Aktenzeichen W 8 S 18.50567
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a, § 34a
Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2, Art. 13 Abs. 1, Art. 17 Abs. 1, Art. 25 Abs. 2
Leitsatz
1 Nach den vorliegenden Erkenntnissen sind in Italien keine generellen systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen mit der Folge gegeben, dass Asylbewerber mit überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt werden. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2 Systemische Mängel liegen auch nicht vor im Hinblick auf die Gruppe der Dublin-Rückkehrer. Grundsätzlich erhalten auch Dublin-Rückkehrer eine Unterkunft, medizinische Behandlung und sonstige Versorgung. Sofern sie einen Asylantrag stellen, wird ein Asylverfahren durchgeführt bzw. ein bereits anhängiges Verfahren wird fortgesetzt. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
3 Zur Durchsetzung des Unterkunftsanspruchs müssen Dublin-Rückkehrer, deren Asylverfahren in Italien noch nicht abgeschlossen sind, zum Zweck der förmlichen Registrierung wieder zu den für ihr Asylverfahren bzw. ihre Unterbringung zuständigen Stellen reisen. Dazu erhalten sie am Flughafen entsprechende Informationen. Dass in Einzelfällen auch Dublin-Rückkehrer obdachlos werden können, ändert nichts an der Verneinung des Vorliegens systemischer Mängel. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
I.
Der Antragsteller ist algerischer Staatsangehöriger. Er reiste am 15. Oktober 2018 in die Bundesrepublik Deutschland ein, äußerte am 15. Oktober 2018 ein Asylgesuch und stellte am 25. Oktober 2018 einen förmlichen Asylantrag.
Nach den Erkenntnissen der Antragsgegnerin lagen Anhaltspunkte – EURODAC-Treffer – für die Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 26. Juni 2013 (Dublin III-VO) für die Durchführung des Asylverfahrens vor. Auf ein Übernahmeersuchen vom 5. November 2018 reagierten die italienischen Behörden nicht.
Mit Bescheid vom 6. Dezember 2018 lehnte die Antragsgegnerin den Asylantrag als unzulässig ab (Nr. 1) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2). Die Abschiebung nach Italien wurde angeordnet (Nr. 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4).
Am 12. Dezember 2018 erhob der Antragsteller im Verfahren W 8 K 18.50566 zu Protokoll Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid und beantragte im vorliegenden Verfahren:
Die aufschiebende Wirkung der Klage wird angeordnet.
Zur Begründung brachte der Antragsteller im Wesentlichen vor: Bei der Einreise sei ihm von italienischer Seite verwehrt worden, einen Asylantrag zu stellen. Sie hätten ihm ein Dokument gegeben, aus dem hervorgegangen sei, dass er keinen Asylantrag stellen wolle und dass er deshalb Italien verlasse und wieder nach Algerien zurückkehren müsse. Er habe in Italien ferner keine Unterkunft gehabt und auf der Straße leben und übernachten müssen. Dort seien ihm sein ganzes Gepäck und sämtliche Unterlagen gestohlen worden, bei denen sich auch das obengenannte Dokument befunden haben Zudem habe er in Italien kein Essen und keinerlei ärztliche Versorgung erhalten.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte (einschließlich der Akte des Klageverfahrens W 8 K 18.50566) und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
Bei verständiger Würdigung des Vorbringens des Antragstellers ist der Antrag dahingehend auszulegen, dass er in die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Abschiebungsanordnung in Nummer 3 des Bundesamtsbescheides vom 6. Dezember 2018 begehrt.
Der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO – betreffend die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung unter Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheides – ist zulässig, aber unbegründet.
Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 6. Dezember 2018 ist bei der im vorliegenden Verfahren gebotenen summarischen Prüfung in Nr. 3 rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten, so dass das öffentliche Vollzugsinteresse das private Interesse des Antragstellers, vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache im Bundesgebiet verbleiben zu dürfen, überwiegt.
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die zutreffenden Gründe des streitgegenständlichen Bescheids Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Das Vorbringen der Antragstellerseite führt zu keiner anderen Beurteilung.
Italien ist für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig (§§ 34a, 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG i.V.m. der Dublin III-VO). Italien ist aufgrund der dortigen illegalen Einreise des Antragstellers gemäß Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO zuständig. Ein Übernahmeersuchen an Italien blieb unbeantwortet, so dass die Zuständigkeit gemäß Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO auf Italien überging.
Außergewöhnliche Umstände, die möglicherweise für ein Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO bzw. für eine entsprechende Pflicht der Antragsgegnerin nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO sprechen könnten, liegen nicht vor.
Die Überstellung nach Italien ist nicht rechtlich unmöglich (vgl. § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG) im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO. Diese Vorschrift entspricht der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (z.B. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 u. a. – NVwZ 2012, 417). Danach ist eine Überstellung eines Asylsuchenden an einen anderen Mitgliedsstaat nur dann zu unterlassen, wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylsuchende im zuständigen Mitgliedsstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der (rück-)überstellten Asylsuchenden im Sinne von Art. 4 Grundrechte-Charta (GR-Charta) zur Folge hätte.
Das Gericht geht nach den vorliegenden Erkenntnissen davon aus, dass in Italien keine generellen systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen mit der Folge gegeben sind, dass Asylbewerber mit überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt werden. Dies gilt auch im Hinblick auf die hier relevante Gruppe der Dublin-Rückkehrer. Grundsätzlich erhalten auch Dublin-Rückkehrer eine Unterkunft, medizinische Behandlung und sonstige Versorgung. Sofern sie einen Asylantrag stellen, wird ein Asylverfahren durchgeführt bzw. ein bereits anhängiges Verfahren wird fortgesetzt. Aktuelle Erkenntnisse, auf die Bezug genommen wird, liegen diesbezüglich der zitierten Rechtsprechung zugrunde (vgl. neben der schon im streitgegenständlichen Bescheid zitierten Rechtsprechung insbesondere noch VG München, Ge.v. 7.11.2018 – M 1 K 17.53666 und M 1 K 17.51257 – juris; U.v. 30.10.2018 – M 1 K 17.52005 – juris; B.v. 17.10.2018 – M 1 S 17.52238 – juris; VG Augsburg, U.v. 30.10.2018 – Au 6 K 18.50780 – juris; VG Stade, B.v. 26.10.2018 – 1 B 2047/18 – juris; NdsOVG, B.v. 6.8.2018 – 10 LA 320/18 – juris; B.v. 6.6.2018 – 10 LB 167/18 – NVwZ-RR 2018, 909 – juris; VG Würzburg, U.v. 5.7.2018 – W 2 K 17.50701 – juris).
Es mag zwar immer wieder vorkommen, dass Asylsuchende im Einzelfall während der Bearbeitung ihres Asylantrages in Italien auf sich alleine gestellt und zum Teil auch obdachlos sind. Die im Bereich der Unterbringung und Versorgung der Asylbewerber weiterhin feststellbaren Mängel und Defizite sind aber weder für sich genommen noch insgesamt als so gravierend zu bewerten, dass ein grundlegendes systemisches Versagen der Mitgliedsstaaten vorläge, welches für einen Dublin-Rückkehrer nach dem Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit eine Rechtsverletzung im Schutzbereich von Art. 3 EMRK oder Art. 4 GR-Charta mit den dafür notwendigen Schweregrad nahelegt (neben der oben zitierten Rechtsprechung auch noch OVG NRW, U.v. 18.7.2016 – 13 A 1859/14.A – juris, Rn. 41 ff.)
Auch die gegenwärtige Zahl von Einwanderern nach Italien stellt keinen Umstand dar, welcher eine andere Beurteilung rechtfertigen könnte. Die Schwelle zur unmenschlichen oder erniedrigender Behandlungen durch Italien wird erst dann überschritten, wenn auf eine erhöhte Zahl von Einwanderern hin keinerlei Maßnahmen zur Bewältigung der damit verbundenen Probleme ergriffen würden. Davon kann nicht ausgegangen werden (vgl. VG München, B.v.14.3.2017 – M 9 S 17.50285 – juris; B.v. 2.5.2017 – M 9 S 17.50821 – juris).
Denn in Italien existiert ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlichen Beschwerdemöglichkeiten (BFA, Bundesamt für das Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Italien vom 27.9.2018, S. 6). Auch aus der jüngeren und jüngsten Entwicklung in diesem Jahr ergibt sich nichts Gegenteiliges. So hat sich die Zahl der Unterbringungsplätze bei gleichzeitig zurückgehenden Asylanträgen und Asylverfahren in Italien sowie zurückgehender Zahl von Personen in den staatlichen Unterbringungseinrichtungen deutlich erhöht (vgl. VG München, Ge.v. 7.11.2018 – M 1 K 17.53666 und M 1 K 17.51257 – juris; U.v. 30.10.2018 – M 1 K 17.52005 – juris; VG Stade, B.v. 16.10.2018 – 1 B 2047/18 – juris; m.w.N.; siehe auch BFA, Bundesamt für das Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Italien vom 27.9.2018, S. 6 f. und 12 f.). In Italien bestehen ausdifferenzierte Strukturen zur Aufnahme von Asylbewerbern, auch speziell von Dublin-Rückkehrern. Diese befinden sich in staatlicher, in kommunaler, kirchlicher oder privater Trägerschaft und werden zum Teil zentral koordiniert. Dublin-Rückkehrer haben letztlich einen durchsetzbaren Unterkunftsanspruch. Ihnen droht nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Obdachlosigkeit, weil sie auch faktisch in der Regel einen Zugang zu Wohnraum haben. Dublin-Rückkehrer haben bei ihrer Ankunft in Italien je nach Kapazität sofort Zugang zu bestimmten Unterkünften. Zur Durchsetzung des Unterkunftsanspruchs müssen Dublin-Rückkehrer, deren Asylverfahren in Italien noch nicht abgeschlossen sind, zum Zweck der förmlichen Registrierung wieder zu den für ihr Asylverfahren bzw. ihre Unterbringung zuständigen Stellen reisen. Dazu erhalten sie am Flughafen entsprechende Informationen. Dass in Einzelfällen auch Dublin-Rückkehrer obdachlos werden können, ändert nichts an der Verneinung des Vorliegens systemischer Mängel (vgl. VG München, Ge.v. 7.11.2018 – M 1 K 17.53666 und M 1 K 17.51257 – juris; U.v. 30.10.2018 – M 1 K 17.52005 – juris; B.v. 17.10.2018 – M 1 S 17.52238 – juris; NdsOVG, B.v. 6.6.2018 – 10 LB 167/18 – NVwZ-RR 2018, 909; VG Würzburg, U.v. 5.7.2018 – W 2 K 17.50701 – juris).
Dem Antragsteller ist es zuzumuten, sich den Anforderungen des italienischen Asyl- und Aufnahmeverfahrens zu unterwerfen und etwa auch selbst mitzuwirken und sich bei den zuständigen Stellen registrieren zu lassen und einen Asylantrag zu stellen.
Auch ein möglicher Politikwechsel der aktuellen italienischen Regierung rechtfertigt keine andere Beurteilung. Belastbare Rückschlüsse auf ein künftiges Verhalten der italienischen Behörden, gerade auch im Hinblick auf Dublin-Rückkehrer, sind zurzeit noch nicht verlässlich möglich (NdsOVG, B.v. 6.8.2018 – 10 LA 320/18 – juris).
Ein systemisches Versagen der Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen lässt sich nach alledem auch nicht mit Blick auf die konkrete Situation des Antragstellers annehmen. Vielmehr geht das Gericht von einer hinreichenden Unterbringungs- und Versorgungsmöglichkeit in Italien aus. Vor diesem Hintergrund stehen einer Überstellung auch keine grundsätzlichen europa- bzw. verfassungsrechtlichen Gründe entgegen (vgl. BVerfG, B.v. 14.12.2017 – 2 BvR 1872/17 – DVBl 2018, 370).
Hinzu kommt, dass der Antragsteller in seiner Antragsbegründung auch nur unsubstanziiert und allgemein darauf hingewiesen hat, dass ihm bei der Einreise von italienischen Behörden die Asylantragstellung verwehrt worden sei und er ein entsprechendes Dokument erhalten habe, dass er keinen Asylantrag stellen wolle und wieder nach Algerien zurückkehren müsse. Er habe keine Unterkunft gehabt und auf der Straße leben müssen. Dort sei sein ganzes Gepäck mit sämtlichen Unterlagen samt Dokument gestohlen worden. Zudem habe er keine Essen und keine ärztliche Versorgung bekommen. An der vorstehenden Bewertung ändert sich durch diese Aussagen indes nichts, zumal der Antragsteller in Italien noch keinen förmlichen Asylantrag gestellt und sich so um eine Unterkunft bemüht hatte. Dass der Antragsteller in Italien – bei seinen beiden getrennten Aufenthalten dort – unweigerlich gezwungen wurde, von einer Asylantragstellung abzusehen, hält das Gericht nicht für glaubhaft. Denn nach den vorliegenden Erkenntnissen ist eine Asylantragstellung in Italien möglich. Sofern der Antragsteller etwa – gegebenenfalls auf Drängen der italienischen Behörden, aber letztlich – freiwillig erklärt haben sollte, keinen Asylantrag in Italien stellen zu wollen, kann ihm dies nicht zugutekommen und insbesondere in Deutschland nicht zum Erfolg verhelfen. Wie bereits erwähnt, ist ihm zuzumuten, in Italien mitzuwirken, sich registrieren zu lassen und einen Asylantrag zu stellen, um dann auch Unterkunft, Verpflegung und ärztliche Versorgung zu erhalten. Hinzu kommt, dass dem Antragsteller das betreffende Dokument angeblich gestohlen worden ist, sodass es an einem aussagekräftigen Beleg und damit an der hinreichenden Glaubhaftmachung seines Vorbringens fehlt. Gegenüber der zentralen Ausländerbehörde sprach der Antragsteller anlässlich seiner Befragung am 8. November 2018 zudem lediglich von einem Verlassenspapier, durch das er aufgefordert worden sei Sardinien zu verlassen und zum italienischen Festland zu reisen. Zu den Umständen seines zweiten Aufenthalts in Italien im Oktober 2018 nach der Abschiebung aus Polen machte der Antragsteller überhaupt keine näheren Angaben.
Individuelle außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Ausübung eines Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 der Dublin III-VO notwendig machen, liegen ebenso wenig vor wie inlands- oder zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse.
Auch sonst liegen beim Antragsteller weder zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG – bezogen auf Italien – noch inlandsbezogene Vollzugshindernisse vor.
Nach alledem ist die Abschiebung des Antragstellers nach Italien rechtlich zulässig und möglich.
Das öffentliche Vollzugsinteresse überwiegt das private Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung des Bescheides, so dass die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage abzulehnen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.