Aktenzeichen M 9 K 17.3111
Leitsatz
1 Eine Wohneinheit wird auch dann von zweckentfremdungsrechtlichen Vorschriften erfasst, wenn der Voreigentümer sie selbst bewohnt hat. Dass die Wohneinheit in diesem Fall nie dem allgemeinen Mietmarkt zur Verfügung gestanden hat, ist irrelevant. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2 Das Zweckentfremdungsrecht ist grundsätzlich nicht gesamtobjektbezogen, sondern stellt auf die einzelne Wohneinheit ab. Der Komplettabriss eines Geschosses und eine Wiedererrichtung dieses Geschosses nebst eines weiteren Geschosses als Maisonettewohnung ist zweckentfremdungsrechtlich als Neubau zu werten; es handelt sich nicht um eine Wohneinheit, die aus (bestehenden) Räumen geschaffen worden, die also als “Änderung” oder “Umbau” zu werten ist. (Rn. 19 – 20) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die Klage ist im Hauptantrag zulässig, aber unbegründet (1.); im Hilfsantrag ist sie bereits unzulässig (2.).
1. Die Verpflichtungsklage auf Erteilung des Negativattestes ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch nach § 10 ZeS a.F./n.F., § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
a) Maßgeblicher Entscheidungszeitpunkt ist in der Verpflichtungssituation der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung. Mit Änderung der zweckentfremdungsrechtlichen Bestimmungen zum Juli 2017 bzw. Dezember 2017 ist damit das ZwEWG vom 10. Dezember 2007 (GVBl. S. 864, BayRS 2330-11-I), zuletzt geändert durch Gesetz vom 19. Juni 2017 (GVBl. S. 182), i.F. bezeichnet als „ZwEWG n.F.“, maßgeblich bzw. die ZeS i.d.F. d. Bek. vom 11. Dezember 2017 (MüABl. S. 494), i.F. bezeichnet als „ZeS n.F.“. Die Vorgängerregelungen werden als „ZwEWG a.F.“ bzw. „ZeS a.F.“ bezeichnet.
b) Ein Anspruch nach § 10 ZeS n.F. i.V.m. § 3 Abs. 3 ZeS n.F. ist nicht gegeben, da die WE Wohnraum darstellte, bevor die Klägerin sie übernahm. Die WE wird auch dann von den zweckentfremdungsrechtlichen Vorschriften erfasst bzw. geschützt, wenn die Voreigentümerin sie selbst bewohnte. Dass die WE dem „allgemeinen Mietmarkt“ damit noch nie zur Verfügung gestanden habe, ist schon dem Grunde nach irrelevant: Wohnraumverlust „für die Allgemeinheit“ ist keine Voraussetzung für die Anwendung des Zweckentfremdungsrechts (vgl. auch VG Berlin, U.v. 9.8.2016 – 6 K 112.16 – juris Rn. 35; Discher, ZfIR 2017, 469). Gleiches gilt für § 10 Alt. 1 ZeS a.F. i.V.m. § 3 Abs. 3 ZeS a.F.
c) Auch ein Anspruch nach § 10 Alt. 2 ZeS a.F. i.V.m. § 5 Abs. 4 ZeS a.F. bzw. Art. 2 Satz 3 ZwEWG a.F. kommt nicht in Betracht.
§ 10 Alt. 2 ZeS a.F. i.V.m. § 5 Abs. 4 ZeS a.F. bzw. Art. 2 Satz 3 ZwEWG sind mit Änderung der Regelwerke zwar ohnehin ersatzlos entfallen. Mit Blick auf die Inhalte der Gesetzesbegründung zum ZwEWG n.F. (LT-Drs. 17/15781, S. 5), wonach aus Gründen der Deregulierung auf die erforderliche Aktualisierung oder Dynamisierung der Vorschrift verzichtet und wonach die noch verbleibenden Umwandlungsfälle in der Praxis ohne weiteres im Rahmen des Gesetzesbzw. Satzungsvollzugs geregelt werden könnten, hält das Gericht es klägergünstig für sachgerecht, die Maßstäbe für die Beurteilung von Altfällen beim „Gesetzesbzw. Satzungsvollzug“ weiter aus den entfallenen Regelungen abzuleiten.
Ein entsprechender Anspruch scheitert inhaltlich bereits am Wortlaut der Vorschriften. Vorliegend ist kein Wohnraum gegeben, der nach dem 31. Mai 1990 unter wesentlichem Bauaufwand „aus Räumen geschaffen“ wurde. Ein Komplettabriss – vorliegend: des 4. Obergeschosses – und ein dem nachfolgender Neubau – Maisonettewohnung über das 4. und 5. Obergeschoss – der betreffenden Einheit kann nicht mehr unter die Wendung „aus Räumen geschaffen“ subsumiert werden. Damit ist nur die Umgestaltung von Räumlichkeiten im Sinne von (Innen-) Umbaumaßnahmen gemeint, die die (äußere) Bausubstanz unangetastet lassen. Hier wurde(n) nach den genehmigten Bauplänen (Bl. 1f. i.V.m. Bl. 7ff. d. BA) nicht nur das Dach mit Dachstuhl abgerissen, sondern auch die Außenwände des Bestands im 4. Obergeschoss. Dies ist von der Regelung nicht mehr erfasst, was auch aus der Gesetzesbegründung zum ZwEWG a.F. hervorgeht, vgl. LT-Drs. 15/8369, S. 6:
„Hintergrund dieser Regelung war die Sorge, insbesondere leer stehende gewerbliche Räume, die – wenn auch nur vorübergehend – nach Umbaumaßnahmen den Wohnungsmarkt entlasten könnten, würden häufig nur deshalb nicht Wohnzwecken zugeführt, weil die spätere Rückführung in die gewerbliche Nutzung durch ein Zweckentfremdungsverbot behindert werden könnte.“
Der Abriss und Neubau des 4. Obergeschosses ist weiter auch für sich zu betrachten und nicht etwa als Änderung des Anwesens L.str. 16 im Sinne einer „Änderung“ oder eines „Umbaus“ dieses gesamten Objekts zu bewerten. Das Zweckentfremdungsrecht ist nicht „gesamtobjektbezogen“, wie aus § 5 Abs. 4 ZeS a.F. bzw. Art. 2 Satz 3 ZwEWG selbst und weiter bspw. auch aus § 3 Abs. 2 Satz 1 ZeS a.F./n.F. hervorgeht, sondern stellt auf die Wohneinheiten ab.
Die Rechtsansicht, dass ein Neubau im hier vorliegenden Sinn nicht von der Vorschrift erfasst ist, entspricht auch der obergerichtlichen Rechtsprechung, vgl. BayVGH, B.v. 2.12.2016 – 12 CS 16.1714 – juris Rn. 12: „Auch vom Vorliegen der weiteren Voraussetzung der Ausnahmevorschrift des Schaffens von Wohnraum nach dem 31. Mai 1990 unter wesentlichem Bauaufwand kann bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren lediglich gebotenen summarischen Überprüfung ausgegangen werden. In Abgrenzung zu insoweit irrelevanten Modernisierungsmaßnahmen kann – gewissermaßen als Faustregel – ein Bauaufwand den Kosten nach als wesentlich angesehen werden, wenn er etwa ein Drittel des für eine vergleichbare Neubauwohnung erforderlichen Aufwands erreicht“. Diese Formulierung zeigt, dass „Schaffen von Wohnraum unter wesentlichem Bauaufwand“ in diesem Sinne vom Neubau zu unterscheiden ist. Aus Rn. 11 des Beschlusses geht weiter hervor, dass sich das Wort „insbesondere“ in der Gesetzesbegründung nur auf die „Gewerblichkeit“ der Räume beziehe. Damit ist dementsprechend nicht gemeint, dass der Umbau nur eine Variante – etwa neben „Abriss und Neubau“ – der „Schaffung“ neuen Wohnraums i.d.S. sein sollte.
Dass ein entsprechender Abriss und Neubau als Maisonettewohnung erfolgte, hat der Klägerbevollmächtigte nie bestritten, sondern im Gegenteil selbst stets vorgetragen (vgl. die Klagebegründung im hiesigen Verfahren, die Klagebegründung vom 13. September 2017 im Verfahren M 9 K 17.4360 und die Antragsbegründung im Verfahren M 9 S. 17.4361). Dieser Hergang lässt sich so auch aus der Behördenakte nachweisen: Auf Bl. 6 des Behördenakts, das die Wohnflächenberechnung im Zuge des Baugenehmigungsantrags enthält, wird das 4. Obergeschoss als „nicht vorhanden“ geführt. Auf dem Grundriss und Aufteilungsplan des 4. Obergeschosses (Bl. 9 und Bl. 11 d. BA), findet sich folgende Angabe: „Außenwände Bestand 30 cm, neu: 24 cm + WDVS“. Damit ist klargestellt, dass nicht nur eine Dämmung aufgebracht wurde, sondern dass neue Außenwände in anderer Dicke errichtet wurden. Ein derartiger Eingriff in tragende Bauteile ist keinesfalls mehr als Umbaumaßnahme von Räumen oder als Modernisierungsmaßnahme anzusehen. Schließlich zeigen auch Bl. 8, Bl. 12 d. BA und Bl. 21 d. BA, dass anstelle des ehemaligen Speichers im 4. Obergeschoss eine Maisonettewohnung über zwei Stockwerke insgesamt neu geschaffen wurde.
Die Ausführungen des Vertreters des Bevollmächtigten in der weiteren Antragsbegründung vom 4. Dezember 2017 (zum Verfahren M 9 S. 17.4361) und in der mündlichen Verhandlung können demgegenüber schon im Ansatz nicht nachvollzogen werden. Dass nicht „die Baugenehmigung vom 23. September 2004“ (gemeint ist wohl: die Baugenehmigung vom 7. Dezember 2004, vgl. Bl. 5 d. BA) „reaktiviert“ wurde, wie behauptet, sondern dass die Tektur vom 23. Oktober 2007 zur Ausführung gelangte, ergibt sich bereits daraus, dass gegenwärtig nicht nur eine schmale Galerie im 5. Obergeschoss besteht (wie noch 2004 geplant, Bl. 3 d. BA), sondern auch nach dem klägerischen Vortrag (Bl. 98ff. d. BA) die voll ausgebaute zweite Ebene der Maisonettewohnung; es wird diesbezüglich im Übrigen ohnehin nicht aufgezeigt, was die Folge der Behauptung sein sollte, dass die „alte“ Baugenehmigung „reaktiviert“ wurde. Unklar bleibt auch, wieso ein Neubau stets nur dann gegeben sein soll, wenn ein neues Bauwerk errichtet oder ein schon einmal vorhandenes Gebäude wiedererrichtet wird. Ein Bau- „Werk“ in diesem Sinne ist auch der Neubau einer Maisonettewohnung. Dem Zweckentfremdungsrecht fehlt ein „gesamtobjektbezogener“ Ansatz (s.o.). Der in der mündlichen Verhandlung unter Beweis gestellte Sachverhalt schließlich, „dass die streitgegenständliche Wohnung im 4. Obergeschoss bereits zum Zeitpunkt vor dem Ausbau 2007 bezüglich des 4. Obergeschosses versorgungstechnisch komplett angeschlossen war“, ist hier irrelevant, da das Geschoss abgerissen wurde. Der Vertreter des Klägerbevollmächtigten blieb zudem eine weitere Konkretisierung schuldig: Sollte damit gemeint sein, dass alle tragenden Bauteile (Außenwände) und der Dachstuhl, die zusammen vorliegend den „Raum“ auch im Sinne des Zweckentfremdungsrechts ausmachen, unangetastet geblieben wären, so setzt sich der Vertreter damit in klaren Widerspruch zu den Ausführungen des eigentlichen Bevollmächtigten und zu den Plänen (Bl. 9 d. BA und Bl. 11 d. BA: „Außenwände Bestand 30 cm, neu: 24 cm + WDVS“). Da die Behördenakte auch im Übrigen keinerlei Anhalt für diese Sichtweise liefert, ist von einer „ins Blaue hinein“ getätigten Aussage auszugehen. Sollte andererseits gemeint gewesen sein, dass bspw. Versorgungsschächte bis hinauf zum 4. Obergeschoss, d.h. „inklusive“ des 3. Obergeschosses, bestanden und nach Abriss im Zuge des Neubaus (teilweise) weiter genutzt werden konnten, ist von vorn herein keine Diskrepanz zu den Aussagen des eigentlichen Bevollmächtigten gegeben und auch kein Sachverhalt, den die Beklagte bestritten hätte.
2. Die Klage ist im Hilfsantrag bereits unzulässig.
Zwar mag der Feststellungsantrag ursprünglich zulässig gewesen sein (vgl. VG Berlin, U.v. 14.12.2016 – 6 K 144.16 – juris). Mit Erlass des zweckentfremdungsrechtlichen Grundbescheids (Nutzungsuntersagung, Wiederbelegungsanordnung) vom 16. August 2017 aber, der im Verfahren M 9 K 17.4360 angefochten wurde, bestand keine Veranlassung mehr, diesen Antrag aufrechtzuerhalten. Er wurde subsidiär im Sinne von § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO, da die konkrete Nutzungsweise der WE im Rahmen der Anfechtungsklage im Verfahren M 9 K 17.4360 verteidigt wird; ein darauf gerichteter Feststellungsantrag bringt keinen weitergehenden Erfolg. Darauf hat das Gericht den Vertreter des Klägerbevollmächtigten im Rahmen der mündlichen Verhandlung auch hingewiesen.
Sollten die Ausführungen des Vertreters des Klägerbevollmächtigten im Rahmen der mündlichen Verhandlung dahingehend zu verstehen gewesen sein, dass der Feststellungsantrag „allgemein“ aufrechterhalten bleiben sollte, um die Genehmigungsfähigkeit einer vorgeblich zulässigen – aber so nicht stattfindenden (vgl. die Entscheidungen vom heutigen Tag zu den Verfahren M 9 K 17.4360 und M 9 S. 17.4361) – Boardinghousenutzung „im Anwendungsbereich der ZeS“ zu klären, so fehlt es dem Antrag am Feststellungsinteresse: Damit wäre kein konkretes und streitiges Rechtsverhältnis im Sinne von § 43 Abs. 1 VwGO aufgezeigt.
Die Kostenentscheidung fußt auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708f. ZPO.