Aktenzeichen L 20 VS 3/17
BVG § 30 Abs. 1, § 32
GG Art. 3 Abs. 1
Leitsatz
1. § 2 Abs. 1a Satz 1 DbAG eröffnet nicht die Anwendung der Regelung zur besondere berufliche Betroffenheit in § 30 Abs. 2 BVG. (Rn. 20 ff.)
2. Mit dem in § 2 Abs. 1a Satz 1 DbAG enthaltenen Verweis auf die „Grundsätze, die für die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen nach § 30 des Bundesversorgungsgesetzes anzuwenden sind“, wird lediglich zur Verwaltungsvereinfachung sichergestellt, nach welchen medizinischen Kriterien die Bewertung der Höhe des GdS bei einem Dienstbeschädigungsausgleich nach dem DbAG zu erfolgen hat. Nicht bezweckt ist eine Erweiterung des Dienstbeschädigungsausgleichs um Elemente, wie sie beim Versorgungsanspruch nach dem BVG zur Anwendung kommen können (z.B. besondere berufliche Betroffenheit, Berufsschadensausgleich, Ausgleichsrente). (Rn. 22 – 24)
Verfahrensgang
S 10 VS 6/16 2016-12-15 Urt SGWUERZBURG SG Würzburg
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 15.12.2016 wird zurückgewiesen.
II. Die Klage gegen die Bescheide vom 17.05.2017 und 29.06.2017 wird abgewiesen.
III. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Der dem Dienstbeschädigungsausgleich zugrunde gelegte (medizinische) GdS kann nicht wegen besonderer beruflicher Betroffenheit im Sinn von § 30 Abs. 2 BVG erhöht werden.
1. Streitgegenstand
Streitgegenstand ist die Frage, ob dem dem Kläger gewährten Dienstbeschädigungsausgleich ein höherer GdS als 40 wegen besonderer beruflicher Betroffenheit zugrunde zu legen ist. Die vor der mündlichen Verhandlung noch im Raum stehenden Fragen, nämlich ob dem Kläger ein Berufsschadensausgleich im Sinn von § 30 Abs. 3 BVG zusteht und ob ihm eine Ausgleichsrente im Sinn von § 32 BVG zu gewähren ist, sind jedenfalls wegen der auf den Gesichtspunkt der besonderen beruflichen Betroffenheit beschränkten Antragstellung in der mündlichen Verhandlung vom 25.07.2017 nicht Streitgegenstand der Entscheidung des Senats.
Wegen § 96 SGG sind die Bescheide vom 17.05.2017 und vom 29.06.2017 Gegenstand des Verfahrens geworden; der Senat hat darüber als Klage zu entscheiden.
2. Zur Frage der besonderen beruflichen Betroffenheit im Sinn von § 30 Abs. 2 BVG Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass wegen einer besonderen beruflichen Betroffenheit im Sinn von § 30 Abs. 2 BVG der Gewährung des Dienstbeschädigungsausgleichs ein höherer GdS als der bereits anerkannte – und vom Kläger nicht angegriffene – medizinisch begründete GdS im Sinn von § 30 Abs. 1 BVG in Höhe von 40 zu Grunde gelegt wird. Die Formulierung in § 2 Abs. 1a Satz 1 DbAG „Grundsätze, die für die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen nach § 30 des Bundesversorgungsgesetzes anzuwenden sind“ umfasst lediglich einen Verweis auf § 30 Abs. 1 BVG und die dort vorgegebenen medizinischen Gesichtspunkte für die Bewertung des GdS, wie sie in den VG konkretisiert sind.
Nicht zu den genannten Grundsätzen gehört die Regelung des § 30 Abs. 2 BVG, die bei besonderer beruflicher Betroffenheit eine Erhöhung des medizinisch begründeten GdS im Sinn von § 30 Abs. 1 BVG vorsieht; eine solche Erhöhung kommt für einen Dienstbeschädigungsausgleich im Sinn des DbAG nicht zur Anwendung. Die Vorschrift des § 2 Abs. 1a Satz 1 DbAG, die für den Neufeststellungsantrag des Klägers zur Anwendung kommt, gibt lediglich vor, welche Vorgaben bei der Ermittlung der medizinisch begründeten Höhe des GdS zu beachten sind. Er beinhaltet aber keine Rechtsgrundverweisung auf die Regelung des § 30 Abs. 2 BVG, über die eine Erhöhung des GdS aufgrund von nicht-medizinischen Gesichtspunkten möglich wäre.
Der Argumentation des Klägers, der mit Hinweis auf den Wortlaut des § 2 Abs. 1a Satz 1 DbAG die Anwendung des § 30 Abs. 2 BVG als eröffnet ansieht, kann der Senat nicht folgen. Es ist dem Kläger zwar zuzugestehen, dass sich die Unanwendbarkeit des § 30 Abs. 2 BVG im Rahmen eines Dienstbeschädigungsausgleichs nicht aus dem Wortlaut des Gesetzes ergibt. Auch der Senat hält die in § 2 Abs. 1a Satz 1 DbAG verwendete Formulierung für wenig präzise und hätte sich einen klareren Gesetzeswortlaut gewünscht.
Gegen die klägerische Rechtsansicht sprechen aber folgende Erwägungen:
Dass § 2 Abs. 1a Satz 1 DbAG nur auf die Vorgaben in § 30 Abs. 1 BVG zur Ermittlung des medizinisch begründeten GdS, nicht aber auf § 30 Abs. 2 BVG verweist, ergibt sich, worauf auch das SG hingewiesen hat, schon aus der Gesetzesbegründung zu § 2 Abs. 1a Satz 1 DbAG, wobei Gesetzesbegründungen grundsätzlich Maßstab für die Gesetzesauslegung sind (ständige Rspr., vgl. z.B. Bundesverfassungsgericht – BVerfG -, Beschluss vom 17.01.2017, 2 BvL 2/14, 2 BvL 3/14, 2 BvL 4/14, 2 BvL 5/14). So wird dort (vgl. die Gesetzesbegründung zum Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes [2. AAÜG-Änderungsgesetz – 2. AAÜG-ÄndG], Bundestags-Drucksache 14/5640, S. 18) Folgendes erläutert:
„Die in den Versorgungsordnungen der jeweiligen Sonderversorgungssysteme enthaltenen Bewertungsgrundsätze, die nach bisherigem Recht bei der Bemessung des von einem Anspruch auf Dienstbeschädigungsausgleich vorausgesetzten Körper- oder Gesundheitsschadens anzuwenden sind, führen wegen der fehlenden medizinischen Fortschreibung in der Begutachtungspraxis zunehmend zu Feststellungsschwierigkeiten. Die Neuregelung sieht deshalb aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung vor, diese Körper- und Gesundheitsschäden in Zukunft unter Zugrundelegung der nach dem medizinischen Kenntnisstand regelmäßig aktualisierten Grundsätze des Bundesversorgungsgesetzes zu bemessen und damit zugleich einen bundeseinheitlich geltenden Bewertungsmaßstab festzulegen.“
Mit dem in § 2 Abs. 1a Satz 1 DbAG enthaltenen Verweis sollte daher lediglich zur Verwaltungsvereinfachung sichergestellt werden, nach welchen medizinischen Kriterien die Bewertung der Höhe des GdS bei einem Dienstbeschädigungsausgleich nach dem DbAG zu erfolgen hat. Nicht bezweckt war mit der gesetzlichen Neuregelung eine Erweiterung des Dienstbeschädigungsausgleichs um Elemente, wie sie beim Versorgungsanspruch nach dem BVG zur Anwendung kommen können. Eine Ausweitung des Versorgungsanspruchs um das Element der besonderen beruflichen Betroffenheit würde zudem der vom Gesetzgeber bezweckten Verwaltungsvereinfachung zuwiderlaufen, da mit der Prüfung der besonderen beruflichen Betroffenheit ein erhöhter Verwaltungsaufwand produziert würde.
Eine Erweiterung des Dienstbeschädigungausgleichs um Regelungsgegenstände, wie sie im BVG vorgesehen sind, z.B. die besondere berufliche Betroffenheit, wäre auch systemwidrig, da der Dienstbeschädigungsausgleich systematisch nicht dem Versorgungsrecht mit den dort zu beachtenden Regelungen des BVG zuzurechnen ist, sondern Teil des Rentenrechts ist. Mit dem DbAG hat der Gesetzgeber lediglich nach dem Recht der ehemaligen DDR bestehende Ansprüche in das geltende Recht überführt und sich dabei wegen der Nähe zur Beamten- und Soldatenversorgung vereinzelt an dort geltende Vorgaben angelehnt, ohne dass damit eine weitergehende Integrierung in das BVG und eine umfassende Angleichung an die Versorgung nach dem BVG erfolgen sollte (vgl. Schleswig-Holsteinisches LSG, Urteil vom 18.06.2013, L 2 VS 9/13 – m.w.N.). Es fehlt daher auch im DbAG eine allgemeine Verweisungsnorm auf das BVG, wie sie in versorgungsrechtlichen Nebengesetzen enthalten ist (vgl. z.B. § 80 Satz 1 Soldatenversorgungsgesetz, § 1 Abs. 1 Satz 1 Opferentschädigungsgesetz).
Der Gesetzgeber hat die Eigenständigkeit des DbAG (neben dem BVG genauso wie neben dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung) wie folgt erläutert (vgl. die Gesetzesbegründung zum Entwurf eines AAÜG-ÄndG, a.a.O., S. 9):
„Da eine Überführung dieser Leistungen in das Recht der gesetzlichen Unfallversicherung zu einer nicht zu rechtfertigenden Besserstellung dieses Personenkreises gegenüber Soldaten, Polizisten und Beamten in den alten Bundesländern führen würde, wird eine eigenständige Leistung zum Ausgleich von Dienstbeschädigungen geschaffen.“
Auch sieht das Recht des Dienstbeschädigungausgleichs keine Berücksichtigung individueller, durch besondere Umstände des einzelnen Betroffenen bedingter Nachteile, wie dies bei der besonderen beruflichen Betroffenheit und dem Berufsschadensausgleich vorausgesetzt wird, vor. Dies wird auch aus der Gesetzesbegründung zu § 1 DbAG deutlich, wenn es dort (vgl. die Gesetzesbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes [AAÜG-Änderungsgesetz – AAÜG-ÄndG], Bundestags-Drucksache 13/4587, S. 12) heißt:
„§ 1 begründet daher einen Anspruch auf einen Dienstbeschädigungsausgleich, der an die Stelle der Dienstbeschädigungsrenten tritt. Eine Lösung, nach der die bisherigen Dienstbeschädigungsteilrenten (und dementsprechend auch die Dienstbeschädigungsvollrenten) auch neben Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung weitergezahlt werden, wäre nicht sachgerecht; diese Renten sind – auch bei gleichem Körperschaden – in ihrer Höhe sehr unterschiedlich, hatten nach den Sonderversorgungssystemen auch Einkommensersatzcharakter und sind deswegen als Anknüpfungspunkt für einen Ersatz von Mehraufwand und immateriellem Schaden infolge der Körperverletzung nicht geeignet.“
Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die vorgenommene Auslegung sind nicht ersichtlich. Insbesondere erfordert nicht der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) eine Anwendung der Regelung zur besonderen beruflichen Betroffenheit des § 30 Abs. 2 BVG bei Dienstbeschädigungausgleichsberechtigten. Aus dem verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz ergibt sich nur, dass Sachverhalte, bei denen keine tatsächlichen Unterschiede bestehen, die eine unterschiedliche rechtliche Behandlung rechtfertigen, gleich zu behandeln sind (ständige Rspr., vgl. z.B. BVerfG, Beschluss vom 14.03.2000, 1 BvR 294/96). Eine Gleichstellung der Soldaten der NVA mit Soldaten der Bundeswehr ist dabei nicht geboten, da die Rechtsstellung der Armeeangehörigen in den rechtlichen Systemen der beiden Streitkräfte in verschiedener Hinsicht unterschiedlich ausgeprägt ist (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 18.06.1996, 9 RV 13/95). Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass dem Gesetzgeber bei der Regelung komplexer Rechtsmaterien, wie sie die Überführung der Ansprüche aus den Sonderversorgungssystemen darstellt, ein weiter Handlungsspielraum zusteht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 08.06.1988, 2 BvL 9/85 2 BvL 9/85, 2 BvL 3/86). Dass der Gesetzgeber keine Gleichbehandlung von Soldaten der NVA einerseits und der Bundeswehr andererseits beabsichtigt hat, wird aus diversen Regelungen deutlich, beispielsweise daraus, dass Soldaten der NVA als Dienstbeschädigungsausgleichsberechtigte nach dem DbAG bereits ab einem GdS von 20 (§ 2 Abs. 1 Satz 2 DbAG) einen Dienstbeschädigungsausgleich erhalten, Soldaten der Bundeswehr wie andere Versorgungsberechtigte hingegen erst ab einem GdS von 30 (§ 80 Satz 1 bzw. § 85 Abs. 1 Soldatenversorgungsgesetz i.V.m. § 31 Abs. 1 BVG).
Die vom Kläger vertretene Auffassung, dass die Vorschrift des § 2 Abs. 1a Satz 1 DbAG auch einen Verweis auf § 30 Abs. 2 BVG beinhalte mit der Folge, dass der dem Dienstbeschädigungsausgleich zugrunde zu legende GdS auch eine Erhöhung infolge besonderer beruflicher Betroffenheit erfahren kann, ist auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht haltbar. Die Vorschrift des § 2 Abs. 1a Satz 1 DbAG schreibt eine Anwendung der „Grundsätze, die für die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen nach § 30 des Bundesversorgungsgesetzes anzuwenden sind“, nur für den Fall vor, dass nach dem 02.08.2001 der GdS „erstmals oder neu festzustellen“ ist. Würde von der Möglichkeit einer Erhöhung des GdS wegen besonderer beruflicher Betroffenheit im Sinn von § 30 Abs. 2 BVG auch bei Dienstbeschädigungsausgleichsberechtigten ausgegangen, würde diese Möglichkeit nur solchen Antragstellern offen stehen, bei denen nach dem 02.08.2001 die erstmalige Feststellung oder die Neufeststellung des GdS (wegen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse) zu erfolgen hat. Bei allen anderen Dienstbeschädigungsausgleichsberechtigten könnte diese Möglichkeit nicht zum Zug kommen. Dies würde bedeuten, dass Anspruchsinhaber, die bereits einen Dienstbeschädigungsausgleich beziehen, bei denen aber keine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse, wie sie für die Feststellung des GdS von Bedeutung sind, eingetreten ist, eine Erhöhung des GdS wegen besonderer beruflicher Betroffenheit nicht geltend machen könnten, selbst wenn eine solche Betroffenheit vorliegt. Dies hätte zur Konsequenz, dass diese Personengruppe von der Erhöhung des GdS wegen besonderer beruflicher Betroffenheit ausgeschlossen wäre, obwohl andere Dienstbeschädigungsausgleichsberechtigte (nach einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse) in den Genuss einer Erhöhung des GdS wegen besonderer beruflicher Betroffenheit kommen könnten. Dies würde einen durch nichts zu rechtfertigenden Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG darstellen. Die vom Kläger gewünschte Auslegung des § 2 Abs. 1a Satz 1 DbAG wäre damit verfassungswidrig.
3. Der Vollständigkeit halber: zu den Fragen des Berufsschadensausgleichs im Sinn von § 30 Abs. 3 BVG und der Ausgleichsrente im Sinn von § 32 BVG Wie bereits oben (vgl. Ziff. 1.) erläutert, sind diese beiden Fragen nicht mehr Streitgegenstand. Gleichwohl erlaubt sich der Senat informationshalber den Hinweis darauf, dass die Gewährung von Berufsschadensausgleich im Sinn von § 30 Abs. 3 BVG genauso wie die Gewährung einer Ausgleichsrente im Sinn von § 32 BVG im Rahmen eines Dienstbeschädigungausgleichs nach dem DbAG nicht in Betracht kommen. Berufsschadensausgleich ist kein die Höhe des GdS bestimmender Gesichtspunkt. Gleiches gilt für Ausgleichsrente, zumal diese ohnehin nicht in § 30 BVG geregelt ist, auf den § 2 Abs. 1a Satz 1 DbAG verweist. Im Übrigen wären sowohl ein Berufsschadensausgleich als auch eine Ausgleichsrente nicht mit dem System des Dienstbeschädigungsausgleichs vereinbar (vgl. die Ausführungen oben unter Ziff. 2.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt angesichts des klaren Wortlauts der maßgeblichen Vorschriften und der eindeutigen Gesetzesbegründungen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).