Bankrecht

Verwirkung des Widerspruchsrechts bei einer im Policenmodell abgeschlossenen Lebensversicherung

Aktenzeichen  25 U 30/19

Datum:
18.2.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 48809
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
VVG aF § 5a
BGB § 242

 

Leitsatz

Auch dem nicht ordnungsgemäß belehrten Versicherungsnehmer einer im sog. Policenmodell abgeschlossenen Lebensversicherung kann die Berufung auf sein Widerspruchsrecht nach § 5a VVG aF wegen Rechtsmissbrauchs verwehrt sein. Hierbei ist es nicht zu beanstanden, wenn der Tatrichter angesichts des langen Zeitablaufs zwischen Abschluss des Versicherungsvertrages und Ausübung des Widerspruchsrechts an das für eine Verwirkung erforderliche Umstandsmoment nur noch geringe Anforderungen stellt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Widerspruchsbelehrung nur geringfügige Defizite aufweist und der Versicherungsnehmer sein Widerspruchsrecht weit über 9 Jahre nach einer Kündigung ausübt. (Rn. 2) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

23 O 6497/18 2018-11-29 Urt LGMUENCHENI LG München I

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 29.11.2018, Az. 23 O 6497/18, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.

Gründe

Nach einstimmiger Auffassung des Senats hat das Landgericht die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen.
Die Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben im Einzelfall obliegt grundsätzlich dem Tatrichter (BGH, Hinweisbeschluss vom 27.9.2017 – Az. IV ZR 506/15, NJW-RR 2018, 161 BGH, Beschluss vom 11.11.2015 – Az. IV ZR 117/15 vgl. auch BGH, Beschluss vom 23.01.2018 – Az. XI ZR 298/17, Rn. 9, juris, zu Verbraucherkreditverträgen). Ob ein schutzwürdiges Vertrauen des Versicherers auf den Bestand des Versicherungsvertrags angenommen werden kann, bleibt der tatrichterlichen Beurteilung vorbehalten (BGH, Urteil vom 26.09.2018 – Az. IV ZR 304/15, Rn. 23; BGH, Urteil vom 01.06.2016 – IV ZR 482/14, NJOZ 2016, 1370; OLG Karlsruhe, Urteil vom 30.05.2018 – Az. 12 U 14/18). Der Senat teilt die Auffassung des Landgerichts, dass vorliegend – auch wenn die Belehrungen (Anlagen 3 e und 3 a) nicht ausreichend drucktechnisch hervorgehoben sind – sich die Klagepartei rechtsmissbräuchlich auf ein Widerspruchsrecht beruft. Die Ausführungen des Landgerichts hierzu (nach dem langen Zeitablauf seien an das für eine Verwirkung erforderliche Umstandsmoment nur noch geringe Anforderungen zu stellen – diese seien vorliegend erfüllt) überzeugen vollumfänglich. Mit Recht verweist das Landgericht hierbei auf die nur geringfügigen Defizite der Belehrungen (die Beklagte hat sich ersichtlich um eine ordnungsgemäße Belehrung bemüht; sie hat nicht versucht, die Belehrung in einem größeren Text zu verstecken und damit eine Kenntnis des Widerspruchsrechtes zu verhindern) sowie darauf, dass der Vertrag lange Zeit durchgeführt, dann nach einer Kündigung rückabgewickelt wurde und der Kläger danach noch weit über 9 Jahre hat verstreichen lassen, bis er den Widerspruch erklärt hat.
Die Ausführungen in der Berufung stellen die Bewertung des Landgerichts nicht in Frage.
1. Die zitierte Entscheidungen (OLG Frankfurt/ Main, Urteil vom 10.01.2018 – Az. 17 U 134/17) wurde im dortigen Einzelfall getroffen (dort war die Belehrung inhaltlich unzutreffend und ließ den Darlehnsnehmer im Unklaren über den Beginn der Widerrufsfrist) und betrifft einen Darlehnsvertrag. Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass die maßgebliche Frist für das Zeitmoment mit dem Zustandekommen des Verbraucherdarlehensvertrags anläuft, dagegen betrifft der Zeitraum zwischen der Beendigung des Verbraucherdarlehensvertrags und dem Widerruf nicht das Zeitmoment. Beim Umstandsmoment kann gerade bei beendeten Verbraucherdarlehensverträgen das Vertrauen des Unternehmers auf ein Unterbleiben des Widerrufs schutzwürdig sein, auch wenn die von ihm erteilte Widerrufsbelehrung ursprünglich den gesetzlichen Vorschriften nicht entsprach und er es in der Folgezeit versäumt hat, den Verbraucher nachzubelehren (BGH, Beschluss vom 23.01.2018 – Az. XI ZR 298/17, BeckRS 2018, 3224). Übertragen auf den vorliegenden Fall bedeutet das, dass die hier (anders als im Fall des OLG Frankfurt) sehr lange Frist von über 9 Jahren zwischen Abwicklung und Widerspruch das Umstandsmoment betrifft.
2. Der Einwand, die Beklagte habe nicht ausreichend vorgetragen, dass sie sich darauf eingerichtet habe, dass der Kläger künftig sein Widerspruchsrecht nicht ausüben würde, verhilft der Berufung nicht zum Erfolg. Die Beklagte hat vorgetragen, dass der Kläger in der Vertragslaufzeit stets zu erkennen gegeben habe, dass er von einem wirksamen Vertrag ausging (Bl. 33 d.A.), der Kläger habe auch zum Ausdruck gebracht, dass es durch die Kündigung mit dem Vertrag sein Bewenden habe und er keine weiteren Ansprüche geltend machen werde (Bl. 42 d.A.). Weiter hat die Beklagte vorgetragen, zur Zeit des Widerspruchs hätte sie bereits darauf vertrauen dürfen, dass der Kläger keine Nachforderungsansprüche erheben würde (Bl. 79 d.A.). Schließlich hat die Beklagte sich auf mehrere Entscheidungen berufen, in denen ausgeführt ist, dass das Versicherungsunternehmen darauf vertrauen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden. Dieser Sachvortrag genügt. Es liegt auch auf der Hand und entspricht der Lebenserfahrung, dass die Beklagte auf den Bestand des Vertrages vertraut hat und sie sich auch darauf eingerichtet hat, dass der Vertrag wirksam ist und bleibt.
3. Eine Verwirkung kann nicht nur dann angenommen werden, wenn die 5 in der Berufungsschrift (S. 10,11, Bl. 122,123 d.A.) genannten Umstände insgesamt oder einzeln vorliegen. Wie oben dargestellt ist im Einzelfall zu prüfen, ob die Grundsätze von Treu und Glauben anzuwenden sind und insbesondere, ob ein schutzwürdiges Vertrauen des Versicherers auf den Bestand des Versicherungsvertrags angenommen werden kann. In einer Vielzahl von unterschiedlichen Fallgestaltungen wurde trotz nicht ausreichender Widerspruchsbelehrung eine Rückabwicklung abgelehnt, da einer solchen Treu und Glauben entgegenstand (BGH, Beschluss vom 27.01.2016 – Az. IV ZR 130/15, vom Kläger bereits zitiert; vgl. auch BGH, Urteil vom 29.07.2015 – Az. IV ZR 384/14, r+s 2015, 435: offengelassen für nur marginale Fehler in der Widerspruchsbelehrung; OLG Hamm, Urteil vom 13.01.2017 – Az. 20 U 159/16 – die Nichtzulassungsbeschwerde wurde vom BGH am 6.12.2017 unter Az. IV ZR 51/17 zurückgewiesen; Senat, Beschluss vom 23.10.2018 – Az. 25 U 2138/18; Senat, Urteil vom 31.08.2018 -Az. 25 U 607/18; Senat, Beschluss vom 10.07.2018 – Az. 25 U 685/18; Senat, Beschluss vom 17.04.2018 – Az. 25 U 373/18; Senat, Urteil vom 13.04.2018 – Az. 25 U 2581/16; Senat, Beschluss vom 15.01.2018 – Az. 25 U 3770/17; Senat, Urteil vom 21.04.2015 – Az. 25 U 3877/11; OLG Hamm, Beschluss vom 19.09.2018 -Az. I -20 U 102/18; OLG Karlsruhe, Urteil vom 30.05.2018 – Az. 12 U 14/18 OLG Karlsruhe, Urteil vom 06.12.2016 – Az. 12 U 137/16; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 24.10.2016 – Az. I-4 U 131/16; KG, Urteil vom 12.04.2016 – Az. 6 U 102/15 – rechtskräftig; OLG Köln, Urteil vom 26.02.2016 – Az. 20 U 178/15; OLG Dresden, Urteil vom 26.08.2015 – Az. 7 U 146/15, VersR 2015,1498; OLG Frankfurt/Main, Urteil vom 19.10.2015 – Az. 3 U 49/15; OLG Stuttgart, Urteil vom 06.11.2014 – Az. 7 U 147/10 – VersR 2015, 878; LG Wiesbaden, Urteil vom 12.02.2015 – Az. 9 O 116/14, bestätigt durch OLG Frankfurt/Main, Urteil vom 19.11.2015 – Az. 3 U 49/15; BGH, Beschlüsse vom 11.11.2015 und 13.01.2016 – Az. IV ZR 117/15, BeckRS 2016, 02174, NJW 2016, 375 für die Belehrung nach § 8 VVG a.F.; BGH, Beschluss vom 23.01.2018 – Az. XI ZR 298/17, Rn. 16, juris, zu Belehrungen in Verbraucherdarlehensverträgen).
4. Eine Vorlage an den EuGH nach Art. 267 AEUV in Hinblick auf eine etwaige Europarechtswidrigkeit des Policenmodells ist nicht veranlasst. Denn darauf kommt es nicht entscheidungserheblich an. Ohne Entscheidungserheblichkeit besteht weder eine Vorlagepflicht, noch ein Vorlagerecht. Dass eine Vorlage zur Beurteilung der Frage des Verstoßes gegen Treu und Glauben wegen widersprüchlicher Rechtsausübung nicht veranlasst ist, entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (Urteil vom 16.07.2014 – Az. IV ZR 73/13, Urteil vom 10.06.2015 – Az. IV ZR 105/13 und Beschlüsse vom 30.07.2015 – Az. IV ZR 63/13, 17.08.2015 und 19.10.2015- Az. IV ZR 310/14) und des Bundesverfassungsgerichts (Entscheidung vom 02.02.2015 – Az. 2 BvR 2437/14). Dem folgt der Senat in ständiger Rechtsprechung (vgl. z.B. Beschluss vom 01.06.2015 – Az. 25 U 3379/14, Beschluss vom 15.07.2015 – Az. 25 U 3266/14, Beschluss vom 16.07.2015 – Az. 25 U 416/14), auf die zur Begründung ergänzend Bezug zu nehmen ist. Die Annahme einer Verwirkung im vorliegenden Fall hindert nicht die effektive Durchsetzung des Gemeinschaftsrechtes. Der EuGH hat das Rechtsmissbrauchsverbot als allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts im Urteil vom 05.07.2007, Kofoed, C-321/05, Slg. 2007, I-5795, Rn. 37, 38, ausdrücklich anerkannt.
5. Zwar schließt eine Kündigung und eine darauf folgende einvernehmliche Auszahlung des Rückkaufswertes einer Lebensversicherung – wenn der Versicherungsnehmer nicht ausreichend belehrt wurde oder auf andere Weise Kenntnis von seinem Widerrufsrecht hatte – den späteren Widerspruch/Widerruf des Vertrages nicht aus (BGH, Urteil vom 13.09.2017 – Az. IV ZR 445/14, zfs 2017, 629; BGH, Urteil vom 17.05.2017 – Az. IV ZR 499/14 BGH, Entscheidung vom 16.10.2013 – Az. IV ZR 52/12). Das verbietet aber nicht, die einvernehmliche Vertragsabwicklung bei der Würdigung, ob die Ausübung des Widerspruchsrechts im Einzelfall rechtsmissbräuchlich ist, zu berücksichtigen. Der Zeitablauf zwischen Kündigung und Widerspruch ist in die Bewertung miteinzubeziehen.
Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt der Senat aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).

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