Aktenzeichen M 24 K 20.67
Leitsatz
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die zulässige Klage bleibt ohne Erfolg.
1. Die Klage ist zulässig als Anfechtungsklage gegen den streitgegenständlichen Bescheid und im Hilfsantrag als Klage auf Verpflichtung der Beklagten zur Herabsetzung der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots unter Beachtung der Rechtsaufassung des Gerichts. Insbesondere ist die Klagefrist eingehalten.
2. Die Klage ist jedoch unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid erweist sich im hier maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, U.v. 30.7.2013 – 1 C 9.12 – juris Rn. 8; U.v. 10.7.2012 – 1 C 19.11 – juris Rn. 12) als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Verkürzung der Frist des gegen ihn verfügten Einreise- und Aufenthaltsverbots (§ 113 Abs. 5 VwGO, § 114 Satz 1 VwGO).
2.1. Der Bescheid ist formell rechtmäßig. Die Ausländerbehörde der Landeshauptstadt München war für den Erlass des Bescheides nach § 71 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), das zuletzt durch Artikel 10 des Gesetzes vom 9. Dezember 2020 (BGBl. I S. 2855) geändert worden ist, – AufenthG -, § 1 Nr. 1, § 2, § 6 Abs. 1 Satz 1 (seit 1 Dezember 2020: § 7 Abs. 1 Satz 1) Zuständigkeitsverordnung Ausländerrecht (ZustVAuslR) vom 27. August 2018 (GVBl. S. 714, 738, BayRS 26-1-1-I), die zuletzt durch Verordnung vom 2. November 2020 (GVBl. S. 625) geändert worden ist, sachlich und örtlich zuständig. Die Haft des Klägers ändert nichts an der örtlichen Zuständigkeit (§ 6 Abs. 3 Nr. 1 bzw. heute § 7 Abs. 3 Nr. 1 ZustVAuslR). Dem Kläger wurde vor Erlass des Bescheides Gelegenheit gegeben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern (Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG).
2.2. Die in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheides verfügte Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig. Das Gesetz sieht die Ausweisung ausnahmslos als gebundene Entscheidung vor, bei der die Behörde keine Ermessenserwägungen treffen darf und die daher der vollen gerichtlichen Nachprüfung unterliegt (BeckOK AuslR/Tanneberger/Fleuß, 25. Ed. 1.11.2019, AufenthG § 53 Rn. 20 m.w.n.).
Das Gericht folgt der Begründung des streitgegenständlichen Bescheids vom 10. Dezember 2019 und sieht – abgesehen von den folgenden Ausführungen – von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 117 Abs. 5 VwGO).
2.2.1. Die Ausweisung findet vorliegend ihre Rechtsgrundlage in § 53 Abs. 1, Abs. 2, § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG. Nach § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausweisung mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Im Vordergrund steht bei § 53 Abs. 1 AufenthG die Ausweisung aus Gründen der Gefahrenabwehr, insbesondere zur Verhinderung künftiger Straftaten durch den auszuweisenden Ausländer (spezialpräventive Ausweisung) oder durch sonstige Ausländer (generalpräventive Ausweisung). Die Ausweisung besitzt ordnungsrechtlichen Charakter; es handelt sich nicht um eine strafrechtliche Sanktion. Der Begriff der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in § 53 Absatz 1 AufenthG entspricht daher dem des allgemeinen Polizeirechts (BeckOK AuslR/Tanneberger/Fleuß, aaO., AufenthG § 53 Rn. 22).
Nicht zu messen ist die Ausweisung vorliegend an den besonderen Voraussetzungen des § 53 Abs. 4 AufenthG. Das Asylverfahren und inzwischen das Asylfolgeverfahren des Klägers sind bestandskräftig abgeschlossen.
2.2.2. Vom Kläger geht eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung aus. Durch seine Verurteilung durch das Landgericht München II vom 25. Februar 2019 zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren 3 Monaten wegen gefährlicher Körperverletzung in vier Fällen hat der Kläger das typisierte besonders schwerwiegende Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG verwirklicht. Dieses greift, wenn ein Ausländer wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsoder Jugendstrafe von mindestens 2 Jahren verurteilt wurde. Dabei darf entgegen der Darstellung der Klagepartei das Urteil des Landgerichts München II der vorliegenden Entscheidung ohne weitere Nachprüfung zu Grunde gelegt werden. Die Anwendung der auf eine rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung abstellenden Ausweisungstatbestände erfordert keine Prüfung, ob der Betroffene tatsächlich eine Straftat begangen hat. In aller Regel kann von der Richtigkeit einer Verurteilung ausgegangen und die darin getroffenen Feststellungen der Entscheidung zugrunde gelegt werden (BayVGH, B.v. 26.10.2020, Az. 10 ZB 20.2140, juris Rn 7 m.w.N.). Aus dem Vorbringen des Klägers ergeben sich vorliegend keine konkreten Anhaltspunkte, die Zweifel an den Urteilen des Amtsgerichts Wolfratshausen vom 28. Juni 2018 und des Landgerichts München II vom 25. Februar 2019 rechtfertigen würden, zumal der Kläger die Taten durch Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch einräumte, mag er sich auch dadurch ein geringeres Strafmaß oder die Aussetzung der Strafe zur Bewährung erhofft haben. Damit ist die vom Kläger ausgehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung indiziert. Ein spezialpräventives Ausweisungsinteresse liegt vor.
2.2.3. Diese Gefahr ist auch noch gegenwärtig. Vom Kläger geht im maßgeblichen Zeitpunkt die erforderliche Wiederholungsgefahr aus.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 18). Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (vgl. BayVGH, U.v. 30.10.2012 – 10 B 11.2744 – juris Rn. 33 m.w.N.). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (st. Rspr.; BayVGH, B.v. 03.03.2016 – 10 ZB 14.844 – juris Rn 11; B.v. 16.03.2016 – 10 ZB 15.2109 – juris Rn. 18; BayVGH, U.v. 30.10.2012 – 10 B 11.2744 – juris Rn. 34; BVerwG, U.v. 4.10.2012 – 1 C 13.11 – juris Rn. 18).
Gemessen an diesem Maßstab geht zur Überzeugung des Gerichts (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) vom Kläger vorliegend weiterhin eine die Ausweisung tragende Gefahr der Begehung weiterer erheblicher Straftaten aus. Dabei ist in den Blick zu nehmen, dass die der Ausweisung zu Grunde liegende Anlassverurteilung Taten von herausgehobener Qualität betreffen, die sich gegen die gewichtigen Rechtsgüter Leib und Leben der Schwester des Klägers gerichtet hat. Angesichts der hochrangigen betroffenen Rechtsgüter ist bereits eine geringe vom Kläger ausgehende Wiederholungsgefahr ausreichend, um die Ausweisung zu tragen. Es genügt die entfernte Möglichkeit eines weiteren Schadenseintritts (vgl. BayVGH, B.v. 26.10.2020, Az. 10 ZB 20.2140, juris Rn. 6). Das Gericht stuft die Wiederholungsgefahr vorliegend zudem als hoch ein, auch wenn die Schwester des Klägers sich im Zeugenschutz befindet und damit seinem Zugriff derzeit entzogen ist. Denn es handelt sich bei den Straftaten des Klägers um schwere Übergriffe aus einer Gesinnung, die tief in der Familie und der Herkunftskultur verwurzelt ist. Der Kläger, der sich nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung eingebunden sieht in die Zwänge des jordanischen Clans und dessen Ehrvorstellungen, hat zu keinem Zeitpunkt echte Reue oder Einsicht in seine Taten gezeigt (siehe auch Ausführungen des Landgerichts München II, Bl. 304 BA, und den Bericht der JVA Landsberg am Lech vom 24. März 2021, Bl. 312 GA). Auch in der mündlichen Verhandlung konnte das Gericht keinen entsprechenden Eindruck vom Kläger gewinnen. Dieser sieht das Hauptproblem vielmehr immer noch darin, dass er nicht ohne die von ihm verletzte Schwester nach Jordanien heimkehren dürfe, weil er ansonsten die Ehre des Clans verletzen würde. Dass der Kläger durch die Erstverurteilung nunmehr in einem Maße nachhaltig beeindruckt wäre, dass ausnahmsweise die Wiederholungsgefahr entfallen würde, war für das Gericht nicht erkennbar. Insoweit ist auch ergänzend auf den Bericht der JVA Bernau vom 24. März 2021 (Bl. 311 BA) zu verweisen, wonach laut den mit ihm befassten Mitarbeitern des Vollzugsdienstes bei dem Kläger kein tieferer Strafeindruck erkennbar sei. Soweit der Kläger vortragen ließ, er habe nur wenige Taten in einem begrenzten Zeitraum begangen, so ist dem entgegenzuhalten, dass die Schwester sich ab dem 17. Juni 2016, und damit einen Tag nach dem letzten abgeurteilten Übergriff, in ein Frauenhaus begab (Bl. 263 BA) und schon aus diesem Grund weitere Taten nicht mehr möglich waren. Der Kläger würde insgesamt zur Überzeugung des Gerichts Straftaten wie die konkret abgeurteilten bei entsprechendem Anlass mit der die Ausweisung tragenden Wahrscheinlichkeit erneut begehen. Hier ist etwa die kleinere Schwester des Klägers, die inzwischen ebenfalls im Teenageralter ist, in den Blick zu nehmen. Sofern auch diese einen dem Kläger und seiner Familie nicht genehmen Lebensstil anstreben sollte, könnte erneut eine Situation entstehen, wie im Fall ihrer älteren Schwester.
2.2.4. Darüber hinaus besteht vorliegend ein weiterhin aktuelles generalpräventives Ausweisungsinteresse.
Eine Ausweisung kann auch nach dem derzeit geltenden Ausweisungsrecht regelmäßig (zu Ausnahmen bei durch § 53 Abs. 3 bis 4 AufenthG besonders geschützten Personenkreisen BVerwG, U.v. 12.7.2018 – 1 C 16/17 – BVerwGE 162, 349 juris Rn. 19 unter Verweis auf BT-Drs. 18/4097 S. 49) auf generalpräventive Gründe gestützt werden, denn vom weiteren Aufenthalt eines Ausländers, der Straftaten begangen hat, kann auch dann eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen, wenn von ihm selbst keine (Wiederholungs-)Gefahr mehr ausgeht, im Fall des Unterbleibens einer ausländerrechtlichen Reaktion auf sein Fehlverhalten andere Ausländer aber nicht wirksam davon abgehalten werden, vergleichbare Delikte zu begehen (BVerwG, U.v. 9.5.2019- 1 C 21.18 – BVerwGE 165, 331 – juris Rn. 17). Zur Annahme eines generalpräventiven Ausweisungsinteresses im Sinne des § 53 Abs. 1 AufenthG bedarf es dabei – anders als unter Geltung von § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG a.F. – nicht der Verurteilung wegen besonders schwerwiegender Delikte für die öffentliche Sicherheit und Ordnung (vgl. BayVGH, B.v. 12.11.2020 – 10 ZB 20.1852 – juris Rn. 7 f; BayVGH, B.v. 6.3.2020 – 10 ZB 19.2419 – juris Rn. 5). So hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof im Einzelfall auch im Falle von Falschangaben zur Erlangung einer Duldung (BayVGH, B.v. 10.12.2018 – 10 ZB 16.1511 – juris Rn. 19; B.v. 17.9.2020 – 10 C 20.1895 – juris Rn. 10), einer Identitätstäuschung gegenüber der Ausländerbehörde (BayVGH, B.v. 6.3.2020 – 10 ZB 19.2419 – juris Rn. 5), Falschangaben im Visumverfahren (BayVGH, B.v. 28.12.2018 – 10 C 18.1361 – juris Rn. 13), der Verletzung der Passpflicht (BayVGH, B.v. 4.5.2020 – 20.666 – juris Rn. 8) oder einer Körperverletzung (BayVGH, B.v. 27.4.2020 – 10 C 20.51 – juris Rn. 7) ein generalpräventives Ausweisungsinteresse bejaht. Erforderlich ist lediglich, dass die Ausweisung an Straftaten oder Verhaltensweisen anknüpft, bei denen sie nach allgemeiner Lebenserfahrung geeignet erscheint, andere Ausländer von Taten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten (BVerwG, U.v. 3.5.1973 – I C 33.72 – BVerwGE 42, 133 – juris Rn. 34; Bauer in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 53 AufenthG Rn. 64; Dörig, Handbuch Migrations- und Integrationsrecht, 2. Aufl. 2020, § 7 Rn. 27). Auch muss das Ausweisungsinteresse noch aktuell sein (BVerwG, U.v. 9.5.2019 -1 C 21.18 – BVerwGE 165, 331 – juris Rn. 17). Darüber hinaus sind Art und Schwere der jeweiligen Anlasstat lediglich im Rahmen der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen (vgl. Bauer in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 53 AufenthG Rn. 63). Für die zeitliche Begrenzung eines generalpräventiven Ausweisungsinteresses, das an strafrechtlich relevantes Handeln anknüpft, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 12.7.2018 – 1 C 16.17 – juris Rn. 23) für die vorzunehmende gefahrenabwehrrechtliche Beurteilung eine Orientierung an den Fristen der §§ 78 ff. StGB zur Strafverfolgungsverjährung angezeigt. Dabei bildet die einfache Verjährungsfrist des § 78 Abs. 3 StGB, deren Dauer sich nach der verwirklichten Tat richtet und die mit Beendigung der Tat zu laufen beginnt, eine untere Grenze. Die obere Grenze orientiert sich hingegen regelmäßig an der absoluten Verjährungsfrist des § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB, die regelmäßig das Doppelte der einfachen Verjährungsfrist beträgt. Innerhalb dieses Zeitrahmens ist der Fortbestand des Ausweisungsinteresses anhand generalpräventiver Erwägungen zu ermitteln (vgl. BayVGH, B.v. 4.5.2020 – 10 ZB 20.666 – juris Rn. 8).
Gemessen daran besteht im Fall des Klägers noch ein generalpräventives Ausweisungsinteresse aufgrund der von ihm begangenen Straftaten zu Lasten seiner Schwester. Das vorliegende Delikt der mehrfachen gefährlichen Körperverletzung stellt in diesem Zusammenhang grundsätzlich einen geeigneten Anknüpfungspunkt für eine Ausweisung aus generalpräventiven Gründen im Sinne der oben dargestellten obergerichtlichen Rechtsprechung dar. Die Ausweisung ist konkret geeignet, andere Ausländer von der Begehung vergleichbarer Straftaten abzuhalten. Mit der Ausweisung wird im konkreten Fall verdeutlicht, dass Gewalt zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung einer vermeintlichen „Ehre“, zumal in der hier vorliegenden schweren Form mit dem brutalen Vorgehen des Klägers zu Lasten seiner Schwester, in Deutschland nicht hingenommen wird. Eine konsequente Praxis der ausländerrechtlichen Ahndung derartiger Straftaten erscheint auch geeignet, jedenfalls auf mittlere bis lange Sicht in die entsprechenden Communities hineinzuwirken und künftige Störungen der öffentlichen Sicherheit so zu vermeiden. Hieran besteht auch ein erhebliches öffentliches Interesse. Das Ausweisungsinteresse ist vorliegend jeweils trotz des seit der Tat verstrichenen Zeitablaufs noch aktuell. Die Verjährungsfristen des § 78 Abs. 3 StGB sind noch nicht abgelaufen, die Taten sind nach § 46, § 51 Bundeszentralregistergesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. September 1984 (BGBl. I S. 1229, 1985 I S. 195), das zuletzt durch Artikel 4 des Gesetzes vom 7. Dezember 2020 (BGBl. I S. 2760) geändert worden ist, noch verwertbar.
2.2.5. Bei der Abwägung der staatlichen Ausweisungsinteressen und der Bleibeinteressen des Klägers überwiegen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorliegend die Ausweisungsinteressen. Den bereits skizzierten besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteressen aufgrund der Straffälligkeit des Klägers (§ 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) stehen keine gewichtigen Bleibeinteressen gegenüber, insbesondere keine vertypten besonders schwerwiegenden oder schwerwiegenden Bleibeinteressen aus dem Katalog des § 55 AufenthG.
Soweit sich der Kläger auf die familiären Beziehungen im Bundesgebiet als gewichtige Bleibeinteressen beruft, ist bereits festzustellen, dass die Familienangehörigen, soweit der Kläger noch zu ihnen Kontakt hat, derzeit kein Aufenthaltsrecht haben, sondern nach erfolglosen Asylverfahren ausreisepflichtig sind. Dies gilt insbesondere für die Mutter des Klägers, deren Ausweisung ihrerseits nach den Entscheidungen des Verwaltungsgerichts München vom 24. Juni 2020 (Az. M 25 K 20.152) und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes vom 26. Oktober 2020 (Az. 10 ZB 20.2140) bestandskräftig ist, als auch für die kleinere Schwester des Klägers. Aufenthaltsrechtliche Schutzwirkungen über Art. 6 GG kann der Kläger daher aus diesen Beziehungen nicht ableiten, ungeachtet des Umstands, dass diese Beziehungen auch im Wege von Art. 6 GG den Bindungen zu einem eigenen Kind oder einer Ehefrau verfassungsrechtlich nicht gleichgestellt werden können. Sonstige Bindungen im Bundesgebiet, die über die eigene Familie hinausgehen und unter dem besonderen Schutz des Art. 6 GG stünden, hat der Kläger nicht.
Auch Art. 8 EMRK vermag nicht zu einem Überwiegen der Bleibeinteressen zu führen. Der Kläger ist auch angesichts des inzwischen knapp achtjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet nicht in die hiesigen Lebensverhältnisse integriert, zumal er knapp drei Jahre dieser Zeit in Haft verbracht hat. So sind etwa keine längeren Zeiträume zu verzeichnen, in denen der Kläger erwerbstätig war. Er lebte überwiegend von Sozialleistungen (vgl. Bl. 256, 298 BA). Auch sind keine sonstigen sozialen Bindungen an das Bundesgebiet ersichtlich. Umgekehrt hat der Kläger ab dem siebten Lebensjahr für ca.
Jahre in Jordanien gelebt und damit den größten Teil seines Lebens dort verbracht. Zuvor hat die Familie in den Vereinigten Arabischen Emiraten gewohnt. Der Kläger ist demnach sowohl im engeren Sinne mit den Verhältnissen in Jordanien, als auch im weiteren Sinne mit denjenigen in arabischen Ländern vertraut. Er hat die erforderlichen Sprachkenntnisse bzw. kann diese zumutbar wieder auffrischen, um sich in Jordanien wieder zurecht zu finden und dort auch in beruflicher Hinsicht keine schlechteren Voraussetzungen als in Deutschland, zumal der von ihm wiederholt benannte Clan und die Familie des Vaters noch in Jordanien leben.
Soweit sich der Kläger im Übrigen im schriftsätzlichen Vorbringen, aber auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung, umfassend auf zielstaatsbezogene Aspekte berufen hat, indem er zum einen die Gefahr durch das Beduinen-Stammes-Urteil vom 27. Januar 2018, zum anderen die für ihn nach seiner Darstellung schwer zu erlangende erforderliche medizinische und insbesondere psychologische Versorgung in Jordanien, weiter die aktuelle Situation in Jordanien im Hinblick auf die Corona-Pandemie und schließlich die ihm als Palästinenser in Jordanien drohende Diskriminierung bis hin zu Gewalttätigkeiten nennt, ist auf die Ablehnung seines Asylantrags mit Bescheid vom 11. April 2017 und zuletzt seines Asylfolgeantrags mit Bescheid vom 5. Mai 2020 durch das BAMF zu verweisen. Dort wurde vom Bundesamt jeweils auch das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 AufenthG verneint. Entscheidungen des Bundesamts entfalten nach § 42 AsylG auch hinsichtlich möglicher Abschiebungsverbote Bindungswirkung. Auch das Verwaltungsgericht darf daher bei der Interessenabwägung davon ausgehen, dass Abschiebungsverbote nicht bestehen (vgl. BayVGH, B.v. 26.10.2020, Az. 10 ZB 20.2140 juris Rn. 12). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der vom Kläger zitierten Entscheidung des EuGH vom 14. Mai 2019 (Az. C-391/16 u.a.). Der Kläger ist nicht als Flüchtling anerkannt (vgl. BayVGH, aaO., Rn 15). Die Ausführungen des Klägers zu dem fraglichen Urteil des EuGH gehen daher fehl. Aus dem Urteil lässt sich nicht ableiten, dass die Entscheidung über Abschiebungsverbote dem BAMF aus den Händen genommen sei und diese Entscheidung im Rahmen der Ausweisung zu treffen wäre.
Die Ausweisung erweist sich schließlich auch als geeignet, erforderlich und angemessen, um das mit ihr verfolgte Ziel der Verhinderung weiterer Straftaten durch den Kläger und anderer Ausländer in vergleichbarer Situation zu verhindern. Insbesondere ist auch in generalpräventiver Hinsicht kein milderes aufenthaltsrechtliches Mittel ersichtlich, das in gleicher Weise geeignet wäre, andere Ausländer von der Begehung ähnlicher Straftaten abzuhalten. Dem Kläger ist es zusammenfassend möglich und zumutbar, das Bundesgebiet zu verlassen und in sein Heimatland zurückzukehren.
2.3. Auch das von der Beklagten in Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheids verfügte Einreise- und Aufenthaltsverbots lässt keine Rechtsfehler erkennen.
2.3.1. Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer nach Satz 2 der Vorschrift weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach dem Aufenthaltsgesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden. Nach § 11 Abs. 2 Satz 3 AufenthG ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen, wobei die Frist nach Satz 4 der Vorschrift mit der Ausreise beginnt. Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nach Ermessen entschieden; sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten (§ 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG). Nach § 11 Abs. 5 Satz 1 AufenthG soll die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht.
Die behördliche Befristungsentscheidung unterliegt als Ermessensentscheidung einer gerichtlichen Kontrolle nach § 114 Satz 1 VwGO. Die Ausländerbehörde muss bei der allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzenden Frist das Gewicht des Ausweisungsinteresses und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck berücksichtigen. Hierzu bedarf es in einem ersten Schritt der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das seiner Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die insoweit ermittelte Frist ist in einem zweiten Schritt an höherrangigem Verfassungsrecht sowie an unionsund konventionsrechtlichen Vorgaben zu messen und gegebenenfalls zu relativieren. Insoweit bedarf es nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit einer umfassenden Abwägung aller im Einzelfall betroffenen Belange. Maßgeblicher Zeitpunkt ist die mündliche Verhandlung, so dass auf die zu diesem Zeitpunkt gegebene Sachlage abzustellen ist (vgl. BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 27.16-, InfAuslR 2017, 336).
2.3.2. Die von der Beklagten unter Anwendung pflichtgemäßen Ermessens verfügte Sperrfrist begegnet unter Berücksichtigung des eingeschränkten gerichtlichen Prüfungsmaßstabs (§ 114 Satz 1 VwGO) keinen rechtlichen Bedenken. Die Beklagte ist zurecht von dem Maßstab des § 11 Abs. 3 Satz 2, Abs. 5 AufenthG ausgegangen, wonach die Höchstfrist des Einreise- und Aufenthaltsverbots im Falle einer strafrechtlichen Verurteilung zehn Jahre nicht überschreiten soll. Die im streitgegenständlichen Bescheid festgesetzte Grundfrist von acht Jahren hält sich mithin noch in dem gesetzlich vorgegebenen Rahmen. Angesichts der Anlassverurteilung, mit der mehrere erhebliche Gewaltstraftaten zu Lasten der Schwester abgeurteilt wurden, des Gewichts der gefährdeten Rechtsgüter, der hohen Wiederholungsgefahr und der geringen sozialen Bindungen des Klägers an das Bundesgebiet vermag das Gericht mit Blick auf die Festsetzung der Frist von acht Jahren auch unter Berücksichtigung höherrangigen Rechts keinen Ermessensfehler zu erkennen. Bei der an einer Stelle der Begründung des streitgegenständlichen Bescheids auf Seite 10 erwähnten Frist von „fünf Jahren“ handelt es sich ersichtlich um einen redaktionellen Fehler, wie der Inhalt der Begründung im Übrigen ergibt. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot konnte vor dem bisherigen strafrechtlichen Hintergrund des Klägers zudem ermessensgerecht mit der Bedingung der nachgewiesenen Straffreiheit versehen werden (§ 11 Abs. 2 Satz 5 AufenthG). Auch hinsichtlich der in diesem Fall ebenfalls festzusetzenden längeren Frist bei nicht nachgewiesener Erfüllung der Bedingung sind Ermessensfehler nicht ersichtlich. Die von der Beklagten verfügten Fristen sind insgesamt angesichts der nur geringen Bleibeinteressen des Klägers erforderlich und angemessen, um der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu begegnen.
2.4. Die von der Beklagten unter Nr. 4 des streitgegenständlichen Bescheids verfügten Regelungen (Anordnung der Abschiebung aus der Haft) entsprechen den rechtlichen Vorgaben und sind nicht zu beanstanden (§ 58 Abs. 3 Nr. 1, § 59 Abs. 5 AufenthG).
3. Die Klage war demzufolge mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
4. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.