Aktenzeichen 3 AZR 139/17
§ 7 Abs 2 BetrAVG
Art 3 Abs 4 Buchst b EGRL 23/2001
Art 8 EGRL 94/2008
§ 9 BetrAVG
Leitsatz
1. Die besonderen Verteilungsgrundsätze des Insolvenzrechts gehen § 613a BGB als Spezialregelungen für bereits entstandene Ansprüche oder Anwartschaften vor, so dass der Erwerber nicht für eine aufgrund des Endgehaltsbezugs einer Versorgungsordnung bei Insolvenzeröffnung bereits vom Arbeitnehmer erdiente Dynamik einstehen muss. Insoweit scheidet auch eine Eintrittspflicht des Pensions-Sicherungs-Vereins (PSV) aus. Die wertmäßige Differenz kann der Arbeitnehmer als aufschiebend bedingte Insolvenzforderung zur Insolvenztabelle anmelden.
2. Arbeitnehmern muss als Mindestschutz ihrer Forderungen auf betriebliche Altersversorgung ein Anspruch nach Art. 3 Abs. 4 Buchst. b Richtlinie 2001/23/EG iVm. Art. 8 Richtlinie 2008/94/EG gewährt werden. Das begründet in Deutschland einen unmittelbar aus dem Unionsrecht folgenden Anspruch gegen den PSV.
Verfahrensgang
vorgehend ArbG Solingen, 24. Mai 2016, Az: 2 Ca 1812/15 lev, Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Düsseldorf, 20. Januar 2017, Az: 6 Sa 582/16, Urteil
Tenor
Die Revisionen des Klägers und der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 20. Januar 2017 – 6 Sa 582/16 – werden zurückgewiesen.
Von den Kosten des Revisionsverfahrens haben der Kläger 19/20 und die Beklagte 1/20 zu tragen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten darüber, in welchem Umfang die Beklagte dem Kläger nach einem Betriebsübergang in der Insolvenz eine Altersrente zu gewähren hat.
2
Der im März 1950 geborene Kläger war seit dem 1. Oktober 1968 bei der T GmbH beschäftigt. Bei dieser galt die Gesamtbetriebsvereinbarung „Pensionsordnung für Betriebsangehörige der Firma T GmbH, Leverkusen“ vom 28. September 1979 (im Folgenden PO 1979). Diese bestimmt ua.:
„§ 1
Kreis der Pensionsberechtigten
1.
Die Firma gewährt ihren Betriebsangehörigen, sofern die nachstehenden Leistungsvoraussetzungen erfüllt sind, bei Eintritt des Versorgungsfalles Pensionsleistungen. …
§ 2
Arten der Pensionsleistungen
1.
Die Leistungen nach dieser Pensionsordnung bestehen in der Zahlung von laufenden Pensionen. Sie werden gewährt als Altersrenten, als Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeitsrenten, als Witwenrenten und Waisenrenten.
…
§ 3
Voraussetzungen für die Pensionsleistungen
1.
Der Anspruch auf Pensionsleistungen entsteht nach Eintritt des Versorgungsfalles, wenn bis zu diesem Zeitpunkt von dem Betriebsangehörigen das 30. Lebensjahr vollendet und eine Wartezeit von 5 (fünf) anrechenbaren Dienstjahren erfüllt ist.
…
§ 4
Höhe der Pensionsleistungen
1.
Die Pensionen an die Betriebsangehörigen (Altersrenten, Invalidenrenten) ergeben sich aus den Steigerungsbeträgen nach Dienstjahren und bei vorzeitigen Versorgungsfällen evtl. aus Zurechnungszeiten. Für jedes anrechnungsfähige Dienstjahr beträgt der Steigerungssatz 0,5 % der ruhegeldfähigen Bezüge. Der Höchstsatz der Rente wird auf 22,5 % festgelegt; dieser wird nach 45 Dienstjahren erreicht. …
…
§ 5
Anrechnungsfähige Dienstjahre
1.
Als anrechnungsfähige Dienstjahre gelten alle von dem Betriebsangehörigen nach Vollendung des 20. Lebensjahres ohne Unterbrechung in den Diensten der Firma verbrachten vollen Jahre. Angefangene Dienstjahre von mehr als 6 Monaten gelten als volles anrechnungsfähiges Dienstjahr.
…
§ 6
Berechnungsgrundlage der betriebl. Altersversorgung
1.
Für die Errechnung der Pensionsleistungen wegen Erreichen der Altersgrenze ist der ein Jahr vor dem Ausscheiden zum nächstliegenden Stichtag – 1. Januar / 1. Juli – gültige Brutto-Monatsbezug maßgebend; …
…
§ 7
Bestimmungen über den Eintritt des Versorgungsfalles
1.
Als Eintritt des Versorgungsfalles gilt für die Altersrente das Erreichen der Altersgrenze. Als feste Altersgrenze wird die Vollendung des 65. Lebensjahres festgelegt. Die Zahlung der Altersrente erfolgt nach dem Ausscheiden des Berechtigten aus den Diensten der Firma.
Betriebsangehörige, die das Altersruhegeld aus der gesetzlichen Rentenversicherung vor Vollendung des 65. Lebensjahres in Anspruch nehmen und aus diesem Grunde das Arbeitsverhältnis beenden, erhalten die vorgezogene Altersrente. In diesen Fällen wird die nach § 4 erreichbare Rente wegen des vorgezogenen Rentenbeginns für jeden Monat des vorzeitigen Beginns um 0,5 % ihres Betrages gekürzt.“
3
Das Arbeitsverhältnis des Klägers bestand seit September 1998 mit der B GmbH fort. Diese firmierte im Jahr 2000 in T F GmbH (im Folgenden T F) um. Sie kündigte die PO 1979 zum 31. März 2003.
4
Durch Beschluss des Amtsgerichts Köln vom 1. März 2009 (- 74 IN 338/08 -) wurde über das Vermögen der T F das Insolvenzverfahren eröffnet. Mit Zustimmung des Insolvenzverwalters wurde deren Geschäftsbetrieb fortgesetzt. Die Betriebe der T F gingen am 22. April 2009 nach § 613a Abs. 1 BGB auf die F O GmbH über, die ab Juni 2009 erneut als T F GmbH firmierte. Zum 1. Januar 2010 erfolgte „im Rahmen einer internen Umstrukturierung“ eine Überführung des Arbeitsverhältnisses auf die T E GmbH, die Beklagte des vorliegenden Rechtsstreits.
5
Der Pensions-Sicherungs-Verein (im Folgenden PSV) erteilte dem Kläger einen Anwartschaftsausweis, aus dem sich eine insolvenzgesicherte Anwartschaft auf eine betriebliche Altersrente bei Vollendung des 65. Lebensjahres iHv. 816,99 Euro monatlich ergibt. Bei der Berechnung legte der PSV den zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 1. März 2009 maßgeblichen Bruttomonatsbezug des Klägers zugrunde.
6
Der Kläger schied mit Ablauf des 31. Juli 2015 aus dem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten aus. Seit dem 1. August 2015 gewähren ihm die Beklagte eine betriebliche Altersrente auf der Grundlage der PO 1979 iHv. 145,03 Euro monatlich und der PSV iHv. 816,99 Euro monatlich.
7
Der Kläger hat geltend gemacht, die Beklagte müsse ihm eine höhere Betriebsrente zahlen. Sie dürfe von der sich nach der PO 1979 zu berechnenden Altersrente nur die vom PSV erbrachte Leistung in Abzug bringen. Durch die PO 1979 sei eine endgehaltsbezogene Versorgung zugesagt worden. Die Beschränkung des § 613a BGB bei einem Betriebsübergang in der Insolvenz habe nicht zur Folge, dass der Erwerber hinsichtlich der vor dem Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung liegenden anrechnungsfähigen Dienstjahre nicht für die sich aus dem Endgehaltsbezug ergebende Gehaltsdynamik hafte. Aus § 7 Abs. 2 BetrAVG (jetzt § 7 Abs. 2 und Abs. 2a BetrAVG nF) folge nichts anderes. Danach beschränke sich die Haftung des PSV wegen des Festschreibeeffektes und der Veränderungssperre nach § 7 Abs. 2 Satz 6 BetrAVG (jetzt § 7 Abs. 2a Satz 4 BetrAVG nF) zwar nur auf den Teil der Altersrente, der unter Berücksichtigung des bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens maßgebenden Gehalts anteilig erdient worden sei. Die Vorschrift regle jedoch nur den Umfang der Eintrittspflicht des PSV. Auch der Anspruchsübergang in § 9 Abs. 2 Satz 1 BetrAVG erfasse lediglich den Teil der Anwartschaft, für den der PSV einzutreten habe. Auf der Grundlage der PO 1979 ergebe sich nach 45 anrechnungsfähigen Dienstjahren bei der Beklagten bzw. ihren Rechtsvorgängerinnen und einem versorgungsfähigen Brutto-Monatsbezug iHv. 4.940,00 Euro eine monatliche betriebliche Altersrente von 1.111,50 Euro brutto. Nach Abzug des vom PSV geleisteten Betrags schulde die Beklagte eine um 149,48 Euro brutto monatlich höhere Rente.
8
Der Kläger hat beantragt,
1.
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 747,00 Euro nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
2.
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, an ihn monatlich ab dem 1. Januar 2016 neben den mit Schreiben vom 30. Juli 2015 zugesagten 145,03 Euro weitere 149,48 Euro als betriebliche Altersversorgung zu zahlen.
9
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Bei einem Betriebsübergang in der Insolvenz hafte der Erwerber nicht für die vor der Insolvenz erdienten Anwartschaften, sondern entsprechend § 2 Abs. 1 BetrAVG nur zeitanteilig für den Teil der nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens liegenden Betriebszugehörigkeitszeit. Die vor der Insolvenzeröffnung erworbenen unverfallbaren Anwartschaften unterlägen den insolvenzrechtlichen Verteilungsgrundsätzen und den Vorschriften der Insolvenzsicherung durch den PSV.
10
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Klägers, mit der dieser den Zahlungsantrag auf 1.195,84 Euro nebst Zinsen ab dem 13. August 2016, dem Tag nach der Zustellung der Berufungsbegründung, erweitert hat, das Urteil des Arbeitsgerichts teilweise abgeändert und die Beklagte verurteilt, an den Kläger rückständige Betriebsrente für die Zeit vom 1. August 2015 bis zum 31. März 2016 iHv. 58,08 Euro nebst Zinsen seit dem 13. August 2016 zu zahlen und festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger monatlich ab dem 1. April 2016 neben den mit Schreiben vom 30. Juli 2015 zugesagten 145,03 Euro weitere 7,26 Euro Altersrente zu zahlen. Im Übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger seine darüberhinausgehenden Klageanträge weiter. Die Beklagte erstrebt mit ihrer Revision die Wiederherstellung des arbeitsgerichtlichen Urteils.
11
Mit Beschluss vom 16. Oktober 2018 (- 3 AZR 139/17 [A] – BAGE 164, 1), berichtigt durch Beschluss vom 11. Dezember 2018, hat der Senat das Revisionsverfahren ausgesetzt und den Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 AEUV um die Beantwortung folgender Fragen ersucht:
„1.
Erlaubt Art. 3 Absatz 4 der Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. März 2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen bei einem Betriebsübergang nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Betriebsveräußerers im nationalen Recht, welches grundsätzlich die Anwendung von Art. 3 Absatz 1 und Absatz 3 der Richtlinie 2001/23/EG auch für die Rechte der Arbeitnehmer auf Leistungen bei Alter, Invalidität oder für Hinterbliebene aus betrieblichen oder überbetrieblichen Zusatzversorgungseinrichtungen bei einem Betriebsübergang anordnet, eine Einschränkung dahingehend, dass der Erwerber nicht für Anwartschaften haftet, die auf Beschäftigungszeiten vor der Insolvenzeröffnung beruhen?
2.
Falls die erste Vorlagefrage bejaht wird:
Richten sich die nach Art. 3 Absatz 4 Buchstabe b der Richtlinie 2001/23/EG notwendigen Maßnahmen zum Schutz der Interessen der Arbeitnehmer hinsichtlich ihrer Rechte oder Anwartschaftsrechte auf Leistungen bei Alter aus betrieblichen oder überbetrieblichen Zusatzversorgungseinrichtungen bei einem Betriebsübergang nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Betriebsveräußerers nach dem von Art. 8 der Richtlinie 2008/94/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers geforderten Schutzniveau?
3.
Falls die zweite Vorlagefrage verneint wird:
Ist Art. 3 Absatz 4 Buchstabe b der Richtlinie 2001/23/EG dahin auszulegen, dass die notwendigen Maßnahmen zum Schutz der Interessen der Arbeitnehmer hinsichtlich ihrer Rechte oder Anwartschaftsrechte auf Leistungen bei Alter aus betrieblichen oder überbetrieblichen Zusatzversorgungseinrichtungen getroffen sind, wenn das nationale Recht vorsieht, dass
–
die Verpflichtung, dem vom Betriebsübergang in der Insolvenz erfassten Arbeitnehmer aus der betrieblichen oder überbetrieblichen Zusatzversorgungseinrichtung künftig eine Leistung bei Alter zu gewähren, grundsätzlich auf den Betriebserwerber übergeht,
–
der Betriebserwerber für Versorgungsanwartschaften, deren Höhe sich unter anderem nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit und des Arbeitsentgelts bei Eintritt des Versorgungsfalls bestimmt, in dem Umfang haftet, in dem diese auf die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erbrachten Zeiten der Betriebszugehörigkeit beruhen,
–
der nach nationalem Recht bestimmte Träger der Insolvenzsicherung in diesem Fall für den vor der Insolvenzeröffnung erworbenen Teil der Versorgungsanwartschaft insoweit einzutreten hat, als dessen Höhe sich nach dem zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung vom Arbeitnehmer bezogenen Arbeitsentgelt errechnet, und
–
weder der Erwerber noch der Träger der Insolvenzsicherung für die Steigerungen der Versorgungsanwartschaft haften, die durch zwar nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens stattfindende Erhöhungen des Arbeitsentgelts, aber für vor diesem Zeitpunkt erbrachte Zeiten der Betriebszugehörigkeit erfolgen,
–
der Arbeitnehmer diese wertmäßige Differenz seiner Anwartschaft aber im Insolvenzverfahren des Veräußerers geltend machen kann?
4.
Ist, wenn das nationale Recht die Anwendung von Art. 3 und Art. 4 der Richtlinie 2001/23/EG im Fall eines Betriebsübergangs auch während eines Insolvenzverfahrens anordnet, Art. 5 Absatz 2 Buchstabe a der Richtlinie 2001/23/EG auf Versorgungsanwartschaften der Arbeitnehmer aus betrieblichen oder überbetrieblichen Zusatzversorgungseinrichtungen anwendbar, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zwar bereits entstanden sind, jedoch erst bei Eintritt des Versorgungsfalls und damit erst zu einem späteren Zeitpunkt zu Leistungsansprüchen der Arbeitnehmer führen?
5.
Falls die zweite oder die vierte Vorlagefrage bejaht werden:
Erfasst das nach Art. 8 der Richtlinie 2008/94/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers von den Mitgliedstaaten zu gewährende Mindestschutzniveau auch den Teil der zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung erworbenen Versorgungsanwartschaft, der nur deshalb entsteht, weil das Arbeitsverhältnis nicht im Zusammenhang mit der Insolvenz beendet wird?
6.
Falls die fünfte Vorlagefrage bejaht wird:
Unter welchen Umständen können die durch die Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers erlittenen Verluste des ehemaligen Arbeitnehmers bei den Leistungen der betrieblichen Altersversorgung als offensichtlich unverhältnismäßig angesehen werden und damit die Mitgliedstaaten verpflichten, hiergegen einen Mindestschutz nach Art. 8 der Richtlinie 2008/94/EG zu gewährleisten, obwohl der ehemalige Arbeitnehmer mindestens die Hälfte der Leistungen erhält, die sich aus seinen erworbenen Rentenansprüchen ergeben?
7.
Falls die fünfte Vorlagefrage bejaht wird:
Wird ein nach Art. 3 Absatz 4 Buchstabe b der Richtlinie 2001/23/EG oder Art. 5 Absatz 2 Buchstabe a der Richtlinie 2001/23/EG erforderlicher – Art. 8 der Richtlinie 2008/94/EG gleichwertiger – Schutz für Versorgungsanwartschaften der Arbeitnehmer auch dann gewährt, wenn sich dieser nicht aus dem nationalen Recht, sondern nur aus einer unmittelbaren Anwendung von Art. 8 der Richtlinie 2008/94/EG ergibt?
8.
Falls die siebte Vorlagefrage bejaht wird:
Entfaltet Art. 8 der Richtlinie 2008/94/EG auch dann unmittelbare Wirkung, sodass er von einem einzelnen Arbeitnehmer vor dem nationalen Gericht geltend gemacht werden kann, wenn dieser zwar mindestens die Hälfte der Leistungen erhält, die sich aus seinen erworbenen Rentenansprüchen ergeben, seine durch die Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers erlittenen Verluste aber dennoch als unverhältnismäßig anzusehen sind?
9.
Falls die achte Vorlagefrage bejaht wird:
Ist eine privatrechtlich organisierte Einrichtung, die von dem Mitgliedstaat – für die Arbeitgeber verpflichtend – als Träger der Insolvenzsicherung der betrieblichen Altersversorgung bestimmt ist, der staatlichen Finanzdienstleistungsaufsicht unterliegt sowie die für die Insolvenzsicherung erforderlichen Beiträge kraft öffentlichen Rechts von den Arbeitgebern erhebt und wie eine Behörde die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung durch Verwaltungsakt herstellen kann, eine öffentliche Stelle des Mitgliedstaates?“
12
Mit Urteil vom 9. September 2020 (- C-674/18 und C-675/18 – [TMD Friction]) hat der Gerichtshof der Europäischen Union wie folgt erkannt:
„1.
Die Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. März 2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen ist, insbesondere unter Berücksichtigung ihres Art. 3 Abs. 1 und 4 sowie ihres Art. 5 Abs. 2 Buchst. a, dahin auszulegen, dass sie beim Übergang eines von einem Insolvenzverfahren betroffenen Betriebs, der von dessen Insolvenzverwalter durchgeführt wurde, einer nationalen Regelung in ihrer Auslegung durch die nationale Rechtsprechung, wonach der Erwerber nicht für Anwartschaften eines Arbeitnehmers auf eine Altersrente aus einer betrieblichen Zusatzversorgungseinrichtung, die auf Beschäftigungszeiten vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens beruhen, haftet, wenn der Versorgungsfall nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens eintritt, nicht entgegensteht, sofern hinsichtlich des Teils des Betrags, für den der Erwerber nicht haftet, die zum Schutz der Interessen der Arbeitnehmer getroffenen Maßnahmen ein Schutzniveau bieten, das dem von Art. 8 der Richtlinie 2008/94/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers geforderten zumindest gleichwertig ist.
2.
Art. 3 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2001/23 in Verbindung mit Art. 8 der Richtlinie 2008/94 ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung in ihrer Auslegung durch die nationale Rechtsprechung entgegensteht, die bei Eintritt des Versorgungsfalls für Rechte auf Leistungen bei Alter aus einer betrieblichen Zusatzversorgungseinrichtung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens, während dessen der Betrieb übergegangen ist, und hinsichtlich des Teils der Leistungen, der nicht vom Erwerber zu tragen ist, vorsieht, dass zum einen der nach nationalem Recht bestimmte Träger der Insolvenzsicherung nicht eintreten muss, wenn die Anwartschaften auf Leistungen bei Alter zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch nicht unverfallbar waren, und dass zum anderen der Betrag des Teils der Leistungen, für den der Träger der Insolvenzsicherung haftet, auf der Grundlage der monatlichen Bruttovergütung des betreffenden Arbeitnehmers zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens berechnet wird, wenn sich daraus ergibt, dass den Arbeitnehmern der durch diese Bestimmung gewährte Mindestschutz verwehrt wird, was das vorlegende Gericht zu prüfen hat.
3.
Art. 8 der Richtlinie 2008/94 kann, soweit er einen Mindestschutz der erworbenen Rechte oder Anwartschaftsrechte der Arbeitnehmer auf Leistungen bei Alter vorsieht, unmittelbare Wirkung entfalten, so dass er gegenüber einer privatrechtlich organisierten Einrichtung, die vom betreffenden Mitgliedstaat als Träger der Arbeitgeberinsolvenzsicherung im Bereich der betrieblichen Altersversorgung bestimmt worden ist, geltend gemacht werden kann, sofern zum einen diese Einrichtung in Anbetracht der Aufgabe der Sicherung, mit der sie betraut ist, und der Bedingungen, unter denen sie sie erfüllt, dem Staat gleichgestellt werden kann und zum anderen sich diese Aufgabe tatsächlich auf die Arten von Leistungen bei Alter erstreckt, für die der in Art. 8 dieser Richtlinie vorgesehene Mindestschutz verlangt wird, was vom vorlegenden Gericht festzustellen ist.“
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