Aktenzeichen M 25 K 18.4074
Leitsatz
1. Solange nicht eine Drogentherapie erfolgreich abgeschlossen und die damit verbundene Erwartung eines künftig drogen- und straffreien Verhaltens glaubhaft gemacht wurde, ist von einer Wiederholungsgefahr auszugehen. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bindungen des auszuweisenden Ausländers an Familienmitglieder unterfallen nur dann dem Schutz des Art. 6 GG, wenn diese sich berechtigterweise, also mit Aufenthaltstitel, im Bundesgebiet aufhalten. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Die im streitgegenständlichen Bescheid verfügte Ausweisung des Klägers und das sieben- bzw. neunjährige Einreise- und Aufenthaltsverbot sind rechtmäßig und verletzten den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
I.
Die Ausweisung des Klägers erweist sich im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (vgl. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 12) als rechtmäßig.
1. Nach § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.
Der weitere Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet stellt eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit dar, da mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass der Kläger erneut erheblich straffällig wird (vgl. zum Prognosemaßstab BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris). Beim Kläger handelt es sich um einen Wiederholungstäter und Bewährungsversager. Der Kläger hat bereits kurz nach seiner Einreise mit den Diebstählen von Parfums u.ä. begonnen, um seine Drogensucht zu finanzieren. Mehrere strafrechtliche Verfahren konnten den Kläger nicht davon abhalten, erneut in erheblichem Umfang und innerhalb kurzer Zeit nach den Vorahndungen erneut straffällig zu werden. Zum Teil hat der Kläger innerhalb weniger Stunden erneut gestohlen, nachdem er zuvor von der Polizei wegen eines Diebstahls aufgegriffen und angezeigt worden war. Auch Hausverbote hat der Kläger missachtet.
Die im Urteil des Amtsgerichts … vom 11. August 2017 zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe wurde mit Beschluss des Amtsgerichts München vom 29. Juni 2018 widerrufen. Wegen einer ungünstigen Legal- und Sozialprognose wurde eine Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung mit Beschluss des Amtsgerichts München vom 4. September 2019 ebenfalls abgelehnt. Der drogenabhängige Kläger hat bis heute wegen fehlender Deutschkenntnisse zudem keine Drogentherapie absolviert. Solange der Kläger nicht eine Drogentherapie erfolgreich abgeschlossen hat und die damit verbundene Erwartung eines künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht hat, ist weiterhin von einer Wiederholungsgefahr auszugehen (BayVGH, B.v. 9.5.2019 – 10 ZB 19.317 – juris Rn. 4; BayVGH, B.v. 7.11.2016 – 10 ZB 16.1437 juris – Rn. 7; BayVGH, U.v. 3.2.2015 – 10 B 14.1613 – juris Rn. 32).
Eine Ausweisung aufgrund von Betäubungsmittel-, Körperverletzungs- und Eigentumsdelikten hat stets auch eine generalpräventive Funktion. Denn eine solche setzt ein deutliches Signal, dass die körperliche Unversehrtheit und das Eigentumsrecht in der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland hohe Rechtsgüter darstellen und diese Delikte nicht nur strafrechtliche Konsequenzen haben, sondern auch ausländerrechtliche. Betäubungsmittelstraftaten sind schwerwiegend und berühren ein Grundinteresse der Gesellschaft. Der Gerichtshof der Europäischen Union sieht in der Rauschgiftsucht ein „großes Übel für den Einzelnen und eine soziale und wirtschaftliche Gefahr für die Menschheit (vgl. EuGH, U.v. 23.11.2010 – C 145/09, Tsakouridis – juris). Das Ausweisungsinteresse ist vorliegend auch aktuell. Die Ausweisung stellt damit eine geeignete Maßnahme dar, um andere Ausländer von solchen Delikten abzuhalten.
2. Die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der gegenläufigen Interessen ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise das Bleibeinteresse des Klägers überwiegt und die Ausweisung nicht unverhältnismäßig ist, § 53 Abs. 1 AufenthG.
Nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG wiegt das Ausweisungsinteresse auf Grund der Höhe der strafrechtlichen Verurteilung (2 Jahre) besonders schwer. Ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse ergibt sich auf Grund seiner Verurteilungen wegen Diebstahls und gefährlicher Körperverletzung auch aus § 54 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG. Dem stehen keine besonders schwerwiegenden oder schwerwiegenden Bleibeinteressen des Klägers gegenüber. Der Kläger verfügt über keinen Aufenthaltstitel. Seine sich im Bundesgebiet aufhaltende Ehefrau und Kinder sind ebenfalls ausreisepflichtig, so dass sich aus seinen Bindungen zu seiner Familie kein Bleibeinteresse nach § 55 AufenthG ergibt.
Auch unter Berücksichtigung der in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten persönlichen Belange des Klägers und unter Berücksichtigung des Art. 6 GG und Art. 8 EMRK überwiegt das öffentliche Interesse an seiner Ausweisung. Die Entscheidung wahrt im Übrigen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Die Bindungen des Klägers zu seiner Ehefrau und Kindern unterfallen nicht dem Schutz des Art. 6 GG, da diese als abgelehnte Asylbewerber über keinen Aufenthaltstitel verfügen, sondern lediglich wegen fehlender Identitätspapieren geduldet werden. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die in Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen nur dann zu prüfen, wenn sich die Familienmitglieder des auszuweisenden Ausländers berechtigterweise – also mit Aufenthaltstitel – im Bundesgebiet aufhalten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 08.12.2005 – 2BVR100104 2 BvR 1001/04 – juris Rn. 17 m.w.N.). Dies ist hier gerade nicht der Fall.
Auch unter Berücksichtigung von Art. 8 EMRK ist die Ausweisung rechtmäßig.
Der Kläger befindet sich erst seit kurzer Zeit in der Bundesrepublik Deutschland und ist bereits massiv und wiederholt straffällig geworden. Den überwiegenden Teil seiner Aufenthaltszeit in Deutschland hat der Kläger in Haft verbracht.
Überdies ist dem Kläger eine soziale und wirtschaftliche Integration in die Bundesrepublik Deutschland nicht gelungen. Der Kläger hat in Deutschland bislang nicht gearbeitet. Nennenswerte soziale Bindungen, die über die zu seiner Familie hinausgehen, bestehen nicht.
Hingegen verfügt der Kläger noch über Bindungen zu seinem Heimatland. Der Kläger ist in Ägypten aufgewachsen und ist dort 11 Jahre lang zur Schule gegangen. Anschließend hat er dort als Verkäufer in verschiedenen Gelegenheitsjobs und als Taxifahrer seinen Lebensunterhalt erwirtschaftet. Neben seinen Eltern und seiner Schwester leben noch Onkel und Tanten in Ägypten. Es ist dem Kläger daher möglich und zumutbar in sein Heimatland zurückzukehren.
Die ausgesprochene Ausweisung des Klägers ist damit eine verhältnismäßige Maßnahme, die zur Abwehr der durch seinen Aufenthalt drohenden Gefahren insbesondere geeignet, erforderlich und angemessen ist.
II.
Das in Ziffer 2 des Bescheides festgesetzte Einreise- und Aufenthaltsverbot lässt keine Rechtsfehler erkennen. Dass nach § 11 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 AufenthG n.F. das Einreise- und Aufenthaltsverbot gesondert und im Fall einer Ausweisung ausweislich des klaren Wortlaut des Gesetzes immer angeordnet werden muss, macht den Bescheid vom 23. Juli 2018 nicht fehlerhaft, denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur früheren Rechtslage war in einer behördlichen Befristungsentscheidung nach § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG a.F. regelmäßig auch die Verhängung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots von bestimmter Dauer zu sehen (vgl. BayVGH, B.v. 11.9.2019 – 10 C 18.1821 unter Hinweis auf BVerwG, B.v. 13. Juli 2017 – 1 VR 3. 17 juris Rn 72; BVerwG, U.v. 25.7.2017 – 1 C 13.17 – juris Rn 23).
Hinsichtlich der Dauer der Sperrfrist gemäß § 11 Abs. 3 AufenthG n.F. bedarf es – wie auch nach der alten Rechtslage – der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen – das der auch zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt – das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. In diesem Rahmen sind auch verfassungsrechtliche Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) sowie die Vorgaben aus Art. 7 Grundrechtecharta, Art. 8 EMRK zu berücksichtigen (BVerwG, U.v. 13.12.2012 – 1 C 20/11 – juris).
Die Beklagte war bei ihrer Entscheidung vorliegend auf Grund der strafrechtlichen Verurteilung nicht an die Fünfjahresfrist des § 11 Abs. 3 AufenthG n.F. gebunden. Gem. § 11 Abs. 5 AufenthG n.F. darf die Frist 10 Jahre nicht überschreiten.
Der Kläger wurde mehrfach zu verschiedenen Freiheitsstrafen u.a. wegen Diebstahls und gefährlicher Körperverletzung verurteilt (9 Monate, 10 Monate und 2 Jahre). Der Kläger hat sich durch keine der Verurteilungen beeindrucken lassen, sondern hat weiter insbesondere Diebstahlsdelikte begangen, um seinen Sucht zu finanzieren. Eine Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung wurde jüngst wegen einer schlechten Legal- und Sozialprognose abgelehnt. Vom Kläger geht zudem nach wie vor eine Wiederholungsgefahr aus (s.o.). Auch unter Berücksichtigung der geringen sozialen Bindungen des Klägers zum Bundesgebiet und insbesondere unter Berücksichtigung generalpräventiver Erwägungen erscheint eine Frist von 7 bzw. 9 Jahren angemessen, aber auch erforderlich, um einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu begegnen. Die von der Beklagten verfügte Bedingung, bei deren Nichteintritt eine längere Wiedereinreise- und Titelerteilungssperre gelten soll, dient der Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung.
III.
Einer gesonderten Abschiebungsandrohung bedurfte es nicht, da diese bereits im Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlingen vom 25. November 2016 erging. Insoweit handelt es sich im Bescheid der Beklagten vom 23. Juli 2018 um eine wiederholende Verfügung. Die Rechtsgrundlage für die Ankündigung der Abschiebung aus der Haft ist § 59 Abs. 5 AufenthG.
Die Klage ist nach alledem mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.