Bankrecht

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Aktenzeichen  29 O 4463/20

Datum:
18.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 49229
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 35.854,06 € festgesetzt.

Gründe

Die Klage erweist sich als zulässig, jedoch unbegründet.
A.
Der Feststellungsantrag erweist sich als zulässig. Die Feststellung des Annahmeverzugs kann Gegenstand eines Feststellungsantrags sein (vgl. Becker-Eberhard in Münchener Kommentar zur ZPO, 5. Auflage 2016, § 256 Rz. 5).
B.
Die Klagepartei hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von 35.854,06 Euro oder die begehrte Feststellung. Der von der Klagepartei erklärte Widerruf erweist sich als unwirksam. Zwar bestand grundsätzlich ein Widerrufsrecht (l.). Die Widerrufsfrist war jedoch bei Erklärung des Widerrufs bereits abgelaufen (II.). Mangels wirksamen Widerruf bestehen auch die weiteren geltend gemachten Ansprüche nicht.
I.
Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass es sich bei dem streitgegenständlichen Darlehensvertrag vom 30.05.2014 um ein Verbraucherdarlehen im Sinne des § 491 Abs. 1 BGB handelt, sodass der Klagepartei ein Widerrufsrecht nach §§ 495 Abs. 1, 355 BGB zustand.
Der Darlehensvertrag besteht dabei aus 10 Seiten. Sämtliche übergebenen Vertragsunterlagen sind Teil des Vertrags. Das Gericht geht nach dem Vortrag beider Parteien davon aus, dass die Unterlagen zum selben Zeitpunkt ausgehändigt wurden. Insbesondere wird seitens der Klagepartei gerade nicht vorgetragen, dass die Unterlagen zu einem anderen Zeitpunkt als dem Vertragsschluss übergeben wurden.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Einheit einer Urkunde selbst bei fehlender körperlicher Verbindung gewahrt, wenn eine fortlaufende Paginierung vorliegt (BGH, XII ZR 234/95, juris). Die Vertragsunterlagen umfassen hier insbesondere auch die Europäische Standardinformation für Verbraucherkredite (Seite 1 bis 3) und die Widerrufsbelehrung (Seite 7).
Entgegen der Ansicht des Klägers ist es weiter auch ausreichend, wenn Pflichtangaben in der „Europäischen Standardinformation für Verbraucherkredite“ enthalten sind, wenn diese – wie hier – als Teil der Darlehensvertragsurkunde ausgehändigt wird. Dem als Muster vorgelegten Formular Anlage B 5 ist klar zu entnehmen, dass es sich bei den Europäischen Standardinformation für Verbraucherkredite Seite 1 bis 3 nämlich gerade nicht um nur separate vorvertragliche Informationen im Sinne des § 491 a BGB handelt. Sie sind vielmehr Teil der Vertragsurkunde, wie sich klar aus der fortlaufenden Paginierung ergibt. Dem Informationszweck wird durch den Abdruck der „Europäischen Standardinformation“ auf den ersten Seiten der Vertragsunterlagen, also gleich zu Beginn und damit nicht übersehbar, auch ohne Weiteres Genüge getan. Insbesondere kann der Verbraucher durchaus damit rechnen, dass sich auf den ersten Seiten der ihm ausgehändigten Vertragsunterlagen die gesetzliche Widerrufsfrist auslösende Informationen befinden.
II.
Die Widerrufsfrist war jedoch bei Erklärung des Widerrufs mit Schreiben vom 15.10.2019 bereits abgelaufen. Insbesondere sind die Voraussetzungen des Beginns der Widerrufsfrist gemäß § 356b Abs. 1, Abs. 2 BGB i.V.m. § 492 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 247 §§ 6 bis 13 EGBGB eingehalten. Die von der Klagepartei gerügten Fehler liegen nicht vor. Im Einzelnen:
1. Soweit die Klagepartei vorbringt, die Widerrufsbelehrung sei unzutreffend, da die aussage zur Nachbelehrung auf einem dauerhaften Datenträger unzureichend, jedenfalls nicht umfassend genug sei, kann sie damit nicht durchdringen. Die Beklagte kann sich hier auf die Schutzwirkung des Musters nach Anlage 7 zu Art. 247 § 6 Abs. 2 EGBGB berufen, da sie gegenüber dem Kläger in hervorgehobener und deutlich gestalteter Form ein Formular verwendet hat, das dem Muster sowohl inhaltlich als auch in der äußeren Gestaltung vollständig entspricht. Die Beklagte hat in ihrer Klageerwiderung auf Seiten 20 ff. (Bl. 39 ff. der Akte) durch eine Gegenüberstellung deutlich gemacht, dass sie das Muster übernommen hat.
Dass die Beklagte den Darlehensnehmer im Gegensatz zum Muster direkt angesprochen hat, ist nach den Gestaltungshinweisen zur Anlage 7 zu Art. 247 § 6 Abs. 2 Satz 3 EGBGB ausdrücklich zulässig.
2. Soweit die Klagepartei vorbringt, die Angabe zu Pflichtangaben nach Art. 247 § 6 Abs. 1 Nr. 4 EGBGB sei falsch, da die Beklagte nicht darüber belehre, dass dieser Tilgungsplan kostenfrei zu erteilen sei, ist eine fehlerhafte Pflichtangabe nicht zu erkennen. Dem Wortlaut des Art. 247 § 6 Abs. 1 Nr. 4 EGBGB ist nicht zu entnehmen, dass über die Kostenfreiheit zu belehren ist. Vielmehr kann der Verbraucher davon ausgehen, dass wenn nicht besondere Kosten zwischen den Parteien vereinbart sind, in diesem Fall keine Kosten anfallen. Die Belehrung der Beklagten ist daher zutreffend.
3. Die für den Darlehensgeber zuständige Aufsichtsbehörde ist entsprechend Art. 247 § 6 Abs. 1 Nr. 3 EGBGB auf Seite 5 des vorgelegten Darlehensantrags mit … benannt.
Die Deutsche Bundesbank war nicht als Aufsichtsbehörde anzugeben. Soweit die Klagepartei meint, dass die Beklagte auch der Deutsche Bundesbank unterstehe, ist das Gericht der Auffassung, dass die Nichtbenennung der Deutsche Bundesbank nicht geeignet ist, die Widerrufsfrist nicht anlaufen zu lassen, weil schon abstrakt ein Fehlen einer solchen Angabe nicht geeignet ist, den Verbraucher von der Ausübung seines gesetzlichen Widerrufsrechts abzuhalten. Zudem führt es nach Ansicht des Gerichts auch deutlich zu weit von der Beklagten die Angabe der indirekten Aufsicht Deutsche Bundesbank als weitere Pflichtangabe zu fordern, wenn die direkte Aufsichtsbehörde unzweifelhaft benannt wurde.
4. Die Darlehensvertragsunterlagen informieren auf Seite 5 unten unter dem Stichpunkt „Verfügbarkeit außergerichtlicher Beschwerde- und Rechtsbehelfsverfahren und Zugang dazu“ klar und verständlich gemäß Art. 247 § 7 Abs. 1 Nr. 4 EGBGB über den Zugang des Darlehensnehmers zu einem außergerichtlichen Beschwerdeverfahren bei dem Bundesverband deutscher Banken e.V. samt Anschrift und Internetseite. Nicht erforderlich war eine Belehrung über die Voraussetzungen der Zulässigkeit eines solchen Verfahrens.
Art. 247 § 7 Abs. 1 Nr. 4 EGBGB fordert im Einklang mit Art. 10 Abs. 2 s) der Verbraucherkreditrichtlinie, dass lediglich „gegebenenfalls“ die Voraussetzungen des Zugangs zu dem Verfahren aufgeführt werden. Da für die Schlichtung vorliegend keine besonderen Zugangsvoraussetzungen bestehen, sondern diese jedem Verbraucher offen steht, war kein weitergehender Hinweis erforderlich. Soweit die Klagepartei darauf verweist, dass ein Schlichtungsverfahren nicht bei einem bereits anhängigen gerichtlichen Verfahren stattfindet, war dies nicht anzugeben. Es handelt sich insoweit nicht um eine besondere Zugangsvoraussetzung die der Verbraucher zusätzlich erfüllen muss. Vielmehr erübrigt sich das Schlichtungsverfahren, wenn bereits ein gerichtliches Verfahren durchgeführt wird. Der Verbraucher bedarf in diesem Fall eines Schlichtungsverfahrens nicht mehr. Eine gesonderte Belehrung hierüber war nicht erforderlich.
5. Soweit die Klagepartei den Darlehensgesamtbetrag rügt, liegt eine fehlerhafte Pflichtangaben nicht vor. Zutreffend ist, dass die Addition der angegebenen Raten einen Betrag von 20.854,02 € ergibt. Dies ist erkennbar darauf zurückzuführen, dass die Beklagte bei der Berechnung der Raten die Schlussrate von 10.354,02 € von dem Darlehensgesamtbetrag von 20.854,06 € subtrahiert hat und den Rest auf 35 Raten aufgeteilt hat. Es ergibt sich hierdurch ein Ratenbetrag von 300,001142857 €. Diesen hat die Beklagte auf ganze Centbeträge gerundet, sodass sich eine Rate von 300,00 € ergibt. Die Durchführung einer derartigen Rundung ist nicht zu beanstanden, da Teile von Centbeträgen banktechnisch nicht abgewickelt werden können. Das Entstehen von etwaigen Rundungsdifferenzen beeinträchtigt die Richtigkeit der Pflichtangaben nicht (vgl. BGH, Urteil vom 11.2.2020 – XI ZR 648/18).
6. Das Preis- und Leistungsverzeichnis war von der Beklagten nicht auszuhändigen. Insofern führt der BGH in seinem Beschluss vom 11.02.2020, Az.: XI ZR 648/18 aus:
„Da die Höhe der gegebenenfalls in der Zukunft anfallenden Mahn- bzw. Rücklastschriftgebühren bei Vertragsschluss nicht bekannt sind, musste die Beklagte zur Erteilung der Angaben nach Art. 10 Abs. 2 Buchstabe I Verbraucherkreditrichtlinie bzw. Art. 247 § 3 Abs. 1 Nr. 11 EGBGB ihr bei Vertragsschluss geltendes Preis- und Leistungsverzeichnis nicht aushändigen. Dieses unterliegt fortlaufenden Änderungen.“
7. Das Problem der sogenannten „Kaskadenverweisung“, zu welchem das Urteil EuGH v. 26.3.2020 (Rechtssache C-66/19) erging, führt hier zu keiner anderen Beurteilung hinsichtlich der Richtigkeitsfiktion des Art. 247 § 6 Abs. 2 Satz 3 EGBGB. Eine richtlinienkonforme Auslegung ist hier nicht möglich. Der Bundesgerichtshof hat hierzu in seinem Beschluss vom 31.03.2020, Az. XI ZR 198/19, ausgeführt:
„Eine richtlinienkonforme Auslegung des Artikel 247 § 6 Absatz 2 Satz 3 EGBGB a.F. überschritte indes entgegen seinem eindeutigen Wortlaut, seinem Sinn und Zweck und der Gesetzgebungsgeschichte die Befugnis der Gerichte. Die durch das Gesetz zur Einführung einer Musterwiderrufsinformation für Verbraucherdarlehensverträge, zur Änderung der Vorschriften über das Widerrufsrecht bei Verbraucherdarlehensverträgen und zur Änderung des Darlehensvermittlungsrechts vom 24. Juli 2010 (BGBl. I S. BGBL Jahr 2010 I Seite 977) in Art. Artikel 247 § 6 Absatz 2 EGBGB eingefügte Gesetzlichkeitsfiktion trug der Entschließung des Deutschen Bundestages im Rahmen der Beschlussfassung zum Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherkreditrichtlinie, des zivilrechtlichen Teils der Zahlungsdiensterichtlinie sowie zur Neuordnung der Vorschriften über das Widerrufs- und Rückgaberecht (BT-Drucks. 16/13669, S. 5) Rechnung. Mit dieser Entschließung hatte der Deutsche Bundestag die Bundesregierung unter anderem aufgefordert, zu Beginn der 17. Legislaturperiode einen Gesetzentwurf mit einem Muster für eine Information über das Widerrufsrecht bei Verbraucherkreditverträgen mit Gesetzlichkeitsfiktion in das Gesetzgebungsverfahren einzubringen. Durch die gesetzliche Regelung im EGBGB und die Schaffung eines (fakultativen) Musters sollte Rechtsklarheit und Rechtssicherheit bei den Anwendern erzeugt und der Rechtsverkehr vereinfacht werden (vgl. BT-Drucks. 16/13669, S. 3 und BT-Drucks. 17/1394, S. 1, 21 f.). Dieses gesetzgeberische Ziel würde verfehlt, würde man der Verwendung des Musters die Gesetzlichkeitsfiktion absprechen, weil etwa der Verweis in der Widerrufsinformation auf § BGB § 492 Abs. BGB § 492 Absatz 2 BGB in Kombination mit der beispielhaften Aufzählung von Pflichtangaben nach Artikel 247 § 6 EGBGB nach dem Urteil des Gerichtshofs vom 26. März 2020 (EUGH Aktenzeichen C6619 C-66/19, juris – „Kreissparkasse Saarlouis“) nicht richtlinienkonform ist.“
Mithin dürfen sich die Gerichte über die bewusste gesetzgeberische Entscheidung nicht hinwegsetzen; eine Entscheidung contra legem ist nationalen Gerichten in Hinblick auf das Rechtsstaatsprinzip gem. Art. 20 Abs. 3 GG versagt. Klare nationale Gesetze sind bindend. Die Beachtung des klaren gesetzgeberischen Willens ist Ausdruck von demokratischer Verfassungsstaatlichkeit und trägt dem Grundsatz der Gewaltenteilung gem. Art 20 Abs. 2 Satz 2 GG Rechnung (so BGH Urteil XI ZR 759/17 v. 15.10.2019 TZ 20). Eine entgegenstehende richtlinienkonforme Auslegung des insoweit eindeutigen deutschen Gesetzes scheidet also aus (BGH Beschluss v. 19.3.2019 XI ZR 44/18 TZ 17 aE). Andernfalls würde die gesetzliche Anordnung missachtet, das Regelungsziel des Gesetzgebers verfehlt und verfälscht und einer eindeutigen Norm ein anderer Sinn gegeben; hierzu sind die Gerichte nicht befugt. Im Übrigen – so entspricht es den Feststellungen des BGH – hat auch der EuGH in ständiger Rechtsprechung bekräftigt, die Verpflichtung zur unionskonformen Auslegung dürfe nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts dienen (vgl. BGH Urteil v. 15.10.2019 XI ZR 759/17 TZ 20 mit zahlreichen weiteren Nachweisen).
7. Das Gericht hat im Übrigen – entsprechend der Vorgabe des BGH, wonach die Übereinstimmung von vorformulierten Widerrufsbelehrungen mit höherrangigem Recht eine Rechtsfrage ist und ohne Bindung an das Parteivorbringen zu untersuchen ist (BGH, Urteil vom 20.06.2017 – XI ZR 72/16, BeckRS 2017, 120503) – die streitgegenständlichen Widerrufsinformationen auch über die von der Klagepartei beanstandeten Passagen hinaus überprüft, indes keinen, den Lauf der Widerrufsfrist hindernden Fehler feststellen können. Nach alledem sind die streitgegenständlichen Widerrufsinformationen nicht zu beanstanden, so dass der Klage kein Erfolg beschieden
Die 14-tägige Widerrufsfrist war damit ordnungsgemäß in Gang gesetzt worden und bei Widerruf des Darlehensvertrages durch die Klagepartei bereits längstens abgelaufen. Auf die Frage des Rechtsmissbrauchs bzw. der Verwirkung sowie einer etwaigen Wertersatzpflicht der Klagepartei kommt es daher nicht mehr an.
C.
Nachdem die Klage abzuweisen ist, ist die von der Beklagten genannte Bedingung für die Hilfswiderklage nicht eingetreten. Ein Eingehen auf die Hilfswiderklage ist daher nicht notwendig.
D.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO.
E.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt § 709 ZPO.

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