Aktenzeichen W 4 K 14.1310
UVPG § 2, § 3a, § 3b, § 3c, § 74 Abs. 1
Leitsatz
1. Ein Überschneiden oder Berühren der Einwirkungsbereiche von zwei Windenergieanlagen ist regelmäßig dann zu verneinen, wenn zwischen ihnen eine Entfernung von mehr als dem Zehnfachen des Rotordurchmessers liegt. Solche typisierenden Bewertungsvorgaben vermögen allerdings eine Einzelfallbeurteilung anhand der Auswirkungen auf die Schutzgüter des UVP- und des Immissionsschutzrechts nicht zu ersetzen. (Rn. 27 – 28) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Rechtswidrigkeit einer Prognose lässt sich nicht mit dem Argument begründen, in der Rückschau aus heutiger Sicht habe sie sich als unzutreffend erwiesen. Diese Möglichkeit ist nämlich allen Prognosen schon deshalb eigen, weil sie sich auf Ungewisses in der Zukunft beziehen. (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Ergebnisse einer naturschutzfachlichen Bestandserfassung und der an sie anknüpfenden Bewertung der Umweltauswirkungen eines Vorhabens stellen keinen Fehler bei der vollständigen und zutreffenden Erfassung des Sachverhalts dar, sofern sie im konkreten Fall naturschutzrechtlich vertretbar sind und nicht auf einem Bewertungsverfahren beruhen, das sich als unzulängliches oder gar ungeeignetes Mittel erweist, um den gesetzlichen Anforderungen gerecht zu werden. (Rn. 45) (redaktioneller Leitsatz)
4. Beträgt der Abstand zwischen einem Wohnhaus und einer Windkraftanlage mindestens das Dreifache der Gesamthöhe der geplanten Anlage, geht von dieser Anlage regelmäßig keine optisch bedrängende Wirkung zu Lasten der Wohnnutzung aus. Bei einem solchen Abstand treten die Baukörperwirkung und die Rotorbewegung der Anlage soweit in den Hintergrund, dass ihr in der Regel keine beherrschende Dominanz und keine optisch bedrängende Wirkung gegenüber der Wohnbebauung zukommt. (Rn. 51) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Aufwendungen der Beigeladenen als Gesamtschuldner zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Gründe
1. Über die Klage konnte vorliegend ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, nachdem sich die Beteiligten hiermit im Erörterungstermin am 4. April 2017 ausweislich der Niederschrift einverstanden erklärt haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).
2. Streitgegenstand im vorliegenden Verfahren ist der immissionsschutzrechtliche Genehmigungsbescheid vom 17. November 2014, mit dem das Landratsamt … der Beigeladenen die immissionsschutzrechtliche Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb von zehn Windkraftanlagen des Typs Nordex N117/2400 mit einer Nennleistung von jeweils 2,4 Megawatt und einer Gesamthöhe von 199 m erteilte. Die zehn Windkraftanlagen sollen auf den Grundstücken mit den Fl.Nrn. …23, …73, …74 und …22 der Gemarkung W., Fl.Nrn. …490, …343 und …344 der Gemarkung W2., Fl.Nrn. …710, …633, …634, …541 und …518 der Gemarkung W3. und Fl.Nr. …17 der Gemarkung J. errichtet und betrieben werden. Die Kläger als Eigentümer eines am nördlichen Ortsrand von Wargolshausen im unbeplanten Innengebiet befindlichen Anwesens wenden sich mit der vorliegend erhobenen Klage gegen die WEA 1, welche auf dem Grundstück Fl.Nr. …23 der Gemarkung Waltershausen errichtet werden soll.
3. Die Klage ist zwar zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg, denn die streitgegenständliche immissionsschutzrechtliche Genehmigung vom 17. November 2014 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger jedenfalls nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Dabei ist maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der vorliegenden immissionsschutzrechtlichen Genehmigung im Rahmen einer Drittanfechtungsklage die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung (vgl. BVerwG v. 11.1.1991 – 7 B 102/90 – juris), denn die immissionsschutzrechtliche Genehmigung ist kein Dauerverwaltungsakt, so dass sie auch nicht rechtswidrig wird, wenn sich die Sach- oder Rechtslage nach Erteilung ändert. Vielmehr ermächtigt das Bundesimmissionsschutzgesetz die Behörde, Änderungen der Rechts- und Sachlage durch nachträgliche Anordnungen oder durch Widerruf Rechnung zu tragen (§§ 17, 21 BImSchG). Wer als Nachbar einen Anspruch darauf zu haben meint, dass die Behörde in solcher Weise gegen eine aufgrund immissionsschutzrechtlicher Genehmigung betriebene Anlage einschreitet, ist darauf angewiesen, diesen Anspruch notfalls durch Erhebung einer Verpflichtungsklage geltend zu machen.
Die Klage ist auch als Anfechtungsklage statthaft und im Übrigen zulässig. Insbesondere sind die Kläger klagebefugt i.S. des § 42 Abs. 2 VwGO. Bei genehmigungsbedürftigen Anlagen nach dem BImSchG ist Anknüpfungspunkt für eine mögliche Rechtsverletzung neben dem Gebot der Rücksichtnahme die nachbarschützende Vorschrift des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG. Danach sind genehmigungsbedürftige Anlagen so zu errichten und zu betreiben, dass schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft nicht hervorgerufen werden können. Als „Nachbarn“ sind alle Personen anzusehen, die sich auf Dauer im Einwirkungsbereich der Anlage aufhalten oder Eigentümer von Grundstücken im Einwirkungsbereich der Anlage sind (vgl. OVG NRW, B.v. 24.6.2015 – 8 B 315/15 – juris Rn. 9 m.w.N.). Es ist zumindest nicht offensichtlich, dass das Grundstück der Kläger außerhalb des Einwirkungsbereichs der streitgegenständlichen Windkraftanlage liegt und damit schädliche Umwelteinwirkungen i.S. von § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG von vornherein ausgeschlossen werden.
Sind die Kläger klagebefugt i.S. des § 42 Abs. 2 VwGO, so können sie auch geltend machen, dass eine nach den Bestimmungen des UVPG erforderliche UVP- oder Vorprüfung nicht durchgeführt und nicht nachgeholt worden ist (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 8 Abs. 1 UmwRG) oder diese nicht dem Maßstab von § 3a Satz 4 UVPG a.F. (jetzt: § 5 Abs. 3 Satz 2 UVPG) genügt (§ 4 Abs. 1 Satz 2 UmwRG). Denn § 4 Abs. 3 UmwRG erweitert auch für Rechtsbehelfe von Beteiligten nach § 61 Nr. 1 VwGO jedenfalls den materiellen Prüfungsumfang (vgl. BVerwG, U.v. 17.12.2013 – 4 A 1.13 – juris Rn. 41).
4. Die Klage ist jedoch unbegründet, denn eine Verletzung von drittschützenden Rechten kann die Kammer vorliegend nicht feststellen.
Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist das Gericht zunächst auf seinen Beschluss vom 1. Februar 2016, mit dem der Antrag der Kläger auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen den streitgegenständlichen immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbescheid mangels Erfolgsaussichten in der Hauptsache abgelehnt wurde.
5. Etwas anderes ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung des Vortrags des Klägervertreters im Erörterungstermin am 4. April 2017 und in seinen Schriftsätzen an das Verwaltungsgericht. Zusammenfassend wird dort bemängelt, dass die Behörde bei der Beurteilung der einzelnen Windkraftanlagen im Windpark Wargolshausen und im Windpark Wülfershausen von einer einheitlichen Windfarm hätte ausgehen müssen. Somit sei schon der Prüfungsmaßstab fehlerhaft. Des Weiteren sei die Umweltverträglichkeitsprüfung verfahrensfehlerhaft und unvollständig. Insbesondere betreffe dies den Schwarzstorch, den Rotmilan, die Wiesenweihe und den Mornellregenpfeifer. Im Übrigen würde von den Windkraftanlagen auch eine optisch bedrängende und erdrückende Wirkung ausgehen. Schließlich seien Schallgutachten und Schlagschattengutachten von fehlerhaften Prognosen ausgegangen.
a) Soweit der Klägervertreter bemängelt, der Beklagte habe bei den insgesamt 13 Windkraftanlagen, die er im Windpark „Wülfershausen“ und im Windpark „Wargolshausen“ genehmigt habe, von einer einheitlichen Windfarm ausgehen müssen, kann dem seitens des Gerichts, wie schon im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ausgeführt, nicht gefolgt werden.
Das Bundesrecht kennt hinsichtlich der räumlichen Zuordnung von Windenergieanlagen, die eine Windfarm bilden, keine verbindlichen Bewertungsvorgaben. Es stellt auch keine standardisierten Maßstäbe oder Rechenverfahren zur Verfügung, die den Begriff der Windfarm in räumlich-gegenständlicher Hinsicht konkretisieren und handhabbar machen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, B.v. 8.5.2007 – BVerwG 4 B 11.07 – juris) ist ein Überschneiden oder Berühren der Einwirkungsbereiche von zwei Windenergieanlagen regelmäßig dann zu verneinen, wenn zwischen ihnen eine Entfernung von mehr als dem Zehnfachen des Rotordurchmessers liegt. Das ist zwar kein rechtsverbindlicher Grenzwert, sondern ein qua Konvention zugrunde gelegtes Abstandsmaß für den Regelfall, was vom Bundesverwaltungsgericht als zweckmäßig angesehen wird, um den räumlichen Umgriff einer Anlagengesamtheit in Relation zur Größe der einzelnen Anlagen zu beurteilen.
Solche typisierenden Bewertungsvorgaben vermögen allerdings eine Einzelfallbeurteilung anhand der Auswirkungen auf die Schutzgüter des UVP- und des Immissionsschutzrechts nicht zu ersetzen (vgl. OVG Koblenz, B.v. 25.1.2005 – 7 E 12117/04 – juris m.w.N.). Welche Kriterien für eine gebotene Einzelfallprüfung maßgeblich sein können, lässt sich beispielhaft der Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs München vom 12. Januar 2007 entnehmen (vgl. BayVGH – 1 B 05.3387 – juris). In dem Fall, der dem Urteil zugrunde lag, ging es um drei Windenergieanlagen, die nach Auffassung des Gerichts eine Windfarm bildeten, weil infolge ihrer Situierung anzunehmen sei, dass sich vor allem die Auswirkungen auf die Landschaft, aber auch die durch ihren Betrieb verursachten sonstigen Umwelteinwirkungen, wechselseitig verstärkten. Die Standorte der Anlage lägen, angeordnet in Form eines Dreiecks, auf einer Hochfläche, die weitgehend eben und in der näheren Umgebung nur von einzelnen Baumgruppen bestanden sei. Die geplanten Anlagen würden aus allen Himmelsrichtungen zugleich sichtbar sein und schon von daher einem unbefangenen Beobachter als Einheit erscheinen. Es seien Überschneidungen und Summierungen der von den Anlagen ausgehenden Wirkungen auf die UVP- und immissionsschutzrechtlichen Schutzgüter zu erwarten, da die Windkraftanlagen nicht nur je für sich betrachtet würden, sondern gerade durch ihre räumliche Gesamtwirkung die bisherige Freifläche prägten und dabei das Landschaftsbild wesentlich verändern würden. Hingegen hat das OVG Münster mit Beschluss vom 13. März 2006 (Az. 7 A 3414/04 – juris) das Vorliegen einer Windfarm verneint, weil zwischen der zur Genehmigung gestellten und der nächstgelegenen Windenergieanlage der „beachtliche Abstand“ von gut 1,25 km liege und sich zwischen die Anlagen eine in ausgedehntem Umfang bewaldete Bergkuppe mit deutlicher Trennwirkung geschoben habe.
Nichts anderes gilt im vorliegenden Fall: Nach den dem Gericht vorliegenden Unterlagen, Lageplänen und Lichtbildern weisen die nächstgelegenen Anlagen des Windparks Wülfershausen und des Windparks Wargolshausen einen Abstand von mehr als 2 km auf. Zudem trägt der Klägervertreter selbst vor, dass der Ort Wargolshausen mitten zwischen den Windparks Wülfershausen und Wargolshausen liege. Eine optische Trennwirkung muss daher zweifellos schon aus diesem Grund bejaht werden, so dass von einer einheitlichen Windfarm keine Rede sein kann. Aber auch die vom Klägervertreter angeführten Auswirkungen auf den Artenschutz und insbesondere auf die diversen Vogelarten rechtfertigen keine andere Betrachtung. Folgt man der Rechtsprechung des OVG Schleswig in seinem Beschluss vom 31. August 2016 (Az. 1 MB 5/16 – juris), so können zwar auch UVPrelevante überschneidende oder sich berührende Wirkungsüberlagerungen die Annahme einer Windfarm begründen. Allerdings setzt das nach der Rechtsauffassung des OVG voraus, dass gerade die Häufung der Anlagen unter artenschutzrechtlichen Gesichtspunkten zu besonderen Risiken führen müsse. Mit anderen Worten: Nur für den Fall, dass die geplanten Windparks in Wargolshausen und Wülfershausen gemeinsam ein besonderes Risiko für das Schutzgut „Tiere, Pflanzen und biologische Vielfalt“ (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 2 UVPG n.F; § 2 Abs. 1 Satz 2 UVPG a.F.) mit sich brächten, könnte von einer Windfarm i.S. der Nr. 1.6.1 der Anlage 1 zum UVPG ausgegangen werden. Das ist aber nach Auffassung der Kammer nicht der Fall und wird von der Klägerseite auch nicht plausibel dargelegt, sondern lediglich unsubstantiiert behauptet.
b) Etwas anderes ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung des weiteren Vortrags des Klägervertreters, die Umweltverträglichkeitsprüfung bzw. die Umweltverträglichkeitsvorprüfung seien wegen unzureichender artenschutzrechtlicher Überprüfung insbesondere des Schwarzstorchs, des Rotmilans, der Wiesenweihe und des Mornellregenpfeifers fehlerhaft.
Mit diesem Vortrag kann der Klägervertreter bereits aus grundsätzlichen Erwägungen nicht gehört werden.
Zwar gehört, insoweit ist dem Klägervertreter zuzustimmen, zu dem der Regelung des § 6 Abs. 1 BImSchG zu entnehmenden Prüfprogramm der Immissionsschutzbehörde auch eine artenschutzrechtliche Prüfung, deren Aufgabe es ist, zu klären, ob und inwieweit durch das zur Genehmigung gestellte Vorhaben der Tatbestand des artenschutzrechtlichen Tötungs- und Verletzungsverbots gemäß § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG erfüllt ist. Ist dies der Fall, weil sich durch das Vorhaben das Risiko für bestimmte geschützte Tiere signifikant erhöht, so ist dieser Umstand ein im Rahmen des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB, welcher über § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG Eingang auch in das Prüfprogramm des immissionsschutzrechtlichen Verfahrens findet, beachtlicher öffentlicher Belang des Naturschutzes. Dieser Belang kann sich im Einzelfall – abhängig auch davon, ob etwa eine naturschutzrechtliche Ausnahmegenehmigung erteilt werden kann – gegenüber einem zur Genehmigung gestellten Vorhaben auch dann durchsetzen, wenn dieses nach § 35 Abs. 1 BauGB im Außenbereich privilegiert zulässig ist (vgl. BVerwG, U.v. 27.6.2013 – 4 C1/12 – juris). Bei den von § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB erfassten Belangen des Naturschutzes und der Landschaftspflege handelt es sich allerdings um öffentliche Belange. Die gesetzlichen Anforderungen an den Schutz von Natur und Umwelt dienen ausschließlich dem allgemeinen öffentlichen Interesse und sind nicht dem Schutz der Nachbarn zugeordnet. Eine subjektive Rechtsverletzung der Kläger als Nachbarn kann deshalb hieraus nicht hergeleitet werden. Wie bereits im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ausgeführt, können die Kläger sich zwar über § 4 Abs. 3, Abs. 1 UmwRG in der nunmehr seit dem 29. Juli 2017 in Kraft getretenen Fassung (vgl. § 8 UmwRG) auch auf die Verletzung naturschutzrechtlicher – und damit ihrem Wesen nach allein öffentlicher – Belange berufen. Diese Ausweitung nachbarlicher Rechtspositionen beschränkt sich jedoch auf den Bereich einer nicht oder fehlerhaft durchgeführten Umweltverträglichkeitsprüfung bzw. Vorprüfung des Einzelfalls. Die Regelung des § 4 Abs. 3, Abs. 1 UmwRG ist dagegen auch unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des EuGH nach Auffassung der Kammer kein allgemeines Einfallstor für die Berücksichtigung öffentlicher Naturschutzbelange im Rahmen von Nachbarrechtsbehelfen. Sie entbindet Nachbarn außerhalb ihres Anwendungsbereichs insbesondere nicht von der Geltendmachung der Verletzung subjektiver Rechtspositionen.
Ungeachtet der Frage, inwieweit artenschutzrechtliche Belange in die standardbezogene Vorprüfung gemäß § 3c Satz 2 UVPG a.F., der gemäß § 74 Abs. 1 UVPG n.F. weiterhin Anwendung findet, einfließen (dazu unten), können sich die Kläger daher auch im Lichte der durch das Umweltrechtsbehelfsgesetz geschaffenen erweiterten Klagemöglichkeiten Privater jedenfalls im Rahmen des § 35 BauGB lediglich auf eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots berufen. Allein diesem, nicht dagegen den sonstigen Belangen des § 35 Abs. 3 BauGB, kommt nachbarschützende Funktion zu (vgl. st.Rspr. des BVerwG, vgl. U.v. 21.1.1983 – 4 C 59/79 – juris; BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 22 ZB 07/224 – juris).
Die ausführlichen Ausführungen des Klägervertreters zu einem Verstoß der angefochtenen immissionsschutzrechtlichen Genehmigung gegen Belange des Naturschutzes i.S. von § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB gründen sich auf die unzutreffende Prämisse einer in diesem Nachbarrechtsverfahren erfolgenden vollumfänglichen Überprüfung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung auf ihre Übereinstimmung mit objektivem Recht. Sie sind daher von vornherein nicht geeignet, einen Erfolg der Klage zu begründen.
c) Die Kläger haben weiterhin auch keinen Anspruch auf Aufhebung der angefochtenen immissionsschutzrechtlichen Genehmigung gemäß § 4 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 UmwRG in der derzeit anzuwendenden Fassung (vgl. § 8 UmwRG).
Zwar ist das Umweltrechtsbehelfsgesetz vorliegend unstreitig anwendbar, da der streitgegenständliche Genehmigungsbescheid eine Entscheidung nach § 2 Abs. 3 Nr. 1 UVPG a.F. (jetzt: § 2 Abs. 6 UVPG n.F.) darstellt und nach Nr. 1.6.2 der Anlage 1 zum UVPG wegen der insgesamt zehn genehmigten, in engem Zusammenhang stehenden Windkraftanlagen eine allgemeine Vorprüfung des Einzelfalls i.S. von § 3c UVPG a.F. (vgl. § 74 Abs. 1 UVPG n.F.) durchzuführen war. Jedoch scheitert ein auf § 4 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 UmwRG beruhender Aufhebungsanspruch der Kläger jedenfalls daran, dass die Kläger keinen Verfahrensfehler i.S. von § 4 Abs. 1 und Abs. 1a UmwRG geltend machen können und die durchgeführte Vorprüfung des Einzelfalls zur Feststellung der UVP-Pflichtigkeit dem Maßstab des § 3a Satz 4 UVPG, der vorliegend nach § 74 Abs. 1 UVPG n.F. Anwendung findet, genügt (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 2 UmwRG).
Ein „absoluter Verfahrensfehler“, der gemäß § 4 Abs. 1 UmwRG ohne Weiteres zu einem Anspruch auf Aufhebung der angefochtenen Entscheidung führen würde, liegt erkennbar nicht vor und wird vom Klägervertreter auch nicht substantiiert behauptet. Da die Fallgruppen des § 4 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG (Unterlassen einer gebotenen UVP oder UVP-Vorprüfung) oder des § 4 Abs. 1 Nr. 2 UmwRG (vollständiges Unterlassen einer gebotenen Öffentlichkeitsbeteiligung) hier offensichtlich nicht gegeben sind, müsste es sich gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 3 UmwRG um einen „anderen Verfahrensfehler“ handeln, der nicht geheilt worden ist (a), nach seiner Art und Schwere mit den in den Nrn. 1 und 2 genannten Fällen vergleichbar ist (b) und der betroffenen Öffentlichkeit die Möglichkeit der gesetzlich vorgesehenen Beteiligung am Entscheidungsprozess genommen hat (c).
Auch diese Voraussetzungen sind vorliegend offensichtlich nicht erfüllt. Es ist nicht erkennbar, dass der betroffenen Öffentlichkeit die Möglichkeit der Beteiligung am Entscheidungsprozess genommen wurde. Dies wird vom Klägervertreter auch nicht behauptet.
Auch ein sogenannter „relativer Verfahrensfehler“ i.S.v. § 4 Abs. 1a UmwRG ist für die Kammer nicht erkennbar und wird ebenso vom Klägervertreter nicht geltend gemacht.
Wie bereits im vorläufigen Rechtsschutzverfahren ausführlich erörtert, fallen nach Auffassung der Kammer die vom Klägervertreter allein vorgetragenen Fehleinschätzungen im Bereich des materiellen Artenschutz und Umweltrechts nicht unter die ebengenannten Vorschriften und führen deshalb auch nicht zu einem anderen Ergebnis (vgl. Fellenberg, NVwZ 2015, 1721 ff.).
Etwas anderes ergibt sich schließlich auch nicht aus § 4 Abs. 1 Satz 2 UmwRG. Insbesondere führt auch diese Vorschrift nicht zu einem die Kläger begünstigenden Ergebnis. Nach dieser gemäß § 8 Abs. 1 UmwRG n.F. anwendbaren Norm steht eine durchgeführte Vorprüfung des Einzelfalls zur Feststellung der UVP-Pflichtigkeit, die nicht dem Maßstab des § 3a Satz 4 UVPG (jetzt: § 5 Abs. 3 Satz 2 UVPG) genügt, die also unzureichend ist, einer nicht durchgeführten Vorprüfung des Einzelfalls über die UVP-Pflichtigkeit gleich.
Dabei ist allerdings zu beachten, dass es – wie erwähnt – auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der angefochtenen Behördenentscheidung, hier also auf die Sach- und Rechtslage am 17. November 2014 ankommt. Ob sich die Genehmigungsentscheidung aufgrund von später eingetretenen Ereignissen, wie etwa die, die der Beklagte in seinem Anhörungsschreiben vom 10. Oktober 2016 an die Beigeladene betreffend den Widerruf der Genehmigung genannt hat, nachträglich als „falsch“ erweist, ist folglich nicht zu prüfen. Denn die Umweltverträglichkeitsprüfung zielt auf eine Prognose über die voraussichtlichen Auswirkungen eines Vorhabens. Diese Prognose kann für den entscheidungserheblichen Zeitpunkt rechtlich zu beanstanden sein oder nicht. Ihre Rechtswidrigkeit lässt sich indes nicht mit dem Argument begründen, wie der Beklagte dies offensichtlich teilweise auch getan hat, in der Rückschau aus heutiger Sicht habe sie sich als unzutreffend erwiesen. Diese Möglichkeit ist nämlich allen Prognosen schon deshalb eigen, weil sie sich auf Ungewisses in der Zukunft beziehen (vgl. OVG Lüneburg, B.v. 16.11.2016 – 12 ME 132/16 – juris).
Vorliegend bemängelt der Klägervertreter insbesondere in seinen Schriftsätzen vom 20. März 2015 und 22. Juli 2015 im Wesentlichen die mangelhafte Bestandsermittlung im Bereich der Prüfung des Naturschutzes und des Artenschutzes. So seien Schwarzstorch, Rotmilan und Wiesenweihe, aber auch die rastenden und durchziehenden Vogelarten wie Kiebitz, Goldregenpfeifer und Mornellregenpfeifer nicht ausreichend ermittelt worden.
In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist allerdings anerkannt, dass sich Bestandsermittlungen einer Umweltverträglichkeitsprüfung nicht bereits deshalb als rechtswidrig erweisen, weil einzelne Individuen einer Tierart im Ergebnis nicht ermittelt wurden. In einem gerichtlichen Verfahren ist die Umweltverträglichkeits(vor) prüfung nur daraufhin zu überprüfen, ob der Sachverhalt vollständig und zutreffend erfasst wurde, ob Verfahrensregeln und rechtliche Bewertungsgrundsätze eingehalten wurden, ob das anzuwendende Recht verkannt wurde und ob sachfremde Erwägungen angestellt wurden (Kloepfer, Umweltrecht, 4. Auflage 2016, § 8 Rn. 166). Ein der Genehmigungsbehörde zuzugestehender naturschutzfachlicher Beurteilungsspielraum im Bereich des Artenschutzes kann sich sowohl auf die Erfassung des Bestands der geschützten Arten, als auch auf die Bewertung der Risiken beziehen, denen diese bei Realisierung des zur Genehmigung stehenden Vorhabens ausgesetzt sind (vgl. BVerwG, U.v. 21.11.2013 – BVerwG 7 C 40.11 – juris). Besteht aber ein solcher Beurteilungsspielraum für das Artenschutzrecht, so ist er auch für die entsprechenden Ermittlungen maßgeblich, welche die Auswirkungen des Vorhabens auf Tiere, Pflanzen und die biologische Vielfalt (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 UVPG n.F.) aufklären sollen. Das ergibt sich mittelbar aus der Integration der Umweltverträglichkeitsprüfung in das Verwaltungsverfahren und der Beschränkung der behördlichen Sachverhaltsermittlung auf das dort Entscheidungserhebliche (vgl. OVG Lüneburg, a.a.O.).
Dem Beklagten muss daher ein Beurteilungsspielraum (Einschätzungsprärogative) zugebilligt werden, der sich auch auf die Bestandserfassung erstreckt. Die Ergebnisse einer Bestandserfassung und der an sie anknüpfenden Bewertung der Umweltauswirkungen stellen keinen Fehler bei der vollständigen und zutreffenden Erfassung des Sachverhalts dar, sofern sie im konkreten Fall naturschutzrechtlich vertretbar sind und nicht auf einem Bewertungsverfahren beruhen, das sich als unzulängliches oder gar ungeeignetes Mittel erweist, um den gesetzlichen Anforderungen gerecht zu werden (so BVerwG, U.v. 9.7.2008 – BVerwG 9 A 14.07 – juris). Es ist deshalb nicht zu beanstanden, wenn der Beklagte mit Prognosewahrscheinlichkeiten, Schätzungen und gegebenenfalls sogar mit Worst Case-Betrachtungen arbeitet (vgl. Ziekow, Handbuch des Fachplanungsrechts, 2. Aufl. 2014, § 7 Rn. 76).
Schließlich muss auch berücksichtigt werden, dass die Umweltverträglichkeitsprüfung kein „Suchverfahren“ ist, in dem alle nur erdenklichen Auswirkungen eines Vorhabens auf Umweltgüter und deren Wertigkeit bis in alle Einzelheiten und feinste Verästelungen zu untersuchen wären (so BVerwG, U.v. 21.3.1996 – BVerwG 4 C 19.94 – juris).
Das heißt mit anderen Worten: Die Rechtmäßigkeit der Umweltverträglichkeitsprüfung darf nicht mit der Einhaltung der Anforderungen des materiellen Umweltrechts gleichgesetzt werden bzw. die gerichtliche Kontrolle darf nicht so weit gehen, die ergangene Genehmigungsentscheidung umfassend anhand des materiellen Umweltrechts zu überprüfen, zumal sie ja nur, wie oben bereits ausgeführt, sich auf einen unselbständigen Teil des Verwaltungsverfahrens bezieht. Jedes andere Ergebnis würde zu einer unzureichenden Trennung von Verfahrensrecht und materiellem Recht führen.
Unter Berücksichtigung dieser allgemeinen Ausführungen und insbesondere unter Beachtung dieses eben aufgezeigten eingeschränkten Umfangs der gerichtlichen Überprüfung ist das Ergebnis der Umweltverträglichkeitsvorprüfung nicht zu beanstanden. Das Landratsamt hat sich, wie der Aktenvermerk vom 28. März 2014 zeigt, bei der allgemeinen Vorprüfung ausführlich damit beschäftigt, welche Auswirkungen das geplante Vorhaben auf Tiere und Pflanzen hat.
Wenn der Klägervertreter demgegenüber unter Hinweis auf den „Endbericht, zur Raumnutzung besonders kollissionsgefährdeter Großvogelarten im WEA/Planungsbereich Wargolshausen/Wülfershausen (Landkreis Rhön-Grabfeld vom 5.11.2016)“ hinweist und behauptet, hieraus ergebe sich, dass die Vorprüfung Ermittlungsfehler aufweise, die so schwer wögen, dass durch sie das Ergebnis der Vorprüfung und in der Folge das Ergebnis der UVP beeinflusst werden könne, kann dem seitens des Gerichts nicht gefolgt werden. Denn der Klägervertreter berücksichtigt in diesem Zusammenhang schon den oben mehrfach angesprochenen maßgeblichen Zeitpunkt nicht ausreichend. Es kommt nicht auf eine Bestandsaufnahme bzw. Prognose an, die am 5. November 2016 gefertigt wird, sondern darauf, ob die Vorprüfung des Einzelfalls am 17. November 2014 naturschutzfachlich vertretbar war und auch nicht auf einem Bewertungsverfahren beruhte, das sich als unzulänglich oder gar ungeeignet erweist. Dass dies der Fall gewesen sein könnte, ergibt sich aus dem vom Klägervertreter vorgelegten Gutachten vom 5. November 2016 jedenfalls nicht.
d) Soweit der Klägervertreter schließlich eine fehlerhafte Prognose des Schallgutachtens und des Schlagschattengutachtens bemängelt, wird auf den Beschluss der Kammer im einstweiligen Rechtsschutzverfahren Bezug genommen, wo sich das Gericht ausführlich mit diesem Vortrag beschäftigt hat.
e) Letztlich führt auch der weitere Vortrag des Klägervertreters, jedenfalls sei das nachbarliche Rücksichtnahmegebot verletzt, nicht zu einem anderen Ergebnis. Dass die streitigen Windkraftanlagen eine erdrückende bzw. optisch bedrängende Wirkung entfalten und die Genehmigung deshalb gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstößt (vgl. dazu BVerwG, B.v. 11.12.2006 – 4 B 72.06 – und vom 23.12.2010 – 4 B 36.10 – jeweils juris), lässt sich ebenfalls nicht feststellen. Es ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung hinreichend geklärt, dass, beträgt der Abstand zwischen einem Wohnhaus und einer Windkraftanlage mindestens das Dreifache der Gesamthöhe der geplanten Anlage, regelmäßig von dieser Anlage keine optisch bedrängende Wirkung zu Lasten der Wohnnutzung ausgeht. Bei einem solchen Abstand treten die Baukörperwirkung und die Rotorbewegung der Anlage soweit in den Hintergrund, dass ihr in der Regel keine beherrschende Dominanz und keine optisch bedrängende Wirkung gegenüber der Wohnbebauung zukommt (vgl. OVG NRW, B.v. 21.6.2010 – 12 ME 240/09 – und vom 28.8.2008 – 8 A 2138/06 – jeweils juris). Ausgehend von diesen – eine Orientierung bietenden – Grundsätzen geht von dem vorliegend geplanten Windpark eine optisch bedrängende Wirkung im Hinblick auf die benachbarte Wohnnutzung, die einen Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme darstellen würde, ersichtlich nicht aus. Der Abstand der geplanten Windkraftanlagen zur Wohnbebauung und insbesondere zum Wohnhaus der Kläger beträgt zweifellos mehr als das Dreifache der Gesamthöhe von 199 m. Gründe dafür, dass in diesem Fall etwas anderes gelten sollte, wurden nicht substaniiert vorgetragen und sind auch nicht ersichtlich.
Zudem darf in diesem Zusammenhang nicht unberücksichtigt bleiben, dass gerade im Außenbereich grundsätzlich auch mit der Errichtung von Windenergieanlagen gerechnet werden muss und das Schutzbedürfnis der Kläger deshalb auch in Bezug auf die optischen Auswirkungen deutlich schwächer ist, als es etwa bei einer beeinträchtigten Wohnnutzung in anderer Lage wäre (vgl. OVG Niedersachsen, B.v. 21.6.2010 – 12 ME 240/09 – juris).
6. Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge der §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3, 159 Satz 2 VwGO abzuweisen.
7. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2, Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.