Verwaltungsrecht

unbegründete Asylklage – Einzelfall

Aktenzeichen  Au 2 K 20.30459

Datum:
16.6.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 24270
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 16a
AsylG § 3, § 3a Abs. 1 Nr. 2, § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
EMRK Art.3, Art. 15 Abs. 2

 

Leitsatz

Zwar ist der allgemeine Lebensstandard in Vietnam niedrig, das Angebot an Grundnahrungsmitteln ist hingegen gesichert. Eine junge arbeitsfähige gesunde Frau, die zudem auf Berufserfahrung zurückgreifen kann, wird in der Lage sein, wie jeder andere dort Lebende in der vergleichbaren Situation, ihren Lebensunterhalt in ihrem Herkunftsland durch eine eigene Tätigkeit sicherzustellen. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Über die Klage konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten in der mündlichen Verhandlung entschieden werden, da die Beteiligten mit der Ladung hierauf hingewiesen wurden (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Das Gericht kann durch den Einzelrichter entscheiden, nachdem ihm das Verfahren durch Beschluss der Kammer vom 6. Mai 2020 zur Entscheidung übertragen worden ist (§ 76 Abs. 1 AsylG).
I.
Die zulässige Klage führt in der Sache nicht zum Erfolg. Der angefochtene Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 12. März 2020 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO). Sie hat nach der zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung geltenden Sach- und Rechtslage (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) weder einen Anspruch auf die Anerkennung als Asylberechtigte bzw. die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz, noch auf die Gewährung subsidiären Schutzes, noch auf die Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Vietnams vorliegen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 VwGO). Das Gericht nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug auf die Gründe der angegriffenen Bescheide und macht sich diese zu Eigen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend wird ausgeführt:
1. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG.
Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Eine solche Verfolgung kann nicht nur vom Staat ausgehen (§ 3c Nr. 1 AsylG), sondern auch von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 3c Nr. 2 AsylG) oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 3c Nr. 3 AsylG). Gemäß § 3b Abs. 1 Nr. 4, letzte Alt. kann eine Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe auch vorliegen, wenn sie allein an das Geschlecht oder die geschlechtliche Identität anknüpft.
Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG, des Art. 1 A GFK und der Qualifikationsrichtlinie (QRL) gelten Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG; Art. 9 Abs. 1 Buchst. a QRL), oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG beschriebenen Weise betroffen ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG; Art. 9 Abs. 1 Buchst. b QRL). Zwischen den Verfolgungsgründen (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG i.V.m. § 3b AsylG) und den in den § 3a Abs. 1 und 2 AsylG als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG; Art. 9 Abs. 3 QRL).
Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG; Art. 10 Abs. 2 QRL). Für die Beurteilung der Frage, ob die die Furcht des Betroffenen vor Verfolgung begründet im Sinn von § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ist, gilt einheitlich der Prognosemaßstab der tatsächlichen Gefahr („real risk“). Dieser gilt für Anerkennung und Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft gleichermaßen und entspricht demjenigen der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25.10 – juris Rn. 20/23). Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – juris Rn. 32).
Die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 QRL in Form einer widerlegbaren Vermutung ist im Asylerstverfahren zu beachten, wenn der Antragsteller frühere Verfolgungshandlungen oder Bedrohungen mit Verfolgung als Anhaltspunkt für die Begründetheit seiner Furcht geltend macht, dass sich die Verfolgung im Falle der Rückkehr in das Heimatland wiederholen werde. Die solchen früheren Handlungen oder Bedrohungen nach Art. 4 Abs. 4 QRL zukommende Beweiskraft ist von den zuständigen Behörden unter der sich aus Art. 9 Abs. 3 QRL ergebenden Voraussetzung zu berücksichtigen, dass diese Handlungen oder Bedrohungen eine Verknüpfung mit dem Verfolgungsgrund aufweisen, den der Betreffende für seinen Antrag auf Schutz geltend macht (vgl. z.B. BVerwG, B.v. 6.7.2012 – 10 B 18.12 – juris Rn. 5 unter Bezugnahme auf EuGH, U.v. 2.3.2010 – Rs. C-175/08 u.a. – juris Rn. 93; U.v. 5.5.2009 – 10 C 21.08 – juris Rn. 25).
Gemäß § 3e AsylG wird einem Ausländer Flüchtlingsschutz (ebenso wie subsidiärer Schutz, § 4 Abs. 3, § 3e AsylG) nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes Schutz vor Verfolgung (bzw. im Falle des subsidiären Schutzes Schutz vor drohendem ernsthaften Schaden) hat und er sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.
Unter Berücksichtigung obiger Grundsätze sind im Fall der Klägerin die Voraussetzungen der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinn von § 3 Abs. 1 AsylG nicht gegeben. Das Gericht geht nicht davon aus, dass der Klägerin bei einer Rückkehr nach Vietnam mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit landesweit Verfolgung im Sinn von § 3 Abs. 1 AsylG droht.
a. Bereits der Sachvortrag der Klägerin enthält keine Anhaltspunkte für eine im Herkunftsland erlittene flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung.
So hat die Klägerin ihren Sachvortrag in der mündlichen Verhandlung zwar gesteigert, indem sie nun angab von einem ehemaligen Arbeitskollegen in Vietnam vergewaltigt und anschließend von diesem zum Drogenverkauf gezwungen worden zu sein. Unabhängig von dem Umstand, ob die Klägerin hier glaubhafte Angaben gemacht hat, handelt es sich hierbei um keinen flüchtlingsrechtlich relevanten Vortrag. Die Klägerin hat nämlich nicht geschildert, wegen eines in § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3b Abs. 1 AsylG genannten Merkmals verfolgt zu werden.
b. Im Übrigen ist das Gericht der Auffassung, dass der Klägerin in Vietnam jedenfalls eine den Anforderungen des § 3e AsylG genügende Ausweichmöglichkeit innerhalb der Sozialistischen Republik Vietnam, deren Staatsangehörigkeit sie nach eigenem Bekunden besitzt, vorfindet. Zwar herrschen in Vietnam einzelne administrative Niederlassungsbeschränkungen (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Sozialistischen Republik Vietnam – Lagebericht – Stand: Oktober 2019, S. 16). Ein innerstaatlicher Umzug ist jedoch grundsätzlich möglich – dies ist der Klägerin ja auch nach eigenen Angaben bereits gelungen. Lediglich für Oppositionelle bestehen kaum innerstaatliche Ausweichmöglichkeiten (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Sozialistischen Republik Vietnam – Lagebericht – Stand: Oktober 2019, S. 16). Bei der Klägerin handelt es sich jedoch nicht um eine Oppositionelle. Sie ist eine gesunde arbeitsfähige Frau, die über eine angemessene Schulbildung sowie Arbeitserfahrung verfügt. Der Klägerin ist es zuzumuten, sich ggf. in anderen Landesteilen niederzulassen und dort ihre Existenz zu sichern. Das Gericht ist davon überzeugt, dass ihr dies auch gelingen wird.
2. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch darauf, als Asylberechtigte nach Art. 16a Abs. 1 GG anerkannt zu werden.
Es fehlt schon offensichtlich an den inhaltlichen Voraussetzungen für die Anerkennung als Asylberechtigter i.S.d. Art. 16a Abs. 1 GG. Auf die vorstehenden Ausführungen zum Flüchtlingsschutz wird verwiesen. Im Übrigen ist die Klägerin nach eigenen Angaben auf dem Landweg über Polen in die Bundesrepublik eingereist.
3. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus gemäß § 4 AsylG.
Nach ihrem Vortrag ist kein Anhaltspunkt dafür erkennbar, dass der Klägerin in ihrem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG droht. Es liegt kein Fall eines ernsthaften Schadens im Sinne des abschließenden § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG vor.
a. Die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG wurde weder behauptet noch ist sie sonst erkennbar.
Sofern die Klägerin hier vorträgt, sie habe im Auftrag bzw. unter Zwang ihres ehemaligen Arbeitskollegen Betäubungsmittel veräußern müssen, erscheint dem Gericht insoweit die Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe als nicht beachtlich wahrscheinlich. Zwar sieht das vietnamesische Strafgesetzbuch u.a. auch die Verhängung der Todesstrafe bei bestimmten Betäubungsmitteldelikten vor (vgl. § 193, § 194 und § 197 des Strafgesetzbuches der Sozialistischen Republik Vietnam vom 21. Dezember 1999). Aufgrund der Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung geht das Gericht jedoch nicht davon aus, dass die Klägerin ein Delikt verwirklicht hat, welche nach geltendem vietnamesischen Recht die Verhängung der Todesstrafe rechtfertigen würde.
Im Übrigen erachtet das Gericht den Vortrag der Klägerin hinsichtlich der Angaben zu den Drogenlieferungen als nicht glaubhaft. Die Klägerin hat es in der mündlichen Verhandlung nicht vermocht, insoweit schlüssige und nachvollziehbare Angaben vorzutragen. So erschließ es sich dem Gericht bereits nicht, warum die Klägerin nicht bereits in ihrer persönlichen Anhörung davon berichtet hat, dass sie von dem ehemaligen Arbeitskollegen dazu gezwungen wurde, für diesen Betäubungsmittel „auszuliefern“. Die Angaben der Klägerin hierzu waren wenig detailreich, auch erscheinen die Handlungen und Beweggründe der einzelnen Beteiligten dem Gericht als insofern nicht nachvollziehbar. So ergibt es für das Gericht wenig Sinn, dass der ehemalige Arbeitskollege sich der Klägerin bedienen würde, um seinen Drogenhandel aufrechtzuerhalten. Der Arbeitskollege würde sich durch den „Einsatz“ der Klägerin eine potentielle Mitwisserin und Zeugin „schaffen“, was angesichts der hohen Strafandrohung für Betäubungsmitteldelikte in Vietnam kaum nachvollziehbar erscheint. Dies gerade vor dem Hintergrund, dass der Arbeitgeber – nach dem Vortrag der Klägerin – auch ein schweres Sexualdelikt zum Nachteil der Klägerin verwirklicht hat und damit nicht damit rechnen konnte, dass die Klägerin etwa im Fall des Aufliegens keine Angaben zu seiner Täterschaft machen würde. Auch das Handeln der Klägerin erscheint dem Gericht wenig nachvollziehbar, da diese angibt, zunächst Opfer eines Sexualdelikts durch den Arbeitskollegen geworden zu sein und dieser sie mit diesem Wissen zur Auslieferung der Betäubungsmittel gezwungen habe. Ferner hat sich die Klägerin in ihren Angaben zeitlich widersprochen. So gab sie im Rahmen der mündlichen Verhandlung an, sie habe die Tätigkeit bei ihrem ersten Arbeitgeber unmittelbar am Tage nach der Vergewaltigung durch den Arbeitskollegen, welche sich am 30. April 2018 ereignet habe, beendet (vgl. S. 5 des Protokolls über die mündliche Verhandlung). Sie gibt jedoch an, dass ihr Vater sie zu einem Zeitpunkt, in welchem sie noch bei ihrem ersten Arbeitgeber gearbeitet habe, zurück in ihr Heimatdorf „geholt“ habe (vgl. S. 6 des Protokolls über die mündliche Verhandlung). Zu diesem Zeitpunkt sei die Tat jedoch schon geschehen (vgl. S. 6 des Protokolls über die mündliche Verhandlung). Hier liegt ein zeitlicher Widerspruch, der die Angaben der Klägerin damit als insgesamt nicht glaubhaft erscheinen lässt.
b. Es ist auch nicht erkennbar, dass der Klägerin mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in ihrem Herkunftsland Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG droht.
Eine unzureichende Versorgungslage im Herkunftsland vermag bereits aus Rechtsgründen die Gefahr eines ernsthaften Schadens i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG nicht zu begründen (anders insoweit OVG Niedersachsen, U.v. 5.12.2017 – 4 LB 50/16 – juris Rn. 55, 60-67), sondern kann allenfalls im Rahmen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 EMRK i.V.m. Art. 3 EMRK berücksichtigt werden (siehe unten). Denn nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG gelten für den subsidiären Schutz die §§ 3c bis 3e AsylG entsprechend. Damit muss für die Zuerkennung subsidiären Schutzes die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung von einem Akteur im Sinne von § 3c AsylG ausgehen (vgl. BayVGH, B.v. 18.10.2017 – 20 ZB 17.30875 – juris Rn. 14).
Hinsichtlich der darüber hinaus geltend gemachten Gefahr durch körperliche Übergriffe ihres Vaters oder des ehemaligen Arbeitskollegen wurde über allgemeine Mutmaßungen hinaus nicht konkret dargelegt. Zudem ist auch nicht ersichtlich, dass diese von einem relevanten Verfolgungsakteur i.S.v. § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3c Nr. 1 und Nr. 2 AsylG ausgehen würde bzw., dass der vietnamesische Staat gegenüber solchem grundsätzlich kriminellen Unrecht prinzipiell schutzunwillig bzw. schutzunfähig i.S.v. § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3c Nr. 3 AsylG wäre. Die Regierung Vietnams hat zwischenzeitlich mit Hilfe der Vereinten Nationen sowie verschiedener NROs diverse Reformen umgesetzt und 2014 das „National Program of Action against Domestic Violence through 2020“ auf den Weg gebracht (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Sozialistischen Republik Vietnam – Lagebericht – Stand: Oktober 2019, S.15). Hierdurch wurden Hotlines eingerichtet sowie insgesamt bis zu 300 Frauenhäuser gegründet, deren Hilfe die Klägerin in Anspruch nehmen könnte.
Letztlich wäre die Klägerin auch insofern auf eine interne Schutzmöglichkeit in Vietnam zu verweisen (s.o.).
c. Für das Vorliegen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG in Vietnam bestehen auch keinerlei Anhaltspunkte.
4. Es liegen auch keine Anhaltspunkte für das Vorliegen von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 bzw. 60 Abs. 7 AufenthG vor.
Insbesondere vermag sich die Klägerin nicht allein wegen der harten Lebensbedingungen und allgemein bestehenden ärmlichen Verhältnisse in Vietnam auf § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG oder § 60 Abs. 5 AufenthG in Verbindung mit Art. 3 EMRK zu berufen. Die Abschiebung trotz schlechter humanitärer Verhältnisse kann nur in sehr außergewöhnlichen Einzelfällen als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu bewerten sein und die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK erfüllen (BVerwG, U.v. 31.01.2013 – 10 C 15.12 – NVwZ 2013, S. 1167ff. – juris Rn. 23 ff. sowie Rn. 38; VGH BW, U.v. 24.07.2013 – A 11 S 697/13 m.w.N.). Anhaltspunkte dafür, dass der Klägerin bei ihrer Rückkehr eine Existenzgrundlage gänzlich fehlen würde, sind nicht ersichtlich. Die humanitären Bedingungen für Rückkehrer sind grundsätzlich nicht als derart schlecht zu bewerten, dass diese den Schweregrad einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK aufweisen.
Der allgemeine Lebensstandard in Vietnam ist zwar niedrig, das Angebot an Grundnahrungsmitteln ist hingegen gesichert. Die Arbeitslosigkeit in ländlichen Gebieten ist hoch, dort herrscht eine insbesondere saisonale Unterbeschäftigung. Die Beschäftigungssituation in den Städten ist hingegen als vergleichsweise gut zu beurteilen. Das Sozialversicherungssystem verfügt mittlerweile über eine solide Grundstruktur, diese ist jedoch mangels einer effektiven Umsetzung häufig unzureichend. Von den ca. 54 Millionen Erwerbstätigen sind nur ca. 14 Millionen renten- und arbeitslosenversichert. Lediglich im formellen Sektor arbeitende Vietnamesen können eine solche Pflichtversicherung erhalten. Die ca. 40 Millionen im informellen Sektor Erwerbstätigen verfügen weit überwiegend über keine Renten- und Arbeitslosenversicherung, da sie auch von der Möglichkeit der freiwilligen Versicherung keinen Gebrauch machen. Im Gesundheitswesen wurden zwischenzeitlich Fortschritte erzielt (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Sozialistischen Republik Vietnam – Lagebericht – Stand: Oktober 2019, S. 21). Das Gericht geht davon aus, dass die Klägerin als junge arbeitsfähige Frau in der Lage sein wird, wie jeder andere dort Lebende in der vergleichbaren Situation, ihren Lebensunterhalt in ihrem Herkunftsland durch eine eigene Tätigkeit sicherzustellen. Sie hat nach eigenen Angaben bereits in der Vergangenheit in Vietnam eine Anstellung finden können und diese sogar wechseln können. Sie hat zudem noch Verwandte im Heimatland, die sie – soweit erforderlich – finanziell unterstützen können. Eine Rückkehr ist der Klägerin auch zuzumuten, da zwischenzeitlich die ungenehmigte Ausreise aus Vietnam und der unerlaubte Verbleib im Ausland seit Inkrafttreten des neuen Strafgesetzbuches im Jahr 2015 nur noch dann unter Strafe stehen, wenn der Zweck der Ausreise und Aufenthalt der Bekämpfung der vietnamesischen Volksregierung ist (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Sozialistischen Republik Vietnam – Lagebericht – Stand: Oktober 2019, S.23). Dies wurde von der Klägerin nicht vorgetragen. Die ungenehmigte Ausreise allein stelle keine Straftat mehr dar.
Gesundheitliche Probleme wurden seitens der Klägerin bislang nicht geltend gemacht. Damit liegen weder die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG noch für die Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor.
5. Die Entscheidung des Bundesamts, das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung zu befristen, weist keine Rechtsfehler auf. Die Länge der Frist liegt im Rahmen des § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG. Dass insoweit besondere Umstände vorlägen, die eine Verkürzung der Frist als zwingend erscheinen ließen, ist weder dargetan noch sonst ersichtlich.
II.
Der Ausspruch über die Kosten beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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