Aktenzeichen 26 W (pat) 539/20
Tenor
In der Beschwerdesache
betreffend die Markenanmeldung 30 2019 108 544.2
hat der 26. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 29. Mai 2020 unter Mitwirkung des Richters Kätker als Vorsitzender sowie der Richter Dr. von Hartz und Schödel
beschlossen:
1. Der Beschluss der Markenstelle für Klasse 39 des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 17. Dezember 2019 wird aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückverwiesen.
2. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.
Gründe
I.
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Das Wortzeichen
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NRWupgrade
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ist am 2. Juli 2019 zur Eintragung als Marke in das beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) geführte Register angemeldet worden für Dienstleistungen der
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Klasse 35: Büroarbeiten; Geschäftsführung; Großhandelsdienstleistungen in Bezug auf Drucksachen; Informations- und Beratungsdienste in Bezug auf Tarife; Marketing in Bezug auf Reisen; Marketing; Unternehmensverwaltung; Verkaufsförderung; Veröffentli-chung und Herausgabe von Druckereierzeugnissen für Werbezwecke; Werbung im Bereich Tourismus und Reisen; Werbung; Zusammenstellung und Systematisierung von Informationen in Datenbanken;
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Klasse 39: Auskünfte in Bezug auf Beförderung; Beförderung von Reisenden; Beförderung mittels personenbetriebener Fahrzeuge; Beförderung von Passagieren; Beförde-rungsdienste; Beförderungsdienstleistungen; Beförderungs-service; Bereitstellung von Routenwahlinformationen für Reisezwecke; computergestützte Auskünfte in Bezug auf Personenbeförderung; Dienstleistungen in Bezug auf Reiseplanungen; Erteilung von Auskünften über Straßen- und Verkehrsinformationen; Fahrplanauskünfte in Bezug auf Reisen; Lagerung von Waren; Massentransporte für die Öffentlichkeit; Navigationsberatungsdienste; Navigations-dienste; Organisation der Beförderung von Reisenden; Organisation des Fahrzeugverkehrs mittels neuer Kommunikationsnetzwerke und -technologien; Organisation von Reisen; Organisation des Transports im Rahmen von Reisen; Reise- und Beförderungsreservierungsdienste; Reiseführung; Reiseplanung; Reiseplanungsdienste; Reservierung von Tickets für Bahnfahrkarten; Routenplanung von Fahrzeugen in Computerdatennetzen; Routen-planungsdienste; Ticketbuchungsdienste für Reisen; Trans-portwesen; Veranstaltung und Vermittlung von Reisen; Verkehrsinformationsdienste; Verkehrsinformationsdienstleistungen; Vermittlung der Beförderung von Personen; Vermittlung von Personen-beförderungsdiensten; Wegstreckenplanung;
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Klasse 41: Herausgabe von Druckerzeugnissen; Publikation von Druckerzeugnissen; Veröffentlichung von Druckerzeugnissen; Veröffentlichung von
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Mit Beschluss vom 17. Dezember 2019 hat die Markenstelle für Klasse 39 des DPMA die Anmeldung wegen fehlender Unterscheidungskraft gemäß §§ 37 Abs. 1, 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, das sprachüblich gebildete Anmeldezeichen setze sich aus dem Kürzel “NRW” für das Bundesland Nordrhein-Westfalen und dem aus dem Englischen stammenden und in den allgemeinen deutschen Sprachgebrauch eingegangenen Begriff “upgrade” zusammen. Diesem komme die Bedeutung “Steigerung, die Qualität verbessern” zu. Er sei dem allgemeinen Verkehr auf dem EDV-Sektor für neue Versionen von Computerprogrammen und im Zusammenhang mit der Einstufung in eine höhere Klasse geläufig. Ihm sei daher eine Übertragung des Begriffs auf das Gebiet der verfahrensgegenständlichen Dienstleistungen ohne weiteres möglich. Bei der Groß- bzw. Kleinschreibung der einzelnen Zeichenbestandteile handele es sich um ein werbeübliches Gestaltungsmittel.
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Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Anmelderin. Sie ist der Ansicht, der Begriffsgehalt des Anmeldezeichens bleibe unbestimmt. Es sei völlig offen, was genau hochgestuft werden solle. Eine Hochstufung des Objekts des Zeichens, das Bundesland Nordrhein-Westfalen, sei nicht sinnvoll möglich. Es lasse einen mannigfaltigen Spielraum an Begriffsverständnissen, u. a. könne es im Sinn von “NR Wup grade” als Wortspiel mit Bezug zum Niederrhein und zur Stadt Wuppertal verstanden werden. Das Zeichen stelle ohne analysierende Betrachtungsweise keinen Zusammenhang zu den beanspruchten Dienstleistungen her.
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Der Anmelder beantragt sinngemäß,
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den Beschluss der Markenstelle für Klasse 39 des DPMA vom 17. Dezember 2019 aufzuheben.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
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Die nach §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 MarkenG statthafte Beschwerde ist zulässig und führt gemäß § 70 Abs. 3 Nr. 2 MarkenG zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Deutsche Patent- und Markenamt.
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1. Das Verfahren vor dem DPMA leidet an einem wesentlichen Mangel, weil die Entscheidung auf eine nicht zwischen den einzelnen Dienstleistungen differenzierende Begründung gestützt worden ist.
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a) Nach § 70 Abs. 3 Nr. 2 MarkenG kann das Beschwerdegericht die angefochtene Entscheidung aufheben, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, wenn das Verfahren vor dem Patent- und Markenamt an einem wesentlichen Mangel leidet. Von einem wesentlichen Mangel des Verfahrens im Sinne des § 70 Abs. 3 Nr. 2 MarkenG ist auszugehen, wenn es nicht mehr als ordnungsgemäße Grundlage für die darauf beruhende Entscheidung des DPMA anzusehen ist (BGH GRUR 1962, 86, 87 – Fischereifahrzeug). Das gilt insbesondere für völlig ungenügende oder widersprüchliche Begründungen (BPatGE 7, 26, 31 ff.; 21, 75).
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b) Bei der Prüfung der absoluten Schutzhindernisse des § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 MarkenG sind grundsätzlich alle beanspruchten Waren und/oder Dienstleistungen zu würdigen (EuGH GRUR 2007, 425 Rdnr. 32, 36 – MT&C/BMB; BGH GRUR 2009, 952 Rdnr. 9 – DeutschlandCard), wobei eine globale Begründung ausreicht, soweit dieselben Erwägungen eine Kategorie oder Gruppe der angemeldeten Waren und/oder Dienstleistungen betreffen (EuGH a. a. O. Rdnr. 37 – MT&C/BMB; GRUR 2008, 339 Rdnr. 91 – Develey/HABM). Das bedeutet aber nur, dass dieselbe für verschiedene Waren und/oder Dienstleistungen maßgebliche Begründung nicht für jede einzelne Position des Waren-/Dienstleistungsverzeichnisses wiederholt werden muss, sondern dass Gruppen von Waren und/oder Dienstleistungen zusammengefasst beurteilt werden können. Gegen diese Begründungspflicht wird daher verstoßen, wenn verschiedene Waren und/oder Dienstleistungen ohne weitere Begründung gleich behandelt oder überhaupt nicht gewürdigt werden.
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c) Die Markenstelle hat nur pauschal behauptet, dem allgemeinen Verkehr sei der Begriff “Upgrade” auf dem EDV-Sektor für neue Versionen von Computerprogrammen und im Zusammenhang mit der Einstufung in eine höhere Klasse geläufig. Ihm sei daher eine Übertragung des Begriffs auf das Gebiet der verfahrensgegenständlichen Dienstleistungen ohne weiteres möglich. Eine Begründung zu dessen Bedeutungsgehalt im Zusammenhang mit dem Zeichenbestandteil “NRW” im Hinblick auf die zahlreichen, sehr unterschiedlichen Dienstleistungen des angemeldeten Verzeichnisses fehlt vollständig.
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Die Markenstelle hat es damit vorliegend versäumt, den verfahrensgegenständlichen Zurückweisungsbeschluss zu begründen (vgl. § 61 Abs. 1 Satz 1 MarkenG).
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e) Da eine inhaltliche Auseinandersetzung der Markenstelle mit dem angemeldeten Dienstleistungsverzeichnis nicht erkennbar ist, sieht der Senat nach § 70 Abs. 3 Nr. 2 MarkenG von einer eigenen abschließenden Sachentscheidung ab und verweist die Sache an das DPMA zurück. Ungeachtet der Bedeutung, die dem Gesichtspunkt der Prozessökonomie im Rahmen der gebotenen Ermessensausübung zukommt, kann es nicht zu den Aufgaben des Patentgerichts gehören, in der Sache die dem DPMA obliegende differenzierte Erstprüfung einer Anmeldung zu übernehmen (vgl. BPatG 24 W (pat) 524/15 – kerzenzauber; 26 W (pat) 518/17 – modulmaster). Dabei sind ferner sowohl der sonst eintretende Verlust einer Entscheidungsinstanz als auch die Belastung des Senats mit einem hohen Stand an vorrangigen Altverfahren zu berücksichtigen, der eine zeitnahe Behandlung des vorliegenden, erst im Jahr 2020 anhängig gewordenen Verfahrens nicht zulässt.
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Die Markenstelle wird daher erneut in die Prüfung einzutreten haben, ob und gegebenenfalls für welche konkreten Dienstleistungen ein Freihaltebedürfnis bzw. eine fehlende Unterscheidungskraft des angemeldeten Zeichens festzustellen ist. Insbesondere wird sie sich auch mit der Frage auseinanderzusetzen haben, ob das Anmeldezeichen von den angesprochenen Verkehrskreisen als schlagwortartige Werbeaussage ohne herkunftshinweisenden Charakter aufgefasst wird.
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2. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr war nach § 71 Abs. 3 MarkenG anzuordnen. Dies entspricht der Billigkeit, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Beschwerde bei korrekter Sachbehandlung vermieden worden wäre.