Aktenzeichen AN 14 S 16.50154
Leitsatz
Derzeit bestehen keine Anhaltspunkte für die Annahme systemischer Mängel des Asylverfahrens in Polen oder von Aufnahmebedingungen für Asylbewerber, die diese der tatsächlichen Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung aussetzen könnten. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine Abschiebungsanordnung nach Polen.
Der Antragsteller, geboren am …1982, ist ukrainischer Staatsangehöriger und reiste eigenen Angaben zufolge am 4. Oktober 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein.
Am 11. November 2015 stellte er einen Asylantrag.
Nach den Erkenntnissen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) – polnisches Visum – lagen Anhaltspunkte vor für die Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO).
Daraufhin wurde ein Übernahmeersuchen am 22. Dezember 2015 nach der Dublin III-VO an Polen gerichtet. Die polnischen Behörden erklärten ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung der Asylanträge mit Schreiben vom 13. Januar 2016 und vom 28. Januar 2016 nach Art. 12 Abs. 4 i. V. m. Abs. 11a Dublin III-VO.
In dem persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates zur Durchführung des Asylverfahrens am 11. November 2015 gegenüber dem Bundesamt erklärte der Antragsteller, dass er mit seiner Frau, …, geboren am …, und den beiden gemeinsamen Kindern nach Deutschland gekommen sei. Das Visum wurde von der Botschaft in Kiew am 7. August 2015 ausgestellt und sei bis 14. August 2018 gültig. In Polen sei von ihnen Fingerabdrücke genommen worden. Er wolle ohne nähere Angabe von Gründen in keinen anderen Staat überstellt werden.
Mit Bescheid des Bundesamts vom 26. April 2016, dem Antragsteller am 3. Mai 2016 mit Postzustellungsurkunde zugestellt, wurde der Antrag des Antragstellers als unzulässig abgelehnt (Ziffer 1 des Bescheides) und die Abschiebung nach Polen angeordnet (Ziffer 2 des Bescheides). Unter der Ziffer 3 des Bescheides wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 6 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
Der Antragsteller hat gegen diesen Bescheid mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom
10. Mai 2016, bei Gericht eingegangen am gleichen Tag, Klage erhoben sowie einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt.
Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes beantragt der Antragsteller,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 26. April 2016 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung verweist die Antragsgegnerin auf ihre Ausführungen in dem Bescheid des Bundesamts vom 26. April 2016.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die vorliegende Behörden- bzw. Gerichtsakte verwiesen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
1.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig, insbesondere wurde er fristgerecht innerhalb einer Woche ab Zustellung des streitgegenständlichen Bescheides des Bundesamts gestellt (vgl. § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG).
2.
Der zulässige Antrag ist aber unbegründet.
Die vom Antragsteller erhobene Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 26. April 2016 entfaltet von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 75 Abs. 1 AsylG). Gemäß §§ 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG, 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung einer Klage anordnen, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen das private Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung das öffentliche Vollzugsinteresse überwiegt. Maßgebliche Grundlage dieser Abwägungsentscheidung ist die Beurteilung der Erfolgsaussichten der Klage, die dem Charakter des Eilverfahrens entsprechend nur aufgrund einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage erfolgen kann.
Im vorliegenden Fall fällt die Interessenabwägung zulasten des Antragstellers aus, weil seine Klage in der Hauptsache zu dem nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung mit großer Wahrscheinlichkeit keine Aussicht auf Erfolg hat.
Nach summarischer Prüfung begegnet die auf § 34a Abs. 1 AsylG i. V. m. § 27a AsylG gestützte Abschiebungsanordnung (Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheides) keinen rechtlichen Bedenken. Gemäß § 34a Abs. 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung des Ausländers in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylG) an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
Die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens richtet sich vorliegend nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedsstaates der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedsstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Abl. L 180 v. 19. Juni 2013, S.31; Dublin III VO). Die Zuständigkeitskriterien der Dublin III VO finden nach Art. 49 Abs. 2 dieser Verordnung auf Asylanträge, die – wie hier – nach dem 1. Januar 2014 gestellt worden sind, Anwendung.
Nach zutreffender Auffassung der Antragsgegnerin ist Polen für die Behandlung des Asylgesuchs des Antragstellers zuständig. Dem Antragsteller war ein polnisches Visum erteilt worden. Nach Art. 12 Abs. 2 Satz 1, 1. Halbsatz Dublin III-VO ist in den Fällen, in denen der Antragsteller ein gültiges Visum besitzt, der Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz zuständig, der das Visum erteilt hat. Die polnischen Behörden haben mit Schreiben vom 13. Januar 2016 und 28. Januar 2016 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags des Antragstellers ausdrücklich anerkannt.
Die Zuständigkeit Polens ist auch noch nicht wegen Ablaufs der sechsmonatigen Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO entfallen und auf die Beklagte übergegangen.
Besondere Umstände, die eine Zuständigkeit der Antragsgegnerin nach Art. 3 Abs. 2 Dublin
III-VO begründen würden, sind seitens des Antragstellers weder konkret vorgetragen noch ersichtlich. Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93 -, juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U. v. 21.12.2011 – C 4 11/10 und C 493/10 -, juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Grundrechtscharta) entspricht. Allerdings ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer ernsthaften und durch Tatsachen bestätigten Gefahr für den Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 Grundrechtscharta bzw. Art. 3 Europäische Menschenrechtskonvention ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, U. v. 21.12.2011 a. a. O.). Der Asylbewerber kann der Überstellung in den zuständigen Mitgliedsstaat mithin nur mit dem Einwand sogenannter systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber entgegentreten (so grundsätzlich EUGH, große Kammer, U. v. 10.12.2013, RS: 10-394/12, juris). So bestimmt Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO, dass im Falle systemischer Schwachstellen in einem Mitgliedsstaat für den Fall, dass keine anderen zuständigen Staaten gefunden werden können, der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedsstaat der zuständige Mitgliedsstaat wird. An die Feststellung systemischer Mängel sind hohe Anforderungen zu stellen. Einzelne Grundrechtsverletzungen oder Verstöße gegen Art. 3 EMRK der zuständigen Mitgliedstaaten genügen hierfür nicht. Von systemischen Mängeln ist vielmehr erst dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B. v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 -, Juris; BVB. 6.6.2014, 10 B 25/14, Juris).
Ausgehend davon bestehen derzeit keine Anhaltspunkte, dass der Antragsteller in Polen aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein. Der Antragsteller hat keine konkreten Argumente vorgetragen, die auf systemische Mängel bzw. Schwachstellen im Asylverfahren in Polen schließen lassen, von denen er individuell betroffen sein könnte.
Die Verneinung systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Polen entspricht zudem der überwiegenden Rechtsprechung der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. BayVGH, U. v. 19.1.2016 – 11 B 15.50130; U. v. 22.6.2015 – 11 B 15.50049 sowie B. v. 28.4.2015 – 11 ZB 15.50065; Sächsisches OVG, B. v. 12.10.2015 – 5 B 259/15.A; VG Göttingen, Urt. v. 27.1.2016 – 2 A 931/13; VG Aachen, U. v. 19.8.2015 – 6 K 2553/14.A; VG München, B. v. 29.6.2015 – M 24 K 15.50074; VG Frankfurt (Oder), B. v. 09.6.2015 – 6 L 324/15.A; VG Magdeburg, B. v. 14.4.2015, 9 B 147/15; VG Gelsenkirchen, U. v. 10.3.2015 – 6a K 3687/14.A; VG Düsseldorf, B. v. 2.03.2015 – 17 L 2510/14.A; VG Weimar, U. v. 29.10.2014 – 7 K 20180/11 We -, alle juris) sowie der ständigen Rechtsprechung der Kammer (VG Ansbach, U. v. 27.1.2016 – AN 14 K 15.50448 und AN 14 K 15.50450; B. v. 19.6.2015 – 14 S 15.50134, U. v. 17.2.2015 – 14 K 14.50221 sowie 14 K 14.50222). Ergänzend hierzu wird auf die ausführliche Begründung des streitgegenständlichen Bescheids des Bundesamtes vom 26. April 2016 Bezug genommen.
Auch außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Antragsgegnerin veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO auszuüben, sind nicht ersichtlich.
Ein der Abschiebung nach Polen entgegenstehendes inlandsbezogenes Abschiebungshindernis, das im Rahmen einer Abschiebungsanordnung gemäß § 34 Abs. 1 AsylG ausnahmsweise von der Antragsgegnerin auch noch nach Erlass der Abschiebungsanordnung zu berücksichtigen wäre (vgl. BVerfG, B. v. 17.9.2014 – 2 BvR 732/14 – AuAS 2014, S. 244 ff – juris Rn. 11 f; OVG NRW, B. v. 30.8.2011 – 18 B 1060/11 – juris Rn. 4), ist im vorliegenden Fall ebenfalls nicht gegeben.
Auch die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach § 11 Abs. 2
AufenthG auf 6 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 3 des streitgegenständlichen Bescheides) ist in rechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden. Zu berücksichtigen ist insoweit das bereits kraft Gesetzes bestehende Einreise- und Aufenthaltsverbot gem. § 11 Abs. 1 AufenthG, das unabhängig von der Befristungsentscheidung der Antragsgegnerin gem. § 11 Abs. 2, Abs. 3 AufenthG gilt. Ferner ist der Antragsteller nach der Neufassung des § 36 Abs. 3 AsylG unabhängig von der gerichtlichen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Ziffer 3 des angefochtenen Bescheides zur Ausreise verpflichtet. Die von der Antragsgegnerin festgesetzte Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes auf 6 Monate ab dem Tag der Abschiebung begegnet ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken. Insbesondere hat die Antragsgegnerin das ihr insoweit zustehende Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt. Schutzwürdige Belange des Antragstellers, die eine kürzere Frist rechtfertigen würden, wurden seitens des Antragstellers weder vorgetragen noch sind solche ersichtlich.
3.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit beruht auf
§ 83b AsylG. Der Gegenstandswert in gerichtlichen Verfahren nach dem Asylgesetz richtet sich nach § 30 RVG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).