Europarecht

Ablauf der Überstellungsfrist im Dublin-Verfahren

Aktenzeichen  M 3 K 15.50630

Datum:
23.8.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylVfG AsylVfG § 27a, § 71a
AsylG AsylG § 34a
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 3 Abs. 1 S. 1, Art. 18 Abs. 1b, Art. 29 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Wird der Asylbewerber nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten nach Italien überstellt (Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO), geht gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO die Zuständigkeit zur Prüfung des Asylantrags auf die Bundesrepublik Deutschland über; der Asylantrag ist daher nicht mehr nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG (§ 27a AsylG aF) wegen Unzuständigkeit der Beklagten unzulässig. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Nch Art. 3 Abs. 1 S. 1 Dublin III-VO bzw. Art. 16a Abs. 1 GG hat der Kläger ein subjektiv-öffentliches Recht auf die Durchführung eines Asylverfahrens und die Prüfung seines Asylbegehrens. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid des Bundesamts für … vom 24. Juni 2015 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Über die Klage konnte mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, § 101 Abs. 2 VwGO.
Die zulässige Anfechtungsklage ist begründet. Der Bescheid des Bundesamts für … vom 24. Juni 2015 erweist sich nach § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylG zum maßgeblichen Zeitpunkt dieser Entscheidung als rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Zwar war Italien der zuständige Mitgliedstaat für die Überprüfung des Asylantrags, da der Kläger dort erstmals Asyl beantragt hat, Abs. 18 Abs. 1 b Dublin-III-VO. Da die Beklagte den Kläger nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten nach Italien überstellt hat (Art. 29 Abs. 1 Dublin-III-VO) ist gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin-III-VO die Zuständigkeit zur Prüfung des Asylantrags auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen. Der Asylantrag des Klägers ist daher nicht mehr nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG (27a AsylG a.F.) wegen Unzuständigkeit der Beklagten unzulässig und eine Anordnung der Abschiebung in den ursprünglich zuständigen Mitgliedstaat nach § 34a AsylG ist nicht mehr möglich (vgl. VG Regensburg, U.v. 14.11.2014 – RN 5 K 14.30304 – juris). Dass Italien als ursprünglich zuständiger Mitgliedstaat ausnahmsweise nach Fristablauf weiterhin zur Übernahme des Klägers bereit wäre, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Der streitgegenständliche Bescheid ist somit im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung objektiv rechtswidrig.
Der Kläger ist durch den streitgegenständlichen Bescheid auch in seinen Rechten i.S.v. § 42 Abs. 2, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO verletzt.
Zwar dienen die Fristbestimmungen der Dublin-III-VO einer zeitnahen Feststellung des zuständigen Mitgliedstaats und einer zügigen Überstellung an diesen, ohne aber den Antragstellern einen Anspruch auf die Prüfung des Asylantrags durch einen bestimmten Mitgliedstaat zu gewähren. Die Bestimmungen der Dublin-II-VO und Dublin-III-VO richten sich als zwischenstaatliche Regelungen vorrangig an den Mitgliedstaat und begründen keine subjektiven Rechte der Asylbewerber (EuGH, U.v. 14.11.2013 – C-4/11 – juris; U.v. 10.12.2013 – C-394/12 – juris). Sie begründen kein subjektives Recht auf Prüfung des Asylantrags in der Bundesrepublik Deutschland wegen Ablaufs der Überstellungsfrist (OVG SH, B.v. 24.2.2015 – 2 LA 15/15 – juris m.w.N.).
Die subjektive Rechtsverletzung des Klägers ergibt sich vorliegend jedoch aus Art. 3 Abs. 1 Satz 1 Dublin-III-VO bzw. Art. 16a Abs. 1 GG. Der Kläger hat ein subjektiv-öffentliches Recht auf die Durchführung eines Asylverfahrens und die Prüfung seines Asylbegehrens. Dieser Anspruch wird vereitelt, wenn eine Überstellung in den ursprünglich für die Prüfung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaat nicht erfolgte und nach Ablauf der Überstellungsfrist auch nicht mehr erfolgen kann und die nunmehr zuständige Beklagte weiterhin von der Unzulässigkeit des Asylantrags nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG (§ 27a AsylG a.F.) ausgeht. Für die Rechtsverletzung des Klägers kommt es nicht darauf an, ob der Fristablauf für den Kläger nunmehr ein subjektives Recht auf Durchführung des Asylverfahrens im Bundesgebiet begründet. Denn durch den Fristablauf wird das Verfahren gleichsam in den Zustand zurückversetzt, in dem es sich bei Antragstellung in Deutschland befunden hat. Damit lebt die Pflicht der Beklagten zur Behandlung des Asylantrags wieder auf. Im Anschluss daran muss die Beklagte prüfen, ob es sich um einen Erst- oder um einen Zweitantrag handelt (vgl. VG Würzburg, U.v. 27.11.2014 – W 3 K 13.30553 – juris).
Da Ziffer 1. des streitgegenständlichen Bescheids rechtswidrig ist, ist auch kein Raum mehr für die Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG nach Italien.
Eine Umdeutung des streitgegenständlichen „Dublin-Bescheides“ in eine ablehnende Entscheidung nach § 71a AsylG kommt nicht in Betracht, da die Voraussetzungen des § 47 VwVfG nicht vorliegen (BayVGH, B.v. 23.1.2015 – 13a ZB 14.50071 – juris).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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