Europarecht

Antrag auf Steuerentlastungen

Aktenzeichen  14 K 3001/18

Datum:
6.6.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 22280
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:
AEUV Art. 108 Abs. 3
StromStG § 9b, § 10

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.
3. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

II.
Die Klage ist unbegründet. Die angefochtenen Ablehnungsbescheide sind rechtmäßig.
Der Klägerin steht kein Anspruch auf eine Steuerentlastung nach §§ 9b, 10 StromStG zu, weil sie ein Unternehmen in Schwierigkeiten ist und insoweit ein Durchführungsverbot nach Art. 108 Abs. 3 Satz 2 AEUV besteht.
1. Das StromStG enthält keine Einschränkung für Unternehmen in Schwierigkeiten.
Unter den Voraussetzungen der §§ 9b, 10 StromStG können Unternehmen des produzierenden Gewerbes im Sinne des § 2 Nr. 3 StromStG u.a. Steuervergütungen erhalten. Nach dem StromStG sind Unternehmen in Schwierigkeiten nicht von der Entlastung ausgenommen.
2. Für solche Unternehmen ist aber eine Entlastung aufgrund des Durchführungsverbots gem. Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV unzulässig.
a) Soweit in dem AEUV und in dem Vertrag über die Europäische Union nicht etwas anderes bestimmt ist, sind staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Binnenmarkt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen (Art. 107 Abs. 1 AEUV). Art. 107 Abs. 2, 3 AEUV enthalten eine Aufzählung von Beihilfen, die mit dem Binnenmarkt vereinbar sind oder es sein können.
Die Kommission überprüft fortlaufend in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten die in diesen bestehenden Beihilferegelungen. Sie schlägt ihnen die zweckdienlichen Maßnahmen vor, welche die fortschreitende Entwicklung und das Funktionieren des Binnenmarkts erfordern (Art. 108 Abs. 1 AEUV). Stellt sie fest, nachdem sie den Beteiligten eine Frist zur Äußerung gesetzt hat, dass eine von einem Staat oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfe mit dem Binnenmarkt nach Art. 107 AEUV unvereinbar ist oder dass sie missbräuchlich angewandt wird, so beschließt sie, dass der betreffende Staat sie binnen einer von ihr bestimmten Frist aufzuheben oder umzugestalten hat (Art. 108 Abs. 2 AEUV).
Die Kommission wird von jeder beabsichtigten Einführung oder Umgestaltung von Beihilfen so rechtzeitig unterrichtet, dass sie sich dazu äußern kann. Ist sie der Auffassung, dass ein derartiges Vorhaben nach Art. 107 AEUV mit dem Binnenmarkt unvereinbar ist, so leitet sie unverzüglich das in Art. 108 Abs. 2 AEUV vorgesehene Verfahren ein. Der betreffende Mitgliedstaat darf die beabsichtigte Maßnahme nicht durchführen, bevor die Kommission einen abschließenden Beschluss erlassen hat (Art. 108 Abs. 3 AEUV).
Die Verordnung (EU) 2015/1589 des Rates der Europäischen Union (Rates) vom 13. Juli 2015 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Art. 108 AEUV (VerfO, ABl. L 248 vom 24. September 2015, S. 9) konkretisiert diese Grundsätze: Soweit die Verordnungen nach Art. 109 AEUV oder nach anderen einschlägigen Vorschriften des AEUV nichts anderes vorsehen, teilen die Mitgliedstaaten der Kommission ihre Vorhaben zur Gewährung neuer Beihilfen rechtzeitig mit (Art. 2 Abs. 1 Satz 1 VerfO). Anmeldungspflichtige Beihilfen nach dieser Vorschrift dürfen nicht eingeführt werden, bevor die Kommission einen diesbezüglichen Genehmigungsbeschluss erlassen hat oder die Beihilfe als genehmigt gilt (Art. 3 VerfO). „Neue Beihilfen“ sind nach Art. 1 Buchst. c VerfO alle Beihilfen, also Beihilferegelungen und Einzelbeihilfen, die keine bestehenden Beihilfen sind, einschließlich Änderungen bestehender Beihilfen. Bestehende Beihilfen sind u. a. genehmigte Beihilfen, also Beihilferegelungen und Einzelbeihilfen, die von der Kommission oder vom Rat genehmigt wurden (Art. 1 Buchst. b Ziff. ii VerfO). Neue Beihilfen sind auch Beihilfen, deren Verlängerung nach einer zeitlich befristeten Genehmigung beantragt wird. Dies wird aus Art. 4 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 794/2004 der Kommission vom 21. April 2004 zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 659/1999 des Rates über besondere Vorschriften für die Anwendung von Art. 93 des EG-Vertrags, letztere nunmehr ersetzt durch die VerfO (ABl. L 140 vom 30. April 2004, S. 1) deutlich. Denn danach gilt ein vereinfachtes Verfahren, wenn eine Beihilfe verlängert werden soll. Dies setzt voraus, dass die Verlängerung überhaupt anmeldepflichtig ist.
b) Die Durchführung dieses Kontrollsystems obliegt zum einen der Kommission und zum anderen den nationalen Gerichten, wobei ihnen einander ergänzende, aber unterschiedliche Rollen zufallen (EuGH-Urteil vom 11. November 2015 C-505/14, Klausner Holz, ECLI:ECLI:EU:C:2015:742, Deutsches Verwaltungsblatt – DVBl – 2016, 42, Rn 20, m.w.N.). Die mitgliedstaatlichen Gerichte haben grundsätzlich nicht zu entscheiden, ob eine Beihilfe i.S. des Art. 107 Abs. 1 AEUV mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar ist. Denn ausschließlich die Kommission ist für die Beurteilung der Vereinbarkeit von Beihilfemaßnahmen oder einer Beihilferegelung mit dem Gemeinsamen Markt zuständig (EuGH-Urteile vom 18. Juli 2007 C-119/05, Lucchini, ECLI:ECLI:EU:C:2007:434, DVBl 2007, 1167, Rn 51; vom 18. Juli 2013 C-6/12, P, ECLI:ECLI:EU:C:2013:525, DStR 2013, 1588, Rn 38). Innerstaatlich ist das Beihilfeverbot des Art. 107 Abs. 1 AEUV, das weder absolut noch unbedingt ist, nicht unmittelbar anwendbar (BFH-Urteil vom 1. Dezember 2015 VII R 55/13, BFH/NV 2016, 690, Rz 19 m.w.N.). Demgegenüber hat das Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 AEUV unmittelbare Wirkung (EuGH-Urteil vom 13. Dezember 2018 C-492/17, Rittinger u.a., ECLI:ECLI:EU:C:2018:1019, NJW 2019, 577, Rz 42, m.w.N.). Die von der Klägerin zitierten EuGH-Entscheidungen Carmine Capolongo ECLI:ECLI:EU:C:1973:65 in Slg 1973, 611 und Steinike & Weinlig ECLI:ECLI:EU:C:1977:52 in NJW 1977, 1005 entsprechen diesen Prinzipien.
Grundsätzlich sind die nationalen Gerichte im Interesse der praktischen Wirksamkeit des Durchführungsverbots verpflichtet, entsprechend ihrem nationalen Recht aus einer Verletzung des Durchführungsverbots sämtliche Folgerungen sowohl bezüglich der Gültigkeit der Rechtsakte zur Durchführung der Beihilfemaßnahmen als auch bezüglich der Rückforderung der finanziellen Unterstützungen, die unter Verletzung dieser Bestimmung gewährt wurden, zu ziehen. Ausnahmen können z. B. bestehen, wenn zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts die Kommission die Beihilfe genehmigt hat (EuGH-Urteil vom 12. Februar 2008 C-199/06, ECLI:ECLI:EU:C:2008:79, CELF I, Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht, 2008, 145, Rn 40-42, 45).
Unmittelbar geltendem Unionsrecht kommt ein Anwendungsvorrang gegenüber nationalen Gesetzen zu (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 8. April 1987 2 BvR 687/85, NJW 1988, 1459, unter III.3.; BFH-Urteil vom 24. Oktober 2013 V R 17/13, BStBl II 2015, 513, Rz 13, m.w.N.).
c) Nach diesen Grundsätzen steht der Anwendung der §§ 9b, 10 StromStG im Jahr 2016 für Unternehmen in Schwierigkeiten das Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV entgegen.
aa) Die Steuerbegünstigungen der §§ 9b, 10 StromStG sind Beihilfen im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV.
Hierfür müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein: Erstens muss es sich um eine staatliche Maßnahme oder eine Maßnahme unter Inanspruchnahme staatlicher Mittel handeln. Zweitens muss die Maßnahme geeignet sein, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Drittens muss dem Begünstigten durch sie ein selektiver Vorteil gewährt werden. Viertens muss sie den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen. In Bezug auf die Voraussetzung der Selektivität ist zu klären, ob die fragliche nationale Maßnahme im Rahmen einer konkreten rechtlichen Regelung geeignet ist, bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige gegenüber anderen Unternehmen oder Produktionszweigen zu begünstigen, die sich im Hinblick auf das mit der betreffenden Regelung verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden und somit eine unterschiedliche Behandlung erfahren, die im Wesentlichen als diskriminierend eingestuft werden kann. Eine Maßnahme, die einen Steuervorteil verschafft, kann einen selektiven Vorteil für den Empfänger bedeuten und ist eine Beihilfe, wenn sie zwar nicht mit der Übertragung staatlicher Mittel verbunden ist, die Begünstigten aber finanziell besser stellt als die übrigen Steuerpflichtigen. Dagegen ist ein Steuervorteil, der sich aus einer unterschiedslos auf alle Wirtschaftsteilnehmer anwendbaren allgemeinen Maßnahme ergibt, keine Beihilfe. Der Begriff „staatliche Beihilfe“ erfasst nicht die Maßnahmen, mit denen eine Differenzierung zwischen Unternehmen geschaffen wird, die sich im Hinblick auf das mit der in Rede stehenden rechtlichen Regelung verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden und damit a priori selektiv sind, sofern diese Differenzierung gerechtfertigt ist, weil sie sich aus der Natur oder dem Aufbau des Systems ergibt, in das sich die Maßnahmen einfügen (EuGH-Urteil vom 28. Juni 2018 C-203/16 P, Andres (faillite Heitkamp BauHolding)/ Kommission, Internationales Steuerrecht – IStR – 2018, 552, Rn 82, 83, 85-87).
Entgegen der Auffassung der Klägerin handelt es sich bei den Entlastungen nach §§ 9b, 10 StromStG um Beihilfen in diesem Sinne.
Dies ergibt sich bereits aus den Entscheidungen der Kommission vom 13. Februar 2002 (SA.12816 N 449/2001) und vom 13. Juni 2007 (SA.22007 N775/2006) zur zeitlich befristeten Genehmigung u.a. der hier streitigen Steuerentlastungen. Danach beurteilt die Kommission den ermäßigten Steuersatz für das produzierende Gewerbe und für den sog. Spitzenausgleich, der für Strom in § 10 StromStG geregelt ist, als eine Beihilfe. Entscheidungen (nunmehr Beschlüsse) der Kommission sind nach Art. 110 Abs. 2 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft in der Fassung des Vertrages von Amsterdam (nunmehr: Art. 288 AEUV) in allen ihren Teilen für diejenigen verbindlich, an die sie gerichtet sind. An einen Mitgliedstaat gerichtete Entscheidungen bzw. Beschlüsse binden alle Organe des jeweiligen Staates, einschließlich seiner Gerichte (EuGH-Urteil vom 13. Februar 2014 C-69/13, Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht – EuZW – 2014, 269, Rn 23, m.w.N.).
Darüber hinaus liegen auch die Voraussetzungen für eine Beihilfe vor; die Entlastungen wirken insbesondere selektiv. Denn sie begünstigen nur Unternehmen des produzierenden Gewerbes, nicht hingegen Unternehmen, welche z. B. Dienstleistungen erbringen (Entscheidung der Kommission vom 13. Februar 2002 (N 449/2001, S. 7). Entgegen der Auffassung der Klägerin handelt es sich um keine systembedingte Maßnahme, ohne die die Energiesteuer gar nicht möglich wäre, weil sie erforderlich sei, um die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Die Ursache für eine nach Auffassung der Klägerin zu hohe Steuer ist allerdings zunächst die Höhe des allgemeinen Steuersatzes (§ 3 StromStG). Daher ist es nicht systembedingt notwendig, die produzierenden Unternehmen zu bevorzugen. Vielmehr spricht die Intention, durch die Entlastungen die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern, generell gegen das Vorliegen von Umweltschutzbeihilfen im Sinne des Art. 1 Abs. 1 Buchst. c AGVO. Denn Umweltschutz im Sinne von Art. 2 Abs. 101 AGVO setzt einen anderen Zweck voraus, nämlich eine Maßnahme, die darauf abzielt, einer Beeinträchtigung der natürlichen Umwelt oder der natürlichen Ressourcen durch die Tätigkeit eines Beihilfeempfängers abzuhelfen, vorzubeugen oder die Gefahr einer solchen Beeinträchtigung zu vermindern oder eine rationellere Nutzung der natürlichen Ressourcen einschließlich Energiesparmaßnahmen und die Nutzung erneuerbarer Energien zu fördern.
Schließlich werden die Vorschriften des §§ 9b, 10 StromStG in § 2a Abs. 3 des Stromsteuergesetzes in der ab 1. Januar 2018 geltenden Fassung als staatliche Beihilfen bezeichnet.
bb) Eine ausdrückliche Genehmigung der Kommission für das Jahr 2016 bestand nicht mehr. Diese hatte die Steuerermäßigungen für das produzierende Gewerbe und den sog. Spitzenausgleich bis 31. Dezember 2012 als Beihilfen genehmigt (Entscheidungen der Kommission vom 3. Mai 1999 (NN 47/99), vom 13. Februar 2002 (SA.12816 N 449/2001) und vom 13. Juni 2007 (SA.22007 N775/2006)).
cc) Für Unternehmen in Schwierigkeiten bestand im Jahr 2016 auch keine Genehmigung und Freistellung von der Anmeldung nach § 108 Abs. 3 AEUV aufgrund der AGVO.
Die Kommission kann gem. Art. 108 Abs. 4 AEUV Verordnungen zu den Arten von staatlichen Beihilfen erlassen, für die der Rat nach Art. 109 AEUV festgelegt hat, dass sie von dem Verfahren nach Art. 108 Abs. 3 AEUV ausgenommen werden können.
Dementsprechend hat sie gestützt auf die Verordnung (EG) Nr. 994/98 des Rates vom 7. Mai 1998 über die Anwendung der Art. 92 und 93 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften auf bestimmte Gruppen horizontaler Beihilfen (ABl. L 142 vom 14. Mai 1998, S. 1) ab 1. Juli 2014 die AGVO erlassen.
Nach Art. 3 AGVO sind Beihilferegelungen mit dem Binnenmarkt vereinbar und von der Anmeldepflicht nach Art. 108 Abs. 3 AEUV freigestellt, wenn sie bestimmte dort genannte Voraussetzungen erfüllen. Die Verordnung gilt nicht für Beihilfen für Unternehmen in Schwierigkeiten, ausgenommen Beihilferegelungen zur Bewältigung der Folgen bestimmter Naturkatastrophen (Art. 1 Abs. 4 Buchst. c AGVO). Beihilfen, die nicht nach der AGVO von der Anmeldepflicht nach Art. 108 Absatz 3 AEUV freigestellt sind, werden von der Kommission anhand der einschlägigen Rahmen, Leitlinien, Mitteilungen und Bekanntmachungen geprüft (Art. 58 Abs. 2 AGVO). Ohne rechtliche Bedeutung ist demnach, wenn die Kommission lediglich eine unzutreffend nach der AGVO als genehmigt angemeldete Beihilfe nicht aufgreift. Für solche gilt weiterhin das Verfahren nach Art. 108 Abs. 3 AEUV.
Gem. Art. 2 Abs. 18 der AGVO ist ein „Unternehmen in Schwierigkeiten“ ein Unternehmen, auf das mindestens einer der dort genannten Umstände zutrifft. Buchst. a Satz 1 dieser Vorschrift bestimmt im Falle von Gesellschaften mit beschränkter Haftung (ausgenommen KMU, die noch keine drei Jahre bestehen, und – in Bezug auf Risikofinanzierungsbeihilfen – KMU in den sieben Jahren nach ihrem ersten kommerziellen Verkauf, die nach einer Due-Diligence-Prüfung durch den ausgewählten Finanzintermediär für Risikofinanzierungen in Frage kommen): Mehr als die Hälfte des gezeichneten Stammkapitals ist infolge aufgelaufener Verluste verlorengegangen. Dies ist der Fall, wenn sich nach Abzug der aufgelaufenen Verluste von den Rücklagen (und allen sonstigen Elementen, die im Allgemeinen den Eigenmitteln des Unternehmens zugerechnet werden) ein negativer kumulativer Betrag ergibt, der mehr als der Hälfte des gezeichneten Stammkapitals entspricht. Für die Zwecke dieser Bestimmung bezieht sich der Begriff „Gesellschaft mit beschränkter Haftung“ insbesondere auf die in Anhang I der Richtlinie 2013/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen und zur Änderung der Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates (ABl. L 182 vom 29. Juni 2013, S. 19) genannten Arten von Unternehmen und der Begriff „Stammkapital“ umfasst gegebenenfalls alle Agios (Art. 2 Abs. 18 Buchst. a Satz 2 AGVO). Nach dem Anhang I dieser Richtlinie gehört die deutsche GmbH dazu. Gem. dem Erwägungsgrund 14 der AGVO sollen zur Schaffung von Rechtssicherheit für die Frage, ob ein Unternehmen für die Zwecke dieser Verordnung als Unternehmen in Schwierigkeiten gilt, diesbezüglich eindeutige Kriterien festgelegt werden, die auch ohne eine detaillierte Untersuchung der besonderen Lage eines Unternehmens überprüfbar sind (zu dem Vereinfachungsgesichtspunkt bei der Vorgängerregelung: EuGH vom 6. Juli 2017 C-245/16, ECLI:ECLI:EU:C:2017:521, Insolvenzrecht – ZIP – 2017, 1816, Rn 34 f.). Daher kommt es für ein Unternehmen in Schwierigkeiten im Sinne der AGVO nicht darauf an, ob eine positive Fortführungsprognose besteht. Denn eine solche Einschränkung ist in Art. 2 Abs. 18 Buchst. a AGVO nicht enthalten und würde eine detaillierte Untersuchung der besonderen Umstände des Unternehmens verlangen. Unerheblich ist, ob es nach den UiS-Leitlinien auf eine Sanierbarkeit ankommt (hierzu Möhlenkamp, DStR 2014, 816 ff.). Denn aus den dargelegten Gründen ist dies jedenfalls für die AGVO nicht der Fall (den Unterschied andeutend: Möhlenkamp, DStR 2014, 816, 821).
Darüber hinaus stellt die AGVO nicht darauf ab, ob die Verluste durch Sicherheiten abgesichert sind. Das neue Formblatt der Verwaltung zu Unternehmen in Schwierigkeiten legt zwar nahe, dass sie (teilweise) eine andere Auffassung vertritt. Dies ist jedoch rechtlich nicht von Bedeutung.
Auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt keine andere Beurteilung. Folge der Ausweisung aus der AGVO ist nicht, dass für Unternehmen in Schwierigkeiten keine Beihilfe in Betracht kommt. Eine solche fällt hingegen lediglich nicht unter die allgemeine Genehmigung der AGVO und ist (im Einzelfall) anhand der UiS-Leitlinien zu würdigen (vgl. Erwägungsgrund 14 der AGVO). Jedenfalls im Hinblick darauf sind die Kriterien der AGVO verhältnismäßig.
dd) Hier war die Klägerin im Jahr 2016 ein Unternehmen in Schwierigkeiten in diesem Sinne. Sie ist eine GmbH. Auf sie findet Art. 2 Abs. 18 Buchst. a Satz 1 der AGVO Anwendung, weil sie bereits in 2008 und damit mehr als drei Jahre bestanden hat und es hier nicht um Risikofinanzierungsbeihilfen geht. Ihr nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag belief sich auf 1.746.204 € in 2015 und auf 2.220.370 € in 2016. Nach der Stellungnahme zur wirtschaftlichen Situation der Klägerin unter insolvenzrechtlichen Gesichtspunkten der RAin Y vom 27. Februar 2015 und deren Fortschreibung vom 17. Juli 2015 war die Klägerin bereits zum 31. Dezember 2014 überschuldet. Stille Reserven seien nicht vorhanden. Damit ist das gezeichnete Stammkapital (100.000 €) vollständig verlorengegangen. Dies geschah auch aufgrund von Verlusten. So erzielte sie Jahresfehlbeträge in Höhe von 1.233.378 € in 2015 und in Höhe von 474.166 € in 2016. Auf eine positive Fortführungsprognose oder die Absicherung von Verlusten kommt es nach den dargestellten Grundsätzen nicht an.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
4. Die Zulassung der Revision beruht auf § 115 Abs. 2 FGO.

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