Europarecht

Ausweisung eines Irakers wegen strafrechtlicher Erscheinung

Aktenzeichen  AN 11 K 17.02069

Datum:
5.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 27487
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 53, § 54 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 9
StPO § 170 Abs. 2
StGB § 223 Abs. 1
BtMG § 29
GG Art. 6
EMRK Art. 8

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
3. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid vom 28. August 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 VwGO). Zur Vermeidung von Wiederholungen wird Bezug genommen auf die zutreffende Begründung des angefochtenen Bescheids (§ 117 Abs. 5 VwGO) und ergänzend ausgeführt:
Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung und der Befristungsentscheidung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3.16 – BVerwGE 157, 325).
1. Die vom Kläger angefochtene Ausweisung ist rechtmäßig.
a) Die verfügte Ausweisung stützt sich auf § 53 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) in Verbindung mit § 54 Abs. 2 Nr. 1 und 9 AufenthG. Unter Berücksichtigung aller Umstände und nach Abwägung des öffentlichen Ausweisungsinteresses (§ 54 AufenthG) mit dem privaten Bleibeinteresse (§ 55 AufenthG) des Klägers ist das Verwaltungsgericht der Überzeugung, dass hier das öffentliche Interesse an der Ausreise des Klägers sein Interesse an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und die Ausweisung auch nicht gegen höherrangige Normen verstößt. Mangels derzeitiger Rechtsstellung als Flüchtling findet der besondere Ausweisungsschutz nach § 53 Abs. 3 AufenthG keine Anwendung.
Gemäß § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem Verbleib des Ausländers ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Dabei sind nach § 53 Abs. 2 AufenthG bei der Abwägung nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen. Bei dieser Beurteilung müssen die Behörden sowohl den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als auch die Grundrechte des Betroffenen, insbesondere das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, wahren (vgl. EuGH, U.v. 22.12.2010 – Bozkurt, C-303/08 – juris Rn. 57 ff. m.w.N.; U.v. 8.12.2011 – Ziebell, C-371/08 – NVwZ 2012, 422 Rn. 82). Dabei sind auch nach der Ausweisungsverfügung eingetretene Tatsachen zu berücksichtigen, die den Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der gegenwärtigen Gefährdung mit sich bringen können (EuGH, U.v. 11.11.2004 – Cetinkaya, C-467/02 – juris Rn. 47, EuGH, U.v. 8.12.2011 – a.a.O. Rn. 84).
Auf die zutreffenden Ausführungen der Beklagten im streitgegenständlichen Bescheid wird Bezug genommen; im gerichtlichen Verfahren wurde nichts vorgetragen bzw. hinreichend dargelegt, was eine andere Beurteilung rechtfertigen würde.
Im Fall des Klägers liegt ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 9 AufenthG vor. Nach dieser Norm wiegt das Ausweisungsinteresse schwer, wenn der Ausländer wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist (§ 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG); nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG wiegt das Ausweisungsinteresse schwer, wenn der Ausländer einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen hat. Der Kläger erfüllt diese Voraussetzungen; er wurde während seines Aufenthaltes im Bundesgebiet (zwischenzeitlich wiederholt) rechtskräftig verurteilt; Ausweisungsanlass war die vorgenannte Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten wegen vorsätzlicher Körperverletzung (AG …, U.v. 17.10.2016 – …, Bl. 125 ff. der Behördenakte), deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Der Aufenthalt des Klägers gefährdet auch die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 53 Abs. 1 AufenthG; seinem vorgenannten – zwischenzeitlich aber rechtskräftig negativ abgeschlossenen – Asylverfahren wurde durch die verfügte Bedingung Rechnung getragen (vgl. § 53 Abs. 4 Satz 1 AufenthG; danach kann ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, grundsätzlich nur unter der angeführten Bedingung ausgewiesen werden). Die Beklagte hat die Ausweisung sowohl auf generalpräventive als auch auf spezialpräventive Gründe gestützt. Dies ist vorliegend nicht zu beanstanden. Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, dass sich auch nach dem seit 1. Januar 2016 geltenden Recht (allein) mit generalpräventiven Gründen ein Ausweisungsinteresse begründen lässt (vgl. BVerwG, U.v. 9.5.2019 – 1 C 21/18 – InfAuslR 2019, 381; U.v. 12.7.2018 – 1 C 16.17 – juris Rn. 16). Dem Gedanken der Generalprävention liegt zugrunde, dass – über eine ggf. erfolgte strafrechtliche Sanktion hinaus – ein besonderes Bedürfnis besteht, durch die Ausweisung andere Ausländer von Taten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten. Erforderlich ist regelmäßig, dass eine Ausweisungspraxis, die an die Begehung ähnlicher Taten anknüpft, geeignet ist, auf potentielle weitere Täter abschreckend zu wirken. Bei der generalpräventiven Aufenthaltsbeendigung ist besonders sorgfältig das Gewicht der mit ihr verfolgten im öffentlichen Interesse liegenden Zielen zu ermitteln. Hierzu gehört auch für die Verwaltungsgerichte eine genaue Kenntnisnahme und Würdigung des der Aufenthaltsbeendigung zugrundeliegenden Tatgeschehens und seiner strafgerichtlichen Bewertung (vgl. BVerfG, B.v. 21.3.1985 – 2 BvR 1642/83 – juris Rn. 24). Zudem rechnet der Kläger nicht zu den durch § 53 Abs. 3 AufenthG privilegierten Personengruppen, so dass auch insoweit das Abstellen auf generalpräventive Gründe nicht ausgeschlossen ist.
Insbesondere im Hinblick auf die Art der Straftat soll Ausländern – bei einer Ausweisung aus generalpräventiven Gründen – vor Augen geführt werden, dass derartige Verstöße mit einer Aufenthaltsbeendigung mit einem damit einhergehenden Aufenthaltsverbot bedacht werden. Diesem Zweck wird durch eine einheitlich verlässliche Verwaltungspraxis der Ausländerbehörde Rechnung getragen. Die konsequente Ahndung ist geeignet, unmittelbar auf das Verhalten anderer Ausländer einzuwirken und damit künftigen Delikten generalpräventiv vorzubeugen. Es besteht ein öffentliches Interesse, eine verhaltenssteuernde Wirkung bei anderen Ausländern zu erreichen. Dabei ist zu berücksichtigten, dass jedes generalpräventive Ausweisungsinteresse mit zunehmendem Zeitabstand an Bedeutung verliert und ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr herangezogen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2018 – 1 C 16/17 – FamRZ 2018, 1544, juris Rn. 22 f. zur Anwendung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG bei Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis). Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist das generalpräventive Ausweisungsinteresse vorliegend im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung auch noch aktuell. Die einschlägige Strafvorschrift des § 223 Abs. 1 StGB sieht eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren (oder Geldstrafe) vor. Nach § 78 Abs. 3 Nr. 4, Abs. 4 StGB beträgt die Verjährungsfrist daher fünf Jahre, wobei die Verjährung am Tag der Tatbeendigung beginnt, § 78a Satz 1 StGB. Demnach ist hinsichtlich der vorsätzlichen Körperverletzung (am 8.12.2015) bereits die einfache strafrechtliche Verjährungsfrist, die als unterste Grenze in Betracht kommen könnte, noch nicht abgelaufen.
Soweit die Beklagte die Ausweisung zudem auf spezialpräventive Erwägungen stützt, ist auch dies nicht zu beanstanden. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zu der Wiederholungsgefahr zu treffen (vgl. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris, Rn. 18). Dabei sind die Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte an die Feststellungen und Beurteilungen der Strafgerichte rechtlich nicht gebunden. Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (vgl. BayVGH, U.v. 30.10.2012 – 10 B 11.2744 – juris, Rn. 33). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (vgl. BVerwG, U.v. 4.10.2012 – 1 C 13.11 – Rn. 18; BayVGH, B.v. 8.3.2016 – 10 B 15.180 – juris Rn. 31).
Gemessen an diesen Grundsätzen ist die Kammer zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt zu der Überzeugung (§ 108 Abs. 1 VwGO) gelangt, dass eine hinreichend konkrete Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der Kläger erneut die öffentliche Sicherheit durch vergleichbare Straftaten (auch Körperverletzungsdelikte) beeinträchtigen wird. Das Gericht geht mit der Beklagten davon aus, dass nach dem persönlichen Verhalten des Klägers aufgrund der konkreten Umstände des Falles mit hinreichender Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden muss, dass von ihm auch künftig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht. Die Gefahrenprognose wird konkret durch das Verhalten des Klägers im Bundesgebiet getragen. Zwar setzte das Amtsgericht … die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung aus (U.v. 17.10.2016 – …), weil es vom Vorliegen einer günstigen Sozialprognose ausging, demgegenüber geht es bei der Ausweisung um die Frage, ob das Risiko eines Misslingens der Resozialisierung von der deutschen Gesellschaft oder von der Gesellschaft im Heimatstaat des Ausländers getragen werden muss; die Prognoseentscheidung bezieht sich folglich nicht nur auf die Dauer der Bewährungszeit, sondern hat einen längeren Zeithorizont in den Blick zu nehmen. Denn es geht hier um die Beurteilung, ob es dem Ausländer gelingen wird, über die Bewährungszeit hinaus ein straffreies Leben zu führen (vgl. BayVGH, B.v. 8.4.2019 – 10 ZB 18.2284 – juris). Der Kläger ist vorliegend nach Aktenlage am 28. September 2015 in das Bundesgebiet eingereist und wiederholt strafrechtlich in Erscheinung getreten (s.o.), insbesondere bereits kurz nach seiner Einreise am 8. Dezember 2015, als er nach den Feststellungen des Amtsgericht … (U.v. 17.10.2016 – …, Bl. 125 ff. der Behördenakte) deutlich alkoholisiert in der Asylbewerberunterkunft dem Geschädigten mit der linken Faust auf das rechte Auge schlug; nach den Ausführungen des Strafgerichts steht der Sachverhalt aufgrund des Geständnisses des Klägers und der Zeugenaussagen fest. Ausweislich der polizeilichen Zeugenvernehmung hierzu fiel der Kläger in der Asylbewerberunterkunft sehr häufig durch Alkoholmissbrauch und Provokationen gegenüber Mitbewohnern und Sicherheitsmitarbeitern auf; er legte es oft darauf an, dass Streitigkeiten entstehen (Bl. 71 der Behördenakte). Der Kläger hat sich offensichtlich von dieser Verurteilung unbeeindruckt gezeigt und wurde anschließend wegen des vorgenannten Betäubungsmitteldelikts verurteilt (Strafbefehl, AG …, 29.1.2020), nachdem bereits wegen eines Vergehens nach § 29 BtMG (Verkauf einer Kräutermischung am 18.4. 2016) mit Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 27. Januar 2017 gemäß § 154 Abs. 1 StPO von der Verfolgung abgesehen worden war. Die Beklagte verweist u.a. zutreffend darauf, dass der Kläger – auch nach seinen Darlegungen nach Anhörung zur Ausweisung – aus einem geringen Anlass heraus, dem Geschädigten einen Faustschlag auf das rechte Auge versetzt und unter Beweis gestellt habe, dass er die Rechtsgüter anderer Menschen nicht achte und nicht in der Lage sei, Konflikte gewaltfrei zu lösen. Die verhängte Freiheitsstrafe stellt auch nicht nur einen geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften dar; eine Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Straftat, ist – unabhängig davon, dass hier bereits ein Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG gegeben ist und dem Tatbestand des § 54 Abs. 2 Nr. 9 Alt. 1 AufenthG im System der gesetzlich normierten Ausweisungsinteressen eine Auffangfunktion zukommt (vgl. BT-Drs. 18/4097, S. 52), – als nicht geringfügig i.S.v. § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG anzusehen (vgl. BayVGH, B.v. 27.4.2020 – 10 C 20.51 – juris; B.v. 19.9.2016 – 19 CS 15.1600 – juris m.w.N.). Die Beklagte geht zutreffend davon aus, dass aufgrund des Gesamtverhaltens und der Persönlichkeit des Klägers eine begründete Wiederholungsgefahr besteht; die vom Kläger begangene vorgenannte Straftat war gegen die körperliche Unversehrtheit anderer Menschen und damit gegen höchstrangige Rechtsgüter gerichtet. Es ist festzustellen, dass der Kläger keinen grundlegenden Einstellungs- und Verhaltenswandel in Bezug auf die Begehung von Straftaten vollzogen hat. Daher ist nach Auffassung der Kammer unter Berücksichtigung der vorliegenden Gesamtumstände nicht davon auszugehen, dass der Kläger in Zukunft die Rechtsordnung akzeptiert.
Das Vorbringen des Klägers, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, die Körperverletzung im Jahr 2015 liege weit zurück und er habe sich seit drei Jahren nicht mehr auffällig verhalten und sein Leben geordnet, rechtfertigt unter Berücksichtigung der gegebenen Gesamtumstände im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung keine andere Beurteilung. Zumal dem Vortrag des Klägers, seit eineinhalb Jahren keinen Alkohol mehr zu trinken und keine Drogen zu nehmen, entgegenzuhalten ist, dass er nach den Darlegungen der Beklagten in der mündlichen Verhandlung am 18. Juli 2019 zwei Tütchen Marihuana bei sich führte, positiv auf Drogen getestet wurde und aufgrund dessen der vorgenannte Strafbefehl erging (AG …, 29.1.2020, Geldstrafe von zehn Tagessätzen zu je 15 EUR). Es ist also zudem nach wie vor von einer bestehenden Drogenproblematik des Klägers auszugehen; bei Straftaten, die auf einer Suchterkrankung des Ausländers beruhen, kann im Übrigen nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs von einem Wegfall der für die Ausweisung erforderlichen Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden, solange der Ausländer nicht eine Drogentherapie erfolgreich abgeschlossen und die damit verbundene Erwartung eines künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht hat (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 4.4.2019 – 19 ZB 18.1611 – juris Rn. 9; U.v. 3.2.2015 – 10 B 14.1613 – juris Rn. 32 m.w.N.).
b) Die bei Vorliegen einer tatbestandsmäßigen Gefährdungslage nach § 53 Abs. 1 AufenthG unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise des Klägers mit den Interessen an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet ergibt, auch unter Berücksichtigung des Art. 6 GG, des Art. 8 EMRK und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, dass das öffentliche Interesse an seiner Ausweisung überwiegt. Die streitgegenständliche Ausweisung des Klägers ist weder unter Berücksichtigung der in § 53 Abs. 2 AufenthG – allerdings nicht abschließend – aufgeführten Umstände noch mit Blick auf die Anforderungen der wertentscheidenden Grundsatznormen des Art. 6 Abs. 1 GG und des Art. 8 EMRK unverhältnismäßig.
Im Fall des Klägers besteht – wie bereits dargelegt – jedenfalls ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 1 und 9 AufenthG. Dem steht vorliegend kein vertyptes schwerwiegendes Bleibeinteresse des Klägers im Sinne des § 55 AufenthG gegenüber. In der nach § 53 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG gebotenen Gesamtabwägung von Ausweisungs- und Bleibeinteresse unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles wie insbesondere der Dauer des Aufenthalts, der persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat sowie der Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner überwiegt vorliegend das öffentliche Ausweisungsinteresse das private Bleibeinteresse des Klägers. Die Beklagte hat nach Aktenlage zutreffend berücksichtigt, dass sich der Kläger seit September 2015 im Bundesgebiet aufhält. Der Kläger ist also nicht im Bundesgebiet aufgewachsen und hat hier keine Kernfamilie. Es ist davon auszugehen, dass es dem zuletzt in … lebenden erwachsenen Kläger nicht unzumutbar ist, sich im Irak wieder sozial und beruflich zu integrieren. Zumal der Kläger erst 23-jährig eingereist ist und er nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung zumindest noch einen im Irak lebenden Bruder (zu dem er allerdings keinen Kontakt habe), demnach dort familiäre Anknüpfungspunkte hat; im Übrigen entschied das Bundesamt über das Vorliegen zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote (§ 42 Satz 1 AsylG). Auch ist vorliegend davon auszugehen, dass der – nach seinen Angaben jedenfalls bis etwa zum 18. Lebensjahr im Irak lebende – Kläger mit den Lebensverhältnissen im Irak vertraut ist.
c) Die Ausweisung erweist sich im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung auch unter Berücksichtigung von Art. 8 Abs. 1 und Abs. 2 EMRK als verhältnismäßig.
Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit sind insbesondere die Anzahl, Art und Schwere der vom Ausländer begangenen Straftaten, das Alter des Ausländers bei Begehung dieser Taten, die Dauer des Aufenthalts in dem Land, das der Ausländer verlassen soll, die seit Begehung der Straftaten vergangene Zeit und das seitdem gezeigte Verhalten des Ausländers, die Staatsangehörigkeit aller Beteiligten, die familiäre Situation und gegebenenfalls die Dauer einer Ehe sowie andere Umstände, die auf ein tatsächliches Familienleben eines Paares hinweisen, Kinder des Ausländers und deren Alter, das Interesse und das Wohl der Kinder, insbesondere auch die Schwierigkeiten, auf die sie wahrscheinlich in dem Land treffen, in das der Betroffene ggf. abgeschoben werden soll, die Intensität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland einerseits und zum Herkunftsland andererseits als Kriterien heranzuziehen (EGMR, U.v. 25.3.2010 – Mutlag/ Bundesrepublik Nr. 40601/05 – InfAuslR 2010, 325; U.v. 13.10.2011 – Trabelsi/ Bundesrepublik Nr. 41548/06 – juris Rn. 54).
Ausgehend von diesen Maßgaben kann sich der Kläger nicht auf eine Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung berufen. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die obige Abwägung und den Bescheid der Beklagten verwiesen. Die Ausweisung ist die geeignete, erforderliche und angemessene Maßnahme, um den dargelegten beabsichtigten Zweck durchzusetzen. Durch ein anderes, milderes Mittel kann der mit ihr verfolgte Zweck vorliegend nicht erreicht werden. Im Ergebnis ist die Ausweisung des Klägers daher verhältnismäßig und rechtmäßig.
2. Die in Nr. 2 des Bescheids verfügte Befristung der Wirkungen der Ausweisung und Abschiebung auf drei Jahre ab Abschiebung bzw. Ausreise ist ebenfalls rechtmäßig.
Die Befristungsdauer steht nach der Neufassung des § 11 Abs. 3 AufenthG im Ermessen der Ausländerbehörde (vgl. BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3.16 – juris), so dass diese Ermessensentscheidung keiner uneingeschränkten gerichtlichen Überprüfung unterliegt, sondern – soweit wie hier keine Ermessensreduzierung auf Null vorliegt – eine zu lange Frist lediglich aufgehoben und die Ausländerbehörde zu einer neuen Ermessensentscheidung verpflichtet werden kann (vgl. BayVGH, U.v. 25.8.2015 – 10 B 13.715 – Rn. 54 ff.).
Bei der Bemessung der Frist sind in einem ersten Schritt das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Es bedarf der prognostischen Einschätzung im jeweiligen Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 – 1 C 19.11 – BVerwGE 143, 277; U.v. 22.2.2017 – 1 C 3.16 – juris Rn. 65 f.). Die Dauer der Frist darf nach § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 a.a.O.). Selbst wenn die Voraussetzungen für ein Überschreiten der zeitlichen Grenze von fünf Jahren gemäß § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG vorliegen, ist davon auszugehen, dass in der Regel ein Zeitraum von maximal zehn Jahren den Zeithorizont darstellt, für den eine Prognose realistischer Weise noch gestellt werden kann, so dass sie nach § 11 Abs. 3 Satz 3 AufenthG zehn Jahre nicht überschreiten soll. Weiter in die Zukunft lässt sich die Persönlichkeitsentwicklung kaum abschätzen, ohne spekulativ zu werden. Die auf diese Weise ermittelte Frist muss sich aber an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) sowie den Vorgaben aus Art. 7 GRCh und Art. 8 EMRK messen lassen und ist daher ggf. in einem zweiten Schritt zu relativieren (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 – 1 C 19.11 – BVerwGE 143, 277; U.v. 22.2.2017 – 1 C 3.16 – juris). Dieses normative Korrektiv bietet der Ausländerbehörde und dem Verwaltungsgericht ein rechtsstaatliches Mittel, um die fortwirkenden einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen sowie ggf. seiner engeren Familienangehörigen zu begrenzen. Dabei sind insbesondere die in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten schutzwürdigen Belange des Ausländers in den Blick zu nehmen.
Nach diesen Maßstäben und nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung ist die mit dem angefochtenen Bescheid der Beklagten festgesetzte Frist nicht zu lang und daher rechtmäßig. Die Beklagte konnte ihre Ermessensentscheidung aufrechterhalten; durchgreifende Ermessensfehler sind weder ersichtlich noch vom Kläger geltend gemacht.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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