Arbeitsrecht

Anrechnung eines von der NAHEMA erhaltenen Kapitalbetrags auf das Ruhegehalt eines Beamten – Ruhen von Versorgungsbezügen

Aktenzeichen  14 BV 18.671

Datum:
14.8.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
DÖV – 2019, 967
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BeamtVG 2009 § 56 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, Abs. 3 S. 1 Halbs. 2, S. 3, Abs. 6 S. 1, § 69c Abs. 5 S. 1
BeamtVG 2010 § 55 Abs. 1 S. 8, S. 9
AEUV Art. 157
RL 2006/54/EG
BewG § 14 Abs. 1 S. 4
GG Art. 33 Abs. 5

 

Leitsatz

§ 56 Abs. 3 Satz 3 BeamtVG 2009, § 55 Abs. 1 Satz 9 BeamtVG 2010 verstoßen gegen Art. 157 AEUV, soweit sie zur Berechnung des Verrentungsbetrags auf den Kapitalwert nach der Tabelle zu § 14 Abs. 1 Satz 4 BewG zurückgreifen, der an die unterschiedlichen durchschnittlichen Lebenserwartungen von Männern und Frauen anknüpft. (Rn. 37 – 51)

Verfahrensgang

M 21 K 09.5780 2011-05-13 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 13. Mai 2011 aufgehoben.
Der Bescheid der Beklagten vom 6. April 2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 24. November 2009 wird insoweit aufgehoben, als die Versorgungsbezüge des Klägers ab dem 1. Februar 2009 über den monatlichen Betrag von 320,77 € hinaus zum Ruhen gebracht werden und soweit vom Kläger für den Zeitraum vom 1. Februar 2009 bis 30. April 2009 über den Betrag von 421,73 € hinaus zu viel gezahlte Versorgungsbezüge zurückgefordert werden. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
III. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
IV. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
V. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung des Klägers ist nur zu einem geringen Teil begründet. Weit überwiegend ist das Verwaltungsgericht zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Anfechtungsklage in der Sache keinen Erfolg hat. Der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten vom 6. April 2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 24. November 2009 ist nur insoweit rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), als er im Rahmen der Ruhensregelung, die auch Grundlage der Rückforderungsentscheidung ist, auf einer gesetzlichen Verweisung beruht, die für die Berechnung des Verrentungsbetrags auf einen Kapitalwert zurückgreift, der unionsrechtswidrig an die unterschiedlichen durchschnittlichen Lebenserwartungen von Männern und Frauen anknüpft. Daher war dieser Bescheid im aus Ziffer 1 des Tenors ersichtlichen Umfang aufzuheben.
1. Welche Fassung der relevanten Vorschriften jeweils Anwendung findet, ergibt sich aus den zum Zeitpunkt der Zurruhesetzung eines Beamten geltenden Übergangsregelungen des Beamtenversorgungsgesetzes (vgl. BVerfG, B.v. 23.5.2017 – 2 BvL 10/11 u.a. – BVerfGE 145, 249 Rn. 8). Da der Kläger mit Ablauf des 31. Januar 2009 in den Ruhestand versetzt wurde, ist demnach § 69c Abs. 5 Satz 1 BeamtVG in der Fassung vom 5. Februar 2009 (BeamtVG 2009) maßgeblich, der im vorliegenden Fall – was die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung auch übereinstimmend so sahen – die Anwendung des von 28. März 2008 bis 11. Februar 2009 geltenden § 56 BeamtVG 2009 anordnet, weil der Kläger seine Zeiten im Sinne des § 56 BeamtVG insgesamt erstmals nach dem 1. Januar 1999 zurück gelegt hatte.
Es wirkt sich nicht entscheidungserheblich aus, dass § 69e Abs. 2 BeamtVG in der Fassung vom 15. Dezember 2004, die von 1. Januar 2005 bis 11. Februar 2009 galt (§ 69e BeamtVG 2004), insbesondere insofern Modifikationen des § 56 BeamtVG 2009 bewirkt, als § 69e Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 BeamtVG 2004 die für die Berechnung der Höchstgrenze relevante Anwendung des § 54 Abs. 2 BeamtVG in der bis zum 31. Dezember 2002 geltenden Fassung anordnet und als § 69e Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 BeamtVG 2004 insbesondere bestimmt, dass § 56 Abs. 1 BeamtVG 2009 mit der Maßgabe anzuwenden ist, dass anstelle der Zahl „1,79375“ die Zahl „1,875“ tritt. Denn zum einen unterscheiden sich die im Fall des Klägers allein einschlägigen Nummern 1 der Absätze 2 des § 54 Abs. 2 BeamtVG in ihren bis zum 31. Dezember 2002 bzw. 30. Juni 2009 geltenden Fassungen inhaltlich nicht. Und zum anderen kommt es selbst bei noch darzulegender unionsrechtskonformer Verrentung des Kapitalbetrags im Fall des Klägers nicht auf den Mindestruhensbetrag im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BeamtVG 2009 an, für dessen Berechnung § 69e Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 BeamtVG 2004 in Abweichung von § 56 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BeamtVG 2009 den Faktor 1,875 vorsieht. Deshalb geht das Argument des Klägers, es komme nur eine Minderung von 1,79375% in Betracht, ins Leere.
2. Der streitgegenständliche Bescheid ist zwar in einem versorgungsrechtlichen Punkt rechtswidrig, würde den Kläger aber insoweit für sich genommen nicht in seinen Rechten verletzen (a). Im Übrigen ist er nach nationalem, einfachem Versorgungsrecht rechtmäßig (b). Die vom Kläger gegen den Bescheid vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken teilt der Senat nicht (c). Hingegen verstoßen die dem streitgegenständlichen Bescheid zugrunde liegenden § 56 Abs. 3 Satz 3 BeamtVG 2009, § 55 Abs. 1 Satz 9 BeamtVG 2010 gegen Art. 157 AEUV und verletzen den Kläger in seinen Rechten, soweit sie zur Berechnung des Verrentungsbetrags auf den Kapitalwert nach der Tabelle zu § 14 Abs. 1 Satz 4 BewG zurückgreifen, der an die unterschiedlichen durchschnittlichen Lebenserwartungen von Männern und Frauen anknüpft (d). Konsequenz dieser Unionsrechtswidrigkeit für den streitgegenständlichen Bescheid ist, dass er – unter Gegenrechnung des zugunsten des Klägers gemachten Fehlers – insoweit aufzuheben ist, als er über den monatlichen Ruhensbetrag hinaus geht, der sich ergibt, wenn im Rahmen der Verrentungsberechnung nach § 56 Abs. 3 Satz 3 BeamtVG 2009, § 55 Abs. 1 Satz 9 BeamtVG 2010 eine Mittelwertbildung aus der Summe der Kapitalwerte, welche die Tabelle zu § 14 Abs. 1 Satz 4 BewG für Ruhestandsbeamtinnen und -beamte, die – wie der Kläger – beim Ruhestandseintritt das 65. Lebensjahr vollendet haben, vorsieht, zugrunde gelegt wird (e).
a) Der streitgegenständliche Bescheid ist zwar in einem versorgungsrechtlichen Punkt rechtswidrig, würde den Kläger aber insoweit für sich genommen nicht in seinen Rechten verletzen.
Rechtswidrig zugunsten des Klägers ging die Beklagte bei der nach § 56 Abs. 3 Satz 3 BeamtVG 2009, § 55 Abs. 1 Satz 8 BeamtVG 2010 vorgenommenen Dynamisierung vor, indem sie – die im Schreiben des Klägers vom 4. Februar 2009 enthaltene Rechnung übernehmend – von den dem Kläger als Kapitalbetrag zugeflossenen 62.750,27 € weitere 62,75 € in Abzug brachte, bevor sie den Betrag von 62.750,27 € um den darin enthaltenen Anteil für freiwillige Beiträge des Klägers zum Versorgungssystem der NATO bereinigte. Denn laut Kontoauszug des Klägers vom 17. November 2008 hatte dieser im Zusammenhang mit der Überweisung der 62.750,27 € von dieser zugeflossenen Summe als Bankprovision 62,75 € zu bezahlen, was aber nichts am maßgeblichen Zufluss auch dieser 62,75 € beim Kläger ändert. Somit wäre im Rahmen der Dynamisierung vor Bereinigung um die freiwilligen Beiträge des Klägers (vgl. zur Gebotenheit dieser Bereinigung nur BVerfG, B.v. 30.9.1987 – 2 BvR 933/82 – BVerfGE 76, 256/298) von einem Betrag von 62.750,27 € auszugehen gewesen. Das hätte für die Verrentung des Kapitalbetrags, die auf Seite 1 der Anlage 1 des streitgegenständlichen Bescheids durchgeführt wurde, zum Ausgangspunkt eines tatsächlich geleisteten Kapitalbetrags in Höhe von 57.045,70 € (statt: 56.988,65 €) geführt, der sich nach der durchzuführenden Dynamisierung (Erhöhung um 2,8%, siehe unten 2. b) aa)) auf einen für die Verrentung maßgeblichen Kapitalbetrag in Höhe von 58.642,98 € (statt: 58.584,33 €) erhöht hätte. Dies ist in einer Gegenrechnung zu berücksichtigen (s. 2. e) bb)).
b) Im Übrigen ist der streitgegenständliche Bescheid nach nationalem, einfachem Versorgungsrecht rechtmäßig.
aa) Rechtmäßig ging die Beklagte insbesondere vor, soweit sie im Rahmen der Dynamisierung für die Zeit von 17. November 2008 bis 1. Januar 2009 eine Erhöhung des Kapitalbetrags um 2,8% vornahm.
Zwar liegt in dieser – nach dem Bekunden des Beklagtenvertreters in der mündlichen Verhandlung üblichen – Vorgehensweise im Fall des Klägers eine gewisse Härte, weil er über den am 17. November 2008 erhaltenen Kapitalbetrag nicht das ganze Jahr 2009, sondern nur etwa zweieinhalb Monate lang verfügen konnte, bis ihm ab 1. Februar 2009 Versorgungbezüge gewährt wurden. Diese Dynamisierung ist aber insofern von § 56 Abs. 3 Satz 3 BeamtVG 2009, § 55 Abs. 1 Satz 8 BeamtVG 2010 gedeckt, als es nach dem Wortlaut des § 55 Abs. 1 Satz 8 BeamtVG 2010 nur darauf ankommt, welche Erhöhungen sich im Zuge der allgemeinen Anpassungen gemäß § 70 BeamtVG nach dem Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs auf die Kapitalbeträge bis zur Gewährung von Versorgungsbezügen ergeben. Rechtlich ergeben hat sich im zugrunde gelegten Dynamisierungszeitraum eine Erhöhung von 2,8% (Art. 2 Nr. 1, Art. 14 Abs. 2 des Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetzes 2008/2009), so dass die Erhöhung des Kapitalbetrags um diesen Prozentsatz deshalb rechtmäßig war. Dafür, dass eine solche jahresbezogene Erhöhung nur zeitanteilig auf einen unterjährigen Dynamisierungszeitraum umzulegen sein könnte, lässt sich insbesondere den Gesetzesmaterialien (vgl. BT-Drs. 16/10850 S. 119) nichts entnehmen.
bb) Sollte die Rüge des Klägers, die Beklagte habe den Kapitalbetrag von 56.988,65 € falsch in einen verrenteten Kapitalbetrag umgerechnet, auch auf die Geltendmachung von Rechenfehlern abzielen, so wäre sie unbegründet, weil solche Rechenfehler weder substantiiert geltend gemacht wurden noch sonst ersichtlich sind.
c) Die vom Kläger vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen den streitgegenständlichen Bescheid teilt der Senat nicht.
aa) Im Rahmen seines Gestaltungsspielraums darf der Gesetzgeber durch Anrechnungs- und Ruhensvorschriften das Ziel verfolgen, eine Doppel- oder Überversorgung eines Beamten zu vermeiden, und den Versorgungsberechtigten gegebenenfalls auch in einem bestimmten Rahmen auf Einkünfte aus einer anderen öffentlichen Kasse verweisen, sofern diese ebenfalls der Existenzsicherung des Versorgungsberechtigten und seiner Familie zu dienen bestimmt sind (vgl. BVerfG, B.v. 23.5.2017 – 2 BvL 10/11 u.a. – BVerfGE 145, 249 Rn. 82).
bb) Dynamisierung und Verrentung des Kapitalbetrags sind im Fall des Klägers gesetzlich vorgesehen (§ 56 Abs. 3 Satz 3 BeamtVG 2009, § 55 Abs. 1 Sätze 8 und 9 BeamtVG 2010). Dem insofern vom Bundesverwaltungsgericht betonten Erfordernis des Gesetzesvorbehalts (vgl. BVerwG, U.v. 27.3.2008 – 2 C 30.06 – BVerwGE 131, 29 Rn. 25) ist damit Rechnung getragen (vgl. BayVGH, U.v. 26.11.2018 – 14 B 15.910 – juris Rn. 31).
cc) Im Rahmen seiner weiten Pauschalierungs- und Typisierungsbefugnis durfte sich der Gesetzgeber zur näheren Bestimmung des Verrentungsdivisors in § 55 Abs. 1 Satz 9 BeamtVG 2010 auch grundsätzlich an den Kapitalwert nach der Tabelle zu § 14 Abs. 1 Satz 4 BewG anlehnen. Unebenheiten, Friktionen und Mängel müssen als Folgen einer solchen Pauschalierung und Typisierung hingenommen werden, solange sich für die Gesamtregelung ein plausibler und sachlich vertretbarer Grund anführen lässt (vgl. BVerfG, B.v. 23.5.2017 – 2 BvL 10/11 u.a. – BVerfGE 145, 249 Rn. 81), der insoweit in der Wahl eines als operabel bewährten Kapitalwerts liegt.
dd) Es ist auch verfassungsrechtlich unbedenklich, dass sich der Gesetzgeber mit der in § 55 Abs. 1 Satz 9 BeamtVG 2010 angeordneten Anlehnung an den Kapitalwert nach der Tabelle zu § 14 Abs. 1 Satz 4 BewG für die Errechnung dieses Kapitalwerts unter Berücksichtigung von Zwischenzinsen und Zinseszinsen mit 5,5% entschieden hat. Denn es steht dem Gesetzgeber wegen seines weiten Gestaltungsermessens frei, den wirtschaftlichen Wert eines Kapitalbetrags höher zu bewerten und den wertprägenden Vorteil zu berücksichtigen, der in der Vielseitigkeit des Kapitalbetrags besteht (vgl. BayVGH, U.v. 26.11.2018 – 14 B 15.910 – juris Rn. 70 m.w.N.).
ee) Die Ruhensregelung ist auch nicht deshalb unverhältnismäßig, weil sie zeitlich unbefristet ist (vgl. hierzu BayVGH, U.v. 26.11.2018 – 14 B 15.910 – juris Rn. 78 ff.; U.v. 21.3.2019 – 14 B 17.1572 – juris Rn. 34 m.w.N.). Art. 33 Abs. 5 GG verpflichtet den Gesetzgeber schon nicht dazu, die für eine zwischen- und überstaatliche Einrichtung geleistete Dienstzeit überhaupt als ruhegehaltfähig einzustufen (BVerfG, B.v. 23.5.2017 – 2 BvL 10/11 u.a. – BVerfGE 145, 249 Rn. 85), weswegen auch kein Verstoß gegen das Leistungsprinzip vorliegt (BVerfG, B.v. 23.5.2017 a.a.O. Rn. 90 ff.). Eine Befristung oder anderweitige „Deckelung“ der Ruhensregelung ist von Verfassungs wegen auch deshalb nicht zu fordern, weil eine Kapitalabfindung wie die von der NATO dem Kläger gewährte eine Vielzahl von Einsatzmöglichkeiten bietet, die dienstrechtlich nicht eingeschränkt sind, also allein von den Bedürfnissen und der Anlagestrategie ihres Empfängers abhängen und über eine verzinsliche Anlage weit hinausgehen können (BVerfG, B.v. 23.5.2017 a.a.O. Rn. 86 f.). Etwaigen Anlagerisiken kann der Beamte dadurch begegnen, dass er die in § 56 Abs. 3 Satz 2 BeamtVG 2009 vorgesehene Ablieferung des Kapitalbetrags an den Dienstherrn wählt (vgl. BVerfG, B.v. 23.5.2017 a.a.O. Rn. 88 f.). Das Fehlen einer Deckelung ist auch bezogen auf Art. 3 Abs. 1 GG unbedenklich im Hinblick auf die materiellen und immateriellen Vorteile einer Entsendung zur NATO während der Entsendezeit (Einkommensniveau während der Auslandsdienstzeit), das wirtschaftliche Potenzial der Abfindung und den Umstand, dass der Soldat infolge seiner freiwilligen Beurlaubung in ein vom Normalfall abweichendes Versorgungssystem gewechselt ist (BVerfG, B.v. 23.5.2017 a.a.O. Rn. 104 m.w.N.; vgl. hierzu auch BayVGH, U.v. 26.11.2018 – 14 B 15.910 – juris Rn. 89 ff.; U.v. 21.3.2019 – 14 B 17.1572 – juris Rn. 34 m.w.N.).
Nach diesen verfassungsrechtlichen Erwägungen bleibt auch kein Raum mehr für die Zweifel des Bundesverwaltungsgerichts daran, ob die versorgungsrechtliche Verweisung auf die steuerrechtlichen Zinsregelungen des § 14 BewG für die Verrentung eines zu Versorgungszwecken gezahlten Kapitalbetrags mit dem Grundsatz der amtsangemessenen Alimentation vereinbar ist (vgl. BVerwG, U.v. 5.9.2013 – 2 C 47.11 – NVwZ-RR 2014, 394 Leitsatz 3). Denn diese Zweifel, die der Kläger um den weiteren Aspekt ergänzte, der Einbehalt eines Teils des Ruhegehalts müsse enden, wenn der Kapitalbetrag bei bestimmungsgemäßer Verwendung für die Altersversorgung aufgezehrt sei, beruhen auf der in der Sache vom Bundesverfassungsgericht verworfenen verfassungsrechtlichen Kernthese des Bundesverwaltungsgerichts, Ruhensregelungen seien kein Mittel zur dauerhaften Absenkung des Versorgungsstandards und dürften nicht dazu führen, dass ein Teilbetrag der festgesetzten Versorgung einbehalten werde, obwohl die so herbeigeführte Versorgungslücke nicht durch eine anderweitige Versorgungsleistung aus einer öffentlichen Kasse ausgeglichen werde (BVerwG, U.v. 5.9.2013 a.a.O., S.394/396 Rn. 17).
ff) Auch soweit der Kläger rügt, § 56 Abs. 3 BeamtVG stelle die Empfänger einer einmaligen Versorgungsleistung einer internationalen Einrichtung schlechter als die Empfänger einer laufenden Versorgung, weil die Vorschrift keine Begrenzung der Höhe des Gesamtruhensbetrags vorsehe, greift diese Rüge verfassungsrechtlich nicht durch.
Es ist zwar richtig, dass die Empfänger einer laufenden Versorgung aus dem über- oder zwischenstaatlichen Dienst und diejenigen, die nach ihrem über- oder zwischenstaatlichen Dienst eine Abfindung erhalten und nicht abgeliefert haben, nach § 56 BeamtVG 2009 unterschiedlich behandelt werden. Denn während das Ruhen der deutschen Ruhestandsbezüge bei einer laufenden internationalen Versorgung auf „die von der zwischenstaatlichen oder überstaatlichen Einrichtung gewährte Versorgung“ beschränkt ist (§ 56 Abs. 6 Satz 1 BeamtVG 2009), gilt Vergleichbares bei einer Kapitalabfindung nicht, sodass die kumulierten Ruhensbeträge den Nennwert, nach einem entsprechend längeren Zeitraum allerdings auch den um Zinserträge vermehrten Betrag der Abfindung übersteigen können. Diese Ungleichbehandlung ist aber durch Sachgründe gerechtfertigt (vgl. BVerfG, B.v. 23.5.2017 – 2 BvL 10/11 u.a. – BVerfGE 145, 249 Rn. 100). Die Empfänger einer laufenden Versorgung haben keine Möglichkeit, vor dem Eintritt in den Ruhestand mithilfe des Abfindungsbetrags wirtschaftliche Erträge zu erzielen und das Nutzungspotenzial der Abfindung auszuschöpfen. Selbst wenn die Auszahlung – wie hier – kurz vor dem Ruhestand erfolgt, ermöglicht ein Kapitalbetrag völlig andere Verwendungen als eine viel niedrigere monatliche laufende Versorgung. Das Fehlen einer Begrenzung der Ruhensanordnung im Falle der Kapitalabfindung stellt eine pauschalierte Kompensation des Nutzungsvorteils dar, während die Gefahr einer Unteralimentierung durch die Ablieferung der Abfindung zuverlässig vermieden und durch eine wirtschaftlich erfolgreiche Verwendung der Abfindung minimiert werden kann (vgl. BayVGH, U.v. 27.8.2018 – 14 B 18.478 – juris Rn. 18 m.w.N.).
gg) Schließlich ist die Rüge des Klägers, die Gleichbehandlung jeder Kapitalleistung unabhängig von ihrer Höhe sei nicht sachgerecht, wobei berücksichtigt werden müsse, dass der Ruhensbetrag nach § 56 Abs. 3 BeamtVG unabhängig von der Höhe des erhaltenen Kapitalbetrags bestimmt werde, verfassungsrechtlich unbegründet.
Soweit diese Rüge davon ausgeht, der Ruhensbetrag nach § 56 Abs. 3 BeamtVG werde unabhängig von der Höhe des erhaltenen Kapitalbetrags bestimmt, ist sie nicht schlüssig. Denn es liegt auf der Hand, dass die Höhe des Kapitalbetrags für dessen bereits nach § 56 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 BeamtVG 2009 vorgesehene Verrentung von entscheidender Bedeutung ist. Soweit die Rüge des Klägers auf eine Kritik am Mindestruhensbetrag nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BeamtVG 2009 abzielen sollte, genügt der Hinweis, dass dieser Mindestruhensbetrag in seinem Fall nicht entscheidungserheblich ist. Im Übrigen hat das Bundesverfassungsgericht in dem Umstand, dass die Höhe der Ruhensbeträge nicht von der Höhe der im Auslandsdienst gewährten Kapitalabfindung, sondern allein von der Dauer des Dienstes in der über- oder zwischenstaatlichen Einrichtung abhängt, kein Gleichhheitsproblem gesehen (vgl. BVerfG, B.v. 23.5.2017 – 2 BvL 10/11 u.a. – BVerfGE 145, 249 Rn. 102).
d) Die dem streitgegenständlichen Bescheid zugrunde liegenden § 56 Abs. 3 Satz 3 BeamtVG 2009, § 55 Abs. 1 Satz 9 BeamtVG 2010 verstoßen gegen Art. 157 AEUV und verletzen den Kläger in seinen Rechten, soweit sie zur Berechnung des Verrentungsbetrags auf den Kapitalwert nach der Tabelle zu § 14 Abs. 1 Satz 4 BewG zurückgreifen, der an die unterschiedlichen durchschnittlichen Lebenserwartungen von Männern und Frauen anknüpft.
aa) Unionsrechtlicher Prüfungsmaßstab ist der Grundsatz der Entgeltgleichheit nach Art. 157 AEUV. Denn nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (im Folgenden: EuGH) ist Art. 157 AEUV, dessen Absatz 1 zufolge jeder Mitgliedstaat die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit sicher stellt, unmittelbar auf jede Art von Diskriminierung anwendbar, die sich – wie hier – schon anhand der verwendeten Kriterien „gleiche Arbeit“ und „gleiches Entgelt“ allein feststellen lassen, ohne dass gemeinschaftliche oder nationale Maßnahmen zur Bestimmung dieser Kriterien für deren Anwendung erforderlich wären (vgl. EuGH, U.v. 17.5.1990 – Barber, C-262/88 – ECLI:ECLI:EU:C:1990:209, Rn. 37; U.v. 14.12.1993 – Moroni, C-110/91 – ECLI:ECLI:EU:C:1993:926, Rn. 23; U.v. 23.10.2003 – Schönheit, C-4/02 – ECLI:ECLI:EU:C:2003:583, Rn. 65).
Es kann offen bleiben, ob es vor diesem Hintergrund auf die Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen (ABl EG Nr. L 204 S. 23, im Folgenden: RL 2006/54/EG) ankommt (so OVG RhPf, U.v. 15.4.2011 – 10 A 11144/10 – juris Rn. 54 ff.), weil der Diskriminierungsschutz schon aus Art. 157 AEUV folgt und weil die unionsrechtliche Bewertung im Ergebnis nicht anders ausfiele, wenn man zur Beurteilung der streitgegenständlichen Verweisung in § 56 Abs. 3 Satz 3 BeamtVG 2009, § 55 Abs. 1 Satz 9 BeamtVG 2010 auf die RL 2006/54/EG abstellte.
(1) Für die Beurteilung der Frage, ob ein Ruhegehalt in den Anwendungsbereich des Art. 157 Absatz 1 und 2 AEUV fällt, kann nach der Judikatur des EuGH nur das Kriterium, dass das Ruhegehalt dem Betreffenden aufgrund seines Dienstverhältnisses mit seinem früheren Arbeitgeber gezahlt wird, das heißt das aus dem Wortlaut der genannten Vorschriften selbst abgeleitete Kriterium der Beschäftigung, entscheidend sein, wobei auf dieses Kriterium nicht ausschließlich abgestellt wird, da die von den gesetzlichen Systemen der sozialen Sicherheit gewährten Renten ganz oder teilweise dem Beschäftigungsentgelt Rechnung tragen können und dann solche Renten keine Entgelte im Sinne des Art. 157 AEUV darstellen (vgl. EuGH, U.v. 23.10.2003 – Schönheit, C-4/02 – ECLI:ECLI:EU:C:2003:583, Rn. 56 f.).
Jedoch können Erwägungen der Sozialpolitik, der Staatsorganisation und der Ethik oder gar den Haushalt betreffende Überlegungen, die bei der Festlegung eines Systems durch den nationalen Gesetzgeber tatsächlich oder möglicherweise eine Rolle gespielt haben, nicht entscheidend sein, wenn die Rente nur für eine besondere Gruppe von Bediensteten gilt, wenn sie unmittelbar von der abgeleisteten Dienstzeit abhängt und wenn ihre Höhe nach den letzten Bezügen des Bediensteten berechnet wird. Die vom öffentlichen Dienstherrn oder Arbeitgeber gezahlte Versorgung steht in diesem Fall völlig einer Rente gleich, die ein privater Arbeitgeber seinen ehemaligen Arbeitnehmern zahlen würde (vgl. EuGH, U.v. 23.10.2003 – Schönheit, C-4/02 – ECLI:ECLI:EU:C:2003:583, Rn. 58).
Gemessen an den drei vorgenannten Kriterien hat der EuGH bereits entschieden, dass das Altersruhegehalt, welches nach dem Beamtenversorgungsgesetz gewährt wird, in den Anwendungsbereich des Art. 157 AEUV fällt (vgl. EuGH, U.v. 23.10.2003 – Schönheit, C-4/02 – ECLI:ECLI:EU:C:2003:583, Rn. 63).
(2) In zeitlicher Hinsicht ist dabei zu beachten, dass die unmittelbare Wirkung von Art. 157 AEUV zur Stützung der Forderung nach Gleichbehandlung auf dem Gebiet der betrieblichen Renten nur für Leistungen geltend gemacht werden kann, die aufgrund von Beschäftigungszeiten nach dem 17. Mai 1990 – dem Datum des Erlasses des Urteils Barber – geschuldet werden, vorbehaltlich der Ausnahme, die für Arbeitnehmer oder deren anspruchsberechtigte Angehörige vorgesehen ist, die vor diesem Zeitpunkt nach dem anwendbaren innerstaatlichen Recht Klage erhoben oder einen entsprechenden Rechtsbehelf eingelegt haben (vgl. EuGH, U.v. 23.10.2003 – Schönheit, C-4/02 – ECLI:ECLI:EU:C:2003:583, Rn. 100 m.w.N.). Diese Einschränkung spielt im Fall des Klägers keine Rolle, weil die Dienstzeit, die er bei der NAHEMA zurückgelegt hat, insgesamt nach dem 17. Mai 1990 liegt.
bb) § 56 Abs. 3 Satz 3 BeamtVG 2009, § 55 Abs. 1 Satz 9 BeamtVG 2010 verstoßen gegen Art. 157 AEUV, soweit sie zur Berechnung des Verrentungsbetrags auf den Kapitalwert nach der Tabelle zu § 14 Abs. 1 Satz 4 BewG zurückgreifen, der an die unterschiedlichen durchschnittlichen Lebenserwartungen von Männern und Frauen anknüpft (1), weil diese Anknüpfung als eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu bewerten ist, die bei Männern und Frauen in ansonsten identischer oder vergleichbarer versorgungsrechtlicher Lage auf Dauer zu unterschiedlich hohen Versorgungsbezügen führt (2).
(1) Die streitgegenständliche Tabelle zu § 14 Abs. 1 Satz 4 BewG weist den Kapitalwert einer lebenslänglichen Nutzung oder Leistung im Jahresbetrag von einem Euro für Bewertungsstichtage ab 1. Januar 2009 aus. Dieser Kapitalwert ist nach dem Text über dem tabellarischen Zahlenwerk der Tabelle nach der am 22. August 2008 veröffentlichten Sterbetafel 2005/2007 des Statistischen Bundesamts errechnet worden. Zur Ermittlung des Kapitalwerts knüpft die Tabelle ausgehend von der Unterscheidung zwischen Männern und Frauen und einem jeweils bestimmten Lebensalter an die jeweilige durchschnittliche Lebenserwartung der Vertreter der jeweiligen Geschlechter an und weist danach für Männer niedrigere Kapitalwerte als für Frauen aus.
(2) Diese Anknüpfung an die unterschiedlichen durchschnittlichen Lebenserwartungen von Männern und Frauen ist als eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu bewerten, die bei Männern und Frauen in ansonsten identischer oder vergleichbarer versorgungsrechtlicher Lage auf Dauer zu unterschiedlich hohen Versorgungsbezügen führt.
Der Gerichtshof hat wiederholt entschieden, dass Art. 157 AEUV jede das Entgelt betreffende Ungleichbehandlung von Männern und Frauen ohne Rücksicht darauf verbietet, woraus sich diese Ungleichbehandlung ergibt und dass insbesondere die Festsetzung je nach Geschlecht unterschiedlicher Rentenalter für die Zahlung von Renten im Rahmen eines an die Stelle des gesetzlichen Systems getretenen betrieblichen Systems gegen Art. 157 AEUV verstößt, selbst wenn dieser Unterschied im Rentenalter von Männern und Frauen der insoweit für das nationale gesetzliche System geltenden Regelung entspricht (vgl. nur EuGH, U.v. 17.5.1990 – Barber, C-262/88 – ECLI:ECLI:EU:C:1990:209, Rn. 32; U.v. 14.12.1993 – Moroni, C-110/91 – ECLI:ECLI:EU:C:1993:926, Rn. 10). Diese unionsrechtlichen Wertungen sind auf Fallgestaltungen wie die vorliegende zu übertragen. Dafür spricht auch, dass der Gerichtshof ein System wie dasjenige des Beamtenversorgungsgesetzes bereits als ein betriebliches System der sozialen Sicherheit (im Sinne der Richtlinie 86/378/EWG) qualifiziert hat (vgl. EuGH, U.v. 23.10.2003 – Schönheit, C-4/02 – ECLI:ECLI:EU:C:2003:583, Rn. 65).
Demnach liegt eine das Entgelt betreffende, gegen Art. 157 AEUV verstoßende Ungleichbehandlung von Männern und Frauen vor, weil die niedrigeren Kapitalwerte für Männer in Ruhensfällen – gerade auch angesichts der Entbehrlichkeit einer „Deckelung“ der abzuziehenden Ruhensbeträge (s. 2.c) ee)) – bei Männern aufgrund § 55 Abs. 1 Satz 9 BeamtVG 2010 auf Dauer zu höheren monatlichen Ruhensbeträgen und damit zu niedrigeren monatlichen Versorgungsbezügen führen, als bei Frauen mit im Übrigen identischer oder vergleichbarer versorgungsrechtlicher Lage.
Raum für eine Ablehnung einer unmittelbaren Diskriminierung mangels identischer oder vergleichbarer Lage von Männern und Frauen (vgl. dazu nur EuGH, U.v. 9.12.2004 – Hlozek, C-19/02 – ECLI:ECLI:EU:C:2004:779, Rn. 44 ff.) bleibt nach der Judikatur des Gerichtshofs in Konstellationen wie der vorliegenden nicht (vgl. nur EuGH, U.v. 17.5.1990 – Barber, C-262/88 – ECLI:ECLI:EU:C:1990:209, Rn. 32; U.v. 14.12.1993 – Moroni, C-110/91 – ECLI:ECLI:EU:C:1993:926, Rn. 10).
cc) Die unionsrechtliche Bewertung fiele im Ergebnis nicht anders aus, wenn man zur Beurteilung der streitgegenständlichen Verweisung in § 56 Abs. 3 Satz 3 BeamtVG 2009, § 55 Abs. 1 Satz 9 BeamtVG 2010 auf die RL 2006/54/EG abstellte (vgl. zu diesem Prüfungsmaßstab OVG RhPf, U.v. 15.4.2011 – 10 A 11144/10 – juris Rn. 54 ff.).
So gesehen wäre das Beispiel für Diskriminierung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. h der RL 2006/54/EG erfüllt, weil durch die streitgegenständliche, sich unmittelbar auf das Geschlecht stützende Verweisung eine Gewährung unterschiedlicher Leistungsniveaus bewirkt wird. Die für eine Rechtfertigung dieser unmittelbaren Diskriminierung allein in Betracht kommenden Ausnahmen, die Art. 9 Abs. 1 Buchst. h RL 2006/54/EG als insoweit maßgeblicher geschriebener Rechtfertigungsgrund enthält (vgl. zum Erfordernis eines geschriebenen Rechtfertigungsgrunds im Falle unmittelbarer Diskriminierungen allgemein nur EuGH, U.v. 4.10.2001 – Tele Danmark A/S, C-109/00 – ECLI:ECLI:EU:C:2001:513, Rn. 27) sind schon deshalb nicht einschlägig, weil das steuerfinanzierte System der Beamtenversorgung weder als Festbeitragssystem im Sinne des Art. 9 Abs. 1 Buchst. h Halbs. 1 RL 2006/54/EG noch als durch Kapitalansammlung finanziertes Festleistungssystem im Sinne des Art. 9 Abs. 1 Buchst. h Halbs. 2 RL 2006/54/EG zu qualifizieren ist. Selbst wenn eine Rechtfertigung etwa im Rahmen dieser geschriebenen Rechtfertigungsgründe für grundsätzlich möglich gehalten würde, so wäre sie jedenfalls in der Sache abzulehnen, weil dann das so verstandene Ziel, der unterschiedlichen biologischen Lebenserwartung von Männern und Frauen Rechnung zu tragen (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 27.3.2008 – 2 C 30.06 – BVerwGE 131, 29/39 Rn. 32), den Grundsatz der Geschlechtsneutralität des Versorgungsrechts (vgl. § 4 Abs. 3 BeamtVG) konterkarierte, sich dadurch selbst entwertete und somit zur Unverhältnismäßigkeit der streitgegenständlichen Verweisung führte.
e) Konsequenz der dargelegten Unionsrechtswidrigkeit für den streitgegenständlichen Bescheid ist, dass er – unter Gegenrechnung des zugunsten des Klägers gemachten Fehlers – insoweit aufzuheben ist, als er über den monatlichen Ruhensbetrag hinaus geht, der sich ergibt, wenn im Rahmen der Verrentungsberechnung nach § 56 Abs. 3 Satz 3 BeamtVG 2009, § 55 Abs. 1 Satz 9 BeamtVG 2010 eine Mittelwertbildung aus der Summe der Kapitalwerte, welche die Tabelle zu § 14 Abs. 1 Satz 4 BewG für Ruhestandsbeamtinnen und -beamte, welche – wie der Kläger – beim Ruhestandseintritt das 65. Lebensjahr vollendet haben, vorsieht, zugrunde gelegt wird.
aa) Unionsrecht fordert dabei nicht eine „Angleichung nach oben“ dergestalt, dass auch auf Männer die günstigeren Kapitalwerte für Frauen anzuwenden wären.
Zwar hat der Gerichtshof in einigen Fällen den Einwand zurückgewiesen, dass Art. 157 AEUV auf andere Weise als durch eine Anhebung der niedrigeren Löhne und Gehälter befolgt werden kann (vgl. EuGH, U.v. 8.4.1976 – Defrenne II, C-43/75 – ECLI:ECLI:EU:C:1976:56, Rn. 14/15; U.v. 28.9.1994 – van den Akker, C-28/93 – ECLI:ECLI:EU:C:1994:351, Rn. 15; U.v. 28.9.1994 – Coloroll Pension Trustees, C-200/91 – ECLI:ECLI:EU:C:1994:348, Rn. 30) und dabei teils diese Angleichung „nach oben“ als Rechtsfolge eines Verstoßes gegen Art. 157 AEUV auch für die Zukunft etabliert und davon abhängig gemacht, ob der Mitgliedstaat zwischenzeitlich Abhilfemaßnahmen gegen einen solchen Verstoß getroffen hat (vgl. EuGH, U.v. 28.9.1994 – van den Akker, C-28/93 – ECLI:ECLI:EU:C:1994:351, Rn. 17 ff.; U.v. 28.9.1994 – Coloroll Pension Trustees, C-200/91 – ECLI:ECLI:EU:C:1994:348, Rn. 32 f.).
Diese Vorgaben des Gerichtshofs, die bei einer Übertragung auf § 56 Abs. 3 Satz 3 BeamtVG 2009, § 55 Abs. 1 Satz 9 BeamtVG 2010 zum Ansatz der Kapitalwerte für Frauen führen könnten, sind aber für Konstellationen entwickelt worden, die sich maßgeblich von der vorliegenden Fallkonstellation unterscheiden, so dass sich als sachgerechte (vgl. zu diesem Kriterium BayVGH, U.v. 26.11.2018 – 14 B 15.910 – juris Rn. 68), unionsrechtskonforme Rechtsfolge des festgestellten fortdauernden Verstoßes gegen Art. 157 AEUV die besagte Mittelwertbildung ergibt.
Die referierte Judikatur des Gerichtshofs zur „Angleichung nach oben“ bei Verstößen gegen Art. 157 AEUV ist zu Konstellationen entwickelt worden, in denen ein solcher Verstoß für die Vergangenheit nicht mehr revidierbar war, weil er in den zugrunde liegenden Einzelfällen vertraglich unabänderlich feststand. Das ist in Ruhensfällen wie dem vorliegenden nicht der Fall, und zwar sowohl hinsichtlich benachteiligter Männer als auch bevorzugter Frauen. Denn ein Bescheid, der eine rechtswidrige Ruhensregelung zum Gegenstand hat, kann mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurück genommen werden (vgl. § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG), so dass für die Vergangenheit keine unabänderliche Einzelfallregelung vorliegt und auch für die Zukunft Ruhensregelungen getroffen werden können, die hinsichtlich der Höhe des Ruhensbetrags unionsrechtlichen Vorgaben Rechnung tragen. Das gilt auch für bevorzugte Frauen, weil diesbezügliche Ruhensregelungen nicht auch einen begünstigenden Regelungsinhalt dergestalt haben, es werde auch in der Zukunft bei der bevorzugenden Ruhensregelung bleiben. Ein solcher Änderungsspielraum war in den vom EuGH entschiedenen Fällen nicht vorhanden, sondern die Werte für die jeweils begünstigte Personengruppe lagen fest. Ein weiterer Unterschied liegt darin, dass die Vorgabe einer Anpassung „nach oben“ vom EuGH für Fälle entwickelt worden ist, in denen jeweils eine kleinere Beschäftigungsgruppe betroffen gewesen ist (vgl. nur BAG, U.v. 10.11.2011 – 6 AZR 148/09 – NZA 2012, 161/164 Rn. 32), wohingegen von § 56 Abs. 3 Satz 3 BeamtVG 2009, § 55 Abs. 1 Satz 9 BeamtVG 2010 sämtliche erfassten Fälle betroffen wären und eine durchgehende „Anpassung nach oben“ in letzter Konsequenz dazu führte, dass für alle Ruhestandsbeamtinnen und -beamten, die eine Kapitalabfindung für eine zeitweise Tätigkeit bei einer NATO-Organisation erhalten haben, durchweg nur noch die Kapitalwerte für Frauen zur Anwendung kämen. Ein solches Ergebnis verlangt der Anwendungsvorrang des Unionsrechts nicht und es widerspräche auch der Judikatur des Bundesverwaltungsgerichts, die in der Situation des Fehlens einer gesetzlichen Regelung zur Dynamisierung und Verrentung in verfassungskonformer Auslegung zu dem Ergebnis gelangte, dass bei der Umrechnung des damals nicht zu dynamisierenden Kapitalbetrags in eine Rente der vom Statistischen Bundesamt ermittelte Mittelwert zwischen den Lebenserwartungen von Männern und Frauen anzuwenden war (vgl. BVerwG, U.v. 27.3.2008 – 2 C 30.06 – BVerwGE 131, 29/40 Rn. 35). Diese Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts steht wiederum im Einklang mit der Judikatur des Gerichtshofs, welche die Festsetzung der Modalitäten der Umsetzung eines durch Art. 157 AEUV bedingten Berücksichtigungserfordernisses den zuständigen Stellen des betreffenden Mitgliedstaats überlässt, wenn diese Modalitäten – wie hier – nicht Gegenstand einer gemeinschaftsrechtlichen Regelung sind (vgl. EuGH, U.v. 30.3.2004 – Alabaster, C-147/02 – ECLI:ECLI:EU:C:2004:192, Rn. 53).
bb) Aus der Zugrundelegung der dargelegten Mittelwertbildung und unter Zugrundelegung des richtigen Gesamtkapitalbetrags folgt als konkretes Ergebnis einer unionsrechtskonformen Auslegung der § 56 Abs. 3 Satz 3 BeamtVG 2009, § 55 Abs. 1 Satz 9 BeamtVG 2010 für den streitgegenständlichen Bescheid, dass er aufzuheben ist, soweit durch ihn Versorgungsbezüge des Klägers ab dem 1. Februar 2009 über den monatlichen Betrag von 320,77 € hinaus zum Ruhen gebracht werden (Differenz zwischen dem geregelten monatlichen Ruhensbetrag und dem vorgenannten Betrag: 343,64 € – 320,77 € = 22,87 €). Der monatliche Ruhensbetrag von 320,77 € ergibt sich, wenn der oben (s. 2. a)) errechnete maßgebliche Kapitalbetrag in Höhe von 58.642,98 € im Rahmen der Verrentung durch den verzwölffachten, einen Mittelwert für 65-jährige Ruhestandsbeamtinnen (Kapitalwert nach Tabelle: 12,384) und -beamte (Kapitalwert nach Tabelle: 11,135) bildenden Kapitalwert von 11,7595 (12 x 11,7595 = 141,114) geteilt wird und der demnach monatlich verrentete Kapitalbetrag in Höhe von 415,57 € der Berechnung des Ruhensbetrags zugrunde gelegt wird, die in Anlage 1 auf Seite 2 des streitgegenständlichen Bescheids unter den Ziffern 2.1 und 2.2 erfolgt ist. Der monatliche Ruhensbetrag von 320,77 € liegt damit immer noch über dem Mindestruhensbetrag in Höhe von monatlich 270,29 €, so dass nicht der Mindestruhensbetrag, sondern der Ruhensbetrag von 320,77 € maßgeblich ist.
cc) Aus dem Umfang der erforderlichen Teilaufhebung der Ruhensentscheidung folgt für die Rückforderungsentscheidung (Betrag: 490,34 €), dass sie aufzuheben ist, soweit vom Kläger für den Zeitraum vom 1. Februar 2009 bis 30. April 2009 über den Betrag von 421,73 € hinaus Versorgungsbezüge zurückgefordert werden. Denn nur in Höhe von 421,73 € liegt tatbestandlich eine Überzahlung im Sinne des § 52 Abs. 2 Satz 1 BeamtVG vor. Sie ergibt sich aus Folgendem: Laut der Soll-Ist-Rechnung (brutto), die Anlage 4 des Bescheids vom 6. April 2009 ist, erhielt der Kläger im Monat Februar 2009 einen Betrag von 3.367,40 € und in den Monaten März und April 2009 jeweils einen Betrag von 3.097,11 €. Demgegenüber standen ihm nach der Prüfung des Senats in all diesen Monaten jeweils 3.367,40 € – 320,77 € = 3.046,63 € zu. Daraus ergibt sich für den Monat Februar 2009 eine Überzahlung in Höhe von 320,77 €, für den Monat März 2009 eine Überzahlung in Höhe von 3.097,11 € – 3.046,63 € = 50,48 € und für den Monat April 2009 ebenfalls eine Überzahlung in Höhe von 50,48 €. Somit beträgt die Überzahlung insgesamt 421,73 €. Die Differenz zwischen den bislang insgesamt zurückgeforderten 490,34 € und 421,73 € beträgt 68,61 €. In der Höhe dieser Differenz ist die Rückforderungsentscheidung rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.
Auf Entreicherung kann sich der Kläger gegenüber dem Rückforderungsverlangen in Höhe von 421,73 € schon deshalb nicht berufen, weil er nach dem im Schreiben der Beklagten vom 19. Februar 2009 enthaltenen Hinweis auf das Erfordernis der Rückzahlung von über den Mindestruhensbetrag hinaus gehenden Zahlungen jedenfalls als im Sinne des § 52 Abs. 2 Satz 2 BeamtVG bösgläubig anzusehen ist.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO, weil die Beklagte ausgehend von einem Streitwert von insgesamt 12.286,08 € (beruhend auf dem 36-fachen Ruhensbetrag in Höhe von 341,28 €, der bei Klageerhebung nach dem Schreiben der Beklagten vom 20. August 2009 maßgeblich war) nur in Höhe von 738,36 € (=20,51 € x 36) und damit zu einem geringen Teil (6,00%) unterlegen ist. Diese Quote ergibt sich, wenn man das monatliche Unterliegen der Beklagten in Höhe von 20,51 € (Rechenweg: 341,28 € – 320,77 € = 20,51 €) in ein prozentuales Verhältnis zum monatlichen Ruhensbetrag bei Klageerhebung in Höhe von 341,28 € setzt. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 und Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 und § 711 ZPO.
4. Die Revision ist zuzulassen, weil die Rechtssache hinsichtlich der unionsrechtlichen Bewertung der § 56 Abs. 3 Satz 3 BeamtVG 2009, § 55 Abs. 1 Satz 9 BeamtVG 2010, die auch für nachfolgende Regelungen eine Rolle spielen kann, grundsätzliche Bedeutung hat, § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

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