Aktenzeichen 11 Sa 983/15
BGB § 283, § 286 Abs. 2
Leitsatz
1. Auch bei Kündigung ist Urlaub zu beantragen, damit dieser nicht verfällt. Der Arbeitgeber muss ihn nicht von sich aus gewähren. (redaktioneller Leitsatz)
2 Ein dringender betrieblicher Grund zur Übertragung des Urlaubs am Jahresende (§ 7 Abs. 3 S. 2 BUrlG) liegt nicht darin, dass ein Rechtsstreit über das Bestehen des Arbeitsverhältnisses im Urlaubsjahr noch nicht rechtskräftig entschieden ist. Vorliegend sind abweichende tarifliche Vorschriften für einen AT-Angestellten nicht anwendbar. (red. LS Ulf Kortstock)
3 Der Arbeitgeber ist ohne Antrag des Arbeitnehmers nicht zur Gewährung von Urlaub verpflichtet und muss deshalb ohne einen solchen Antrag nicht Urlaub als Schadensersatz leisten (Anschluss an BAG BeckRS 2014, 66361; gegen LAG Berlin-Brandenburg BeckRS 2014, 71707 und LAG München BeckRS 2015, 72670). (red. LS Ulf Kortstock)
4 Der Arbeitnehmer kann während eines Rechtsstreits über den Bestand des Arbeitsverhältnisses Urlaub beantragen, der Arbeitgeber kann ihn gewähren (Bezug auf BAG BeckRS 2015, 66136). (red. LS Ulf Kortstock)
Verfahrensgang
13 Ca 3620/15 2015-10-30 Endurteil ARBGMUENCHEN ArbG München
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts München (Az: 13 Ca 3620/15) vom 30.10.2015 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.
Gründe
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
I. Die nach § 64 Abs. 2 ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 4 ArbGG, 519, 520 ZPO). Sie ist daher zulässig.
II. Die Berufung ist jedoch unbegründet.
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung von 30 Urlaubstagen aus dem Jahr 2013 bzw. auf Feststellung, dass ein entsprechender Urlaubsanspruch noch besteht, da der Urlaubsanspruch des Klägers aus dem Jahr 2013 im Umfang von 30 Urlaubstagen mit Ablauf des Jahres 2013 mangels Geltendmachung verfallen ist.
a) § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG bindet den Urlaubsanspruch an das Urlaubsjahr, soweit keine abweichenden arbeits- oder tarifvertraglichen Regelungen bestehen. Der Urlaubsanspruch verfällt am Ende des Urlaubsjahres, wenn nicht einer der in § 7 Abs. 3 Satz 2 BUrlG genannten Übertragungsgründe vorliegt (vgl. BAG U. v. 13.12.2011 – 9 AZR 420/10; v. 21.06.2005 – 9 AZR 200/04).
Lediglich wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe vorliegen, wird der Urlaub ipso jure auf die ersten drei Monate des Folgejahres übertragen (vgl. BAG U. v. 24.03.2009 – 9 AZR 983/07).
aa) Eine von dieser gesetzlichen Regelung abweichende arbeitsvertragliche Vereinbarung hat der Kläger nicht hinreichend nachweisen können. Insbesondere hat er sich nicht mehr in der Berufungsinstanz auf das „Merkblatt über Erholungsurlaub“ aus dem Jahr 1990 berufen, bzgl. dessen das Arbeitsgericht zu Recht darauf hingewiesen hat, dass der Kläger trotz Bestreitens der Beklagten keinen Nachweis dahingehend geführt hat, dass dieses auf das vorliegende Arbeitsverhältnis zur Anwendung gelangt.
bb) Auch eine tarifvertragliche Regelung greift zugunsten des Klägers nicht ein. Soweit sich der Kläger darauf berufen hat, dass die Regelung des Manteltarifvertrages, welche grundsätzlich eine Übertragung auf das erste Quartal des Folgejahres vorsehen würde, auch auf ihn anwendbar wäre, so folgt dem die Kammer nicht, da nach der arbeitsvertraglichen Vereinbarung zwischen den Parteien der Kläger Außertariflicher Mitarbeiter war und insoweit nicht den tarifvertraglichen Regelungen unterlag.
Nach § 1 Ziff. 3. II. b des Manteltarifvertrages gelten nicht als Arbeitnehmer im Sinne des Tarifvertrages sonstige Arbeitnehmer, denen auf außertariflicher Grundlage ein garantiertes monatliches Entgelt zugesagt worden ist, das den Tarifsatz der Entgeltgruppe 12 (Stufe B) um 30,5 v. H. übersteigt, oder denen auf außertariflicher Grundlage ein garantiertes Jahreseinkommen zugesagt worden ist, das den zwölffachen Tarifsatz der Entgeltgruppe 12 (Stufe B) um 35 v. H. übersteigt. Dies war beim Kläger der Fall. Dabei ist zunächst zu beachten, dass die tarifliche Regelung nicht darauf abstellt, ob der Arbeitnehmer dieses Entgelt im jeweiligen Zeitraum erhalten hat, sondern ob ein entsprechend hohes Entgelt zugesagt worden ist. Dies war aber der Fall, nachdem der Kläger mit Schreiben vom 05.12.2008 eine Zusage von Seiten der Beklagten erhalten hatte, wonach er als Außertariflicher Mitarbeiter geführt werde. Die damals zugesagte Vergütung lag jedenfalls über der entsprechenden tarifvertraglichen Grenze. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine konstitutive Ernennung zum außertariflichen Angestellten regelmäßig bei beiderseitiger Tarifgebundenheit die arbeitsvertragliche Zusicherung beinhaltet, diesen Status durch Zahlung einer der Tarifentwicklung und ggf. einer tarifvertraglichen Abstandsklausel entsprechenden außertariflichen Vergütung zu erhalten (vgl. BAG U. v. 03.09.2014 – 5 AZR 1020/12). Wie dem Schreiben vom 05.12.2008 aber zu entnehmen ist, sollte durch diese Einstellung des Klägers bei der Beklagten gerade konstitutiv der Kläger der Vertragsgruppe der außertariflichen Mitarbeiter zugeordnet werden. Entsprechend waren auch dem Schreiben die Vertragsbedingungen des Führungskreises und außertariflicher Mitarbeiter als Bestandteil dieses Dienstvertrages beigefügt. Tarifvertragliche Regelungen sollten gerade nicht für das Dienstverhältnis gelten. Der Kläger hat auch nicht vorgetragen, dass während der Vertragsdauer diese Bedingungen nicht eingehalten worden wären oder sonstig der Tarifvertrag zur Anwendung gelangt wäre. Vielmehr haben die Parteien den Kläger als Außertariflichen Mitarbeiter, als der er sich selbst auch in der Klage bezeichnet hat, geführt. Unstreitig hat der Kläger auch nachträglich, nachdem sich die Unwirksamkeit der Kündigung herausgestellt hat, eine einsprechende Vergütung erhalten, die oberhalb der Grenze des § 1 Ziff. 3 II b MTV gelegen hat. Die Beklagte hat also die Zusage, wonach der Kläger auch außertariflich bezahlt wird, auch eingehalten. Dies geschah auch ohne dass der Kläger hierauf einen Anspruch erhoben hätte. Die Parteien gingen daher übereinstimmend davon aus, dass der Kläger außertariflicher Mitarbeiter ist und ein entsprechend hohes Entgelt beanspruchen kann. Somit kamen auch die Regelungen des Tarifvertrages hinsichtlich des Urlaubs nicht zum Tragen. Daher verblieb es bei der gesetzlichen Regelung, wonach der Urlaubsanspruch an sich mit Ablauf des Kalenderjahres, soweit er nicht vorher beansprucht wurde, verfallen ist.
cc) Es liegt auch kein gesetzlicher Übertragungsgrund unstreitig in der Person des Arbeitnehmers vor in Form von Gründen, die diesen an einer Urlaubsnahme gehindert hätten im Jahr 2013. Auch dringende betriebliche Gründe für eine Übertragung lagen nicht vor. Insbesondere führte der Kündigungsrechtsstreit nicht dazu, dass es aus betrieblichen Gründen nicht möglich gewesen wäre, dass der Kläger den Urlaub im Jahr 2013 genommen hätte. Die E-Mail der Beklagten vom 10.02.2014 auf die Geltendmachung des Urlaubsanspruches im Februar 2014 durch den Kläger beinhaltet keine Begründung eines dringenden betrieblichen Erfordernisses der Übertragung. Zudem hätten diese Gründe ja bereits im Jahr 2013 vorliegen müssen. In der E-Mail vom 10.02.2014 wird auch ein Urlaubsanspruch des Klägers nicht anerkannt, vielmehr wird die Entscheidung hinsichtlich des weiteren Vorgehens betreffend das Arbeitsverhältnis des Klägers, was auch den Urlaubsanspruch anbelangt, lediglich verschoben und darauf hingewiesen, dass erst nach rechtskräftigem Abschluss des gerichtlichen Verfahrens hierüber entschieden wird. Eine entsprechende Entscheidung konnte also auch das Berufen auf das Verfallen des Urlaubsanspruchs beinhalten. Ein Anerkenntnis des Urlaubsanspruchs dahingehend, dass dieser im Jahr 2013 nicht verfallen war, ist der E-Mail in keiner Weise zu entnehmen.
Da somit auch gesetzliche Übertragungstatbestände nicht vorgelegen haben, verbleibt es bei dem Verfall des Urlaubsanspruches, soweit er nicht hinreichend geltend gemacht wurde.
b) Der Urlaubsanspruch des Klägers ist auch verfallen, ein Schadensersatzanspruch steht dem Kläger nicht zu.
aa) Entgegen der Auffassung des Klägers ist der Urlaubsanspruch auch deswegen verfallen, weil der Kläger ihn nicht rechtzeitig geltend gemacht hat. Auch trotz erfolgter Kündigung ist es dem Arbeitnehmer nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts möglich, Urlaub zu beantragen. Gleichermaßen kann der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer auch nach Ablauf der Kündigungsfrist wirksam Urlaub gewähren. Denn der Arbeitgeber ist rechtlich nicht gehindert, einem Arbeitnehmer in einem unwirksam gekündigten und deshalb fortbestehenden Arbeitsverhältnis Urlaub zu erteilen (vgl. BAG U. v. 13.12.2011 – 9 AZR 420/10). Diese Auffassung hat das Bundesarbeitsgericht auch erneut bestätigt durch seine Entscheidung vom 10.02.2015 – 9 AZR 455/13 -. Der Bestand des Arbeitsverhältnisses wird durch die Kündigung nicht berührt. Soweit die Kündigung unwirksam ist, ist eine Gewährung von Urlaub durch den Arbeitgeber vorsorglich für den Fall, dass eine von ihm erklärte ordentliche oder außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht auflöst, möglich. Denn mit der Kündigung macht der Arbeitgeber lediglich geltend, er gehe davon aus, dass das Arbeitsverhältnis zu einem bestimmten Zeitpunkt enden wird. Er behauptet lediglich eine Beendigung. Damit erfolgt auch keine Freistellung von der Arbeitspflicht. Denn der Arbeitgeber geht davon aus, dass seine Arbeitspflicht infolge der wirksamen Beendigung nicht besteht. Insofern ist es dem Arbeitgeber auch möglich den Arbeitnehmer von der Arbeitspflicht vorsorglich, für den Fall, dass das Arbeitsverhältnis nicht beendet sein sollte und insofern eine Arbeitspflicht bestehen sollte, vorsorglich freizustellen durch Urlaubsgewährung. Insofern liegt keine doppelte Befreiung von der Arbeitspflicht vor.
bb) Dies widerspricht auch nicht europäischem Recht, wie das Bundesarbeitsgericht bereits in der Entscheidung vom 13.12.2011 (9 AZR 420/10) entschieden hat. Maßgeblich insoweit ist lediglich, dass für den Arbeitnehmer die Möglichkeit besteht, den auch unter Erholungsgesichtspunkten dem Arbeitnehmer zustehenden Urlaub zu nehmen. Auch wenn das Arbeitsverhältnis zunächst gekündigt ist und die Frage des Fortbestehens des Arbeitsverhältnisses im Raum steht, kann der Arbeitnehmer vorsorglich den Urlaub einbringen. Dies ist sogar in seinem Interesse, da der Erholungsaspekt dem Arbeitnehmer ja möglichst zeitnah zustehen soll. Dem Arbeitnehmer ist es nicht damit gedient, nach Jahren des Führens eines Kündigungsrechtsstreits und der dann erfolgenden Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung Jahre später den Erholungsurlaub zu erhalten. Vielmehr soll dem Arbeitnehmer gerade im jeweiligen Jahr auch die Erholung durch den Urlaub zukommen. Lediglich wenn der Arbeitnehmer nicht in der Lage ist, Urlaub einzubringen, etwa wegen bestehender Arbeitsunfähigkeit, bleibt der Urlaub bestehen. Die Auffassung des Bundesarbeitsgerichts verstößt daher auch nicht gegen europäisches Recht.
cc) Die Kammer schließt sich auch nicht der Auffassung des LAG Berlin-Brandenburg (21 Sa 221/14) bzw. der Auffassung der 8. Kammer des LAG München (8 Sa 982/14) an. Nach Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet den Arbeitnehmer, soweit er keine Urlaubswünsche anmeldet oder einen Urlaubsantrag nicht stellt, anzuhören oder seine Urlaubswünsche zu erfragen, um den Urlaubszeitraum von sich aus zu bestimmen (vgl. BAG U. v. 15.09.2011 – 8 AZR 846/09; v. 24.03.2009 – 9 AZR 983/07).
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bleibt der Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers nur dann bestehen und wandelt sich in einen Schadensersatzanspruch um, soweit der Arbeitnehmer seinen Arbeitgeber zuvor in Verzug gesetzt hatte (vgl. z. B. BAG U. v. 19.04.1994 – 9 AZR 671/92; U. v. 17.01.1995 – 9 AZR 664/93; U. v. 15.10.2013 – 9 AZR 374/12).
Zwar spricht der Wortlaut des § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG davon, dass der Urlaub im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden muss. Damit wird aber grundsätzlich vor allem die Bindung des Urlaubs an das jeweilige Kalenderjahr zum Ausdruck gebracht. Zudem sind beide Elemente erforderlich dafür, dass der Urlaub nicht verfällt. Zwar besteht die Möglichkeit, wenn der Arbeitnehmer keinen Antrag stellt, dass der Arbeitgeber von sich aus auch Urlaub gewähren kann, andererseits lässt sich hieraus noch keine Verpflichtung dazu ableiten, den Urlaub auch zu gewähren.
Dies verlangt auch nicht das europäische Recht bzw. die Rechtsprechung des EuGH. Auch dieser hat letztlich in der Entscheidung vom 20.01.2009 (C 350/06) darauf abgestellt, dass zum einen der Erholungszweck im Vordergrund steht, andererseits aber vor allem ein Verfall des Urlaubs dann nicht stattfinden soll, wenn der Arbeitnehmer nicht die Möglichkeit hatte, Erholungsurlaub einzubringen. Wie bereits oben dargelegt dient der Erholungszweck vor allem auch dazu, dass zeitnah die Beschäftigten während eines Jahres die Erholungswirkung des Urlaubs in Anspruch nehmen können. Dies rechtfertigt die Bindung des Urlaubs auch an das Kalenderjahr und einen nicht zu lange andauernden Übertragungszeitraum. Des Weiteren ist aber hier vor allem zu berücksichtigen, dass der jeweilige Arbeitnehmer die Möglichkeit hat, durch einen Antrag, wie auch im vorliegenden Fall, den Urlaub einzubringen. Er hat gerade die Möglichkeit den Urlaub zu nehmen. Des Weiteren hat der EuGH in der oben genannten Entscheidung auch ausgeführt, dass grundsätzlich Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, wonach für die Ausübung des mit dieser Richtlinie ausdrücklich verliehenen Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub gewisse Modalitäten zu beachten seien. Dies gelte selbst dann, wenn diese Modalitäten den Verlust des Anspruchs am Ende eines Bezugszeitraums oder eines Übertragungszeitraums beinhalteten. Es sei alleinige Voraussetzung, dass der Arbeitnehmer tatsächlich die Möglichkeit gehabt hätte, den ihn mit der Richtlinie verliehenen Anspruch auszuüben (vgl. EuGH 20.01.2009 – C-350/06 und C-520/06; BAG U. v. 09.08.2011 – 9 AZR 365/10). Demgemäß besteht durchaus die Möglichkeit, soweit ein Antrag jedenfalls nicht unzumutbar ist, dies als Voraussetzung aufzustellen und die Bindung des Urlaubs an diese Modalität zu knüpfen.
Insofern besteht auch keine Schadensersatzverpflichtung, da der Arbeitgeber, wenn ein Urlaubsantrag nicht gestellt wurde, jedenfalls die Nichtgewährung des Urlaubs auch nicht zu vertreten hat.
Demgemäß ist der Urlaub des Klägers mit Ablauf des Jahres 2013 verfallen, da er nicht geltend gemacht wurde. Die Berufung war daher zurückzuweisen.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
3. Wegen grundsätzlicher Bedeutung der zugrundeliegenden Rechtsfrage und unter Berücksichtigung entgegenstehender Rechtsprechung einer anderen Kammer des Landesarbeitsgerichts München wird die Revision zugelassen. Auf die nachfolgende Rechtsmittelbelehrung wird verwiesen.