Aktenzeichen 3 Ca 9589/16
BUrlG § 7 Abs. 4
Tarifvertrag für die Auszubildenden der Deutschen Postbank AG (TV Azb) vom 12. Januar 1976 in der Fassung vom 1. Juni 2004 § 13, § 15 Abs. 2.
ArbGG § 46 Abs. 2, § 61 Abs. 1.
ZPO §§ 3 ff., § 92 Abs. 2.
GKG § 39 Abs. 1.
Leitsatz
1. Ein Anspruch auf Unterhaltsbeihilfe nach § 13 Satz 1 TV Azb setzt nicht voraus, dass ein Auszubildender unmittelbar vor Beginn seiner Ausbildung bei seinen Eltern, Erziehungsberechtigten oder dem Ehegatten gewohnt hat und diesen Wohnsitz wegen Aufnahme der Ausbildung aufgegeben hat. (Rn. 16) (red. LS Thomas Ritter)
2. Der tarifliche Zusatzurlaub nach § 15 TV Azb für Familienheimfahrten hat einen anderen Zweck als Erholungsurlaub. Er gewährt einem Auszubildenden nicht auf das Jahr gerechnet abstrakt eine bestimmte Anzahl von zusätzlichen Urlaubstagen zur Erholung. Vielmehr ist der tarifliche Zusatzurlaub für Familienheimfahrten „nur“ eine Unterstützung von Auszubildenden, die Familienheimfahrten vornehmen, damit sie ihre Familien leichter erreichen können (Rn. 41) (red. LS Thomas Ritter)
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, 5.870,00 € brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über den jeweiligen Basiszinssatz seit 25.06.2016 an den Kläger zu zahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger 65%, die Beklagte 35%.
4. Der Streitwert wird auf 15.684,66 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die zulässige Klage erwies sich als teilweise begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Unterhaltsbeihilfe. Im Übrigen erwies sich die Klage als unbegründet und war abzuweisen.
1. Der Kläger hat im geltend gemachten und der Höhe nach auch unstreitigen Umfang Anspruch auf Unterhaltsbeihilfe nach § 13 TV.
Eine Auslegung dieser Norm ergibt, dass der gemeinsame Wohnsitz mit den Eltern nicht erst mit Antritt einer Ausbildung aufgegeben werden muss.
a) Nach der zutreffenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. Entscheidung vom 16.06.2004, 4 AZR 408/03) folgt die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Dabei ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei einem nicht eindeutigen Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mitzuberücksichtigen, soweit er in der tariflichen Norm seinen Niederschlag gefunden hat.
Abzustellen ist dabei stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefern und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Lässt diese zweifelsfreien Auslegungsergebnisse nicht zu, dann können die Arbeitsgerichte ohne Bindung an die Reihenfolge weitere Kriterien, wie Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrages, ggf. auch praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Dabei kann auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse berücksichtigt werden; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorrang, die zu einer vernünftigen sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt.
b) Unter Berücksichtigung dieser rechtlichen Grundsätze ist der Anspruch des Klägers auf Unterhaltsbeihilfe gegeben; insbesondere ist entgegen der Auffassung der Beklagten nicht erforderlich, dass der gemeinsame Wohnsitz eines Auszubildenden mit seinen Eltern erst bzw. gerade zu Beginn der Ausbildung aufgehoben wird.
Aus dem Wortlaut des § 13 TV ergibt sich solches gerade nicht. Der Tarifwortlaut spricht gerade nicht davon, dass der gemeinsame Haushalt oder Wohnsitz eines Auszubildenden mit den Eltern gerade zum Zeitpunkt erstmalig aufgehoben wird, indem das Ausbildungsverhältnis mit der Beklagten beginnt. Vielmehr spricht der Tarifwortlaut davon, dass die „Familie“ des Auszubildenden verkehrsmäßig so ungünstig wohnt, dass der Auszubildende nicht täglich zum Wohnort der „Familie“ zurückkehren kann. Dabei definiert der TV die „Familie“ als Eltern, Erziehungsberechtigte oder Ehegatten.
Nach dem Tarifwortlaut bezieht sich das Tatbestandsmerkmal des „Zurückkehrens“ ausschließlich auf eine räumliche Entfernung vom Wohnsitz der „Familie“ zum Ausbildungsort. Entgegen der Auffassung der Beklagten, bedeutet Zurückkehren gerade nicht in einem (lebens-)zeitlichen Aspekt, dass man nur zum Wohnsitz der Eltern zurückkehren kann, wenn man dort bis zum Beginn der Ausbildung gelebt hat.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht im Rahmen einer teleologischen Auslegung.
Der Regelungszweck des § 13 TV besteht nach Auffassung der Kammer darin, dass ein Auszubildender in Hinblick auf die geringe Vergütung eines Ausbildungsverhältnisses Unterhaltsbeihilfe erhält, wenn er nicht die Möglichkeit hat, werktäglich zu seiner Familie heimzukehren, um dort in wirtschaftlicher Hinsicht kostengünstig zu wohnen. Dieses Auslegungsergebnis wird auch gestützt durch den weiteren Tarifwortlaut, wonach eine Ausbildungsbeihilfe (natürlich) nicht gezahlt wird, wenn die D-AG eine Unterkunft zur Verfügung stellt. Dann ist ein Auszubildender eben durch Bereitstellung einer Unterkunft durch den Ausbildungsbetrieb wirtschaftlich abgesichert.
Nach diesem Verständnis des § 13 TV hat der Kläger auch die Tatbestandsvoraussetzungen hinreichend dargelegt.
Er hat – jedenfalls durch Vorlage einer schriftlichen Bestätigung seiner Eltern -prozessual hinreichend dargelegt, dass seine Eltern während des gesamten Ausbildungsverhältnisses in H-Stadt in der Nähe von B-Stadt gewohnt haben. Aufgrund dieses Wohnorts der Eltern des Klägers während des Ausbildungsverhältnisses hatte der Kläger keine Möglichkeit, vom Ausbildungsort A-Stadt täglich zum Wohnort der Eltern zurückzukehren, so dass die Anspruchsvoraussetzungen des § 13 TV erfüllt sind und der Kläger Anspruch auf die in der Höhe nach unstreitige Unterhaltsbeihilfe hat.
c) Der Anspruch des Klägers auf Unterhaltsbeihilfe ist nicht verwirkt.
Voraussetzung wäre diesbezüglich, dass ein Umstands- und Zeitmoment vorliegen. Vorliegend hat die Beklagte aber nicht hinreichend vorgetragen, dass ein Umstandsmoment vorliegt, dass also Umstände bestehen, aufgrund derer die Beklagte darauf vertrauen konnte, dass der Kläger niemals mehr Ansprüche auf Unterhaltsbeihilfe geltend macht.
Hierfür gilt das bloße Unterlassen der Geltendmachung von Forderungen nach mündlicher Auskunft durch die Ausbildungsreferentin nicht.
2. Die Klage erwies sich hinsichtlich eines Schadensersatzanspruches für fiktive Familienheimfahrten als unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Schadensersatz nach § 280 Abs. 1 BGB hinsichtlich nicht bezahlter Familienheimfahrten.
Diesbezüglich ist die Klage schon nicht schlüssig.
Nach § 15 Abs. 2 TV wären die Fahrtkosten bis zur Höhe der Sätze der niedrigsten Wagenklasse des benutzten Verkehrsmittels, höchstens jedoch bis zur Grenze des Bundesgebiets ersetzt. Möglichkeiten zur Erlangung von Fahrpreisermäßigungen sind auszunutzen.
Vor diesem Hintergrund hat der Kläger jedenfalls der Höhe nach einen möglichen Schadensersatzanspruch nicht schlüssig vorgetragen.
Im Rahmen der Klage hat der Kläger vorgetragen, die Reise von A-Stadt nach P-Stadt kostet ohne Bahncard € . Auf entsprechendes Bestreiten durch die Beklagte hin hat sich der Kläger darauf berufen, die Bahn würde pro Jahr eine Preissteigerung von „ca. 2%“ vornehmen (Bl. 54 d.A.).
Darin liegt aber kein hinreichend konkreter Sachvortrag. Der Kläger hätte die Kosten für Familienheimfahrten für die einzelnen Jahre konkret darlegen müssen.
3. Die Klage erwies sich auch hinsichtlich der Abgeltung zusätzlichen tariflichen Urlaubs für Familienheimfahrten als unbegründet.
a) Eine ausdrückliche Regelung für die Abgeltung des tariflichen Zusatzurlaubes für Familienheimfahrten nach § 15 TV besteht nicht.
Eine solche Abgeltungsvorschrift für nicht genommenen oder gewährten Zusatzurlaub enthält der TV nicht.
Darüber hinaus ist § 7 Abs. 4 BUrlG keine einschlägige Rechtsgrundlage, da es sich vorliegend gerade nicht um einen gesetzlichen oder tariflichen regulären Erholungsurlaub handelt.
b) Der Kläger hat nach Auffassung der Kammer auch keinen Anspruch auf Abgeltung eines nicht gewährten Urlaubs für Familienheimfahrten im Wege eines Schadensersatzes nach § 280 Abs. 1 BGB.
Unabhängig von der Frage, ob dem Kläger überhaupt ein (wirtschaftlicher) Schaden entstanden ist, fehlt es in rechtlicher Hinsicht an einem Zurechnungszusammenhang zwischen schädigendem Ereignis und Schaden. Der vom Kläger geltend gemachte Schaden fällt nicht in den Schutzzweck der Norm.
Eine Schadensersatzpflicht besteht nur, wenn der geltend gemachte Schaden nach Art und Entstehungsweise unter den Schutzzweck der verletzten Norm fällt (s. hierzu grundlegend Palandt-Heinrichs, vor § 249 BGB, Rn. 62).
Vorliegend handelt es sich nicht um die Abgeltung des gesetzlich und unionsrechtlich geregelten Erholungsurlaubes. Dieser ist – unionsrechtlich verankert -nach der Rechtsprechung des EuGH als bedeutender Grundsatz des Sozialrechts eine bezahlte Freistellung des Klägers von der Arbeitsverpflichtung. Aufgrund dieser – auch – wirtschaftlichen Bedeutung des Erholungsurlaubes, ist dieser nach Unionsrecht und deutschem Recht abzugelten, wenn er einem Arbeitnehmer nicht gewährt wird.
Nach Verständnis der Kammer hat aber der tarifliche Zusatzurlaub für Familienheimfahrten vorliegend einen ganz anderen Zweck. Er gewährt einem Auszubildenden nicht auf das Jahr gerechnet abstrakt eine bestimmte Anzahl von zusätzlichen Urlaubstagen zur Erholung. Vielmehr ist der tarifliche Zusatzurlaub für Familienheimfahrten „nur“ eine Unterstützung von Auszubildenden, die Familienheimfahrten vornehmen, damit sie ihre Familien leichter erreichen können.
Vor dem Hintergrund dieser Unterstützungsfunktion für tatsächliche Familienheimfahrten kommt dem tariflichen Zusatzurlaub auch nicht dieselbe wirtschaftliche Bedeutung zu, wie dem Erholungsurlaub.
Von daher regelt die einschlägige Bestimmung in § 15 TV gerade nicht in wirtschaftlicher Hinsicht den Anspruch von Auszubildenden auf den abstrakten Anspruch auf Freistellung von der Arbeit für bestimmte Zeiträume. Daher besteht jedenfalls vorliegend kein Anspruch auf Abgeltung nicht gewährter zusätzlicher tariflicher Urlaubstage für Familienheimfahrten.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 92 Abs. 2 ZPO.
III.
Die Festsetzung des Streitwerts findet ihre Rechtsgrundlage in §§ 61 Abs. 1 ArbGG, 39 Abs. 1 GKG, 3 ff. ZPO.