Aktenzeichen Verg 02/18
VgV § 56, § 57 Abs. 1 Nr. 2
BlmschG § 6, § 16
TierNebV § 3 Abs. 1
BioAbfV § 2
KrWG § 56
Leitsatz
1. Die Vergabestelle darf die Frist zur Vorlage von Unterlagen nach § 56 VgV nach eigenem Ermessen bestimmen und ggf. auch vor deren Ablauf verlängern. (Rn. 52)
2. Zur Problematik der ordnungsgemäßen Festlegung von Eignungskriterien in der Bekanntmachung durch Verweis verbunden mit einem Link auf die Auftragsunterlagen (hier offen gelasssen) (Rn. 59 – 60)
3. Ist die Vorlage eines “aktuellen” polizeilichen führungszeugnisses verlangt und legt der Bieter ein zwei Jahre alte sZeugnis vor, entspricht dies rein formal nicht den Anforderungen mit der Folge, dass die Vergabestelle das Dokument nachfordern darf. (Rn. 65)
4. Verfügt der Bieter über eine von den Fachbehörden erteilte Genehmigung zum Betrieb einer Anlage (hier: Biogasanlage) und zur Verwertung bestimmter Stoffe in dieser Anlage (Bioabfall mit der Abfallschlüsselnummer 20 03 01), ist die Beurteilung der Vergabestelle, der Bieter habe damit seine technische Leistungfähigkeit (verwertung/Entsorgung von Bioabfall aus der Biotonne privater Haushalte) hinreichend nachgewiesen, nicht zu beanstanden. Im Nachprüfungsverfahren wird nicht inzident geprüft, ob die Fachbehörde bei der Erteilung der Genehmigung europarechlitche Anforderrungen (hier: VO (EG) 1069/2009) im Zusammenhang mit der Verwertung bestimmter Abfallarten (Bioabfall, der Reste tierischer Nebenprodukte enthalten kann) verkannt hat. (Rn. 74 – 83)
5. Das Verlangen nach Referenzprojekten für “vergleichbare” Leistungen bedeutet nicht ,dass das Leistungbild der herangezogenen Aufträge mit dem ausgeschreibenen Auftrag identisch sein muss. Will der Auftraggeber sicherstellen, dass der Bieter exakt die zu beschaffende Leistung schon fürher erfolgreich durchgeführt hat, dann muss er entsprechende konkretisierende Vorgaben fetlegen. MAcht er dies nicht, genügt, dass die Referenzleistung der ausgeschriebenen Leistung so weit ähnelt, dass sie einen tragfähigen Rückschluss auf die Leistungfähigkeit des Bieters für die ausgeschriebene Leistung eröffnet. Bei der Bewertung der Frage der Vergleichbarkeit der Referenz kommt der Vergabestelle, die regelmäßig über spezifisches Fachwissen und fachliche Erfahrung verfügt, ein nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu. (Rn. 84 – 95)
Verfahrensgang
Z3-3-3194-1-51-10/17 2018-03-02 Bes VKSUEDBAYERN Vergabekammer München
Tenor
I. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der Vergabekammer Südbayern vom 02.03.2018, Az.: Z3-3-3194-1-51-10/17, wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen des Antragsgegners und der Beigeladenen sowie der durch das Verfahren nach § 173 GWB verursachten Kosten.
III. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf bis zu 200.000 € festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsgegner, ein öffentlich-rechtlicher Entsorgungsträger zweier Landkreise, beabsichtigt die Vergabe von Entsorgungsdienstleistungen (Übernahme und Vergärung von Bioabfall aus der Biotonne) für die Zeit vom 01.07.2018 bis 30.06.2021 im Rahmen eines Offenen Verfahrens. Der Vertrag verlängert sich um jeweils zwei weitere Jahre, wenn er nicht fristgerecht gekündigt wird. Mit Bekanntmachung vom 22.06.2017 erfolgte eine europaweite Ausschreibung des Auftrags in zwei Mengenlosen. Die Abgabe eines Angebots war für alle Lose zulässig. Das einzige Zuschlagskriterium ist laut Ziffer II.2.5) der Bekanntmachung der Preis (geringste Endkosten bzw. bester Erlös für den Antragsgegner).
In der Bekanntmachung wird der Auftrag in Ziffer II.1.4) wie folgt beschrieben:
– Übernahme der Bioabfälle an der Übernahmeeinrichtung des Auftraggebers (Deponie XX)
Ordnungsgemäße Vergärung (ggf. mit Nachkompostierung) von 2 × je 5.000 t Bioabfall pro Jahr, einschließlich der Entsorgung von anfallenden Fremd- und Reststoffen sowie Verwertung und Vermarktung von Gärresten …
Im Abschnitt III der Bekanntmachung heißt es unter der Überschrift „Rechtliche, wirtschaftliche und technische Angaben“
III.1) Teilnahmebedingungen
(…)
III.1.2) Wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit Eignungskriterien gemäß Auftragsunterlagen
III.1.3) Technische und berufliche Leistungsfähigkeit Eignungskriterien gemäß Auftragsunterlagen
Ziffer 10 der Angebotsaufforderung, die zusammen mit den übrigen Vergabeunterlagen über einen Link in der Vergabebekanntmachung abgerufen werden konnte, regelt unter der Überschrift „Eignungskriterien/-nachweise“:
Es werden nur Angebote von Bietern berücksichtigt, die die für die Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen erforderliche Fachkunde und Leistungsfähigkeit (Eignung) besitzen und keine Ausschlussgründe nach den §§ 123 und 124 GWB erfüllen. Zum Beleg sind mit dem Angebot die nachfolgend geforderten Angaben, Erklärungen und Nachweise vorzulegen:
(…)
h) Liste der Referenzprojekte über ausgeführte vergleichbare Leistungen aus den letzten 3 Jahren, jeweils mit Angabe des Leistungsumfangs (Mengen), des Leistungszeitraums sowie der Auftraggeber und Ansprechpartner
i) Benennung und Beschreibung der für die Ausführung des Auftrags verfügbaren Ausstattung, Geräte und technische Ausrüstungen zur Erbringung der Dienstleistung und deren Beschreibung:
•Zertifizierung(en) als Entsorgungsfachbetrieb nach § 56 KrWG
•oder gleichwertige Nachweise, aus denen hervorgeht, dass das Unternehmen über qualifiziertes und geschultes Personal verfügt, eine Betriebsordnung, ein Betriebshandbuch und ein Betriebstagebuch besitzt, die entsprechend geführt werden, dass es Mitglied einer Berufsgenossenschaft ist, dass ein ausreichender Versicherungsschutz besteht und ein aktuelles polizeiliches Führungszeugnis des Unternehmers/Niederlassungsleiters des für die Leistungen verantwortlichen Betriebes
•Beschreibung der Behandlungsanlage(n) mit Genehmigungsnachweis (Die Beschreibung muss mindestens folgende Punkte beinhalten: Gesamtkapazität, freie Kapazität über die Vertragslaufzeit, Beschreibung des Verfahrens und der Anlagentechnik sowie der Verfahrensschritte)
(…)
Die Antragstellerin hat als Bietergemeinschaft fristgerecht ein Angebot für beide Lose abgegeben, ebenso die Beigeladene sowie ein weiteres Unternehmen. Die Angebote der Beigeladenen sind preislich am günstigsten, an zweiter Stelle liegen die Angebote der Antragstellerin. Der Preisabstand zwischen dem erst- und zweitplatzierten Angebot beträgt mehr als 20 %.
Mit Fax vom 10.08.2017 hat die Vergabestelle die Beigeladene gemäß § 56 Abs. 2 VgV zur Nachreichung weiterer Unterlagen bis spätestens 18.08.2017 aufgefordert. Mit Fax vom 14.08.2017 hat die Vergabestelle die Frist bis 29.08.2017 verlängert. Am 24.08.2017 hat die Beigeladene weitere Unterlagen an die Vergabestelle übermittelt.
Mit Schreiben vom 18.09.2017 hat der Antragsgegner der Antragstellerin mitgeteilt, dass ihr Angebot nicht berücksichtigt werden könne, da ein wirtschaftlicheres Angebot vorliege. Es sei beabsichtigt, der Beigeladenen für beide Lose den Zuschlag zu erteilen, was die Antragstellerin mit Schreiben vom 26.09.2017 rügte. Sie beanstandet, dass die Beigeladene nach ihren Recherchen keine Referenzen für vergleichbare Leistungen haben könne, da sie lediglich eine Vergärungsanlage für nachwachsende Rohstoffe betreibe. Bioabfälle, insbesondere in dem Umfang des ausgeschriebenen Auftrags, habe die Bcigeladene bislang nicht vergoren.
Die Vergabestelle hat auf die Rüge hin die Eignung der Beigeladenen vertieft geprüft, hierüber einen ergänzenden Vergabevermerk erstellt und die Rüge mit Schreiben vom 06.10.2017 zurückgewiesen.
Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 13.10.2017 hat die Antragstellerin einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer eingereicht mit dem Ziel einer Untersagung der Zuschlagserteilung auf die Angebote der Beigeladenen.
Im Verfahren vor der Vergabekammer haben die Verfahrensbeteiligten ihre Argumente wiederholt und vertieft.
Die Antragstellerin meint, der Einsatz von nachwachsenden Rohstoffen in einer Biogasanlage, wie ihn die Beigeladene betreibe, sei nicht mit dem Einsatz von Bioabfällen vergleichbar. Da dem Auftragnehmer mit der Übernahme von Bioabfall die Funktion eines Entsorgungsträgers nach dem KrWG zukomme, seien sämtliche abfallrechtlichen Vorschriften einzuhalten. Bioabfälle seien nach der BioAbfV gesondert zu behandeln, da sie in gewissem Umfang auch Tierkörperreste enthalten. Auch ansonsten sei mit Stör- und Begleitstoffen zu rechnen, die aussortiert und gesondert entsorgt werden müssten. Nachwachsender Rohstoff sei dagegen kein Abfall im Sinne des KrWG. Je nach Inputmatorial und Menge seien unterschiedliche öffentlich-rechtliche Genehmigungen erforderlich, über die die Beigeladene nicht verfüge.
Demgegenüber vertreten der Antragsgegner und die Beigeladene den Standpunkt, dass die Beigeladene sehr wohl über die hinreichende Fachkunde zur Durchführung des ausgeschriebenen Auftrags verfüge und den Zuschlag erhalten müsse. Die Beigeladene habe bereits in der Vergangenheit Bioabfall verarbeitet, abgesehen davon seien auch nachwachsende Rohstoffe, die man bei der Biogasherstellung nutze, Bioabfall im Sinne der Verordnung. Dementsprechend sei die Vergärungsanlage der Beigeladenen eine Abfallbehandlungsanlage nach der BioAbfV und als solche auch ordnungsgemäß nach § 16 BlmschG genehmigt, was durch Vorlage des Bescheides gegenüber der Vergabestelle auch belegt worden sei. Im Genehmigungsbescheid seien alle Anforderungen aus der BioAbfV aufgelistet, einschließlich Hygienisierung und Untersuchungspflicht für alle genehmigten Abfallarten. Die Referenzen, insbesondere diejenigen, die Grüngut und Landschaftspflogeabfälle betreffen, würden ebenfalls die Verwertung von Bioabfall mitumfassen.
Ohnehin sei die Antragstellerin auszuschließen, da sie sich zu einer unzulässigen Bietergemeinschaft zusammengeschlossen habe.
In der mündlichen Verhandlung vom 18.12.2017 wurde außerdem erörtert, ob der Preis der Antragstellerin unangemessen hoch und/oder derjenige der Beigeladenen zu niedrig sei und welche Erfahrungswerte zur Preisspanne bei anderen Ausschreibungen vorliegen würden.
Im Nachgang zur mündlichen Verhandlung hat die Antragstellerin eine fehlende Aufklärung des Angebotspreises der Beigeladenen beanstandet und gerügt, dass nachgeforderte Unterlagen nicht rechtzeitig vorgelogt worden seien. Die Beigeladene habe weder eine Zertifizierung nach § 56 KrWG eingereicht noch gleichwertige Unterlagen. Ihr Angebot sei außerdem deshalb auszuschließen, da ihre Anlage nicht nach der VO (EG) 1069/2009 zugelassen sei.
Mit e-mail vom 20.12.2017 hat der Antragsgegner die Antragstellerin zur Aufklärung ihres Angebotspreises aufgefordert. Es wurde die Vorlage der Urkalkulation inklusive der Kalkulationsgrundlagen verlangt. Mit Schriftsatz vom 22.12.2017 (eine Übersendung an den Antragsgegner ist wohl versehentlich von der Vergabekammor nicht veranlasst worden) hat die Antragstellerin das Vorgehen als vergaberechtswidrig beanstandet, Unterlagen zur Preiskalkulation wurden von ihr dennoch mit e-mail vom 10.01.2018 an die Vergabestelle übermittelt.
Mit Schreiben vom 15.01.2018 hat der Antragsgegner das Angebot der Antragstellerin wegen mangelnder Mitwirkung an der Aufklärung und wegen unzulässiger Bildung einer Bietergemeinschaft ausgeschlossen.
Auch die Beigeladene wurde vom Antragsgegner am 20.12.2017 zur Aufklärung über ihre Angebotspreise aufgefordert. Hierüber wurde ebenfalls ein Vergabevermerk erstellt.
Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin mit Beschluss vom 02.03.2018 als unbegründet zurückgewiesen.
Zur Begründung hat die Vergabekammer ausgeführt:
Die Antragstellerin sei wegen der unzureichenden Mitwirkung bei der Aufklärung ihres Angebotspreises durch die Antragsgegnerin auszuschließen. Sie habe damit keine Aussicht, den Zuschlag zu erhalten. Es könne offen bleiben, ob (auch) das Angebot der Beigeladenen mangels Eignung oder wegen mangelnder rechtlicher Leistungsfähigkeit ausgeschlossen werden müsse. Die Antragstellerin erhalte auch dann keine „zweite Chance“, weil ein weiteres – soweit ersichtlich – wertbares Angebot eines dritten Bieters vorliege.
Der öffentliche Auftraggeber dürfe im Einzelfall gemäß § 15 Abs. 5 VgV Aufklärung über ungewöhnlich hoch erscheinende Angebote von Bietern verlangen. Die Vergabestelle habe ein ausreichendes Aufklärungsinteresse, da ein Ausschluss des Angebots der Beigeladenen im Raum gestanden habe und es damit notwendig gewesen sei, sich mit der Angemessenheit des Preises des Angebots der Antragstellerin zu befassen. Ein Auftraggeber könne nur durch die Aufhebung der Ausschreibung vermeiden, den Zuschlag auf ein ungewöhnlich hohes Angebot zu erteilen. Dies erfordere nach § 63 Abs. 1 Nr. 3 VgV eine umfassende Interessenabwägung, was zugleich ein ausreichendes Aufklärungsinteresse der Vergabestelle begründe. Die Antragstellerin habe die geforderten Kalkulationsgrundlagen nicht offen gelegt, sondern sich auf die Mitteilung von Kosten- und Erlösansätzen beschränkt. Die Antragstellerin könne damit die Angemessenheit des Preises nicht prüfen. Der Ausschluss der Angebote der Antragstellerin sei damit gerechtfertigt.
Nicht tragfähig sei dagegen der Ausschluss der Antragstellerin wegen unzulässiger Bildung einer Bietergemeinschaft. Der Zusammenschluss der an der Bietergemeinschaft der Antragstellerin beteiligten Unternehmen sei vertretbar.
Im Übrigen könne nicht abschließend geklärt werden, ob das Angebot der Beigeladenen aufgrund fehlender vergleichbarerer Referenzen, fehlender rechtlicher Leistungsfähigkeit oder als ungewöhnlich niedriges Angebot, das gegen umweltrechtliche Vorschriften verstoße, auszuschließen sei. All diese Fragen würden davon abhängen, welche Anforderungen nach dem Recht der tierischen Nebenprodukte die Beigeladene bei der Auftragsausführung einhalten müsse. Allerdings spreche manches dafür, dass § 3 Abs. 1 Satz 2 TierNebV auch unter der Geltung der VO (EG) 1069/2009 und der Ausführungs-VO (EG) 142/2011 Anwendung finde mit der Folge, dass die Beigeladene nur abfallrechtliche Anforderungen einhalten müsse.
Ergänzend wird auf den angefochtenen Beschluss der Vergabekammer vom 02.03.2018, vorgelegt als Anlage Bf 1, Bezug genommen.
Gegen die am 08.03.2018 zugestellte Entscheidung der Vergabekammer wendet sich die Antragstellerin mit ihrer sofortigen Beschwerde vom 22.03.2018.
Sie ist der Auffassung, dass die Vergabekammer zu Unrecht den Ausschluss ihres Angebots als rechtmäßig erachtet habe. Schon das Aufklärungsverlangen selbst sei vergaberechtswidrig, zumal der dritte Bieter nicht in die Aufklärung einbezogen worden sei. Das Aufklärungsbegehren sei eine willkürliche, sachfremde Reaktion auf die berechtigten Einwände der Antragstellerin. Es fehle an hinreichenden Indizien für einen überhöhten Preis, da vorab keine Kostenschätzung vorgenommen worden sei. Auch beurteile sich die Angemessenheit des Preises am Marktniveau und nicht an der internen Kalkulation eines Bieters. Ungeachtet dessen habe die Antragstellerin ordnungsgemäß an der Aufklärung mitgewirkt. Welche weiteren Informationen der Antragsgegner gewünscht und benötigt habe, sei nicht nachvollziehbar. Weder sei der Angebotsausschluss hinreichend inhaltlich begründet, noch sei das Für und Wider abgewogen worden. Ein Vergabeverfahren könne außerdem nur insgesamt nach § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 VgV aufgehoben werden, wenn das Ergebnis unwirtschaftlich sei. Anders als bei zu niedrig bepreisten Angeboten scheide der Ausschluss eines einzelnen Angebots wegen eines unangemessen hohen Preises aus. Eine Aufhebung der Ausschreibung sei weder beabsichtigt gewesen noch erfolgt.
Losgelöst von der strittigen Frage des Ausschlusses des Angebots könne sich die Antragstellerin jedenfalls auf die sog. „zweite Chance“ berufen. Betrachte man ihr Angebot als zu hoch, gebe es gar kein zuschlagsfähiges Angebot und man müsse neu ausschreiben.
Auf das Angebot der Beigeladenen dürfe der Zuschlag jedenfalls nicht erteilt werden, da es zwingend gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV ausgeschlossen werden müsse. Abfall aus der Biotonne enthalte (auch) Anteile tierischen Ursprungs. Eine ordnungsgemäße Verwertung bzw. Entsorgung dieses Abfalls sei damit nur in einer Anlage möglich, die über eine Zulassung nach Art. 24 Abs. 1 lit. g) der VO (EG) 1069/2009 verfüge. Die Biogasanlage der Beigeladenen sei weder nach Art. 24 VO (EG) 1069/2009 noch nach Art. 15 VO (EG) 1774/2002 zugelassen, weswegen sie die Abfälle in ihrer Anlage nicht verwenden dürfe. Hieran ändere auch § 3 Abs. 1 Satz 2 TierNebV nichts. Die Norm sei schon zeitlich überholt, zudem lasse die EU-Verordnung aus dem Jahr 2009 weder auf Unionsebene noch auf nationaler Ebene Raum für Ausnahmen von der Zulassungspflicht. Auch eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung könne die nach EU-Recht zwingend notwendige spezifische Zulassung nicht ersetzen oder überwinden, zumal sie nicht der Abwehr tierseuchenhygienischer Gefahren diene. Abgesehen davon sei der Tatbestand des § 3 TierNebV nicht erfüllt, da in der Anlage der Beigeladenen auch anderes Material, wie z.B. Grüngut eingesetzt werde. Eine rechtskonforme Leistungsdurchführung, wie in den Ausschreibungsunterlagen verlangt, könne die Beigeladene nicht leisten.
Darüber hinaus verfüge die Beigeladene nicht über ausreichende Referenzen. Die Aufträge seien in punkto Menge und Abfallgut (Grüngut) nicht vergleichbar, die Beigeladene führe – soweit ersichtlich – bislang noch gar keine Vergärung von Bioabfall in ihrer Anlage durch.
Schließlich fehle es auch am Nachweis einer Zertifizierung nach § 56 KrWG bzw. der Vorlage gleichwertiger Unterlagen. Außerdem hätte die Vergabestelle die Frist zur Vorlage fehlender Unterlagen nicht verlängern dürfen. Da die erste gesetzte Frist von der Beigeladenen nicht eingehalten worden sei, sei ihr Angebot auch deswegen – entgegen der Beurteilung der Vergabekammer – zwingend auszuschließen.
Die Antragstellerin gehe außerdem davon aus, dass das Angebot der Beigeladenen nicht auskömmlich sei und die Aufklärung begründete Zweifel hieran nicht habe beseitigen können.
Nach Gewährung von Akteneinsicht in das Anforderungsschreiben der Vergabestelle vom 10.08.2017 hat die Antragstellerin außerdem gerügt, dass die Beigeladene zunächst ein nicht aktuelles polizeiliches Führungszeugnis vorgelegt habe. Eine Nachforderung dieser Unterlage scheide von vorneherein aus. Damit verwirkliche die Beigeladene einen weiteren Ausschlussgrund.
Die Antragstellerin beantragt,
der Beschluss der Vergabekammer Südbayern vom 02.03.2018 wird aufgehoben. Dem Antragsgegner wird untersagt, den Zuschlag auf Angebote der Beigeladenen zu erteilen.
In der mündlichen Verhandlung vom 11.06.2018 hat die Antragstellerin klargestellt, dass sie (auch) die Wertung ihres Angebots begehre und den Zuschlag auf ihr Angebot anstrebe.
Der Antragsgegner und die Beigeladene beantragen,
die Zurückweisung der sofortigen Beschwerde.
Sie sind der Auffassung, die Antragstellerin habe schon deshalb keinerlei Aussicht auf den Zuschlag, da ihr Angebot wirksam ausgeschlossen worden sei. Es handele sich um das Angebot einer unzulässigen Bietergemeinschaft, was die Vergabekammer verkannt habe. Abgesehen davon sei aber auch die Mitwirkung an der – von der Antragstellerin gar nicht beanstandeten – Angebotsaufklärung unzureichend gewesen. Der Antragsgegner habe sich insoweit im Rahmen des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums gehalten.
Das Angebot der Beigeladenen sei dagegen wertbar, insbesondere sei die Beigeladene zur Auftragsdurchführung geeignet. Die Verwendung von Bioabfällen einschließlich Küchen- und Speiseabfällen als Gärsubstrat sei behördlich genehmigt. Das Verfahren, das die Beigeladene einsetze, führe zu einer ordnungsgemäßen Hygienisierung. Eine weitere oder andere Genehmigung benötige die Beigeladene nicht. Die Referenzen seien vergleichbar und hinreichend aussagekräftig in Bezug auf die Eignung der Beigeladenen. Auch die sonstigen von der Antragstellerin bemühten Ausschlussgründe lägen nicht vor.
Falls der Senat das Angebot der Beigeladenen nicht für wertbar halte, beabsichtige der Antragsgegner schon aus haushaltsrechtlichen Gründen die Aufhebung der Ausschreibung.
Im Übrigen stützen sich die Beteiligten ergänzend auf ihr Vorbringen vor der Vergabekammer.
Der Senat hat mit Beschluss vom 04.05.2018 und 20.04.2018 dem Antrag der Antragstellerin auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der sofortigen Beschwerde gemäß § 173 Abs. 1 Satz 3 GWB zunächst befristet, dann bis zur Entscheidung in der Hauptsache stattgegeben. Mit Senatsbeschluss vom 01.06.2018 wurde Akteneinsicht teils gewährt, teils abgelehnt (Bl. 92/97 d.A.).
Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung vom 11.06.2018 Schriftsatznachlass bis 25.06.2018 gewährt, soweit die Beteiligten noch keine hinreichende Gelegenheit zur Erwiderung auf gegnerisches Vorbringen hatten.
Im Nachgang zur mündlichen Verhandlung hat die Antragstellerin Akteneinsicht in den Genehmigungsbescheid der Biogasanlage der Beigeladenen beantragt sowie noch weitere Aspekte gegen die Rechtmäßigkeit der Verwertung von Bioabfall aus privaten Haushalten in der Biogasanlage der Beigeladenen vorgebracht.
II.
Die zulässige sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist unbegründet.
Die Vergabekammer hat im Ergebnis zu Recht den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zurückgewiesen.
Nicht gefolgt werden kann zwar der Erwägung der Vergabekammer, es genüge, dass jedenfalls ein wertbares Angebot verbleibe, nämlich das des dritten Bieters; die Antragstellerin habe damit bei einem wirksamen Ausschluss ihres Angebots und einem Ausschluss des Angebots der Beigeladenen, keine „zweite Chance“, da der Auftrag weiterhin auf der Grundlage der durchgeführten Ausschreibung an einen Dritten vergeben werden könne.
Demgegenüber kann aus Sicht des Senats angesichts der erheblichen Preisunterschiede, die den Antragsgegner zur Aufklärung von zwei der drei Angebote veranlasst hat, nicht unterstellt werden, dass der Antragsgegner bereit wäre, auf das teuerste Angebot den Zuschlag zu erteilen. Zumindest müsste auch in Bezug auf dieses Angebot – schon unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung – eine Aufklärung erfolgen. Abgesehen davon hat der Antragsgegner im Zuge der Beschwerde unmissverständlich erklärt, er werde den Auftrag wegen des (zu) hohen Preises weder an die Antragstellerin noch an die drittplatzierte Bieterin vergeben, sondern das Verfahren aufheben. Dies führt zu einer weiteren Chance der Antragstellerin, den Auftrag zu erhalten. Mithin muss über die Frage entschieden werden, ob die Beigeladene den Zuschlag erhalten darf.
Während die Vergabekammer die Frage des Ausschlusses des Angebots der Beigeladenen (unter Hinweis auf Bedenken) offen gelassen hat, erachtet der Senat aus nachfolgenden Gründen die Einwände der Antragstellerin gegen die Wertung des Angebots der Beigeladenen als nicht begründet. Sie rechtfertigen keinen Angebotsausschluss, so dass die Absicht des Antragsgegners, der Beigeladenen den Zuschlag zu erteilen, vergaberechtlich nicht zu beanstanden ist. Ebenfalls abweichend von der Vergabekammer lässt der Senat ausdrücklich dahinstehen, ob darüber hinaus der vom Antragsgegner ausgesprochene Ausschluss des Angebots der Antragstellerin rechtmäßig war. Die in diesem Zusammenhang aufgeworfenen, teils grundlegenden Streitfragen sind nicht entscheidungserheblich, weswegen der Senat davon absieht, sich hierzu inhaltlich zu äußern.
Zu den strittigen Ausschlussgründen im Einzelnen:
1. Ausschluss wegen verspäteter Vorlage von Unterlagen (§ 57 Abs. 1 Nr. 2 GWB)
Die Voraussetzungen für einen Angebotsausschluss gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 2 GWB liegen nicht vor. Auf die zutreffenden Erwägungen der Vergabekammer nimmt der Senat Bezug.
a) Die Beigeladene hat keine Frist versäumt, sondern die von der Vergabestelle nachgeforderten Unterlagen zeitgerecht innerhalb der mit e-mail vom 14.08.2017 verlängerten Frist übermittelt. Die verlängerte Frist war die maßgebliche, an die sich die Beigeladene halten musste und gehalten hat.
Anders als § 16 a EU VOB/A enthält § 56 VgV keine feste Frist, vielmehr ist es Sache der Vergabestelle, die Dauer der Frist zu bestimmen. Für die Nachprüfungsinstanzen bietet eine nach VgV von der Vergabestelle bestimmte Frist nur dann Anlass zur Beanstandung, wenn sie nicht angemessen ist und dadurch Bieter in ihren Rechten beeinträchtigt werden. Bei der Entscheidung über die Dauer der Frist hat die Vergabestelle mithin einen Beurteilungsspielraum, wobei sie einerseits ihr eigenes Interesse an einer zügigen Verfahrensdurchführung berücksichtigt, andererseits das Interesse des betroffenen Unternehmens, ausreichend Zeit zur Beschaffung und Vorlage der Unterlagen zu haben (vgl. Dittmann in Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, VgV, 2017, Rn. 48 zu § 56 VGV). Hätte die Vergabestelle von vorneherein – mit Blick auf die im August üblichen Urlaubszeiten – eine Frist bis Ende August bestimmt, hätte sie sich ohne weiteres im zulässigen Rahmen gehalten. Auch sprechen weder vergaberechtliche Vorschriften noch allgemeine Grundsätze gegen die Möglichkeit, dass die Vergabestelle die einmal bestimmte Frist (hier: 8 Tage) während ihres Laufs abändert, um Bietern mehr Zeit zu geben, die Unterlagen vorzulegen. Dem Standpunkt der Antragstellerin, dass die Vergabestelle nur dann zur Verlängerung der laufenden Frist befugt wäre, wenn die zunächst bestimmte Frist objektiv unangemessen kurz war, folgt der Senat nicht. Unter dem Gesichtspunkt des fairen Wettbewerbs und der Gleichbehandlung dürfen allerdings weder sachfremde Erwägungen eine Rolle spielen, noch ist es zulässig, Bietern unterschiedliche Fristen zu setzen. Für keine der Alternativen liegen Anhaltspunkte vor.
Zwar fehlt ein Vermerk in der Dokumentation, was der Anlass für die Abänderung war. Auf der Grundlage der Erläuterungen des Antragsgegners und der Beigeladenen besteht für den Senat jedoch kein Grund, daran zu zweifeln, dass die Vergabestelle auf mündliche Anfrage der Beigeladenen wegen des anstehenden Urlaubs des Geschäftsführers eine Verlängerung vorgenommen hat. Die Entscheidung war damit sachlich veranlasst und sie war auch vertretbar. Verdachtsmomente für eine sachwidrige, parteiliche Bevorzugung der Beigeladenen, eine Benachteiligungsabsicht gegenüber der Antragstellerin oder sonstige vergaberechtswidrige Umstände sind nicht ersichtlich und ergeben sich auch nicht aus dem „Nachschieben“ der Hintergründe im Verfahren. Abgesehen davon, dass schon zweifelhaft erscheint, dass die Vergabestelle Rechte der Antragstellerin verletzt hat, indem sie den Anlass und die Gründe für die Fristverlängerung gegenüber der Beigeladenen zunächst nicht dokumentiert hat, sind etwaige Mängel damit hinreichend geheilt (vgl. BGH vom 08.02.2011, X ZB4/10, Rn. 73, zitiert nach juris).
Ebenso wenig hinderten Festlegungen in den Vergabeunterlagen die Vergabestelle an der Verlängerung der Frist. Durch die Vorgabe in den Ausschreibungsunterlagen („Werden die fehlenden Unterlagen nicht innerhalb der gesetzten Frist nachgereicht, führt dies zum zwingenden Ausschluss“) wird lediglich klargestellt, dass nach fruchtlosem Fristablauf kein Entscheidungsspielraum mehr verbleibt, somit weder mit einer nochmaligen neuen Fristgewährung gerechnet werden kann, noch dass Ermessenserwägungen den Bieter vor einem Ausschluss bewahren könnten. Eine „Selbst“bindung dahingehend, dass die Vergabestelle die laufende Frist nicht verlängern kann, enthält der Text der Ausschreibung objektiv (Empfängerhorizont des kundigen Bieters) nicht.
b) Darüber hinaus teilt der Senat den Standpunkt der Vergabekammer, wonach sich die Beigeladene jedenfalls auf die erteilte Verlängerung der Frist verlassen durfte, selbst wenn man darin einen objektiven Vergaberechtsverstoß sehen würde. Die Entscheidung der Vergabestelle hat ein schutzwürdiges Vertrauen der Beigeladenen begründet, wonach sie nicht bis zum 18.08.2017, sondern bis 29.08.2017 Unterlagen nachreichen kann, ohne den Ausschluss ihres Angebots zu riskieren. Zu berücksichtigen ist hierbei, dass die – unterstellt falsche – Erklärung der Vergabestelle, die Frist laufe bis 29.08.2017, die Beigeladene dazu veranlasst hat, die erste Frist verstreichen zu lassen, die sie ggf. noch hätte wahren können, wenn sie gewusst hätte, dass sie diese zwingend einhalten muss.
2. Unzulässige Nachforderung eines „aktuellen“ Führungszeugnisses
Im Anschluss an die Gewährung von Akteneinsicht in das Anforderungsschreiben der Vergabestelle vom 10.08.2015 hat die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 07.06.2018 gerügt, dass die Beigeladene offensichtlich mit Angebotsabgabe ein veraltetes Führungszeugnis eingereicht habe. Sie meint, dies führe zum zwingenden Ausschluss, ohne dass es zulässig sei, diese Unterlage nochmals nachzufordern.
a) Da die Antragstellerin erst im Beschwerdeverfahren Kenntnis vom Inhalt des Anforderungsschreibens erhalten hat, ist ihre Rüge weder nach dem GWB präkludiert noch prozessual verspätet.
b) Das polizeiliche Führungszeugnis dient der Prüfung der Eignung derjenigen Bieter, die nicht als Entsorgungsfachbetrieb gemäß § 56 KrWG zertifiziert sind (vgl. Ziffer 10, lit. i der Angebotsaufforderung). Ein Ausschluss des Angebots der Beigeladenen nach § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV setzt zunächst voraus, dass die Vorlage des Dokuments wirksam in der Ausschreibung gefordert wurde. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Auftraggeber Eignungskriterien nach § 122 Abs. 4 S. 2 GWB grundsätzlich bereits in der Auftragsbekanntmachung anzugeben hat und er dort auch anzuführen hat, mit welchen Unterlagen der Bieter die Eignung belegen muss (vgl. § 48 VgV). Dies entspricht Art. 58 V der Richtlinie 2014/24/EU. Da der zwingende Ausschluss eines Angebots die schärfste Sanktion gegenüber dem Bieter ist, muss die Anforderung zudem eindeutig in Bezug auf Art, Inhalt und Zeitpunkt sein.
Die Auftragsbekanntmachung enthält keine eigenständigen Vorgaben zur Prüfung der technischen/beruflichen Leistungsfähigkeit und zwar weder in Bezug auf die inhaltlichen Anforderungen noch in Bezug auf die Unterlagen, anhand derer die Eignung geprüft wird. Vielmehr hat sich die Vergabestelle darauf beschränkt, in der Bekanntmachung auf die Auftragsunterlagen zu verweisen, wie dies in der Praxis häufig vorkommt. Die Vergabekammer hält dies für ausreichend, da es dem Bieter möglich war, über einen Link in der Bekanntmachung (auch) zu dem Formular „Angebotsaufforderung“ zu gelangen, in der unter Ziffer 10 die Eignung geregelt ist. In der Rechtsprechung ist bislang nicht abschließend geklärt, ob auf diese Weise Eignungskriterien (bzw. deren Nachweis) wirksam festgelegt werden können, insbesondere ob in der Auftragsbekanntmachung selbst die Kriterien bzw. Nachweise verbal umschrieben werden müssen bzw. inwieweit es möglich ist, über einen Link die in anderen Dokumenten niedergelegten Eignungsanforderungen in die Bekanntmachung oinzubeziehen. So hat sich beispielsweise Summa (vgl. juris-PK, § 122 GWB, Rn. 51 ff, insb. 54.1) mit Blick auf den Sinn und Zweck der Regelungen kritisch mit der diesbezüglichen Praxis der Vergabestellen auseinandergesetzt. Nach seiner Ansicht ermögliche allein die online-Verfügbarkeit von Dokumenten gerade nicht, dass jedes in- und ausländische Unternehmen „auf einen Blick“ erkennen kann, ob es als potentiell geeigneter Wettbewerbsteilnehmer in Betracht kommt oder ob es sich eine Befassung mit den Vergabeunterlagen von vornherein ersparen kann. Zulässig sei dagegen ein Link in der Bekanntmachung auf das die Eignung betreffende Formular 124 (vgl. auch OLG Düsseldorf vom 05.11.2014, Verg 21/14, allerdings zur früheren Rechtslage).
Vorliegend gab es zwar in der Bekanntmachung nach übereinstimmenden Angaben der Beteiligten einen Link, der den Interessenten zu don Auftragsunterlagen führte, allerdings hält der Senat es nicht für selbstverständlich, dass dies allein ausreichend ist. Je nach Ausschreibung können die Auftragsunterlagen einen erheblichen Umfang annehmen und ggf. auch an verschiedenen Stellen Vorgaben zur Eignung bzw. den vorzulegenden Unterlagen enthalten. Dass der interessierte Bewerber bzw. Bieter damit problemlos „auf einen Blick“ feststellen kann, welche Anforderungen er beachten muss, ist damit – anders als bei einer Verlinkung auf das ausschließlich die Eignung betreffende Formblatt 124 – nicht unbedingt gewährleistet. Im konkreten Fall waren die Auftragsunterlagen zwar relativ kurz gefasst, sie enthielten jedoch alle Informationen zur Vergabe, auch diejenigen, die nichts mit der Eignung zu tun hatten. Einen gewissen Rechercheaufwand hatte mithin auch der Interessent im streitgegenständlichen Verfahren, um sich Kenntnis von den Eignungsanforderungen zu verschaffen. Dem Sinn der gesetzlichen Regelung, nämlich dass ein Bewerber gerade nicht die gesamten Auftragsunterlagen durchsehen muss, um festzustellen, ob der Auftrag für ihn in Frage kommt, entspricht dies nicht. Ob die Vergabestelle deshalb gehalten wäre, entsprechende Präzisierungen im Text (z.B. Verweis auf Ziff. 10 der Angebotsaufforderung) oder mittels technischer Mittel (z.B. Link, der unmittelbar zu den Eignungskriterien und den vorzulegenden Unterlagen führt) vorzunehmen, braucht allerdings nicht entschieden zu werden. Denn aus nachfolgenden Gründen hält der Senat einen Angebotsausschluss nicht für gerechtfertigt.
c) Die Angebotsaufforderung enthält die Vorgabe, dass der Bieter entweder eine Zertifizierung als Entsorgungsfachbetrieb nach § 56 KrWG vorzuweisen hat oder gleichwertige Nachweise, aus denen hervorgeht, dass das Unternehmen über qualifiziertes und geschultes Personal verfügt, eine Betriebsordnung, ein Betriebshandbuch und ein Betriebstagebuch besitzt, die entsprechend geführt werden, dass es Mitglied einer Berufsgenossenschaft ist, dass ein ausreichender Versicherungsschutz besteht und ein aktuelles polizeiliches Führungszeugnis des Unternehmers/Niederlassungsleiters des für die Leistungen verantwortlichen Betriebes. Die Beigeladene verfügt nicht über eine Zertifizierung nach § 56 KrWG. Sie hat mit dem Angebot eine Reihe von Unterlagen vorgelegt, u.a. auch ein Führungszeugnis für den persönlich haftenden Gesellschafter, das allerdings aus dem Jahr 2015 datiert. Auf die Anforderung der Vergabestelle vom 10.08.2017 hat sie ein Führungszeugnis vom 18.08.2017 sowie die übrigen angeforderten Unterlagen vorgelegt. Beide Führungszeugnisse enthalten keinen Eintrag.
Nach den Vergabeunterlagen dient die Vorlage des aktuellen polizeilichen Führungszeugnisses der Prüfung der technischen/beruflichen Leistungsfähigkeit des Bieters. Der öffentliche Auftraggeber kann einen Bieter gemäß § 56 Abs. 2 S. 1 VgV auffordern, fehlende, unvollständige oder fehlerhafte unternehmensbezogene Unterlagen, insbesondere (…) Bescheinigungen oder sonstige Nachweise, nachzureichen, zu vervollständigen oder zu korrigieren. Dabei hat er den Grundsatz der Transparenz und der Gleichbehandlung zu beachten.
Zutreffend weist die Antragstellerin darauf hin, dass die Rechtsprechung schon nach der früheren Rechtslage nur in engen Grenzen diesbezügliche Ergänzungen bzw. Korrekturen zugelassen hat und dass auch die nunmehrige Regelung nur geringe Spielräume für ein Nachfordern eröffnet, wie das OLG Düsseldorf vor kurzem in seiner Entscheidung vom 28.03.2018, Az. Verg 42/17 eingehend dargelegt hat.
Um beurteilen zu können, ob die Vergabestelle rechtmäßig nachgefordert hat, muss (wie in § 56 Abs. 2 VgV aufgelistet) zwischen „fehlenden“, „unvollständigen“ und „fehlerhaften“ Unterlagen unterschieden werden. Eine Unterlage „fehlt“, wenn sie körperlich nicht vorgelegt worden ist. Aber auch Unterlagen, die in rein formaler Hinsicht nicht den Vorgaben des öffentlichen Auftraggebers entsprechen, zählen zu den „fehlenden“ Unterlagen (vgl. Dittmann in Kulartz/Kus/Marx/Portz/Pries, VgV, 2017, Rn. 30 zu § 56 VgV; Horn in Müller-Wrede, VgV/UVgO, 2017, Rn. 40, 41 zu § 56 VgV m.w.N.). Als Beispiele für formale Fehler werden in der Kommentarliteratur das Fehlen einer Beglaubigung oder die Gültigkeitsdauer genannt. In diesen Fallkonstellationen wird das vorgelegte, formal falsche bzw. untaugliche Dokument als „aliud“ betrachtet und gilt nicht als der geforderte (fehlerhafte) Beleg (Horn a.a.O.).
Der Senat qualifiziert das zunächst vorgelegte Führungszeugnis von 2015 als eine solche, formal nicht den Anforderungen entsprechende Unterlage. Wenn man die Forderung nach einem „aktuellen“ Zeugnis als rechtmäßig erachtet (was unter dem Gesichtspunkt der Bestimmtheit durchaus fraglich erscheint), bezieht sich das Manko des Dokuments rein auf das Datum, quasi auf dessen „Gültigkeitsdauer“. Der streitgegenständliche Fall lässt sich deshalb mit dem vom OLG Düsseldorf mit Beschluss vom 17.03.2011, Az. Verg 56/10 entschiedenen Fall vergleichen. Dort war eine „gültige Bescheinigung der zuständigen Stellen, dass die Verpflichtung zur Zahlung von Steuern … erfüllt wurde“ verlangt worden. Ergänzend hatte die Vergabestelle festgelegt, dass die Bescheinigung der zuständigen Stellen nicht älter als 3 Monate sein darf. Vorgelegt worden ist eine mit anwaltlichem Handzeichen versehene Fotokopie. Das OLG Düsseldorf hat insoweit entschieden, dass die vorgelegte Erklärung erkennbar von der geforderten Anforderung abweiche, da sie „nicht gültig“ im Sinne der Anforderung sei. Da es sich um eine rein formale Abweichung handele, könne sie nachgefordert werden (OLG Düsseldorf, a.a.O., Rn. 47 und 48, zitiert nach juris). Ebenso ist die Sachlage hier: Das zunächst eingereichte Führungszeugnis hat den rein formalen, sofort ohne inhaltliche Prüfung erkennbaren Mangel, dass es „nicht aktuell“ ist. Wie dargelegt, sind solche, in rein formaler Hinsicht abweichende Dokumente praktisch als Nullum zu sehen mit der Folge, dass der Beleg im Rechtssinne fehlte und damit auch nachgefordert werden konnte. Dies gilt selbst dann, wenn man mit der Antragstellerin in den Vergabeunterlagen eine Beschränkung der Nachforderung auf fehlende Unterlagen sehen würde.
Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Führungszeugnis, wie bei dem Dokument im Falle des OLG Düsseldorf, um eine behördliche Bescheinigung handelt. Solche Bescheinigungen hängen nicht von individuellen Abreden (wie Verpflichtungserklärungen, so der Fall des OLG Düsseldorf vom 28.03.2018, Verg 42/17) oder Einflüssen ab, sie bescheinigen vielmehr amtlich und objektiv die Rechtslage. Es besteht damit kein Raum für Manipulationen oder nachträgliche Veränderungen. Der inhaltliche Aussagegehalt beider Bescheinigungen war und ist gleichermaßen zutreffend, nämlich dass der persönlich haftende Gesellschafter nicht vorbestraft ist.
Auch aus der von der Antragstellerin zitierten Rechtsprechung folgt nichts anderes: Wie dargelegt, betraf die Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 28.03.2018, Verg 42/17 eine Verpflichtungserklärung bzw. deren (inhaltlich abweichende) Übersetzung. Zu Recht hat das Oberlandesgericht dort die Voraussetzungen für ein Nachfordern verneint, da dies eine unzulässige inhaltliche Nachbesserung ermöglicht hätte. Die Rechtsprechung, wonach ein Dokument, das in rein formaler Hinsicht den Anforderungen nicht entspricht, nachgefordert werden kann, hat das OLG Düsseldorf in dieser Entscheidung weder aufgegeben noch in Frage gestellt (vgl. OLG Düsseldorf, a.a.O. Rn. 43, 48 und 49).
Gerade auf diese Problematik bezieht sich auch der Verweis des OLG Düsseldorf auf die Rechtsprechung des EuGH, der „bloße Klarstellungen“ bzw. „offensichtliche sachliche Fehler“ als korrigierbar bezeichnet (EuGH vom 07.04.2016, C-324/14, Rn. 63 ff, zitiert nach juris und vom 29.03.2012, C-599/10), was seine Grenze jedenfalls dann findet, wenn dies zu einer Abänderung des Angebots führen würde.
Vorliegend wird der Angebotsinhalt durch das Nachreichen des polizeilichen Führungszeugnisses aus dem Jahr 2017 in keiner Weise geändert.
Da der Senat in dieser Frage weder von entscheidungserheblichen Aussagen in Beschlüssen des OLG Düsseldorf (oder anderer Oberlandesgerichte bzw. des BGH) abweicht, sondern den Streitpunkt vollständig im Einklang mit der Rechtsprechung und der Fachliteratur beurteilt, besteht auch keine Veranlassung zur Vorlage des Verfahrens an den BGH. Nichts anderes gilt in Bezug auf die Rechtsprechung des EuGH, wie sie auch zitiert ist.
Zusammenfassend ist damit festzustellen, dass das Führungszeugnis von der Vergabestelle rechtmäßig nachgefordert und auch berücksichtigt werden konnte, ebenso wie die weiteren nachgereichten Unterlagen von der Vergabestelle berücksichtigt werden. Die darauf beruhende Beurteilung der Vergabestelle, die Beigeladene habe damit hinreichende gleichwertige Nachweise, wie in den Vergabeunterlagen gefordert, vorgelegt, ist ebenfalls vergaberechtlich nicht zu beanstanden.
Der Ausschlusstatbestand des § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV ist damit nicht erfüllt.
3. Angebotsausschluss wegen Fehlens einer für die ordnungsgemäße Durchführung der Leistung erforderlichen öffentlich-rechtlichen Genehmigung (insbesondere fehlende Zulassung nach der VO (EG) 1069/2009)
a) Soweit die Antragstellerin im Nachgang zur mündlichen Verhandlung ergänzend Akteneinsicht in den Genehmigungsbescheid für die Biogasanlage der Beigeladenen beantragt hat, war diesem Antrag nicht nachzukommen. Abgesehen davon, dass die Beigeladene einer Einsichtnahme widersprochen hat, war dio mündliche Verhandlung geschlossen, mithin weitere Anträge bzw. Vorbringen grundsätzlich nicht mehr berücksichtigungsfähig. Der der Antragstellerin gewährte Schriftsatznachlass betraf ausschließlich das Vorbringen der gegnerischen Anwälte in Schriftsätzen vor der Vergabekammer, die wohl versehentlich nicht mehr übermittelt worden waren. Die Antragstellerin hat in der mündlichen Verhandlung weder geltend gemacht, dass sie über den bisherigen Umfang hinaus Akteneinsicht begehrt, noch dass sie eine Stellungnahmefrist zu gerichtlichen Hinweisen benötigt. Davon abgesehen ist es der Beigeladenen, wie ihr Vorbringen vom 25.06.2018 belegt, ohnehin gelungen, sich anderweitig die begehrten Informationen zu verschaffen.
b) Ausweislich der Ausschreibungsunterlagen verlangt der Antragsgegner eine ordnungsgemäße Verwertung/Entsorgung des anfallenden Bioabfalls (einschließlich etwaiger Fremd- und Reststoffe und der Gärreste). Zur Prüfung, ob der Bieter hierzu willens und in der Lage ist, hat der Bieter eine Zertifizierung als Entsorgungsfachbetrieb oder gleichwertige Nachweise vorzulegen, außerdem ist die Behandlungsanlage mit Genehmigungsnachweis zu beschreiben, ebenso die Entsorgungswege (vgl. Ziffer 10, lit. i der Angebotsaufforderung). Zweifelsfrei kann damit nur ein Bieter den Zuschlag erhalten, dessen Behandlungsanlage zur Verwertung/Entsorgung des streitgegenständlichen Bioabfalls behördlich genehmigt ist. Verfügt der Bieter nicht über eine solche Anlage, fehlen ihm die erforderlichen technischen Mittel zur Auftragsdurchführung. Es handelt sich insoweit um Vorgaben zur technischen/beruflichen Leistungsfähigkeit (§ 46 VgV).
Tatsächlich hat die Beigeladene für die von ihr betriebene Biogasanlage seit 2015 eine behördliche Genehmigung, Bioabfall nach der BioAbfV mit den Abfallschlüsselnummern 20 03 01 (gemischte Siedlungsabfälle, getrennt erfasste Bioabfälle), 20 03 02 (Marktabfälle) und 20 02 01 (Grüngut und Landschaftspflegeabfälle) einzusetzen. Den Nachweis der Genehmigung hat sie gegenüber der Vergabestelle durch fristgerechte Vorlage des Antrags und des Genehmigungsbescheides erbracht. Die entsprechenden Unterlagen sind nochmals im Nachprüfungsverfahren vorgelegt worden.
Soweit die Antragstellerin die Reichweite bzw. Wirkung der fraglichen Genehmigung in Frage stellt, ist folgendes festzustellen:
Der Genehmigungsantrag der Beigeladenen zielte ersichtlich darauf ab, Bioabfall aus Biotonnen privater Haushalte, der regelhaft in gewissem Umfang tierische Nebenprodukte enthält, in der Anlage verwerten zu dürfen. Dem Einwand der Antragstellerin, dies hätte gesondert beantragt und im Bescheid auch aufgeführt werden müssen, vermag der Senat nicht zu folgen. Aus dem Bescheid, insbesondere den weiteren Nebenbestimmungen ergibt sich, dass die zuständige Behörde bei der Erteilung der Genehmigung sehr wohl die Verwertung von Bioabfällen tierischer Herkunft in der Anlage der Beigeladenen im Blick hatte. Dass es sich dabei um – überflüssige – Standardregelungen handeln würde, wie die Antragstellerin meint, ist fernliegend.
Der vorliegend zu entsorgende Bioabfall fällt unter die Abfallschlüsselnummer 20 03 01, wie die Antragstellerin selbst im Nachprüfungsverfahren wiederholt ausgeführt hat. Es handelt sich dabei um Bioabfall nach der BioAbfV (vgl. Definition in § 2 BioAbfV, sowie nähere Erläuterungen im Anhang). Dass Bioabfall nach der BioAbfV keinesfalls Stoffe enthalten darf, die zur Kategorie 3 nach der VO (EG) 1069/2009 zählen (tierische Nebenprodukte), kann der Verordnung nicht entnommen werden.
Die Genehmigung ist rechtswirksam und bestandskräftig, mit der Folge, dass die Beigeladene – gestützt auf den für sie begünstigenden Verwaltungsakt – bis zu einem Widerruf bzw. einer Rücknahme dieses Bescheides durch die zuständigen Stellen eine behördlich genehmigte Tätigkeit ausübt. Darüber hinaus hat der Genehmigungsbescheid nach § 13 BlmschG Konzentrationswirkung, die mit § 6 BlmschG korrespondiert, wonach die Behörde einen umfassenden Prüfungsmaßstab anzuwenden hat. Sinn und Zweck der Vorschrift ist eine Zuständigkeitsbündelung, so dass die Genehmigung in einem einheitlichen Verwaltungsakt erteilt wird. Bräuchte der Antragsteller für die Nutzung von Bioabfall in der Biogasanlage nach der VO (EG) 1069/2009 eine weitere Zulassung, müsste die Behörde dies bei der Erteilung der Genehmigung mitberücksichtigen und ggf. die Einhaltung von spezifischen Vorgaben nach VO (EG) 1069/2009 durch Auflagen o.ä. sicherstellen. Es oblag damit der Genehmigungsbehörde, diese Problematik zu prüfen und zu entscheiden, ob gemäß § 3 Abs. 1 TierNebV die Einhaltung der BioAbfV bzw. des KrWG genügt oder ob nach EU-Recht noch höhere Anforderungen an die beantragte Erweiterung der Nutzung der Anlage zu stellen sind.
Die Beurteilung der Vergabestelle, die Beigeladene habe durch Vorlage der Genehmigung ihre technische Leistungsfähigkeit hinreichend nachgewiesen und sei zur Durchführung des Auftrags geeignet, ist bei dieser Sachlage nicht zu beanstanden. Ebenso wenig besteht damit für die Vergabestelle ein Anhalt dafür, dass die Beigeladene eine Leistung anbietet, die nicht den Vorgaben der Vergabeunterlagen entspricht (§ 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV).
c) Der Senat sieht es nicht als seine Aufgabe an, im laufenden Nachprüfungsverfahren zu klären, ob die der Beigeladenen erteilte Genehmigung zu Unrecht ergangen ist, weil die Genehmigungsbehörde zu geringe Anforderungen gestellt oder falsche Normen herangezogen hat. Dies gilt sowohl für die Frage, ob Biogasanlagen, in denen (auch) Bioabfälle mit Küchen- und Speiseabfällen aus privaten Haushalten verwertet werden, nach der VO (EG) 1069/2009 i.V.m. der VO (EU) 142/2011 zwingend über eine „Pasteurisierungs/Entseuchungsabteilung“ verfügen müssten, als auch für die im Schriftsatz vom 25.06.2018 beanstandete mangelnde Umweltverträglichkeitsprüfung nach dem UVPG. Ebenso wenig muss entschieden werden, ob die nationalen Behörden zu Unrecht, wie die Antragstellerin wohl auch meint, europarechtliche Vorschriften „übergeht“, wenn es um die Verwertung von Bioabfall in Biogasanlagen geht. Liegt eine wirksame, bestandskräftige Genehmigung einer Fachbehörde für eine unternehmerische Tätigkeit vor, fällt es nicht in die Zuständigkeit des Senats, diese Entscheidung inzident zu korrigieren und damit dem Adressaten des Bescheides partiell (und unanfechtbar) die Möglichkeit zu nehmen, von der Genehmigung Gebrauch zu machen. Es obliegt vielmehr den zuständigen Fachbehörden, etwaige Fehler oder fachliche Irrtümer im Zusammenhang mit der Erteilung der Genehmigung für die industrielle Anlage der Beigeladenen zu korrigieren, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Rücknahme bzw. einen Widerruf des Bescheides vorliegen. Eine diesbezügliche Entscheidung kann der Betroffene dann bei den zuständigen Verwaltungsgerichten überprüfen lassen.
Entscheidend ist für den Senat somit, dass die Beigeladene – wie dargelegt – eine wirksame behördliche Genehmigung für ihre Anlage hat, die ihr die Durchführung des Auftrags ermöglicht.
Selbst wenn man der Meinung ist, dass bei „greifbaren Gesetzwidrigkeiten“ im Zusammenhang mit der Erteilung einer behördlichen Genehmigung ein Ausschluss eines Bieters erfolgen könne (oder müsse), liegen die Voraussetzungen nicht vor. Denn der Senat kann auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Antragstellerin in Verlauf des Nachprüfungsverfahrens keine Überzeugung dahingehend gewinnen, dass die Beigeladene zu Unrecht eine Genehmigung zur Verwertung von Bioabfall (nebst etwaiger Restbestandteile von tierischen Nebenprodukten) erhalten hat. Auf die diesbezüglichen Erwägungen der Vergabekammer (S. 37 ff des angefochtenen Beschlusses), nimmt der Senat Bezug. Die gesamte Systematik, die veröffentlichten Handreichungen, die Stellungnahmen der kontaktierten Behörden und auch die tatsächliche Praxis sprechen vielmehr dafür, dass der europäische Verordnungsgeber in Bezug auf Biogasanlagen, in denen Küchen- und Speiseabfälle privater Haushalte verwendet werden, Raum für nationale Zulassungsverfahren gelassen hat, die – wie das Verfahren nach BlmschG i.V.m. KrWG und der BioAbfV – ausreichende Vorsorge zur Gefahrenabwehr treffen. Dies hat zur Folge, dass entgegen der Meinung der Antragstellerin weder eine gesonderte Zulassung nach der VO (EG) 1069/2009 notwendig ist, noch deren spezifische Vorgaben erfüllt sein müssen, wovon ersichtlich die Fachbehörden bis hin zum nationalen Gesetzgeber ausgehen. Dementsprechend führt auch der Verweis der Antragstellerin auf behördlich geführte Listen über Anlagen nach der VO (EG) 1069/2009 nicht weiter.
4. Angebotsausschluss wegen fehlender vergleichbarerer Referenzen
Gemäß § 122 Abs. 1 GWB sind öffentliche Aufträge an geeignete Unternehmer zu vergeben. Welche Anforderungen an die Eignung gestellt werden, bestimmt der Auftraggeber durch entsprechende Vorgaben in der Ausschreibung. Dort legt er auch die Nachweise fest, anhand derer er die Prüfung vornehmen will.
Ziffer 10 der Angebotsaufforderung regelt insoweit nur, dass der Bieter eine Liste der Referenzprojekte über ausgeführte vergleichbare Leistungen aus den letzten 3 Jahren, jeweils mit Angabe des Leistungsumfangs (Mengen), des Leistungszeitraums sowie der Auftraggeber und Ansprechpartner vorzulegen hat. Mindestanforderungen enthält die Ausschreibung nicht.
Grundsätzlich gilt auch nach aktueller Rechtslage, dass das Verlangen nach Referenzprojekten für „vergleichbare“ Leistungen nicht bedeutet, dass das Leistungsbild der herangezogenen Aufträge mit dem ausgeschriebenen Auftrag identisch sein muss. Will der Auftraggeber sicherstellen, dass der Bieter exakt die zu beschaffende Leistung schon früher erfolgreich durchgeführt hat, dann muss er entsprechende konkretisierende Vorgaben festlegen. Macht er dies nicht, genügt, dass die Referenzleistung der ausgeschriebenen Leistung so weit ähnelt, dass sie einen tragfähigen Rückschluss auf die Leistungsfähigkeit des Bieters für die ausgeschriebene Leistung eröffnet. Bei der Bewertung der Frage der Vergleichbarkeit der Referenz kommt der Vergabestelle, die regelmäßig über spezifisches Fachwissen und fachliche Erfahrung verfügt, ein nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu (Senatsbeschluss vom 12.11.2012, Verg 23/12).
Die Beigeladene hat mit dem Angebot eine Liste von Referenzprojekten genannt. Auch die sonstigen geforderten Informationen (Menge, Zeitraum, Auftraggeber, Ansprechpartner) wurden in dieser Liste aufgeführt.
Richtig ist, dass ein Auftrag, nämlich derjenige, der erst in Zukunft (ab 2018) durchgeführt wird, von vorneherein bei der Eignungsprüfung nicht berücksichtigt werden kann. Die weiteren Aufträge betreffen die Verwertung von Grüngut (Landkreis X), die Verwertung von Bioabfall und Grüngut (Stadt Y.) und die Verwertung von Kompost (Landkreis Z.).
Die Vergabestelle hat die Verwertung von Kompost bei ihrer Beurteilung außer Betracht gelassen, allerdings die verbleibenden Referenzen als hinreichend vergleichbar beurteilt mit der Folge, dass die Beigeladene damit eine hinreichende Fachkunde (Erfahrung) und technische Leistungsfähigkeit nachgewiesen habe.
Die Vergabekammer hat in dem angefochtenen Beschluss bezweifelt, ob diese Beurteilung tragfähig ist. Der Senat ist demgegenüber der Auffassung, dass sich die Vergabestelle bei der Bewertung der Referenzen und den daraus gezogenen Schlussfolgerungen im Rahmen des ihr zustehenden Beurteilungsspielraums gehalten hat, mithin die vorgenommene Eignungsprüfung den Angriffen im Nachprüfungsverfahren standhält.
a) Die Frage, ob die Beigeladeno bei der Vergärung von Bioabfall aus der Biotonne zusätzliche Anforderungen nach der VO (EG) 1069/2009 erfüllen muss, hat primär Bedeutung für das bereits erörterte Problem, ob die Anlage der Beigeladenen für die Verwertung dieser Substanzen behördlich zugelassen ist. Dies ist der Fall (s.o.). Insoweit besteht gerade kein hinreichender Anhalt dafür, dass die Beigeladene Umweltvorschriften nicht einhält oder abfallrechtliche Anforderungen nicht erfüllt.
b) Dass Bioabfall aus der Biotonne in der Anlage der Beigeladenen mit einem gesonderten Verfahren behandelt werden muss, das bei Grüngut nicht zur Anwendung kommt, ist nicht ersichtlich. Vielmehr legt das Vorbringen der Beigeladenen und des Antragsgegners nahe, dass sich das Vergärungsverfahren bei Grüngut wegen der möglichen Vermischung mit anderen Abfallarten nicht relevant unterscheidet, was die Beigeladene auch in ihrem Angebot anhand einer graphischen Darstellung der einzelnen Schritte beim Einsatz von Grüngut und Bioabfall dargestellt hat. Abgesehen davon lässt die Tatsache, dass die Beigeladene bei einem der beiden Aufträge (auch) Bioabfall abnimmt und verwertet, den von der Vergabestelle gezogenen Rückschluss zu, dass die Beigeladene mit Abfall dieser Art die notwendige Erfahrung hat und eben auch ordnungsgemäß mit den spezifischen Eigenschaften dieses Abfalls umgehen kann. Die Rückfragen bei den zuständigen Ansprechpartnern haben keinen Anhalt für Fehler oder Versäumnisse bei der Auftragsdurchführung ergeben. Auch der Hinweis der Antragstellerin, wonach der Bioabfall aus der Biotonne einer anderen Abfallkategorie (20 03 01) zuzuordnen ist, als Grüngut (20 02 01), rechtfertigt keine andere Beurteilung.
c) Hinsichtlich der Vergleichbarkeit der Anforderungen in Bezug auf Logistik und Transport kann auf die Ausführungen im Vergabevermerk vom 06.10.2017 Bezug genommen werden, der der Antragstellerin (bis auf wenige Detaildaten) auch bekannt ist. Stichhaltige Einwände gegen die vorgenommenen Erwägungen hat die Antragstellerin nicht vorgetragen.
d) Zu diskutieren ist noch die Frage, ob angesichts der mitgeteilten verarbeiteten Mengen von Grüngut und Bioabfall die Annahme, es handele sich um vergleichbare Leistungen, noch gerechtfertigt ist. Richtig ist, dass der reine Anteil von Bioabfall (ggf. zuzüglich des Grüngutes, das mit Bioabfall durchsetzt ist) deutlich hinter den angebotenen Mengen (2 × 5.000 Mg/a) zurückbleibt. Betrachtet man die Aufträge jedoch in ihrer Gesamtheit, was der Senat für zulässig erachtet, ergibt sich ein Vergärungsvolumen von rund 6.000 Mg/a. Die Vergabestelle hat darüber hinaus in ihre Erwägungen einbezogen, dass die Anlage mit diesen Mengen nicht ausgelastet ist, sondern für deutlich höhere Mengen ausgerichtet und genehmigt ist. Kapazitätsprobleme sind damit nicht zu befürchten.
Auch in diesem Punkt hält der Senat die Beurteilung der Vergabestelle für noch vertretbar, zumal keine bestimmten Mindestmengen (insbesondere die Verarbeitung von Mindestmengen an Biomüll aus privaten Haushalten) vorgegeben waren.
5. Angebotsausschluss wegen eines unangemessen niedrigen Angebotspreises (§ 60 Abs. 3 VgV)
Mittlerweile steht durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 31.01.2017, X ZB 10/16 außer Streit, dass ein Mitbewerber eine nähere Prüfung der Preisbildung verlangen kann, wenn ein Angebotspreis aufgrund des signifikanten Abstands zum nächstgünstigen Gebot oder ähnlicher Anhaltspunkte wie etwa der augenfälligen Abweichung von preislichen Erfahrungswerten aus anderen Beschaffungsvorgängen, ungewöhnlich niedrig erscheint. Bei der Beurteilung der Anforderungen an eine zufriedenstellende Aufklärung berücksichtigt der Auftraggeber Art und Umfang der im konkreten Fall drohenden Gefahren für eine wettbewerbskonforme Auftragserledigung. Geklärt hat der Bundesgerichtshof in diesem Zusammenhang auch die grundlegenden Fragen der Akteneinsicht und Verwertbarkeit von Erkenntnissen aus der Aufklärung im Nachprüfungsverfahren.
Vorliegend besteht objektiv eine erhebliche Diskrepanz zwischen den Angebotspreisen der Beteiligten, was der Antragsgegner zum Anlass genommen hat, die Angemessenheit der Preise vertieft zu prüfen. Das Vorgehen entspricht § 60 Abs. 1 VgV (vgl. auch Art. 69 der Richtlinie 2014/24/EU). Ursache kann ein zu hoher Preis auf Seiten der Antragstellerin sein, ein zu niedriger Preis auf Seiten der Beigeladenen, aber auch unterschiedliche Kostenstrukturen und Kalkulationsgrundlagen können zu erheblichen Divergenzen führen.
Der Antragsgegner ist auf der Grundlage der erholten nformationen zu dem nachvollziehbaren Ergebnis gelangt, dass das Angebot der Beigeladenen auskömmlich ist, was er auch entsprechend dokumentiert hat. Wie im Senatsbeschluss vom 01.06.2018 offen gelegt, wurde die (der Antragstellerin nicht bekannte) Kalkulation der Beigeladenen vom boratondon Büro und der Vergabestelle als detailliert und schlüssig beurteilt. Es wurde von der Beigeladenen eine Kalkulation der Menge einzelner Lose sowie für beide Lose vorgelegt. Überprüft wurden die Mengenansätze, die Ansätze der Kapitalkosten und Fixkosten sowie die variablen Kosten, einschließlich ihrer Vollständigkeit und Plausibilität im Einzelnen. Auch die mitgeteilten, zu erwartenden Erträge (insbesondere aus der Verwertung des erzeugten Biogases) bzw. Erlöse wurden geprüft und als nachvollziehbar bzw. marktüblich bewertet. Es wurden darüber hinaus die Ansätze für Risiko und Gewinn beleuchtet sowie speziell die Personalkosten (einschließlich der Einhaltung gesetzlicher Vorgaben/Mindestlohn). Anhaltspunkte für die Nichteinhaltung von Vorschriften oder für ein Unterkostenangebot ergaben sich nicht.
Ergänzend ist festzustellen, dass die Angebotspreise der Beigeladenen gegenüber den Preisen, die ausweislich der bei der Vergabekammer vorgelegten Liste bei Ausschreibungen anderer Kommunen in den Jahren 2015 bis 2017 erzielt wurden, nicht aus dem üblichen Rahmen fallen. Im Übrigen hat die Antragstellerin selbst bei Angebotsabgabe darauf hingewiesen, dass sie gestiegene Kosten und erhebliche Investitionen in ihren Preis einkalkulieren musste. Auch dies kann ein Grund für die deutlichen Preisunterschiede zwischen den Angeboten sein.
Die wertende Beurteilung des Antragsgegners, dass der Angebotspreis der Beigeladenen im Verhältnis zur Leistung nicht als ungewöhnlich niedrig zu qualifizieren ist, lässt damit vergaberechtliche Fehler oder Versäumnisse nicht erkennen. Ein Ausschluss des Angebots der Beigeladenen scheidet damit auch unter diesem Aspekt aus.
III.
Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens und der notwendigen Auslagen der Beteiligton orgeht gemäß § 175 Abs. 2 i.V.m. § 78 GWB. Die Kostentragungspflicht umfasst auch das Verfahren nach § 173 GWB. Da sich die Beigeladene aktiv am Beschwerdeverfahren beteiligt hat, sind von dor Antragstellerin auch deren außergerichtliche Kosten zu erstatten.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 50 Abs. 2 GKG i.V.m. § 3 VgV. Danach sind 5 % der Bruttoangebotssumme der Antragstellerin für einen Zeitraum von 48 Monaten anzusetzen, da der Vertrag aufgrund der Verlängerungsklausel als ein Vertrag mit nicht absehbarer Vertragsdauer einzustufen ist (vgl. Beck’scher Vergaberechtskommentar, Dreher/Motzke, VgV § 3 Rn. 24–29, beck-online).