Abschiebungsandrohung, da sich die Abschiebungsanordnung nicht als spezielle Ausformung einer Abschiebungsandrohung darstellt (ebenso BVerwG BeckRS 2015, 54736). (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers (Az. M 26 K 16.50278) gegen Nr. 2 des Bescheids vom 16. März 2016 (Az. …) wird angeordnet.
II.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die ihm angedrohte Abschiebung nach Bulgarien im Rahmen des sog. Dublin-Verfahrens.
Der Antragsteller ist laut eigener Auskunft palästinensischer Volksangehöriger und hat keine eigene Staatsangehörigkeit. Bei seiner Befragung durch das Bundesamt für … (Bundesamt) der Antragsgegnerin am … Oktober 2015 beantragte er Asyl in der Bundesrepublik und gab außerdem an, bereits in Bulgarien einen Asylantrag gestellt zu haben. Auf eine durch das Bundesamt im Anschluss durchgeführte sog. Info-Request antwortete die Staatsagentur für Flüchtlinge Bulgarien am … Januar 2016, dass dem Antragsteller in Bulgarien am … September 2013 bereits subsidiärer Schutz gewährt worden sei. Am … Februar 2014 seien ihm zudem ein Flüchtlingsausweis und ein Reisedokument von den bulgarischen Behörden ausgestellt worden, beides gültig bis … Oktober 2016.
Mit Bescheid vom 16. März 2016 (Az. …) lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Nr. 1). Für den Fall, dass der Antragsteller die Bundesrepublik Deutschland nicht innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe des Bescheides bzw. (bei Klageerhebung) 30 Tagen nach unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens verlassen würde, drohte es die Abschiebung des Antragstellers nach Bulgarien an. Der Antragsteller könne auch in einen anderen Staat abgeschoben werden, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei. Eine Abschiebung nach Syrien sei aber unzulässig. (Nr. 2). Weiter befristete das Bundesamt das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gem. § 11 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes – AufenthG – auf dreißig Monate ab dem Tag der Abschiebung (Nr. 3).
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der gestellte Asylantrag unzulässig sei, weil dem Antragsteller bereits in Bulgarien internationaler Schutz gewährt werden würde. Das Bundesverwaltungsgericht habe am 17. Juni 2014 (Az. … … … – juris) für diesen Fall entschieden, dass ein erneutes Anerkennungsverfahren unzulässig sei. § 60 Abs. 1 Satz 2 und 3 AufenthG schließe daher eine neuerliche Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in der Bundesrepublik aus; nach § 60 Abs. 2 Satz 2 AufenthG gelte dies für subsidiär Schutzberechtigte entsprechend. Daher sei der Asylantrag materiell gar nicht zu prüfen.
Auch die Feststellung von nationalem Abschiebungsschutz sei daher unzulässig, weil dem Antragsteller aufgrund der Flüchtlingsanerkennung bereits kraft Gesetzes nationaler Abschiebungsschutz in Bezug auf sein Herkunftsland aufgrund des im Ausland gewährten internationalen (subsidiären) Schutzes zustehe. Daher fehle insoweit das Rechtschutzbedürfnis. Obwohl § 60 Abs. 2 AufenthG nicht ausdrücklich auf Abs. 1 Satz 2 verweise, komme dennoch ausschließlich eine Aufenthaltsbeendigung in einen sicheren Drittstaat in Betracht.
Der Antragsteller sei gemäß §§ 34a, 26a AsylG in den sicheren Drittstaat abzuschieben; eine Abschiebungsandrohung als milderes Mittel gegenüber der Anordnung sei allerdings ebenfalls zulässig (so VG Bayreuth, B.v. 30.10.2013 – B 3 S 13.30280 – juris). Die Ausreisefrist von 30 Tagen ergebe sich aus § 38 Abs. 1 AsylG.
Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot ergebe sich aus § 11 Abs. 1 AufenthG und sei nach § 11 Abs. 2 AufenthG zu befristen. Die Befristung auf 30 Monate sei im vorliegenden Fall angemessen, der Antragsteller verfüge im Bundesgebiet über keine wesentlichen Bindungen (§ 11 Abs. 3 AufenthG).
Laut in den Behördenakten befindlicher Postzustellungsurkunde wurde der Bescheid vom 11. März 2016 am … März 2016 „einem zum Empfang ermächtigten Vertreter übergeben (Herrn A… … …)“. Nähere Angaben, ob und inwieweit dieser Vertreter empfangsberechtigt sein soll, sind den Behördenakten nicht zu entnehmen.
Mit Schreiben vom … März 2016 (Eingang beim Bundesamt am … März 2016) informierte der Antragsteller das Bundesamt, dass er mit seinem Vater, seiner Mutter und vier Brüdern zusammen in einer Asylbewerberunterkunft untergebracht sei, und bat, dies bei der Entscheidung zum Einreise- und Aufenthaltsverbot zu berücksichtigen.
Am … April 2016 veranlasste das Bundesamt eine weitere Zustellung des – unveränderten – Bescheids vom 13. März 2016; dieser wurde anschließend am … April 2016 dem Leiter der Asylbewerberunterkunft, in welcher der Antragsteller untergebracht ist, übergeben.
Am … April 2016 erhoben die Bevollmächtigten des Antragstellers Klage beim Bayerischen Verwaltungsgericht München gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 13. März 2016 und beantragten außerdem,
die aufschiebende Wirkung der Klage bezüglich der Abschiebungsandrohung anzuordnen.
Zur Begründung führten die Bevollmächtigten des Antragstellers aus, dass dem Antragsteller in Bulgarien im Falle seiner Rücküberstellung dorthin menschenunwürdige Behandlung drohe. Die Mindeststandards bei der Behandlung von Asylbewerbern seien in Bulgarien nicht eingehalten; das Asylverfahren weise grundlegende, systembedingte Mängel auf, welche eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung befürchten lassen würden. Daher müsse die Bundesrepublik von ihrem Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Neufassung – Dublin III-VO -) Gebrauch machen.
Mit Schriftsatz vom 2. Mai 2016 übermittelte das Bundesamt für die Antragsgegnerin die Behördenakte.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten in diesem Verfahren und im Hauptsacheverfahren (M 26 K 16.50278) sowie auf die vorgelegte Behördenakte ergänzend Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz nach § 75 Abs. 1 Asylgesetz – AsylG – i. V. m. § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – ist zulässig und begründet.
1. Weil die erhobene Klage von Gesetzes wegen aufgrund § 75 Abs. 1 AsylG keine aufschiebende Wirkung entfaltet, kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage ganz oder teilweise anordnen, § 80 Abs. 5 VwGO i. V. m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO. Das Gericht trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung. Es hat abzuwägen zwischen dem sich aus § 75 AsylG ergebenden öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der Abschiebungsandrohung und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Ein gewichtiges Indiz sind dabei die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens. Ergibt die im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO allein erforderliche summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage, dass die Klage voraussichtlich erfolglos bleiben wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei kursorischer Prüfung als rechtswidrig, so besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer allgemeinen Interessenabwägung.
Nach der demnach gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung ist im vorliegenden Fall davon auszugehen, dass die Klage des Antragstellers aller Voraussicht nach bzgl. der in Nummer 2 des Bescheides vom 11. März 2016 ausgesprochenen Abschiebungsandrohung erfolgreich sein wird. Denn der Bescheid der Antragsgegnerin ist nach summarischer Prüfung insoweit rechtswidrig und verletzt den Antragsteller in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO). Damit überwiegt sein persönliches Interesse an der aufschiebenden Wirkung der Klage das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung.
Die Hauptsacheklage ist voraussichtlich zulässig. Insbesondere ist sie fristgerecht erhoben, weil vorliegend die Jahresfrist des § 58 Abs. 1 VwGO greift, so dass auf den genauen Zustellungszeitpunkt März/April 2016 nicht näher eingegangen werden braucht. Die Rechtsbehelfsbelehrung des Bescheides spricht generell von einer Klagefrist von einer Woche und weist darauf hin, dass die „Klage gegen die Abschiebungsanordnung“ keine aufschiebende Wirkung habe. Daher könne ein Antrag auf aufschiebende Wirkung „innerhalb einer Woche“ gestellt werden. Die vorliegend ausgesprochene Abschiebungsandrohung kann nicht auf § 34a AsylG gestützt werden (s.u.), so dass auch die Sonderregelung des § 34a AsylG nicht greift. Selbst dann, wenn §34a Asyl anwendbar wäre, würde dieser aber nur für Nr. 2 des Bescheides, nicht aber für Nr. 1 gelten.
Die Hauptsacheklage wird auch begründet sein. Denn der Abschiebungsandrohung fehlt es vorliegend an einer tauglichen Rechtsgrundlage. Sie lässt sich nicht auf §§ 26a, 34a AsylG stützen. Aber auch die Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 34 Abs. 1 Satz 1, 38 AsylG sind nicht erfüllt.
1.1 Die §§ 26a, 34a AsylG ermächtigen das Bundesamt nicht zum Ausspruch einer Abschiebungsandrohung. Dabei kann offen bleiben, ob überhaupt der Anwendungsbereich dieser Regelungen eröffnet ist, wenn – wie vorliegend – der Asylantrag nicht mit einem Ausspruch nach §§ 26a, 31 Abs. 4 Satz 1 AsylG beschieden, sondern als unzulässig abgelehnt wird. Denn jedenfalls bestimmt § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG für den Fall, dass ein Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG) abgeschoben werden soll, die Anordnung der Abschiebung in diesen Staat, sobald deren Durchführbarkeit feststeht (vgl. zur Anwendbarkeit der Dublin III-VO bei sog. Anerkannten-Fällen Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Auflage 2016, § 34a AsylG Rn. 6 ff.). Damit gibt diese Regelung dem Bundesamt als aufenthaltsbeendende Maßnahme lediglich die Abschiebungsanordnung an die Hand. Das verdeutlicht auch § 34a Abs. 1 Satz 3 AsylG, wonach es einer vorherigen Androhung und Fristsetzung nicht bedarf. Folgerichtig ordnet § 31 Abs. 1 Satz 4 AsylG an, dass die Entscheidung zusammen mit der Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG dem Ausländer selbst zuzustellen ist, wenn der Asylantrag nur nach § 26a AsylG abgelehnt wird (BayVGH, B. v. 23.11.2015 – 21 ZB 15.30237 – juris; vgl. umfassend und vertiefend auch VG Düsseldorf, Gerichtsbescheid v. 17.05.2016 – 22 K 950/15.A – juris; a.A. VG Bayreuth, B. v. 30.10.2013 – B 3 S 13.30280 – juris).
Auch das Bundesverwaltungsgericht erachtet Abschiebungsanordnung und Abschiebungsandrohung als unterschiedliche Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung, die nicht teilidentisch sind. Insbesondere stellt sich eine Abschiebungsanordnung nicht als spezielle Ausformung einer Abschiebungsandrohung dar und ist eine Abschiebungsandrohung nicht als Minus in jeder Abschiebungsanordnung mitenthalten BVerwG, B. v. 23.10.2015 – 1 B 41/15 – juris).
1.2 Selbst wenn man § 34a AsylG insoweit nicht als die speziellere und abschließende Regelung ansehen würde, kann die Abschiebungsandrohung vorliegend auch nicht über §§ 34 Abs. 1 Satz 1, 38 AsylG begründet werden. Dabei bedarf es keiner Entscheidung, ob eine nachträgliche Auswechslung der Rechtsgrundlage überhaupt zulässig wäre, weil jedenfalls die Tatbestandsvoraussetzungen des § 34 Abs. 1 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Insbesondere fehlt es hier an der Voraussetzung nach § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG, weil das Bundesamt nicht festgestellt hat, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG im Falle des Antragstellers in Bezug auf Bulgarien als vorgesehenen Zielstaat der Abschiebung nicht vorliegen.
Weder der Bescheidstenor, noch dessen Begründung befassen sich mit der Frage, ob ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG in Bezug auf Bulgarien vorliegt.
Eine solche Prüfung war auch nicht mit Blick auf Art. 16a Abs. 2 GG, §§ 26a, 31 Abs. 4 AsylG und das diesen Normen zugrundeliegende „Konzept der normativen Vergewisserung“ (vgl. BVerfG, U.v. 14.05.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 – juris) und dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10, C-493/10 – juris) entbehrlich. Zum einen stützte das Bundesamt die Ablehnung des Asylantrages gerade nicht auf diese Normen, sondern lehnte den Asylantrag als unzulässig ab. Zum anderen fehlt die Prüfung eines (ausnahmsweisen) Sonderfalls. Ohne eine entsprechende (negative) Feststellung des Bundesamtes erweist sich die Abschiebungsandrohung in Ziffer 2 des Bescheides daher auch unter Heranziehung der §§ 34 Abs. 1 Satz 1, 38 AsylG als rechtswidrig.
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.