Aktenzeichen M 8 K 15.733
Leitsatz
Was den Begriff der Ausübung der „freien“ und der diesen „ähnlichen“ Berufe im Sinne des § 13 BauNVO miteinander verbindet, ist das Angebot persönlicher Dienstleistungen, die vorwiegend auf individuellen geistigen Leistungen oder sonstigen persönlichen Fertigkeiten beruhen und in der Regel in unabhängiger Stellung einem unbegrenzten Personenkreis angeboten werden (hier zulässige freiberufliche Tätigkeit einer Yogalehrerin in reinem Wohngebiet bejaht). (Rn. 44) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Soweit die Hauptsache für erledigt erklärt wurde, wird das Verfahren eingestellt.
II. Der Bescheid vom 16. Februar 2015 (Az.:* …*) wird aufgehoben.
III. Die Beklagte wird verpflichtet, die Baugenehmigung nach Plan-Nr. … (Bauantrag vom 5. Dezember 2014) unter der auflösenden Bedingung zu erteilen, dass die Wohnnutzung und die streitgegenständliche freiberufliche Nutzung von ein und derselben Person ausgeübt werden.
IV. Die Kosten des Verfahrens haben die Klägerin und die Beklagte je zur Hälfte zu tragen.
V. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
Soweit die Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt wurde, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen. Zwar sieht das Gesetz insoweit eine Einstellung durch Beschluss vor. Bei einer nur teilweisen Erledigung der Hauptsache bzw. einer nur teilweisen Rücknahme kann diese Entscheidung aber auch im Urteil getroffen werden (vgl. BVerwG v. 6.2.1963 – NJW 1963, 923).
II.
Die Klage ist – soweit sie aufrechterhalten wurde – zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
Der Klägerin steht ein Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung unter der auflösenden Bedingung zu, dass die Wohnnutzung und die streitgegenständliche Nutzung der Kellerräume von ein und derselben Person ausgeübt werden. Vorliegend ist kein Grund erkennbar, der geeignet wäre, die Ablehnung einer auflösend bedingten Nutzungsänderungsgenehmigung zu rechtfertigen, sodass das der Beklagten zustehende Ermessen auf Null reduziert und die Verwaltungsstreitsache damit spruchreif ist, vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
1. Die mit Bauantrag vom 5. Dezember 2014 beantragte Nutzungsänderung des Hobbyraums im Kellergeschoss des Anwesens …straße 23 ist bauplanungsrechtlich zulässig.
Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens richtet sich im Hinblick auf das übergeleitete Bauliniengefüge nach § 30 Abs. 3 i.V.m. § 34 BauGB. Übereinstimmend mit den Beteiligten geht das Gericht davon aus, dass es sich bei dem Quartier, in dem die streitgegenständliche Nutzung ausgeübt werden soll, um ein faktisches Reines Wohngebiet (WR) im Sinne des § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 3 BauNVO handelt.
1.1 Die beabsichtigte Umnutzung der Räumlichkeiten in dem Kellergeschoss des Anwesens der Klägerin ist gemäß § 13 BauNVO in einem faktischen Reinen Wohngebiet im Sinne des § 3 BauNVO bauplanungsrechtlich zulässig.
1.1.1 Nach § 13 BauNVO sind in den Baugebieten nach §§ 2 – 4 BauNVO Räume für die Berufsausübung freiberuflich Tätiger und solcher Gewerbetreibender, die ihren Beruf in ähnlicher Weise ausüben, zulässig. Die Vorschrift will erkennbar nicht die Nutzung von Räumen durch alle Art von Gewerbetreibenden zulassen, die in den jeweiligen Baugebieten nicht stören, sondern nur die Nutzung durch freiberuflich Tätige oder ähnlich tätige Gewerbetreibende. Der Gesetzgeber hat sich zur Umschreibung der beiden angesprochenen Berufsgruppen unbestimmter Rechtsbegriffe bedient, die nicht eindeutig sind und der Auslegung, insbesondere unter Heranziehung des § 18 Abs. 1 Einkommensteuergesetzes (EStG) bedürfen (vgl. BVerwG, U.v. 20.1.1984 – 4 C 56.80 – juris Rn. 10 und U.v. 30.1.1970 – 4 C 143.65 – BauR 1970, 91). Auch § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG definiert den Begriff der freiberuflichen Tätigkeit nicht, sondern umschreibt ihn mittels einer Aneinanderreihung folgender Beispiele: „… die selbstständig ausgeübte wissenschaftliche, künstlerische, schriftstellerische, unterrichtende oder erzieherische Tätigkeit, die selbstständige Berufstätigkeit der Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Rechtsanwälte, Notare, Heilpraktiker, Dentisten, Krankengymnasten, Journalisten, und ähnlicher Berufe.“ Voraussetzung ist nach Satz 3 der Vorschrift, dass der Betreffende aufgrund eigener Fachkenntnisse leitend und eigenverantwortlich tätig wird.
Was den Begriff der „freien“ und der diesen „ähnlichen“ Berufe miteinander verbindet, ist das Angebot persönlicher Dienstleistungen, die vorwiegend auf individuellen geistigen Leistungen oder sonstigen persönlichen Fertigkeiten beruhen und in der Regel in unabhängiger Stellung einem unbegrenzten Personenkreis angeboten werden. Dies entspricht auch der in § 1 Abs. 2 PartGG enthaltenen Charakterisierung der Art der Tätigkeit freier Berufe. Hiernach haben die freien Berufe im Allgemeinen auf der Grundlage besonderer beruflicher Qualifikation oder schöpferischer Begabung die persönliche, eigenverantwortliche und fachlich unabhängige Erbringung von Dienstleistungen höherer Art im Interesse der Auftraggeber und der Allgemeinheit zum Inhalt. Auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs sind – allerdings in anderem rechtlichen Zusammenhang – als hervorgehobene Merkmale freiberuflicher Tätigkeit „Leistungen höherer Art“ bzw. eine „hohe Qualifikation“ benannt (OLG NRW, U.v. 25.8.2011 – 2 A 38/10 – juris Rn. 64; BVerfG, B.v. 25.11.1960 – 1 BvR 239/52 – BVerfGE 10, 354 – juris Rn. 45;
EuGH, U.v. 11.10.2001 – C 267/99 – juris Rn. 39).
Zwar setzt die Annahme einer solchen Tätigkeit nicht zwingend voraus, dass sie auf der Grundlage einer besonders qualifizierten Ausbildung betrieben wird, auch wenn dies herkömmlich mit dem Begriff des freien Berufs verbunden wird (OLG NRW, U.v. 25.8.2011 – 2 A 38/10 – juris Rn. 73 mit Verweis auf VGH Bad.-Württ., B.v. 1.8.2005 – 5 S 1117/05 – juris Rn. 5). Gleichwohl bedarf es eines gewissen, nicht allgemeingültig definierbaren Standards an individueller -namentlich geistiger oder schöpferischer – Qualifikation der Tätigkeit, um den Anwendungsbereich des § 13 BauNVO zu eröffnen. Diesem Standard genügen beispielhaft nicht der Betrieb eines Pudelsalons oder eines Bräunungsstudios (OLG NRW, U.v. 25.8.2011 – 2 A 38/10 – juris Rn. 75 mit Verweis auf BVerwG, B.v. 26.9.1984 – 4 B 219.84 – juris Rn. 4). Auch einer Tätigkeit im Bereich der kosmetischen Fußpflege, die auf Grundlage einer Ausbildung mit einer Dauer von wenigen Tagen erbracht wird, fehlt das erforderliche Mindestmaß an individueller Qualifikation der Dienstleistung (OLG NRW, U.v. 25.8.2011 – 2 A 38/10 – juris Rn. 85, 92).
1.1.2 Gemessen an diesen Vorgaben handelt es sich bei der beruflichen Tätigkeit der Klägerin als Yogalehrerin um eine freiberufliche bzw. gewerbliche Tätigkeit, die in ähnlicher Art ausgeübt wird.
Die Klägerin übt eine lehrende Tätigkeit aus und erbringt damit persönliche Dienstleistungen, die vorwiegend auf ihren persönlichen Fertigkeiten als Yogalehrerin beruhen. Nach den vorgelegten Bauunterlagen bietet sie den Yogaunterricht in unabhängiger Stellung einem unbestimmten Kreis von Interessenten an.
Eine Ausbildung als Yogalehrer/-in unterliegt in der Bundesrepublik Deutschland keinem einheitlichen (Qualitäts-)Standard. Es bestehen unterschiedliche Ausbildungsmöglichkeiten, Prüfungen und Abstufungen mit unterschiedlicher Ausbildungsdauer. Die Klägerin hat dem Gericht eine Kopie des Zertifikats einer Yogaschule vom 4. Februar 2007 vorgelegt, der eine erfolgreiche Teilnahme an der Ausbildung zur „Yogalehrerin“ bescheinigt. Aus einem dem Gericht vorliegenden Schreiben der Ausbilderin der Klägerin vom 26. Juni 2007 ergibt sich, dass die Klägerin an einer intensiven Yogaausbildung in dem Zeitraum vom 8. Dezember 2006 bis 4. Februar 2007 teilgenommen hat, die am 4. Februar 2007 mit einer zweitägigen Prüfung erfolgreich abgeschlossen wurde. Hinzu kommen eine langjährige Yoga-Praxis der Klägerin (seit 2005) sowie Weiterbildungen, die durch Vorlage von Zeugnissen und Zertifikaten belegt wurden.
Hiermit verfügt die Klägerin über ein Mindestmaß an individueller Qualifikation, das für die Annahme einer freiberuflichen bzw. gewerblichen Tätigkeit, die in ähnlicher Art ausgeübt wird, erforderlich ist.
1.1.3 Auch die nach der Rechtsprechung erforderliche „Wohnartigkeit“ der ausgeübten Tätigkeit ist vorliegend zu bejahen.
Nach der vom Gesetzgeber verfolgten Linie und der Entstehungsgeschichte der Vorschrift setzen beide Alternativen des § 13 BauNVO jeweils die „Wohnartigkeit“ der privilegierten Berufsausübung voraus. Damit soll nicht auf ein Nebeneinander von Berufsausübungen und Wohnen in derselben Wohneinheit abgestellt werden, sondern auf die für die freien und ähnlichen Berufe typische wohnähnliche, gleichsam „private Art der Berufsausübung“. Den Berufen soll nicht nur eigen sein, dass sie sich innerhalb von Wohnungen ausüben lassen, sondern ferner, dass die Tätigkeit inhaltlich Beschäftigungen vergleichbar ist, die mehr oder weniger in jeder Wohnung stattfinden oder doch stattfinden können. Die Berufsausübung nach § 13 BauNVO darf nach Art, Gestaltung und Umfang – qualitativ wie quantitativ – die Grenzen einer wohnartigen Betätigung nicht überschreiten (vgl. BVerwG, U.v. 20.1.1984 – 4 C 56/80 – juris Rn. 14; BVerwG, U.v. 25.1.1985 – 4 C 34/81 – juris; OLG NRW, B.v. 29.4.1996 – 11 B 748/96 – juris Rn. 7).
Die sich aus den Bauantragsunterlagen und insbesondere aus der Betriebsbeschreibung vom 5. Dezember 2014 ergebende Unterrichtssituation entspricht nach Auffassung des Gerichts den häuslichen Abläufen und überschreitet von ihrem Umfang her nicht die Grenzen einer wohnartigen Betätigung. Die Unterrichtsstunden selbst erfolgen naturgemäß in ruhiger und entspannter Atmosphäre und haben kein über eine Wohnnutzung hinausgehendes Störpotenzial. Eine Störung der Nachbarschaft durch lautstarke Unterhaltungen oder ähnliches Verhalten der Kursteilnehmer vor oder nach den Unterrichtseinheiten ist erfahrungsgemäß nicht zu erwarten. Bei dem Yoga handelt es sich um eine indische philosophische Lehre, bei der geistige und körperliche Entspannung und Beruhigung sowie Konzentration auf eigenem Körper und Geist im Vordergrund stehen. Diese Zielsetzung der Yogalehre unterscheidet sie vom herkömmlichen Gymnastikunterricht, bei dem ausschließlich körperliche Fitness der Teilnehmer bezweckt wird. Ein störendes Verhalten der Teilnehmer, wie lautstarke Gespräche und Ähnliches widerspricht der Philosophie und Zielsetzung des Yogaunterrichts und ist in der Regel nicht zu erwarten.
Die Zahl der Kursteilnehmer ist nach der Betriebsbeschreibung vom 5. Dezember 2014 auf sechs Teilnehmer pro Kurs beschränkt, wobei der zur Verfügung stehende Yoga-Unterrichtsraum wegen seiner geringen Größe (28,38 m2) – wie auch der gerichtliche Augenschein bestätigte – nicht geeignet ist, eine größere Anzahl an Kursteilnehmern aufzunehmen. Es ist davon auszugehen, dass es sich bei dieser Teilnehmerzahl um eine absolute Obergrenze handelt. Da täglich lediglich zwei Kurse angeboten werden, ist die Zahl der Personen, die die Nachbaranwesen in dem Zufahrtsbereich passieren müssten, auf maximal 12 beschränkt. Dadurch werden die Grenzen einer wohnartigen Betätigung noch nicht überschritten, zumal die Kursteilnehmer mangels zur Verfügung stehender Kfz-Stellplätze gezwungen sind, Yogakurse zu Fuß oder mit dem Fahrrad aufzusuchen. Da auf dem Vorhabengrundstück nur ein Kfz-Stellplatz für Kursbesucher vorhanden ist, ist keine Störung durch zusätzlichen Kfz-Verkehr zu erwarten.
Demnach ist die streitgegenständliche Nutzung grundsätzlich im reinen Wohngebiet verträglich, da sie nicht die Grenzen einer wohnartigen Betätigung überschreitet. In dem vorgesehenen Umfang kann diese Nutzung grundsätzlich in jeder Wohnung stattfinden.
1.1.4 Anwendung des § 13 BauNVO in einem reinen Wohngebiet nach § 3 BauNVO setzt weiter voraus, dass eine freiberufliche oder eine ähnliche gewerbliche Nutzung nur in einzelnen Räumen ausgeübt wird.
Diese Voraussetzung ist vorliegend ebenfalls gegeben. Entgegen der Ansicht der Beklagten überschreitet die Größe der für die berufliche Tätigkeit der Klägerin vorgesehenen Räumlichkeiten den Umfang dessen nicht, was noch als „einzelne Räume“ im Sinne des § 13 BauNVO qualifiziert werden kann.
Für die Beantwortung der Frage, ob sich eine Nutzung noch auf einzelne Räume im Sinne des § 13 BauNVO beschränkt oder ob der Umfang dessen, was noch als einzelne Räume angesehen werden kann, überschritten ist, ist entscheidend, ob bei der Nutzung von „Räumen“ durch freie oder ähnliche Berufe der Charakter des Plangebiets verloren geht. Die Nutzungsänderung muss den jeweiligen Gebietscharakter wahren. Mit der Beschränkung der freiberuflichen Nutzung auf Räume will der Verordnungsgeber verhindern, dass in einem reinen Wohngebiet durch eine zu starke freiberufliche Nutzungsweise -generell – die planerisch unerwünschte Wirkung einer Zurückdrängung der Wohnnutzung und damit einer zumindest teilweisen Umwidmung des Plangebiets eintreten kann. Deshalb darf die freiberufliche Nutzung in Mehrfamilienhäusern nicht mehr als die halbe Anzahl der Wohnungen und nicht mehr als 50% der Wohnfläche in Anspruch nehmen. Im Einzelfall kann eine freiberufliche Nutzung sogar auf wesentlich weniger als 50% der Wohnungsanzahl oder der Wohnfläche zu beschränken sein. Unter besonderen Umständen können diese Grenzen auch etwas überschritten werden. Die geänderte Nutzungsweise darf jedoch nicht für das einzelne Gebäude prägend sein. Der spezifische Gebietscharakter muss – auch für das einzelne Gebäude – gewahrt bleiben (BVerwG, U.v. 18.05.2001 – 4 C 8/00 – juris Rn. 15 m.w.N.).
Bei einem Flächenvergleich, aufgrund dessen im Allgemeinen zu entscheiden ist, ob sich eine freiberufliche Nutzung im Sinne von § 13 BauNVO auf „Räume“ beschränkt, ist in der Regel nur auf Räume des Gebäudes abzustellen, die zum dauernden Aufenthalt objektiv geeignet sind und auch für diesen Zweck genutzt werden sollen. Denn in aller Regel wird ein Gebäude hinsichtlich seiner Nutzungsart nur durch solche Räume geprägt (BayVGH, U.v. 14.5.2001 – 1 B 99.652 – juris Rn. 35; OVG Lüneburg, B.v. 17.8.2007 – 1 LA 37/07 – juris Rn. 6).
1.1.5 Die Anwendung dieser Grundsätze führt vorliegend zu dem Ergebnis, dass die streitgegenständliche Nutzung insoweit den Vorgaben des § 13 BauNVO entspricht.
Ein nach den Vorgaben der Rechtsprechung durchgeführter Flächenvergleich ergibt, dass im vorliegenden Fall die freiberufliche Nutzung der Klägerin lediglich ca. 35% der den Aufenthaltszwecken dienenden Gesamtfläche ihres Reiheneckhauses (95,45 m2) ausmacht und damit deutlich unter der 50%-Grenze der Rechtsprechung liegt. Dies ergibt sich aus folgender Gegenüberstellung:
Wohnnutzung
EG Wohnen/Essen 21,82 m2 Kochen 7,45 m2
1. OG Schlafen 14,96 m2
DG Gast 9,46 m2 Studio 6,3 m2
Gesamt: 59,99 m2 Freiberufliche bzw. gewerbliche Tätigkeit KG Yoga-Pilates Raum 28,38 m2 EG Behandlungsraum 7,08 m2 Gesamt: 35,46 m2
Im Kellergeschoss entfallen die nicht für den dauernden Aufenthalt von Menschen geeigneten Räume wie Eingang, Technikraum, Dusche und Abstellraum. Im Erdgeschoss waren WC und die Diele außer Betracht zu lassen. Im 1. Obergeschoss entfielen das Bad, der Flur, der Luftraum sowie der Hauswirtschaftsraum. Im Dachgeschoss waren nach oben genannten Grundsätzen der Abstellraum und der Hauswirtschaftsraum nicht zu berücksichtigen. Damit beläuft sich die zum dauernden Aufenthalt von Menschen bestimmte Gesamtfläche des Gebäudes auf 95,45 rrP, wovon lediglich 35,46 rrP (ca. 35%) nicht zu Wohnzwecken genutzt werden.
Es sind vorliegend auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass im konkreten Einzelfall bereits deutlich unter 50% liegendes Verhältnis der Wohnnutzung zur freiberuflichen Nutzung ausnahmsweise zum Verlust des Charakters des reinen Wohngebiets führen könnte. Bei dem hier gegebenen Verhältnis von 35% zu 65% kann von einer prägenden Wirkung einer freiberuflichen bzw. gewerblichen Nutzung für das Gebäude nicht ausgegangen werden.
1.2 Die streitgegenständliche Nutzung ist auch nicht wegen eines Verstoßes gegen das Gebot der Rücksichtnahme im Einzelfall unzulässig.
§ 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO – aus dem vorliegend das Gebot der Rücksichtnahme abzuleiten ist – bestimmt, dass ein nach §§ 2 bis 14 BauNVO zulässiges Vorhaben im Einzelfall unzulässig ist, wenn von ihm Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Gebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind.
Das Gebot der Rücksichtnahme zielt darauf ab, Spannungen und Störungen, die durch unverträgliche Grundstücksnutzungen entstehen können, möglichst zu vermeiden. Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab. Für eine sachgerechte Beurteilung kommt es auf eine Abwägung zwischen dem an, was einerseits dem Rücksichtnahmeberechtigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten zuzumuten ist. Rücksichtslos und damit unzulässig ist ein Vorhaben nur dann, wenn es die schutzwürdigen und schutzbedürftigen Belange anderer Nutzungsberechtigter unzumutbar beeinträchtigt, also die Schwelle dessen überschreitet, was diesen billigerweise noch zugemutet werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1/78 – BauR 1981, 354 – juris; U.v. 14.01.1993 – 4 C 19/90 – NVwZ 1993, 1184 – juris). Für die Bestimmung des Maßes des Zumutbaren ist, soweit wie hier das Grundstück in einem faktischen Baugebiet liegt, auf die Eigenart des jeweiligen Baugebiets und die daraus folgenden Anforderungen hinsichtlich der Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit der zulässigen Nutzungen abzustellen. Daneben sind aber auch tatsächlich vorhandene Vorbelastungen zu berücksichtigen (vgl. König/Roeser/Stock, BauNVO, 2. Aufl. 2003, § 15 Rn. 30 m.w.N.).
Das Gericht ist der Überzeugung, dass mit der geplanten Nutzung des Kellerraums als Yogaunterrichtsraum keine Belästigungen und Störungen einhergehen werden, die den Nachbarn – auch unter Berücksichtigung der besonderen Schutzwürdigkeit der Wohnnutzung in einem faktischen reinen Wohngebiet -nicht mehr zugemutet werden können.
Die geplante Nutzung ist durch die Betriebsbeschreibung vom 5. Dezember 2014 in ihrem Umfang eingeschränkt, sodass es maximal zwei Mal am Tag zu einem Teilnehmerverkehr kommen wird, zumal die maximale Teilnehmerzahl auf 12 Personen täglich beschränkt ist, wobei die Teilnehmerzahl von 6 Personen pro Kurs nicht überschreiten wird. An Wochenenden und gesetzlichen Feiertagen, sowie in dem Zeitraum zwischen 11:30 und 18:30 Uhr finden keine Kurse statt. Zu berücksichtigen ist ferner, dass hier der Besucherverkehr ganz überwiegend zu Fuß oder mit dem Fahrrad stattfinden wird, sodass kein nennenswerter zusätzlicher Fahrzeugverkehr entstehen wird.
Es ist vorliegend nicht zu erwarten, dass die Nachbarschaft durch lautstarke Unterhaltungen oder ähnliches Verhalten der Kursteilnehmer vor oder nach den Kursen unzumutbar gestört wird (vgl. unter 1.1.3). Auch eine gewöhnliche Wohnnutzung verursacht einen gewissen Personenverkehr, der auch in einem reinen Wohngebiet üblich und hinzunehmen ist.
Soweit die Beklagte anführt, ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme sei insbesondere deshalb gegeben, da der Unterrichtsraum der Klägerin in dem besonders schützenswerten, rückwärtigen Grundstücksbereich liege, vermag diese Argumentation das Gericht nicht zu überzeugen. Zum einen ist die streitgegenständliche Nutzung in ihrer konkreten Ausgestaltung – wie bereits oben dargestellt – nicht geeignet, eine unzumutbare Beeinträchtigung der Nachbarschaft herbeizuführen. Zum anderen ist bei der Interessenabwägung zu berücksichtigten, dass sich auf der Westseite der Reihenhausanlage in den Erdgeschossen nur Funktionsbereiche befinden, weshalb die Schutzwürdigkeit dieses Bereichs relativiert wird. Zudem befindet sich im rückwärtigen Grundstücksbereich bereits jetzt eine Garage, sodass der Zugangsbereich auf der Westseite durch Kfz-Verkehr vorbelastet ist.
Nach den Gesamtumständen des Falles liegt keine unzumutbare Beeinträchtigung der Nachbarschaft durch die geplante Nutzung vor, sodass ein Verstoß gegen § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO nicht gegeben ist.
2. Die Beklagte hat die Erteilung der beantragten Genehmigung auch mit der Begründung abgelehnt, das Vorhaben verstoße gegen Art. 47 BayBO i.V.m. der Stellplatzsatzung der Beklagten, da dem vor der Garageneinfahrt situierten Stellplatz die geeignete Beschaffenheit im Sinne dieser Vorschrift fehle.
Der Beklagten ist insoweit zuzustimmen, dass ein sog. „gefangener“ Stellplatz regelmäßig nicht den Anforderungen des Art. 47 Abs. 1 Satz 1 BayBO entspricht. Nach dieser Vorschrift müssen Stellplätze in geeigneter Beschaffenheit hergestellt werden, was nach herrschender Meinung bedeutet, dass ihre Benutzbarkeit nicht vom Parkverhalten eines anderen Parkplatzbenutzers abhängt (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, U.v. 22.8.2002 – 1 A 10439/02 – BauR 2002, 1840; BayVGH, B.v. 7.7.2010 – 2 CS 06.1432 – juris Rn. 5; Molitor in Koch/Molitor, BayBO, Stand April 2015, Art. 47 Rn. 68; Würfel in Simon/Busse, BayBO, Stand Februar 2015, Art. 47 Rn. 139). Im Einzelfall kann allerdings auch die Herstellung eines sog. „gefangenen“ Stellplatzes den Anforderungen des Art. 47 Abs. 1 Satz 1 BayBO genügen, wenn durch geeignete Maßnahmen im Einzelfall sichergestellt wird, dass ein Abfahren von dem „gefangenen“ Stellplatz ohne besondere Schwierigkeiten möglich ist und die „gefangenen“ Stellplätze deshalb auch angenommen werden (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, U.v. 22.8.2002 – 1 A 10439/02 – juris Rn. 19).
So liegt der Fall hier, da nach den Umständen des konkreten Falles durch Erteilung einer auflösend bedingten Baugenehmigung gewährleistet werden kann, dass die Benutzung des „gefangenen“ Stellplatzes ohne besondere Schwierigkeiten erfolgen kann und dieser deshalb angenommen wird. Vorliegend wird die Wohnnutzung, der die Garage im rückwärtigen Grundstücksbereich zugeordnet ist, und die freiberufliche Nutzung von ein und derselben Person ausgeübt, weshalb der zur Wohnung gehörende Stellplatz in der Regel während der Dauer der Yogakurse nicht benutzt wird. Dagegen ist die Benutzung des Stellplatzes außerhalb der Kurszeiten uneingeschränkt möglich, da der Besucherstellplatz in diesem Zeitraum regelmäßig nicht genutzt wird. Nur im Falle einer Trennung der Wohnnutzung von der geplanten freiberuflichen Nutzung kann die Nutzbarkeit des Garagenstellplatzes eingeschränkt werden. Der Eintritt dieser Situation kann jedoch durch den Erlass einer auflösend bedingten Genehmigung verhindert werden.
Zwar steht der Beklagten bei der Entscheidung über den Erlass eines im Sinne des Art. 36 Abs. 2 Nr. 2 BayVwVfG bedingten Verwaltungsaktes grundsätzlich ein Ermessen zu. Vorliegend ist jedoch davon auszugehen, dass das grundsätzlich bestehende Ermessen auf Null reduziert ist und eine entsprechende Pflicht der Beklagten besteht.
Eine Ermessensreduzierung auf Null kommt insbesondere dann in Betracht, wenn allgemein oder im konkreten Einzelfall keine Zweckmäßigkeitserwägungen denkbar sind, die eine andere Rechtsfolge unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten rechtfertigen könnten (vgl. BayVGH, U.v. 9. 8.2007 – 25 B 05.1339 – juris Rn. 44).
Wie oben dargestellt, entspricht das streitgegenständliche Vorhaben den bauplanungsrechtlichen Vorschriften und ist damit bauplanungsrechtlich zulässig. Auch Bauordnungskonformität kann insoweit durch eine Verbindung der Baugenehmigung mit einer geeigneten Nebenbestimmung hergestellt werden. Zweckmäßigkeitserwägungen, die hier gegen die Erteilung einer auflösend bedingten Baugenehmigung sprechen würden, sind weder seitens der Beklagten vorgetragen worden noch sonst erkennbar.
III.
Nach alldem war die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin die beantragte Baugenehmigung unter der auflösenden Bedingung zu erteilen, dass die Wohnnutzung der Klägerin und die streitgegenständliche freiberufliche Nutzung im Kellergeschoss des Anwesens …straß 23 von einer und derselben Person ausgeübt werden.
Die Kostenfolge ergibt sich aus §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 2 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.