Aktenzeichen B 3 S 17.50592
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2, Art. 18 Abs. 1 lit. b, Art. 23 Abs. 2, Art. 25 Abs. 2
Leitsatz
Trotz punktueller Defizite leiden das bulgarische Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen nicht an systemischen Mängeln. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 28.04.2017 wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die angeordnete Überstellung nach Bulgarien im Rahmen eines sogenannten „Dublin-Verfahrens“.
Der Antragsteller, irakischer Staatsangehöriger, reiste nach eigenen Angaben am 26.02.2017 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 08.03.2017 einen Asylantrag.
Bei der Befragung durch das Bundesamt für … (Bundesamt) zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaats zur Durchführung des Asylverfahrens am 15.03.2017 in Z. erklärte der Antragsteller, er habe am 29.09.2016 sein Herkunftsland erstmalig verlassen. Er sei über die Türkei am 16.10.2016 nach Bulgarien eingereist und habe sich dort zwei Monate und sechs bis sieben Tage aufgehalten. Anschließend sei er über Rumänien, Ungarn und Österreich am 26.02.2017 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist.
Die EURODAC-Abfrage am 27.02.2017 ergab einen Treffer der „Kategorie 1“ (…), wonach der Antragsteller am 04.11.2016 einen Asylantrag in Bulgarien gestellt hat.
Am 27.03.2017 richtete die Antragsgegnerin ein Übernahmeersuchen nach der Dublin-III-VO an Bulgarien. Die bulgarischen Behörden erklärten mit Schreiben vom 10.04.2017 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrages gem. Art. 18 Abs. 1b Dublin-III-VO.
Mit Bescheid vom 21.04.2017 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag als unzulässig ab (Nr. 1) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht vorliegen (Nr. 2). Es wurde die Abschiebung nach Bulgarien angeordnet (Nr. 3) und das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gem. § 11 Abs. 1 AufenthG auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4).
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Unzulässigkeit des Antrags ergebe sich aus § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG, da Bulgarien aufgrund des dort bereits gestellten Asylantrages nach Art. 18 Abs. 1b Dublin-III-VO für die Behandlung des Asylantrages zuständig sei. Im Übrigen wird auf die Begründung des Bescheids, die sich vor allem mit dem Nichtvorliegen systemischer Mängel in Bulgarien auseinandersetzt, verwiesen.
Mit Schriftsatz vom 28.04.2017, eingegangen beim Verwaltungsgericht Bayreuth am gleichen Tag, erhob die Bevollmächtigte des Antragstellers Klage gegen den Bescheid vom 21.04.2017 und beantragte gleichzeitig,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 21.04.2017 anzuordnen.
Zur Begründung wurde ausgeführt, Bulgarien sei nicht in der Lage ein ordnungsgemäßes Asylverfahren durchzuführen. Außerdem seien die Lebensumstände in Bulgarien derart schlecht, dass Asylanten kein menschenwürdiges Umfeld gewährt werden könne.
Die Antragsgegnerin äußerte sich bislang nicht.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die vorgelegte Behördenakte, die Gerichtsakte des Klageverfahrens B 3 K 17.50593 und die Gerichtsakte dieses Verfahrens verwiesen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO).
II.
Der Antragsteller begehrt – nach entsprechender Auslegung gem. §§ 122, 88 VwGO – die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage im Verfahren B 3 K 17.50593 gegen die Abschiebungsanordnung (Nr. 3) im Bescheid vom 21.04.2017.
Der nach § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zulässige Antrag bleibt in der Sache ohne Erfolg.
Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage – im Fall des hier einschlägigen § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1 AsylG – ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft aufgrund der sich im Zeitpunkt seiner Entscheidung darstellenden Sach- und Rechtslage eine eigene Ermessensentscheidung. Es hat abzuwägen zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der Abschiebungsanordnung und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO erforderliche summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage, dass die Klage voraussichtlich erfolglos bleiben wird, tritt das Interesse des Antragstellers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei kursorischer Prüfung als rechtswidrig, so besteht in der Regel kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Nicht erforderlich sind insoweit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids, denn die Regelung des § 36 Abs. 4 AsylG ist hier nicht (entsprechend) anwendbar (vgl. VG München, B. v. 18.7.2016, M 12 S. 16.50473, juris). Sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache offen, findet eine allgemeine, von den Erfolgsaussichten der Klage unabhängige, Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt.
Vorliegend stellt sich die angegriffene Abschiebungsanordnung unter Zugrundelegung der nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG maßgeblichen Sach- und Rechtslage bei der im Eilverfahren nur möglichen und gebotenen summarischen Prüfung als rechtmäßig dar, so dass das Aussetzungsinteresse des Antragstellers hinter dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der Abschiebungsanordnung zurückzutreten hat.
Nach § 34a Abs. 1 AsylG wird die Abschiebung ohne das Erfordernis einer vorherigen Androhung und Fristsetzung insbesondere dann angeordnet, wenn der Ausländer in einem für die Durchführung des Asylverfahrens gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG zuständigen Staat abgeschoben werden soll, sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Dies ist dann der Fall, wenn die Zuständigkeit des anderen Staates gegeben ist und feststeht, dass die Abschiebung in den zuständigen Staat nicht aus anderen Gründen rechtlich unzulässig oder tatsächlich unmöglich ist.
Diese Voraussetzungen liegen hier – wie im angefochtenen Bescheid zutreffend ausgeführt – im Hinblick auf die angeordnete Abschiebung nach Bulgarien vor.
1. Der Asylantrag ist in Deutschland gem. § 29 Abs. 1 Nr. 1a AsylG unzulässig.
a) Vorliegend hat der Antragsteller am 04.11.2016 in Bulgarien einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Dies ergibt sich aus dem EURODAC-Treffer der „Kategorie 1“. Aufgrund des Übernahmeersuchens der Antragsgegnerin vom 27.03.2017 haben sich die bulgarischen Behörden mit Schreiben vom 10.04.2017 gem. Art. 18 Abs. 1b Dublin-III-VO für die Bearbeitung des Asylantrags zuständig erklärt. Damit ist der Asylantrag des Antragstellers in Deutschland gem. § 29 Abs. 1 Nr. 1a AsylG unzulässig.
b) Die Zuständigkeit Bulgariens ist auch nicht durch Ablauf der Überstellungsfrist wieder entfallen. Die Überstellungsfrist beträgt nach Art. 29 Abs. 1 und 2 Dublin-III-VO sechs Monate ab dem Tag der Annahme des Auf- oder Wiederaufnahmegesuchs durch den anderen Mitgliedsstaat oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Vorliegend ist die Annahme des Wiederaufnahmegesuchs am 10.04.2017 erfolgt, so dass gegenwärtig die Überstellungsfrist noch nicht abgelaufen ist.
2. Die Abschiebung nach Bulgarien ist auch nicht aus anderen Gründen rechtlich unzulässig oder tatsächlich unmöglich.
a) Insbesondere liegen keine außergewöhnlichen Umstände vor, die die Zuständigkeit der Antragsgegnerin nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-III-VO begründen oder möglicherweise für ein Selbsteintrittsrecht bzw. eine Selbsteintrittspflicht der Antragsgegnerin nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO sprechen.
aa) Systemische Mängel des bulgarischen Asylverfahrens liegen nach Auffassung des Gerichts nicht vor.
Nach dem vom Bundesverfassungsgericht zur Drittstaatenregelung entwickelten „Konzept der normativen Vergewisserung“ ist davon auszugehen, dass in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union die Anwendung der Grundrechtecharta, der Genfer Flüchtlingskonvention als auch der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten – EMRK – sichergestellt ist (vgl. BVerfG, U. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 – juris). Dieses vom Bundesverfassungsgericht entwickelte Konzept steht im Einklang mit dem der Schaffung eines gemeinsamen europäischen Asylsystems zugrundeliegenden Prinzips des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U. v. 21.12.2011 – Rs. C-411/10 und C-493/10 – juris). Unter diesen Bedingungen muss die nur in Ausnahmefällen widerlegbare Vermutung gelten, dass die Behandlung eines Asylbewerbers bzw. als schutzberechtigt anerkannten Ausländers in jedem einzelnen dieser Staaten im Einklang mit den genannten Rechten steht.
Hiervon kann nur dann nicht ausgegangen werden, wenn sich auf Grund bestimmter Tatsachen aufdrängt, der Ausländer sei von einem Sonderfall betroffen, der von dem Konzept der normativen Vergewisserung bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens nicht aufgefangen wird (vgl. EuGH, U. v. 10.12.2013 – Rs. C-394/12 – juris, BVerfG, U. v. 14.5.1996 a.a.O.). Den nationalen Gerichten obliegt im Einzelfall die Prüfung, ob ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und/oder die Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesem Mitgliedstaat überstellten Personen implizieren (vgl. EuGH, U. v. 21.12.2011 a.a.O.). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren und/oder die Aufnahmebedingungen aufgrund größerer Funktionsstörungen in dem zuständigen Mitgliedstaat regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 EUGrdRCh bzw. Art. 3 EMRK droht (vgl. BVerwG, B. v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris, m.w.N., B. v. 6.6.2014 – 10 B 35/14 – juris). Bei einer zusammenfassenden, qualifizierten – nicht rein quantitativen – Würdigung aller Umstände, die für das Vorliegen solcher Mängel sprechen, muss diesen ein größeres Gewicht als den dagegensprechenden Tatsachen zukommen, d.h. es müssen hinreichend gesicherte Erkenntnisse dazu vorliegen, dass es immer wieder zu den genannten Grundrechtsverletzungen kommt (vgl. VGH BW, U. v. 16.4.2014 – A 11 S 1721/13 – juris).
Bei Anlegung dieses Maßstabs ergeben sich keine durchgreifenden Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylsuchende in Bulgarien. In der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist geklärt, dass das bulgarische Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen nicht an systemischen Schwachstellen leiden (BayVGH, B.v. 15.11.2016 – 13a ZB 16.50064 – juris; BayVGH, BayVGH, U.v. 29.1.2015 – 13a B 14.50038 – juris). Der Verwaltungsgerichtshof geht davon aus, dass nach den grundlegenden Veränderungen im Jahr 2014 eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Fall der Überstellung/Abschiebung nach Bulgarien nicht mehr ernsthaft zu befürchten ist. Auch wenn noch in bestimmten Bereichen Schwächen vorhanden und nicht alle gesetzlich vorgesehenen Änderungen vollständig umgesetzt sind, vermögen punktuelle Defizite nicht die Mangelhaftigkeit des Gesamtsystems zu begründen.
Das Gericht schließt sich dieser Auffassung vollumfänglich an und verweist zudem auf die ausführliche Begründung im Beschluss des VG München vom 24.03.2017 (M 6 S. 16.50886 – juris) zum Nichtvorliegen systemischer Mängel des Asylverfahrens und bei den Aufnahmebedingungen in Bulgarien.
Das pauschale Vorbringen des Antragstellers, Bulgarien sei nicht in der Lage ein ordnungsgemäßes Asylverfahren durchzuführen, rechtfertigt keine abweichende Beurteilung. Ein beachtlicher „Sonderfall“ ist vorliegend nicht ersichtlich.
bb) Individuelle, außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO notwendig machen könnten, sind nicht ersichtlich. Die Behauptung, der Antragsteller sei in Bulgarien zusammengeschlagen und bestohlen worden, begründet keine Selbsteintrittspflicht der Antragsgegnerin.
b) Es sind auch keine Anhaltspunkte für innerstaatliche oder zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 S. 1 AufenthG vorgetragen oder sonst ersichtlich. Dem Antragsteller droht in Bulgarien insbesondere keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung. Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK sind nicht erfüllt.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Der Gegenstandswert folgt aus § 30 RVG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.