Aktenzeichen 30 W (pat) 6/18
Tenor
In der Beschwerdesache
…
betreffend die Markenanmeldung 30 2016 111 108.9
hat der 30. Senat (Marken- und Design-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 14. November 2019 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Prof. Dr. Hacker sowie der Richter Merzbach und Dr. Meiser
beschlossen:
Auf die Beschwerde des Anmelders werden die Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 9 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 24. Januar 2017 und vom 21. Dezember 2017 aufgehoben.
Gründe
I.
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Das Wortzeichen
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PrioBox
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ist am 8. Dezember 2016 für Waren und Dienstleistungen der Klassen 9, 42 und 45 zur Eintragung als Marke in das vom Deutschen Patent- und Markenamt geführte Register angemeldet worden.
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Mit Beschlüssen vom 24. Januar 2017 und vom 21. Dezember 2017 hat die Markenstelle für Klasse 9 die Anmeldung wegen fehlender Unterscheidungskraft (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG) zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, die angemeldete Wortmarke setze sich aus dem Begriff „Prio“ (für „Priorität, Vorrang“) und dem Wort „Box“, welches in der IT-Sprache nachweislich einen Speicherbereich bezeichne, zusammen. Im vorliegenden Waren- und Dienstleistungszusammenhang beinhalte das Anmeldezeichen daher den Sachhinweis auf eine Software, die einen besonderen Bereich zur Ablage von Daten und Vorgängen mit Priorität aufweise.
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Hiergegen wendet sich die Beschwerde des Anmelders. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, das Markenzeichen entbehre weder der notwendigen Unterscheidungskraft, noch sei es für die relevanten Waren und Dienstleistungen freihaltebedürftig. Der normal informierte, angemessen aufmerksame und verständige Durchschnittsverbraucher verstehe PrioBox als Marke mit Herkunftsfunktion.
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Der Senat hat dem Anmelder mit der Terminsladung vom 8. Oktober 2019 Ergebnisse einer Internetrecherche zur Verwendung der Wortelemente „Prio“ und „Box“ übersandt.
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In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Anmelder das Waren- und Dienstleistungsverzeichnis wie folgt eingeschränkt:
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„Klasse 9: Software; Netzwerk- bzw. Systemmanagement-Software; elektronische Datenbanken; mobile Apps
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Klasse 42: Entwurf von Software; Entwicklung von Software; Entwicklung von Datenbanken; Pflege von Datenbanken
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Klasse 45: Lizenzierung von Software,
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sämtliche vorgenannten Waren und Dienstleistungen im Zusammenhang mit
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der automatisierten Ermittlung und Messung persönlicher Wünsche und
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Ziele“.
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Der Anmelder beantragt,
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die Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 9 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 24. Januar 2017 und vom 21. Dezember 2017 aufzuheben.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
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Die zulässige Beschwerde ist nach der seitens des Anmelders vorgenommenen Einschränkung des Waren- und Dienstleistungsverzeichnisses begründet, da Eintragungshindernisse nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 MarkenG in Bezug auf die nunmehr noch beanspruchten Waren und Dienstleistungen nicht festgestellt werden können.
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1. Unterscheidungskraft im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG ist die einem Zeichen innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel aufgefasst zu werden, das die von der Anmeldung erfassten Waren oder Dienstleistungen als von einem bestimmten Unternehmen stammend kennzeichnet und diese somit von denjenigen anderer Unternehmen unterscheidet (vgl. z. B. EuGH GRUR 2015, 1198 (Nr. 59) – Kit Kat; GRUR 2012, 610 (Nr. 42) – Freixenet; GRUR 2008, 608 (Nr. 66) – EUROHYPO; BGH GRUR 2016, 1167 (Nr. 13) – Sparkassen-Rot; GRUR 2015, 581 (Nr. 16) – Langenscheidt-Gelb; GRUR 2015, 173 (Nr. 15) – for you; GRUR 2014, 565 (Nr. 12) – smartbook; GRUR 2013, 731 (Nr. 11) – Kaleido; GRUR 2012, 1143 (Nr. 7) – Starsat, jeweils m. w. N.). Denn die Hauptfunktion einer Marke besteht darin, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen zu gewährleisten (vgl. etwa EuGH GRUR 2015, 1198 (Nr. 59) – Kit Kat; GRUR 2014, 373 (Nr. 20) – KORNSPITZ; 2010, 1008, 1009 (Nr. 38) – Lego; GRUR 2008, 608, 611 (Nr. 66) – EUROHYPO; GRUR 2006, 233, 235, Nr. 45 – Standbeutel; BGH GRUR 2016, 1167 (Nr. 13) – Sparkassen-Rot; GRUR 2016, 934 (Nr. 9) – OUI; GRUR 2015, 581 (Nr. 16) – Langenscheidt-Gelb; BGH GRUR 2015, 173, 174 (Nr. 15) – for you; GRUR 2009, 949 (Nr. 10) – My World). Da allein das Fehlen jeglicher Unterscheidungskraft ein Eintragungshindernis begründet, ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ein großzügiger Maßstab anzulegen, so dass jede auch noch so geringe Unterscheidungskraft genügt, um das Schutzhindernis zu überwinden (vgl. BGH GRUR 2017, 186 (Nr. 29) – Stadtwerke Bremen; GRUR 2016, 1167 (Nr. 13) – Sparkassen-Rot; GRUR 2015, 581 (Nr. 9) – Langenscheidt-Gelb; GRUR 2015, 173, 174 (Nr. 15) – for you; GRUR 2014, 565, 567 (Nr. 12) – smartbook; GRUR 2012, 1143 (Nr. 7) – Starsat; GRUR 2012, 270 (Nr. 8) – Link economy). Maßgeblich für die Beurteilung der Unterscheidungskraft sind einerseits die beanspruchten Waren oder Dienstleistungen und andererseits die Auffassung der beteiligten inländischen Verkehrskreise, wobei auf die Wahrnehmung des Handels und/oder des normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers bzw. -abnehmers der fraglichen Produkte abzustellen ist (vgl. EuGH GRUR 2006, 411, 412 (Nr. 24) – Matratzen Concord/Hukla).
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Hiervon ausgehend besitzen Marken insbesondere dann keine Unterscheidungskraft, wenn ihnen die maßgeblichen Verkehrskreise im Zeitpunkt der Anmeldung des Zeichens (vgl. BGH GRUR 2013, 1143, Nr. 15 – Aus Akten werden Fakten) lediglich einen im Vordergrund stehenden beschreibenden Begriffsinhalt zuordnen (vgl. EuGH GRUR 2013, 519 (Nr. 46) – Deichmann; GRUR 2004, 674 (Nr. 86) – Postkantoor; BGH GRUR 2017, 186 (Nr. 30, 32) – Stadtwerke Bremen; 2014, 1204 (Nr. 12) – DüsseldorfCongress; GRUR 2012, 270 (Nr. 11) – Link economy; GRUR 2009, 952 (Nr. 10) – DeutschlandCard). Darüber hinaus kommt nach ständiger Rechtsprechung auch solchen Zeichen keine Unterscheidungskraft zu, die sich auf Umstände beziehen, welche die beanspruchten Waren oder Dienstleistungen zwar nicht unmittelbar betreffen, durch die aber ein enger beschreibender Bezug zu diesen hergestellt wird (vgl. BGH GRUR 2017, 186 (Nr. 32) – Stadtwerke Bremen; GRUR 2014, 1204 (Nr. 12) – DüsseldorfCongress; GRUR 2012, 1143 (Nr. 9) – Starsat; GRUR 2010, 1100 (Nr. 23) – TOOOR!; GRUR 2006, 850 (Nr. 28 f.) – FUSSBALL WM 2006).
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2. Unter Berücksichtigung dieses rechtlichen Hintergrunds steht der angemeldeten Wortzusammensetzung PrioBox nach erfolgter Einschränkung des Waren- und Dienstleistungsverzeichnisses im Beschwerdeverfahren das Schutzhindernis nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG nicht entgegen.
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a) Allerdings ist der Markenstelle darin zu folgen, dass sich das Anmeldezeichen schon aufgrund der Binnengroßschreibung unmittelbar erkennbar aus den Wortelementen „Prio“ und „Box“ zusammensetzt. „Prio“ ist lexikalisch nachweisbar (vgl. den Wikipedia-Eintrag in der Amtsakte) das Kurzwort u.a. für „Priorität“ und wird ausweislich der weiteren Rechercheergebnisse des Senats mit dieser Bedeutung inländisch seit langem gängig verwendet (vgl. die Anlage „Wortschatz Uni-Leipzig“, u.a. mit folgenden Verwendungsbeispielen: „Die erste Prio hat die Mannschaft“, Stuttgarter Nachrichten 2011; „Erste Prio hat das Stadion“, Stuttgarter Nachrichten 2011; „Ich finde, das muss für uns alle Prio A sein“, 2011). Darüber hinaus ist „Prio-“ nachweislich als Wortbildungselement in Wortverbindungen wie „Prioliste“, „Prio-Setzung“, „Prio-Versand“ gebräuchlich.
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Das zweite Zeichenelement, das englische Wort „Box“, ist mit verschiedenen Bedeutungen in den deutschen Sprachgebrauch eingegangen. Im hier betroffenen IT-Bereich wird es, wie es die Fundstellen der Markenstelle und des Senats belegen, gerade auch zur Bezeichnung eines individuellen (meist passwortgeschützten) Speicherbereichs verwendet.
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b) Wenngleich das Anmeldezeichen in seiner Gesamtheit somit als sachlicher Hinweis auf einen Ablage- bzw. Speicherbereich für Prioritäten verstanden werden kann, ist gleichwohl die Beurteilung eines Zeichens stets in Zusammenhang mit den Waren und Dienstleistungen vorzunehmen, für die eine Eintragung begehrt wird (EuGH GRUR 2004, 674 (Nr. 33) – Postkantoor).
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Vorliegend hat der Anmelder durch die im Beschwerdeverfahren vorgenommene Einschränkung indessen klargestellt, dass ein unmittelbarer Sachbezug zu einem „Prioritäten-Speicherbereich“ nicht mehr in Betracht kommt. Aufgrund der konkreten Eingrenzung sämtlicher Waren und Dienstleistungen auf den „Zusammenhang mit der automatisierten Ermittlung und Messung persönlicher Wünsche und Ziele“ liegt ein solcher Sachbezug nicht mehr nahe bzw. erschließt sich, bei Kennzeichnung dieser Waren und Dienstleistungen mit dem Zeichen PrioBox, dem Verkehr allenfalls im Rahmen einer analysierenden Betrachtungsweise, was aber bereits die Unterscheidungskraft im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG begründet.
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3. Auch das Schutzhindernis des § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG steht einer Eintragung des angemeldeten Markenwortes für die nach Einschränkung des Verzeichnisses verbliebenen Waren und Dienstleistungen nicht entgegen, denn PrioBox beschreibt diese weder unmittelbar noch ist die Anmeldung für diese spezifischen Waren und Dienstleistungen im Interesse der Mitbewerber freihaltebedürftig.
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4. Da der Anmeldemarke somit nach der erfolgten Einschränkung des Waren- und Dienstleistungsverzeichnisses die Eintragung wegen der Schutzhindernisse nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 und 2 MarkenG nicht mehr versagt werden kann, war der Beschluss auf die Beschwerde des Anmelders aufzuheben.