Aktenzeichen M 12 K 18.1107
Leitsatz
1 Eine vorübergehende Abwesenheit eines türkischen (ARB-) Arbeitnehmers vom Arbeitsmarkt führt dann nicht zu seinem Ausscheiden aus dem regulären Arbeitsmarkt, wenn er tatsächlich eine neue Arbeit sucht und der Arbeitsverwaltung zur Verfügung steht, um innerhalb eines angemessenen Zeitraums eine neue Beschäftigung zu finden. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
2 Ein Aufenthaltstitel erlischt, wenn der Auslandsaufenthalt nicht von vornherein eine gewisse zeitliche Begrenzung in sich trägt und die Absicht des Ausländers, in das Bundesgebiet zurückkehren zu wollen, nicht in objektiv nachprüfbarer Weise zum Ausdruck kommt. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
1. Die Klage mit dem Antrag, festzustellen, dass die Niederlassungserlaubnis und das Aufenthaltsrecht des Klägers aus Art. 6 des Beschlusses des Assoziationsrats vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80) nicht erloschen ist, ist zulässig. Durch Klage kann insbesondere auch die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder die Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat, § 43 Abs. 1 VwGO. Ein berechtigtes Interesse an der Feststellung, dass die Niederlassungserlaubnis und das Aufenthaltsrecht des Klägers aus Art. 6 ARB 1/80 nicht erloschen ist, hat der Kläger schon deshalb, weil die Beklagte vom Erlöschen ausgeht.
2. Die Feststellungsklage ist jedoch unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass festgestellt wird, dass die Niederlassungserlaubnis und das Aufenthaltsrecht des Klägers aus Art. 6 ARB 1/80 nicht erloschen ist.
a) Aufenthaltsrecht aus Art. 6 ARB 1/80
Nach Art. 6 Abs. 1 3. Spiegelstrich ARB 1/80 hat ein türkische Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, in diesem Mitgliedstaat nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis.
Der EuGH hat aus dem Recht auf Zugang zum Arbeitsmarkt in ständiger Rechtsprechung ein implizites Aufenthaltsrecht abgeleitet. Mit dem Recht, als Arbeitnehmer jede beliebige Beschäftigung annehmen zu können, korrespondiert damit zugleich das Recht, sich im Aufnahmemitgliedstaat zur Ausübung der Beschäftigung aufhalten zu dürfen (Kurzidem in BeckOK, AuslR, Stand: 1.2.2018, Art. 6 ARB 1/80 Rn. 4).
Der Begriff der Zugehörigkeit des türkischen Arbeitnehmers zum regulären Arbeitsmarkt bezeichnet die Gesamtheit der Arbeitnehmer, die den Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Aufnahmemitgliedstaats nachkommen und somit das Recht haben, eine Berufstätigkeit in dessen Hoheitsgebiet auszuüben (EuGH, U.v. 26.11.1998 – C-1/97 – juris; U.v. 24.1.2008 – C-294/06 – juris).
Ein türkischer Arbeitnehmer gehört trotz einer vorübergehenden Unterbrechung seines Arbeitsverhältnisses für den Zeitraum, der angemessen ist, um eine andere Beschäftigung zu finden, weiterhin im Sinne von Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 dem regulären Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaats an, und zwar unabhängig davon, welchen Grund die Abwesenheit des Betroffenen vom Arbeitsmarkt hat, sofern diese Abwesenheit vorübergehender Natur ist (EuGH, U.v. 7.7.2005 – C-383/03 – juris). Ein türkischer Arbeitnehmer ist erst dann vom regulären Arbeitsmarkt ausgeschlossen, wenn er objektiv keine Möglichkeit mehr hat, sich in den Arbeitsmarkt wiedereinzugliedern, oder den Zeitraum überschritten hat, der angemessen ist, um nach einer vorübergehenden Beschäftigungslosigkeit eine neue Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis zu finden.
Der Kläger ist ausweislich des Rentenversicherungsverlaufs vom 15. Februar 2016 in der Zeit vom 1. Juli 2009 bis 22. Oktober 2013 einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung in Deutschland nachgegangen und dürfte daher aufgrund seiner ordnungsgemäße Beschäftigung bei der Firma P … GmbH Rechte aus Art. 6 Abs. 1 3. Spiegelstrich ARB 1/80 erworben haben. Im Anschluss daran sind jedoch bis zum 15. Mai 2017 keine Zeiten oder nur vom Sozialleistungsträger bzw. von der Bundesagentur für Arbeit gemeldete Zeiten verzeichnet.
Auch nach eigenen Angaben hat der Kläger nach Beendigung seiner Tätigkeit bei der P … GmbH erst zum 15. Mai 2017 wieder eine Tätigkeit als Arbeitnehmer in Deutschland bei der Firma S … und … aufgenommen.
Zwar führt nach der o.g. Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht jede vorübergehende Abwesenheit des türkischen Arbeitnehmers vom Arbeitsmarkt zum Ausscheiden aus dem regulären Arbeitsmarkt. Die praktische Wirksamkeit der eingeräumten Rechte umfasst vielmehr auch das Recht auf vorübergehende Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses. Eine derartige Unterbrechung ist für die Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt jedoch nur dann unschädlich, wenn der Betroffene tatsächlich eine neue Arbeit sucht und der Arbeitsverwaltung unter Beachtung der jeweiligen nationalen Vorschriften zur Verfügung steht, um innerhalb eines angemessenen Zeitraums eine andere Beschäftigung zu finden. Ist dieser nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalles unter Berücksichtigung der Zielsetzung des Assoziationsabkommens zu bestimmende angemessene Zeitraum für eine effektive Beschäftigungssuche überschritten, gehört der Betroffene nicht mehr dem regulären Arbeitsmarkt an. Unter Hinweis auf die insoweit als Leitlinien heranzuziehenden Regelungen für freizügigkeitsberechtigte Gemeinschaftsangehörige ist dabei in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ein Zeitraum von sechs Monaten zur Stellensuche grundsätzlich als ausreichend angesehen worden (vgl. U.v. 26.2.1991 – C-292/89 – juris). Etwas anderes gilt danach in den Fällen, in denen der Betroffene nach Ablauf dieses Zeitraums den Nachweis erbringt, dass er weiterhin und mit begründeter Aussicht auf Erfolg eine neue Beschäftigung sucht (OVG Berlin-Brandenburg, a.a.O.).
Der Kläger ist nach Beendigung seiner sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung zum 22. Oktober 2013 bis zum Beginn seiner erneuten Beschäftigung am 15. Mai 2017 knapp drei Jahre und sieben Monate keiner Beschäftigung als Arbeitnehmer im Bundesgebiet nachgegangen. Damit ist der Zeitraum von sechs Monaten, der im vorliegenden Fall unter Berücksichtigung der Gesamtumstände ausreichend erscheint, um ein Vielfaches überschritten. Aussichtsreiche Bemühungen um eine neue Arbeitsstelle während der gesamten Dauer der erheblich länger als sechs Monate währenden Arbeitslosigkeit sind nicht ersichtlich. Vielmehr hat der Kläger bereits kurz nach Ablauf des sechsmonatigen Zeitraums am 22. April 2014 im Mai 2014 der Arbeitsverwaltung aufgrund einer nicht genehmigten Ortsabwesenheit in der Türkei für einen mehrmonatigen Zeitraum nicht mehr zur Verfügung gestanden (vgl. Schreiben der Bundesagentur für Arbeit vom 19. März 2018). Dies wird durch den Rentenversicherungsverlauf bestätigt, in dem im Zeitraum vom 18. Mai 2015 bis 24. Januar 2016 keine Zeiten gemeldet sind. Auch nach Rückkehr des Klägers nach Deutschland im Januar 2015 hat er wiederum über mehrere Monate bis zu seiner erneuten Ausreise im Mai 2015 keine neue Beschäftigung aufgenommen.
Da der Zeitraum, der angemessen ist, um nach einer vorübergehenden Beschäftigungslosigkeit eine neue Beschäftigung als Arbeitnehmer zu finden, überschritten ist und der Kläger daher nicht mehr dem regulären Arbeitsmarkt der Bundesrepublik Deutschland angehört hat, sind die vom Kläger erworbenen Rechte aus Art. 6 Abs. 1 3. Spiegelstrich ARB 1/80 erloschen. Auf die Frage, ob der Kläger die Rechte nach dem ARB 1/80 durch seine Ausreise in die Türkei am 28. Januar 2016 verloren hat, kommt es daher nicht mehr an.
b) Niederlassungserlaubnis
aa) Die Niederlassungserlaubnis des Klägers ist spätestens am 28. Januar 2016 gem. § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG erloschen.
Gem. § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG erlischt ein Aufenthaltstitel, wenn der Ausländer aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grund ausreist. Bei der Beurteilung, ob er aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grund ausgereist ist, sind nach ständiger Rechtsprechung neben der Dauer und dem Zweck des Aufenthalts alle objektiven Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, während es auf den inneren Willen des Ausländers – insbesondere auf seine Planung der späteren Rückkehr nach Deutschland – nicht allein ankommen kann (BVerwG, U.v. 11.12.2012 – 1 C 15.11 – juris; BayVGH, B.v. 18.2.2015 – 10 ZB 14.345 – juris). Unschädlich sind danach lediglich Auslandsaufenthalte, die nach ihrem Zweck typischerweise zeitlich begrenzt sind und die keine wesentliche Änderung der gewöhnlichen Lebensumstände in Deutschland mit sich bringen wie etwa Urlaubsreisen, beruflich veranlasste Aufenthalte von ähnlicher Dauer, Aufenthalte zur vorübergehenden Pflege von Angehörigen, zur Ableistung der Wehrpflicht oder Aufenthalte während der Schul- oder Berufsausbildung für zeitlich begrenzte Ausbildungsabschnitte. Je länger die Abwesenheit vom Bundesgebiet dauert und je deutlicher sie über einen bloßen Besuchs- oder Erholungsaufenthalt hinausgeht, desto mehr spricht dafür, dass der Auslandsaufenthalt nicht nur vorübergehender Natur ist (BVerwG, B.v. 28.4.1982 – 1 B 148/81 – NVwZ 1982, 683). Trägt der Auslandsaufenthalt nicht von vornherein eine gewisse zeitliche Begrenzung in sich, so ist davon auszugehen, dass er auf unabsehbare Zeit angelegt ist. Die Absicht des Ausländers, ins Bundesgebiet zurückzukehren, ist nur dann zu berücksichtigen, wenn sie in objektiv nachprüfbarer Weise zum Ausdruck kommt. Als Anhaltspunkte werden von der Rechtsprechung z.B. die Aufgabe oder Aufrechterhaltung der Wohnung, Lösung oder Fortbestand des Arbeitsverhältnisses oder die polizeiliche Abmeldung angesehen. Der Aufenthaltstitel erlischt auch dann, wenn der Ausländer zwar irgendwann ins Bundesgebiet zurückzukehren wünscht, der Auslandsaufenthalt aber auf unbestimmte Zeit angelegt ist (BVerwG, B.v. 30.12.1988 – 1 B 135/88 – InfAuslR 1989, 114). Hiervon ist auch auszugehen, wenn der Ausländer seine Rückkehr ins Bundesgebiet von Art und Zeitpunkt des Erfolgs seiner Lebenspläne im Heimatstaat abhängig macht. Ein Ausländer kann sein einmal in Deutschland erworbenes Aufenthaltsrecht nicht für den Fall in Reserve halten, dass seine im Heimatland verfolgten Pläne scheitern (OVG NW, B.v. 26.8.1988 – 18 B 1063/88 – NVwZ-RR 1989, 104).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist der Kläger am 28. Januar 2016 aus einem seiner Natur nach nicht nur vorübergehenden Grund ausgereist. Der Auslandsaufenthalt des Klägers war nach seinem Zweck typischerweise nicht zeitlich begrenzt und hat eine wesentliche Änderung der gewöhnlichen Lebensumstände des Klägers in Deutschland mit sich gebracht.
Zwar bedeutet eine Heirat mit einer im Ausland lebenden Ausländerin nicht zwingend, dass der Lebensmittelpunkt ins Ausland verlegt wird. Vorliegend hat der Kläger jedoch nicht nur im Juli 2015 im Ausland die Ehe geschlossen, sondern anschließend – mit nur kurzer Unterbrechung – zwei Jahre mit seiner Ehefrau in der Türkei gelebt. Wie sich aus dem Schreiben der Bundesagentur für Arbeit vom 19. März 2018 ergibt, hat sich der Kläger nämlich nach seinen eigenen dortigen Angaben bereits von Mai 2015 bis 9. Dezember 2015 in der Türkei aufgehalten. Dies wird auch von der Ehefrau des Klägers in deren Visumsverfahren bestätigt, wo sie erklärt hat, dass sie nach der Eheschließung ca. sechs Monate zusammengelebt hätten. Nach seiner erneuten Ausreise am 28. Januar 2016 – bereits eineinhalb Monate später – hat sich der Kläger ausweislich der Ein- und Ausreisestempel in seinem Reisepass bis 3. Mai 2017 431 Tage in der Türkei und nur insgesamt 30 Tage in Deutschland aufgehalten, nämlich vom 27. Juni bis 4. Juli 2016 sowie vom 16. Dezember 2016 bis 8. Januar 2017. Nach Deutschland ist er somit lediglich Ende Juni 2016 für eine Woche sowie im Dezember 2016 für drei Wochen eingereist, wobei die Einreisen nach Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung lediglich dazu gedient haben, die Sechsmonatsfrist des § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG nicht zu überschreiten. Im Dezember 2016 war Zweck zudem der Besuch seiner Tante. Eine derart kurzfristige Rückkehr vor Ablauf von sechs Monaten nach der Ausreise ist jedoch grundsätzlich nicht geeignet, die nur vorübergehende Natur der Ausreise zu belegen (BVerwG, B.v. 30.12.1988 – 1 B 135.88 – juris).
Für eine Ausreise aus einem nicht nur vorübergehenden Grund sprechen darüber hinaus sämtliche Angaben des Klägers und seiner Ehefrau, die vor Kenntnis des drohenden Verlusts des Aufenthaltsrechts in Deutschland gemacht wurden. So hat der Kläger im Schreiben vom … Januar 2017 angegeben, dass sein Aufenthaltsort im Jahr 2016 in der Türkei war, er aber trotzdem als Besucher immer wieder in Deutschland war. Dies zeigt deutlich, dass der Lebensmittelpunkt des Klägers gerade nicht mehr in Deutschland war. Die Angabe, dass sich der Kläger damals falsch ausgedrückt und eigentlich gemeint habe, dass er in der Türkei bei seiner Frau als Besucher und nicht in Deutschland als Besucher gewesen sei (vgl. Schreiben von … K …, Bl. 29 der Gerichtsakte), ist als Schutzbehauptung zu werten. Zum einen ist schon nicht nachvollziehbar, dass der Kläger, der sich immerhin seit dem Jahr 2003 und damit zum damaligen Zeitpunkt seit 13 Jahren im Bundesgebiet aufgehalten hat, nicht in der Lage gewesen sein sollte, zwei derart einfache deutsche Sätze zu verstehen, bevor er die Erklärung vom … Januar 2017 unterschrieben hat. Zum anderen geht aus der Erklärung von … K … auch hervor, dass die Übersetzung eben gerade den damaligen Angaben des Klägers entsprochen hat. Abgesehen davon decken sich die Angaben des Klägers im Schreiben vom … Januar 2017 auch mit den Angaben der Ehefrau des Klägers im Visumverfahren und den Angaben des Klägers gegenüber der Beklagten bei der persönlichen Vorsprache am … Januar 2018. Die Ehefrau des Klägers hat in ihrem Visumverfahren erklärt, dass der Kläger erst in der Türkei habe leben wollen, ein- und ausgereist sei, sich aber nicht habe eingewöhnen können. Dann habe er sich entschlossen, in Deutschland zu leben. Der Kläger hat bei der Beklagten angegeben, er sei in die Türkei ausgereist, um dort gemeinsam mit seiner Ehefrau etwas Neues aufzubauen, was letztendlich gescheitert sei. Aufgrund dieser übereinstimmenden Angaben der Eheleute ist davon auszugehen, dass der Kläger seine Rückkehr ins Bundesgebiet von Art und Zeitpunkt des Erfolgs seiner Lebenspläne in der Türkei abhängig gemacht hat.
Hierfür sprechen im vorliegenden Fall auch weitere objektive Umstände. So hatte der Kläger seit seiner Ausreise am 28. Januar 2016 bis zur Wiedereinreise im Mai 2017 keine Arbeit im Bundesgebiet. Vielmehr war er bereits seit 23. Oktober 2013 langzeitarbeitslos, was es entsprechend der obigen Erklärungen als naheliegend erscheinen lässt, dass er tatsächlich mit seiner in der Türkei lebenden türkischen Ehefrau dort einen Neuanfang versuchen wollte, nachdem ihm dies über mehrere Jahre im Bundesgebiet nicht möglich war. Dass er zwei Jahre in der Türkei lediglich von der Unterstützung seines Vaters gelebt habe, ist nicht glaubhaft. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass er seinem Vater in dessen Geschäft geholfen hat. Es ist daher davon auszugehen, dass er sich seinen Lebensunterhalt und den seiner Familie über seine Mitarbeit in der Firma seines Vaters finanziert hat.
Auch seine Wohnung hat der Kläger vor seiner Ausreise am 28. Januar 2016 aufgegeben, was ebenfalls für eine Ausreise aus einem nicht nur vorübergehenden Grund spricht. Die Ummeldung zu einem Freund, bei dem er sich lediglich eine Woche Ende Juni 2016 aufgehalten hat, kann zu keiner anderen Beurteilung führen.
Dass der Kläger seine Wohnung habe aufgeben müssen, da er wegen seiner Ausreise in die Türkei keine Leistungen der Bundesagentur für Arbeit mehr habe erhalten können, wo er sich ordnungsgemäß abgemeldet habe, ist nicht nachvollziehbar. Im Gegenteil hat der Kläger ausweislich des Versicherungsverlaufs der Deutschen Rentenversicherung trotz seiner beabsichtigten Ausreise vom 25. Januar bis 17. März 2016 Leistungen der Bundesagentur für Arbeit erhalten, wohingegen er zuvor bereits seit 18. Mai 2015 keine Leistungen mehr bezogen hat. Es ist also mitnichten so, dass die Wohnungsaufgabe auf einem plötzlichen Verlust der Leistungen der Bundesagentur für Arbeit angesichts des beabsichtigten Türkeiaufenthalts beruht hätte.
Auch ist es kaum nachvollziehbar, dass der Kläger nur wenige Tage nach der Ausreise seiner Ehefrau aufgrund der angeblich plötzlich festgestellten Risikoschwangerschaft überstürzt ausgereist wäre. Das Gericht geht vielmehr davon aus, dass die Ausreise seit Längerem geplant war. Hierfür spricht nicht zuletzt, dass der Onkel des Klägers in seiner eidesstattlichen Versicherung erklärt hat, dass er bereits in der zweiten Jahreshälfte 2015 mit dem Kläger bei der Beklagten vorgesprochen habe, um sich zu erkundigen, inwieweit er seine Ehefrau besuchen könne, ohne sein Aufenthaltsrecht in Deutschland zu verlieren.
Dass die (Risiko-)Schwangerschaft seiner Ehefrau nicht der alleinige Grund seines damaligen Aufenthalts gewesen ist, zeigt auch die Tatsache, dass sich der Kläger nach der Geburt seiner Tochter im August 2016 noch bis Mai 2017 in der Türkei aufgehalten hat.
Besondere Aktivitäten des Klägers, sich nach der Eheschließung eine Arbeit im Bundesgebiet zu suchen und damit die Grundlagen für den Familiennachzug nach Deutschland zu schaffen, sind nicht ersichtlich. Zwar hat der Kläger behauptet, dass er bei seinem einwöchigen Aufenthalt in Deutschland über das Internet Bewerbungen geschrieben habe. Abgesehen davon, dass es hierfür keine Nachweise gibt, ist es nicht nachvollziehbar, weshalb er sich nicht beständig und intensiv auch von der Türkei aus über das Internet um eine Arbeit in Deutschland bemüht hat. Dies wäre zu erwarten gewesen, wenn der Kläger tatsächlich mit seiner Familie seine Zukunft in Deutschland geplant hätte. Dass sich sein Onkel besser mit dem Internet auskenne, ist als Erklärung nicht schlüssig. Im Hinblick auf die Beauftragung seines Onkels mit der Arbeitsplatzsuche in Deutschland ist zudem nicht nachvollziehbar, weshalb er diesen nicht bereits nach dem Verlust seines Arbeitsplatzes bei der Firma P … um Hilfe gebeten hat. Im Übrigen sind die Angaben des Onkels in der eidesstattlichen Versicherung ohnehin fraglich, nachdem dieser behauptet, mit dem Kläger bei der Bundesagentur für Arbeit vorgesprochen und dort mitgeteilt zu haben, dass sich der Kläger besuchsweise in der Türkei aufhalte, damit nicht zu Unrecht Arbeitslosengeld bezogen werde, obwohl der Kläger trotz seiner Ausreise am 28. Januar 2016 nachweislich bis 17. März 2016 Leistungen der Bundesagentur für Arbeit bezogen hat. Die nachträglichen Angaben von Familienangehörigen des Klägers können die auf objektiven Umständen beruhende Annahme eines nicht nur vorübergehenden Ausreisegrundes nicht substantiiert erschüttern.
Das Gericht geht aufgrund der objektiven Umstände, insbesondere der Dauer des Auslandsaufenthalts, der o.g. Angaben der Eheleute zum Versuch eines Neuanfangs in der Türkei und des Ausbleibens nachhaltiger Aktivitäten zur Schaffung der Grundlagen für ein Leben in Deutschland, davon aus, dass der Kläger in der Zeit ab Mai 2015, spätestens ab seiner Ausreise am 28. Januar 2016 erproben wollte, ob ein gemeinsames Leben mit seiner Ehefrau in der Türkei möglich sein könnte, und eine Rückkehr nach Deutschland davon abhängig gemacht hat, ob sich dieser Plan als tragfähig erweisen würde. Damit liegt eine Ausreise aus einem nicht nur vorübergehenden Grund vor. Dass der Kläger daneben bemüht war, seine Niederlassungserlaubnis nicht zu verlieren, wie sich an den kurzfristigen Wiedereinreisen vor Ablauf der Sechsmonatsfrist zeigt, ändert hieran nichts, da der Kläger sein Aufenthaltsrecht in Deutschland lediglich für den Fall des Scheiterns des Neuanfangs in der Türkei in Reserve halten wollte.
Selbst wenn man jedoch davon ausginge, dass der Kläger stets die Absicht gehabt hätte, in das Bundesgebiet zurückzukehren und nur solange bei seiner Familie in der Türkei zu leben, bis er eine Arbeit in Deutschland gefunden hätte, um damit den Familiennachzug zu ermöglichen, wäre er aus einem seiner Natur nach nicht nur vorübergehenden Grund ausgereist und die Niederlassungserlaubnis erloschen. Denn der Erfolg der Arbeitsplatzsuche ist zeitlich völlig unbestimmt, zumal der Kläger bereits seit Oktober 2013 arbeitslos war und es ihm über einen langen Zeitraum trotz Anwesenheit im Bundesgebiet nicht gelungen ist, einen Arbeitsplatz zu finden. Damit war aber auch der Aufenthalt im Ausland auf unabsehbare Zeit ausgerichtet.
Der Ausnahmetatbestand des § 51 Abs. 2 Satz 1 AufenthG greift nicht, da der Kläger sich am 28. Januar 2016 nicht mindestens 15 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat. Der Kläger ist erst im Jahr 2003 erstmals in das Bundesgebiet eingereist.
bb) Die Niederlassungserlaubnis des Klägers wäre jedoch auch gem. § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG erloschen.
Nach § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG erlischt ein Aufenthaltstitel, wenn der Ausländer ausgereist und nicht innerhalb von sechs Monaten oder einer von der Ausländerbehörde bestimmten längeren Frist wieder eingereist ist.
Der Gedanke des § 51 Abs. 1 Nr. 6 AufenthG, dass ein Aufenthaltstitel erlöschen soll, wenn der Ausländer aus einem nicht nur vorübergehenden Grund ausreist, wird in § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG aufgenommen und typisiert. Alleine die längerfristige Abwesenheit begründet das Erlöschen des Aufenthaltstitels. Auf den Grund der Ausreise kommt es ebenso wenig an wie auf ein Verschulden des Ausländers an der verspäteten Wiedereinreise (Tanneberger in BeckOK, AuslR, Stand: 1.8.2017, § 51 AufenthG Rn. 10 -beckonline).
Die Bundesagentur für Arbeit hat mit Schreiben vom 19. März 2018 bestätigt, dass sich der Kläger vom 17. Mai 2014 bis 12. Januar 2015 nach eigenen Angaben in der Türkei aufgehalten habe. Hierbei würde es sich um einen mehr als sechsmonatigen Auslandsaufenthalt handeln, so dass die Niederlassungserlaubnis bereits am 17. November 2015 erloschen wäre. Allerdings lässt sich die Angabe anhand des Reisepasses des Klägers nicht verifizieren.
Die Niederlassungserlaubnis des Klägers wäre gem. § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG aber spätestens am 28. Juli 2016 erloschen.
Zwar muss die Abwesenheit von sechs Monaten im Wesentlichen ununterbrochen sein, nur kurzfristige Rückreisen sind jedoch unerheblich (OVG Berlin-Brandenburg, U.v. 28.9.2010 – 11 B 14/10 – juris; OVG NRW, B.v. 25.8.2003 – 18 B 978/03 – juris). Insbesondere wenn die Zeiten des Aufenthalts im Heimatland – wie vorliegend – erheblich überwiegen, so dass die Aufenthaltszeiten in Deutschland den Eindruck von Besuchsaufenthalten vermitteln, kann der Ausländer das Erlöschen der Aufenthaltserlaubnis nicht dadurch vermeiden, dass er jeweils kurz vor Ablauf von sechs Monaten nach der letzten Ausreise kurzfristig ins Bundesgebiet zurückkehrt (OVG NRW, 24.4.2007 – 18 B 2764/06 – juris). Die gegenteilige Auffassung des VGH Baden-Württemberg (U.v. 9.11.2015 – 11 S 714/15 – juris) unter Verweis auf den Gesetzeswortlaut überzeugt nicht, da an eine „Wiedereinreise“ i.S.d. § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG – als dem Komplementärtatbestand der Ausreise – weitergehende Anforderungen zu stellen sind; die „Wiedereinreise“ ist damit nicht mit der Einreise i.S.d. § 13 Abs. 2 AufenthG gleichzusetzen (Tanneberger in BeckOK, a.a.O., § 51 Rn. 11).
Vorliegend ist der Kläger am 28. Januar 2016 aus dem Bundesgebiet für mehr als sechs Monate ausgereist. Zwar hat er sich nie ununterbrochen länger als sechs Monate außerhalb des Bundesgebiets aufgehalten. Bis zum 16. Dezember 2016 war er jedoch lediglich acht Tage in Deutschland. Diese kurzfristige Einreise für wenige Tage vom 27. Juni bis 4. Juli 2016, die eigenen Angaben des Klägers gerade den Zweck gehabt hat, die Sechsmonatsfrist zu wahren, ist nicht geeignet, das Erlöschen der Niederlassungserlaubnis zu hindern. Eine Wiedereinreise im o.g. Sinne liegt darin nicht.
3. Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.