Baurecht

Rechtsweg und Zuständigkeit bei Ausschreibungsvertrag im Bereich der Hilfsmittelversorgung

Aktenzeichen  L 5 KR 81/18 B ER

Datum:
21.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 47986
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB V § 33, § 69 Abs. 3, § 127
GVG § 17a
SGG § 51

 

Leitsatz

1. Für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit eines durch eine Krankenkasse veranlassten europaweiten Vergabeverfahrens zur Hilfsmittelversorgung ist der Rechtsweg zu den Sozialgerichten nicht eröffnet.  (Rn. 16 – 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Zersplitterung des Rechtswegs zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Ausschreibung in fachrechtliche Vorfragen (durch die Fachgerichte) einerseits und vergaberechtliche Themen (durch die Vergabekammern) andererseits ist im Hinblick auf die Rechtssicherheit, dem Beschleunigungsgrundsatz im Vergabeverfahren und die Einheitlichkeit der Rechtsordnung nicht zielführend. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Verweisung an die zuständige Vergabekammer ist, da es sich bei dieser nicht um ein Gericht handelt, ebenso ausgeschlossen wie eine Verweisung an den Vergabesenat des OLG Düsseldorf unter Umgehung der Vergabekammer.  (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 3 KR 1800/17 ER 2018-02-01 Bes SGMUENCHEN SG München

Tenor

I. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 01.02.2018 wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert wird für beide Instanzen auf 47.029,50 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Streitig ist im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Rechtmäßigkeit eines durch die Antragsgegnerin europaweit veranlassten Vergabeverfahrens zur Versorgung ihrer Versicherten mit Hilfsmitteln zur Stomaversorgung und ergänzenden Inkontinenzhilfen.
Die Antragsgegnerin ist eine gesetzliche Krankenkasse und leitete eine europaweite Ausschreibung zum Abschluss von Rahmenverträgen über die Versorgung mit Stomaartikeln (Produktgruppe 29 des Hilfsmittelverzeichnisses) und den in diesem Zusammenhang notwendigen Inkontinenzhilfen (Produktgruppe 15 des Hilfsmittelverzeichnisses) für ihre Versicherten. Diese Ausschreibung wurde unionweit im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union (2017/S. 213-442130) bekanntgemacht. Beginnend mit dem 01.04.2018 ist eine Laufzeit der Rahmenvereinbarungen von 24 Monaten mit der Möglichkeit einer zweimaligen, jeweils einjährigen Verlängerung vorgesehen. Wie sich aus der Leistungsbeschreibung der Antragsgegnerin ergibt, sind Leistungsgegenstand dieser Ausschreibung neben der Versorgung ihrer Versicherten mit Stomaartikeln und ergänzend mit Inkontinenzhilfen einschließlich Zubehör samt notwendiger Reparaturen und Ersatzteilen sowie notwendiger Wartungen und sicherheitstechnischer Kontrollen auch die in diesem Zusammenhang zu erbringenden Dienst- und Serviceleistungen (zu Einzelheiten wird auf Anlage 4 zum Schriftsatz der Antragstellerin vom 28.11.2017, Bl. 95 ff. SG-A, Bezug genommen). Die Angebotsfrist ist am 06.01.2018 abgelaufen. Die Antragstellerin hat ein Schreiben des Verwaltungsrats der Antragsgegnerin an die Leistungsbringer vom 15.02.2018 vorgelegt, wonach auf die Zuschlagserteilung während des laufenden aufsichtsrechtlichen Beratungsverfahrens verzichtet werde.
Die Antragstellerin, ein mittelständisches Familienunternehmen, ist eine nach § 126 SGB V präqualifizierte Leistungserbringerin im Gesundheitsbereich. Derzeit versorgt sie nach eigenen Angaben etwa 135 Versicherte der Antragsgegnerin mit Stomaartikeln; dafür wird von der Antragstellerin ein „bisheriger“ jährlicher Umsatz von 313.530,00 EUR angegeben; die Antragsgegnerin hat den Umsatz für den Zeitraum vom 10/2016 bis 09/2017 mit einem wesentlichen geringeren Betrag beziffert. Die Antragstellerin hat in dem streitgegenständlichen Vergabeverfahren Angebote für bestimmte Gebietslose in einer Bietergemeinschaft und als alleinige Bieterin abgegeben, deren prognostizierte Umsätze von der Antragsgegnerin vorgelegt worden sind.
Bundesweit sind mehrere Verfahren gegen die Ausschreibung der Antragsgegnerin anhängig, sowohl vor den Sozialgerichten als auch bei den Vergabekammern des Bundes.
Mit ihrem am 28.11.2017 beim Sozialgericht München eingegangenen Antrag hat sich die Antragstellerin gegen das von der Antragsgegnerin veranlasste Ausschreibungsverfahren gewandt. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen vorgetragen, die ausgeschriebene Versorgung mit Stomaartikeln weise neben der Sachversorgung einen besonders hohen Dienstleistungsanteil auf, sodass eine Ausschreibung gemäß § 127 Abs. 1 Satz 6 SGB V nicht zweckmäßig und daher rechtswidrig sei. Da die Begründetheit des vorliegenden Antrages sich ausschließlich danach beurteile, ob die Ausschreibung der Antragsgegnerin im Sinne des § 127 Abs. 1 S.6 SGB V als zweckmäßig anzusehen sei, seien hier trotz Vorliegens einer Ausschreibung gerade nicht die vergaberechtlichen Vorschriften des GWB im Rahmen eines vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahrens zu prüfen. Streitgegenstand sei hier eine Vorfrage vor Einleitung eines Ausschreibungsverfahrens, die von den Sozialgerichten zu beurteilen sei. Die Vergabeinstanzen gewährten keine rechtsstaatliche Kontrolle der Anwendungsvoraussetzungen für das Einleiten eines Ausschreibungsverfahrens. Die Antragstellerin sei antragsbefugt, da eine Verletzung einer rechtlich anerkannten Position nicht ausgeschlossen werden könne. Die Antragsgegnerin verletze durch die rechtswidrige Ausschreibung das Recht der Antragstellerin auf Zugang zum Markt der Hilfsmittelversorgung für bis zu vier Jahren. Die Antragsgegnerin sei verpflichtet, die europarechtskonforme Alternative der Hilfsmittelbeschaffung zu ergreifen und Verträge nach § 127 Abs. 2 und 2a SGB V abzuschließen, die keinen öffentlichen Auftrag darstellten.
Die Antragsgegnerin hat erwidert, der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes sei bereits aufgrund der fehlenden sozialgerichtlichen Zuständigkeit und der fehlenden Möglichkeit einer Verweisung als unzulässig zu verwerfen. Es handle sich um ein vergaberechtliches Verfahren, für das die Vergabekammern und im Beschwerdeweg der Vergabesenat beim Oberlandesgericht zuständig sei. Eine Verweisung an die Vergabekammer komme aus rechtlichen Gründen nicht in Betracht, da es sich bei den Vergabekammern nicht um Gerichte, sondern Verwaltungsbehörden handele. Darüber hinaus fehle es der Antragstellerin an der Antragsbefugnis. Die von ihr zur Begründung einer Rechtsposition herangezogene Norm des § 127 Abs. 1 SGB V enthalte keinerlei Drittschutz zu ihren Gunsten, sondern solle vielmehr als allgemeines Ziel die Qualität der Versorgung und damit die Versicherten schützen. Es fehle auch an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes. Bereits eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache ergebe, dass sie als gesetzliche Krankenkasse aufgrund der zwingenden Vorgaben des Vergaberechts keine andere Möglichkeit gehabt habe, als den hier streitgegenständlichen Beschaffungsgegenstand europaweit auszuschreiben. Rein hilfsweise sei darauf aufmerksam zu machen, dass die Ausschreibung auch zweckmäßig sei.
Das Sozialgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit Beschluss vom 01.02.2018 mangels Zulässigkeit abgelehnt. Der Sozialrechtsweg sei nicht eröffnet.
Dagegen hat die Antragstellerin Beschwerde eingelegt und zusammengefasst vorgetragen, es handle sich bei der Frage der Zweckmäßigkeit in § 127 Abs. 1 S. 6 SGB V – und ob diese von der Antragsgegnerin beachtet werde – um eine rein sozialrechtliche Vorfrage und keine vergaberechtliche Streitigkeit. Die Frage, ob sozialrechtliche Gründe der Ausschreibung entgegenstehen unterliege der Rechtsprechung der Sozialgerichte. Im Spannungsverhältnis zwischen öffentlichem Vergaberecht und nationalem Sozialrecht sei die Anwendbarkeit von Vergaberecht zunächst von den Sozialgerichten zu prüfen. Vergaberecht sei hier nicht anwendbar, da es sich nicht um einen öffentlichen Auftrag handle. Es bestehe die Gefahr eines Verstoßes gegen die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG. Die Ausschreibung habe zur Folge, dass für sämtliche Leistungserbringer, die keinen Zuschlag erhalten, der Markt faktisch verschlossen sei. Die Zweckmäßigkeit der Ausschreibung sei nicht gegeben. Nach Kenntnis des Prozessbevollmächtigten gehe das Bundesversicherungsamt von der Rechtswidrigkeit der Ausschreibung nach § 127 Abs. 1 SGB V aus.
Die Antragstellerin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts München vom 01.02.2018 aufzuheben und im Wege der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes
1. die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Ausschreibung der Versorgung mit Hilfsmitteln zur Stomaversorgung der Produktgruppe 29 und den gegebenenfalls in diesem Zusammenhang erforderlichen Inkontinenzhilfen der Produktgruppe 15 gemäß § 127 Abs. 1 SGB V gemäß der Bekanntmachung der Antragsgegnerin vom 03.11.2017 zu unterlassen,
2. hilfsweise für den Fall der Zuschlagserteilung der Antragsgegnerin zu untersagen, ihre Versicherten gemäß der vorgenannten Ausschreibung zu versorgen.
Die Antragsgegnerin beantragt sinngemäß,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie hat im Wesentlichen das Vorbringen aus der ersten Instanz vertieft und darauf hingewiesen, dass zu den Zweckmäßigkeitsüberlegungen des § 127 Abs. 1 SGB V die Vergabekammern Stellung genommen hätten. Verletzungen des Gebots des effektiven Rechtsschutzes zu befürchten seien schon deshalb nicht zu befürchten, da § 127 Abs. 1 SGB keine subjektiven Rechte der Antragstellerin begründe.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache, soweit eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung, Satz 2). Vorliegend kommt eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht.
Der nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG gestellte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist unzulässig.
1. Der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist für den Haupt- und den Hilfsantrag der Antragstellerin nicht eröffnet.
a) Nach § 51 Abs. 1 Nr. 2 SGG entscheiden die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten u.a. in Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung. Allerdings sind nach § 51 Abs. 3 SGG von der Zuständigkeit der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit nach den Absätzen 1 und 2 ausgenommen Streitigkeiten in Verfahren nach dem GWB, die Rechtsbeziehungen nach § 69 SGB V betreffen. Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB V werden vom Anwendungsbereich dieser Norm abschließend u.a. die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen und sonstiger Leistungserbringer, zu denen die Antragstellerin gehört, umfasst. In diesem Zusammenhang bestimmt § 69 Abs. 3 SGB V, dass auf öffentliche Aufträge nach dem SGB V die Vorschriften des Teils 4 des GWB (§§ 97 – 184) anzuwenden sind. Damit ist die Überprüfung von öffentlichen Aufträgen von der Zuständigkeit der Sozialgerichte ausgenommen (§ 51 Abs. 3 SGG).
Maßgebend für die Beurteilung, ob das vorliegende Begehren der Antragstellerin von der Zuständigkeit der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit umfasst wird, ist die Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der erhobene Anspruch hergeleitet wird, sofern eine ausdrückliche Zuweisung fehlt (vgl. BSG, Beschlüsse vom 10.12.2015 Az.: B 12 SF 1/14 R, vom 30.09.2015, Az.: B 3 KR 22/15 B, vom 28.09.2010, Az.: B 1 SF 1/10 R). Die Antragstellerin wendet sich gegen die von der Antragsgegnerin nach § 127 Abs. 1 SGB V veranlasste europaweite Ausschreibung von Rahmenverträgen über die Versorgung mit Stomaartikeln. Nach der Sonderzuweisung des § 69 Abs. 3 SGB V sind auf öffentliche Aufträge nach dem SGB V die Vorschriften der §§ 97 – 184 GWB anzuwenden. Dies stellt der Gesetzgeber für die Hilfsmittelbeschaffung durch die gesetzlichen Krankenkassen durch den mit dem HHVG (Gesetz zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung v. 04.07.2017, BGBl. I 2017, S. 778 ff.) eingefügten § 127 Abs. 1 S. 7 SGB V klar (vgl. BT-Drs. 18/10186, S. 33, so auch VK Bund zur streitgegenständlichen Ausschreibung, Beschluss v. 15.02.2018, Az.: VK 1-161/17)
Die Voraussetzungen des § 69 Abs. 3 SGB V sind vorliegend erfüllt:
o Die Antragsgegnerin als gesetzliche Krankenkasse ist öffentlicher Auftraggeber im Sinne des § 99 Nr. 2 GWB (vgl. EuGH, Urt. v. 11.06.2009, Az.: C-300/07, Rs. Oymanns). Die Antragsgegnerin will mittels eines öffentlichen Auftrags nach § 103 GWB für ihre Versicherten Stomaartikel sowie ergänzende Inkontinenzhilfen als Hilfsmittel beschaffen und damit deren Versorgung sicherstellen.
o Die Ausschreibung der Antragsgegnerin ist ein öffentlicher Auftrag im Sinne des § 99 Abs. 1 GWB. Die Argumentation der Antragstellerin, es handle sich nicht um einen öffentlichen Auftrag, weil dieser nicht zweckmäßig sei und stattdessen Verträge nach §§ 127 Abs. 2 und 2a SGB V abgeschlossen werden sollen, überzeugt nicht. Denn überprüft werden soll gerade die konkret gewählte Vorgehensweise der Antragsgegnerin.
o Der Schwellenwert nach § 106 Abs. 2 Nr. 1 GWB von 209.000 EUR wird vorliegend überschritten. Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig.
o Zweifelsfrei liegt kein Ausnahmefall nach § 107 GWB vor.
Soweit die Antragstellerin vorträgt, die Ausschreibung sei rechtswidrig, da sie nicht zweckmäßig sei (§ 127 Abs. 1 Satz 6 SGB V), stützt sie sich auf eine Norm des SGB V, die nur prima facie in den Zuständigkeitsbereich der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit fällt. Denn die Frage, ob § 127 Abs. 1 Satz 6 SGB V – also sozialrechtliche Gründe – der Ausschreibung entgegenstehen, ist in den Fällen der Sonderzuweisung nach § 69 Abs. 3 SGB V gerade nicht dem Sozialrechtsweg zugeordnet. Das ist hier der Fall. Eine Zersplitterung des Rechtswegs zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Ausschreibung in fachrechtliche Vorfragen (durch die Fachgerichte) einerseits und vergaberechtliche Themen (durch die Vergabekammern) andererseits ist im Hinblick auf die Rechtssicherheit, dem Beschleunigungsgrundsatz im Vergabeverfahren und die Einheitlichkeit der Rechtsordnung nicht zielführend und wird mit der Regelung in § 156 GWB verhindert.
Ob der Vergaberechtsweg eröffnet ist und ob zu Recht ein dem Kartellvergaberecht unterfallendes Verfahren durchgeführt wird, entscheiden ausschließlich die Vergabekammern bzw. deren Beschwerdeinstanzen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 21.12.2016, Az: VII-Verg 26/16; darauf basierend SG Reutlingen, Beschluss v. 28.12.2017, Az.: S 1 KR 2858/17 ER; SG Chemnitz, Beschluss v. 28.12.2017, Az.: S 38 KR 906/17 ER; SG Saarland, Beschluss v. 11.12.2017, Az.: S 1 KR 41/17 ER; SG Frankfurt, Beschluss v. 29.01.2018, Az.: S 34 KR 1089/17 ER; aA Beschluss des SG Freiburg v. 11.12.2017, Az.: S 15 KR 4490/17 ER). Denn Vergabeverfahren meint jedes materielle Beschaffungsverhalten eines öffentlichen Auftraggebers (Reidt in Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht, 4 Aufl., 2018, § 156 GWB Rz.10).
b) Trotz der „vollständigen Überlagerung“ des Sozialrechts durch unions- und vergaberechtliche Vorschriften (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.12.2016, a.a.O) sind die Rechtsschutzinteressen der Antragstellerin gewahrt.
Die Vorschriften des Vergaberechts sind mit ihren kurzen Fristen auf die besondere Eilbedürftigkeit in Ausschreibungen zugeschnitten. Die Antragstellerin nimmt die diesbezüglich Rechtsschutzmöglichkeiten umfassend in Anspruch, begehrt jedoch eine rechtliche Bewertung im Sinne der eigenen Rechtsauffassung. Es ist nicht zutreffend, dass im Nachprüfungsverfahren nur Verstöße gegen vergaberechtliche Vorschriften zu prüfen sind. Die Berechtigung eines Vergabeverfahrens ist inzidenter von den Nachprüfungsinstanzen zu entscheiden (vgl. BGH, Beschluss v. 18.06.2012, Az.: X ZB 9/11). Dies wird von den Vergabekammern auch praktiziert, wie aus dem Beschluss der 1. Vergabekammer Bund vom 15.02.2018 (Az.: VK 1-161/17) hervorgeht. Die Entscheidung der 2. Vergabekammer Bund (vom 13.02.2018, Az.: VK 2-5/18) lässt eine ausführliche Auseinandersetzung mit der vorliegend nicht streitigen Regelung des § 127 Abs. 1b) SGB V erkennen. Ein für die Antragstellerin auf dem Vergaberechtsweg nicht zufriedenstellendes Ergebnis bzw. die fehlende inhaltliche Auseinandersetzung des Vergaberechtswegs mit den sozialrechtlichen Zweckmäßigkeitserwägungen in § 127 Abs. 1 S. 6 SGB V, weil diese aus Sicht der aktuellen Vergaberechtsprechung nicht zu berücksichtigen sind, bedeutet keine Verletzung der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG. Dabei kann offenbleiben, ob die Regelungen in § 127 Abs. 1 SGB V grundsätzlich subjektive Rechte zugunsten der Leistungserbringer entfalten.
Der Gesetzgeber hat bei Erlass des HHVG zudem keine Änderung des § 69 Abs. 3 SGB V vorgenommen, obgleich er eine Vereinheitlichung der Verwaltungspraxis für erforderlich hielt und § 127 Abs. 1 S. 6 SGB V entsprechend angepasst hat (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht vom 15.02.2017, BT-Drs: 18/11205, Bl. 68). Da der Beschluss des OLG Düsseldorf vom 21.12.2016 (a.a.O), wonach Zweckmäßigkeitsüberlegungen in § 127 Abs. 1 SGB V bei der Frage einer Ausschreibungen von Hilfsmittel im Oberschwellenbereich zu unterbleiben haben, deutlich vor der Beratung des HHVG-Entwurfes im Bundestag am 16.02.2017 (Plenarprotokoll 18/218) veröffentlicht worden war, der Gesetzgeber aber keine entsprechende Regelung in das Gesetz aufgenommen hat, ist die Norm einer erweiternden Auslegung, auch im Sinne eines Redaktionsversehens, nicht zugänglich.
2. Eine Verweisung des Verfahrens ist nicht möglich.
Die Antragstellerin hat das Nachprüfungsverfahren vor der zuständigen Vergabekammer zu beschreiten. Bei der Vergabekammer handelt es sich nicht um ein Gericht (vgl. BGH, Beschluss v. 25.10.2011, Az.:X ZB 5/10; BSG, Beschluss v. 22.04.2008, Az.: B 1 S F 1/08 R), sodass eine Verweisung des vorliegenden Verfahrens an die zuständige Vergabekammer nach § 98 SGG i.V.m. § 17a Abs. 2 GVG nicht zulässig ist. Eine Verweisung an den Vergabesenat des zuständigen OLG Düsseldorf ist ebenfalls ausgeschlossen (aA SG Gotha, Beschluss v. 18.12.2017, Az.: S 9 KR 3990/17 ER); eine Umgehung der Vergabekammern ist weder sachgerecht noch mit den Vergaberegeln vereinbar (vgl. OVG Sachsen, Beschluss v. 09.02.2016, Az.: 5 B 315/15).
3. Mangels Eröffnung des Sozialrechtsweges darf der Senat die Rechtsfragen der Antragsbefugnis und der Zweckmäßigkeit der Ausschreibung nicht überprüfen. Wenn das Bundesversicherungsamt als Aufsichtsbehörde die Ausschreibung für nicht zweckmäßig hält, ist die entsprechende Nachprüfung den Vergabekammern bzw. im Beschwerdeverfahren dem OLG Düsseldorf zugewiesen. Die Vergabekammer Bund verweist dementsprechend auf die zum Zeitpunkt der Beschlussfassung (am 15.02.2018, Az.: VK 1- 161/17) noch nicht vorliegende Entscheidung der Behörde.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO.
5. Der Streitwert basiert auf § 197a SGG i.V.m. §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 4, 47 GKG. Dabei ist insoweit auf den Rechtsgedanken des § 50 Abs. 2 GKG zurückzugreifen, als im Rahmen einer öffentlichen Ausschreibung auf 5% der Auftragssumme abgestellt wird. Da die Antragstellerin eine Unterlassung der Ausschreibung begehrt, liegt das wirtschaftliche Interesse der gerichtlichen Entscheidung auf dem künftig potentiell entgangenen Gewinn. Dieser wäre im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutz nur mit unzumutbaren Aufwand zu ermitteln (vgl. LSG BW, Beschluss v. 10.10.2006, Az: L 5 KR 897/06 W-A unter Verweis auf BSG, Beschluss v. 10.11.2005, Az.: B 3 KR 36/05 B). Der Senat stützt sich daher hinsichtlich des zugrunde zulegenden Umsatzes auf die Angaben der Antragstellerin zum „bisherigen“ jährlichen Umsatz. Aufgrund des Leistungszeitraums der streitgegenständlichen Ausschreibung, inklusive der Verlängerungsoptionen, wird ein Mittelwert von drei Jahren zugrunde gelegt. Insoweit wird auch die erstinstanzliche Festsetzung abgeändert (§ 63 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 GKG).
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar und beendet das Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz.

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