Europarecht

Dublin-Verfahren (Italien)

Aktenzeichen  M 8 S 16.50699

Datum:
7.11.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 34a Abs. 1 S. 2
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2, Art. 18 Abs. 1 lit. b, Art. 23 Abs. 2, Art. 25 Abs. 2

 

Leitsatz

1 Ein alleinstehender Mann läuft im Falle seiner Rückkehr nach Italien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Gefahr, wegen systemischer Mängel im dortigen Asylverfahren und/oder der Aufnahmebedingungen einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu werden, weil er die elementaren Grundbedürfnisse (Unterkunft, Nahrungsaufnahme, Hygienebedürfnis, medizinische Grundversorgung) in noch zumutbarer Weise befriedigen kann. (redaktioneller Leitsatz)
2 Italien verfügt über eine umfassende Gesundheitsfürsorge, die für italienische Staatsbürger sowie Flüchtlinge, Asylbewerber und unter humanitärem Schutz stehende Personen gleichermaßen zugänglich ist. Eine kostenfreie medizinische Versorgung steht auch Personen zu, die nicht in einer staatlichen Unterkunft untergebracht sind. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die im Bescheid vom 8. September 2016 angeordnete Abschiebung nach Italien im Rahmen des sogenannten „Dublin-Verfahrens“.
Der Antragsteller ist nach eigenen Angaben Staatsangehöriger von Mali und wurde am … Juli 1995 in … geboren. Er reiste nach seinen Angaben im Februar 2013 aus Mali aus und stellte etwa im November 2014 in Italien einen Antrag auf internationalen Schutz. Weiter gab er an, am 10. August 2015 nach Deutschland eingereist zu sein, ohne im Besitz eines Aufenthaltstitels oder von Ausweispapieren zu sein.
Laut Niederschrift in der Akte stellte der Antragsteller am 9. Juni 2016 einen Asylantrag.
In der Akte des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) findet sich die Niederschrift über das persönliche Gespräch zur Bestimmung des für die Prüfung des Antrags zuständigen Mitgliedstaats (Erstbefragung) sowie ein Schreiben vom 9. Juni 2016 über die Zusendung eines weiteren Fragebogens sowie eine Terminbenachrichtigung zur Anhörung gemäß § 25 Abs. 4 AsylG. Bezüglich der Anhörung liegt ein handschriftliches Protokoll in deutscher Sprache vom 9. Juni 2016 vor mit Angaben unter der Rubrik „Gründe, die einer Rückkehr in ihr Herkunftsland entgegenstehen“.
Eine EURODAC-Recherche ergab am 10. Juni 2016 einen Treffer der ersten Kategorie für Italien, EURODAC-Nr. IT1… vom 2. Dezember 2014 in …
Am 20. Juli 2016 wurde vom Bundesamt ein Wiederaufnahmegesuch an Italien gerichtet. Im Akt des Bundesamts findet sich neben dem Wiederaufnahmegesuch eine automatisch generierte Eingangsbestätigung Italiens vom 20. Juli 2016. Eine weitergehende Antwort Italiens ist in der vorgelegten Akte des Bundesamts nicht enthalten.
Am 1. September 2016 wurde laut Niederschrift das persönliche Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates zur Durchführung des Asylverfahrens (Zweitbefragung) durchgeführt.
Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 8. September 2016 wurde der Antrag auf Asyl als unzulässig abgelehnt, festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorlägen, die Abschiebung nach Italien angeordnet und das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. In den Bescheidsgründen wird ausgeführt, dass nach den Erkenntnissen des Bundesamts (Abgleich der Fingerabdrücke in der EURODAC-Datenbank) Anhaltspunkte für die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union gemäß der Verordnung Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin-III-VO) vorgelegen hätten. Am 20. Juli 2016 sei ein Übernahmeersuchen nach der Dublin-III-VO an Italien gerichtet worden. Der Zuständigkeitsübergang an Italien für die Bearbeitung des Antrags auf internationalen Schutz sei gemäß Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO mit Ablauf des 3. August 2016 erfolgt.
Der Asylantrag sei gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG unzulässig, da Italien aufgrund des dort bereits gestellten Asylantrags gemäß Art. 18 Abs. 1b) Dublin III-VO für die Behandlung des Asylantrags zuständig sei. Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG lägen nach Erkenntnis des Bundesamtes nicht vor. Eine Abschiebung habe gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG zur Folge, dass der Drittstaatsangehörige nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und sich dort aufhalten dürfe. Im Übrigen wird auf die Begründung des angefochtenen Bescheids verwiesen.
Mit Schriftsatz vom 14. September 2016, am selben Tag per Fax bei Gericht eingegangen, hat der Bevollmächtigte des Antragstellers Klage gegen den Bescheid vom 8. September 2016 erhoben und zugleich beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage – Anordnung der Abschiebung nach Italien – wird angeordnet.
Der Bescheid sei in sich widersprüchlich, da der Antrag nicht auf der Zulässigkeitsebene als unzulässig abgelehnt und zugleich materiell entschieden werden könne, dass Abschiebungsverbote nach § 60 AufenthG nicht vorlägen. Der Antragsteller sei am 10. August 2015 in das Bundesgebiet eingereist, das am 20. Juli 2016 an Italien gerichtete Übernahmeersuchen sei nach der Dublin III-VO verspätet. Die in dem ablehnenden Bescheid umfänglich zitierte Entscheidung des EMGR vom 2. April 2013 sei längst überholt. Die große Kammer des EMGR habe in der Entscheidung vom 4. November 2014 festgestellt, dass eine erhebliche Diskrepanz zwischen den staatlicherseits für Asylbewerber, auch sog. Dublin-Rückkehrer, in SPRAR und CARA zwischen den zur Verfügung stehenden Unterbringungsplätzen und der tatsächlichen Zahl von Asylbewerbern bestehe. In Italien bestünden systembedingte Mängel im Aufnahmeverfahren, die eine Verletzung von Art. 17 und Art. 18 der AufnahmeRL darstellten und nur mittels des Abfrageverfahrens eine gründliche und individuelle Prüfung der Situation der Betroffenen sichergestellt werden könne. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe habe im August 2016 die desolaten Aufnahmebedingungen in Italien dargestellt, hier seien vor allem die Seiten 28 bis 32 und 62 bis 67 maßgeblich. Im Übrigen werde Bezug genommen auf die Entscheidungen des VG Hannover vom 22. Dezember 2014, InfAuslR 2015/126 und vom 25. März 2015, 10 B 1479/15 sowie des VG Schwerin vom 24. Februar 2015, 3 B 1023/14.
Das Bundesamt hat mit Schreiben vom 15. September 2016 die Asylakte vorgelegt. Eine weitergehende Äußerung oder Antragstellung erfolgte nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichts- sowie die vorgelegte Behördenakte des Bundesamts Bezug genommen.
II.
1. Der gemäß § 34a Abs. 2 Satz 1 Asylgesetz (AsylG) i. V. m. § 80 Abs. 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der in der Hauptsache erhobenen Klage im Hinblick auf die Abschiebungsanordnung ist unbegründet, da die Hauptsacheklage insoweit voraussichtlich keinen Erfolg haben wird.
2. Entfaltet ein Rechtsbehelf – wie hier – von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 75 Abs. 1 AsylG), kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung, bei der es abzuwägen hat zwischen dem sich aus § 75 AsylG ergebenden öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfes.
3. Gemäß § 34 a Abs. 1 Satz 2 AsylG ordnet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, wenn der Ausländer einen Asylantrag in einem anderen, aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat gestellt hat.
Italien ist als Mitgliedsstaat, in dem der Antragsteller ausweislich des EURODAC-Treffers „IT1“ einen Asylantrag gestellt hat, für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig.
Die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens richtet sich vorliegend nach der VO (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedsstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedsstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin-III-VO). Die Zuständigkeitskriterien der Dublin-III-VO finden nach Art. 49 Abs. 2 dieser Verordnung auf Asylanträge oder Aufgriffsfälle nach dem 1. Januar 2014 Anwendung.
Art. 3 Abs. 1 Dublin-III-VO sieht vor, dass der Asylantrag von dem Mitgliedsstaat geprüft wird, der nach den Kriterien des Kap. III der Dublin-III-VO als zuständiger Mitgliedsstaat bestimmt wird. Bei Anwendung dieser Kriterien ist Italien für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig. Gemäß Art. 13 Abs. 1 Satz 1 Dublin-III-VO ist derjenige Mitgliedsstaat für die Prüfung des Asylantrages zuständig, über dessen Grenze der Asylbewerber aus einem Drittstaat illegal eingereist ist. Nach dem EURODAC-Treffer hat der Antragsteller am 2. Dezember 2014 in Italien einen Asylantrag gestellt. Der Umstand der Asylantragstellung in Italien wird belegt durch den für den Antragsteller erzielten EURODAC-Treffer mit der Kennzeichnung „IT1“. Die Ziff. „1“ steht für einen Antrag auf internationalen Schutz (Art. 24 Abs. 4 VO (EU) Nr. 603/2013 v. 26.6.2013).
4. Die Zuständigkeit Italiens ist auch nicht gemäß Art. 13 Abs. 1 Satz 2 Dublin-III-VO erloschen, da zum Zeitpunkt der erstmaligen Asylantragstellung in Italien im Dezember 2014 der illegale Grenzübertritt noch nicht länger als 12 Monate zurücklag (vgl. Art. 7 Abs. 2 Dublin-III-VO), da der Antragsteller nach seinen eigenen Angaben in der Erstbefragung nach Italien im November 2014 eingereist sei.
Zwar endet nach dem Wortlaut des Art. 13 Abs. 1 Satz 2 Dublin-III-VO die Zuständigkeit eines Mitgliedstaats für die Durchführung des Verfahrens zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts. Damit ist aber lediglich gemeint, dass die Zuständigkeit dann endet, wenn vor Ablauf der genannten Frist in keinem Mitgliedstaat ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde. Diese Auslegung ergibt sich zwingend vor dem Hintergrund des Art. 7 Abs. 2 Dublin-III-VO, der als maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Zuständigkeit denjenigen vorgibt, zu dem der Antragsteller seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt. Deshalb ist es etwa unschädlich, wenn nicht (auch) in dem Einreisestaat innerhalb der in Rede stehenden Frist ein Antrag gestellt wurde. Ebenso wenig ist es von Bedeutung, ob die zwölfmonatige Frist im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abgelaufen ist (vgl. VG München, B. v. 5.7.2016 – M 1 S 16.50364 – juris Rn. 11; OVG NRW, U. v. 7.3.2014 – 1 A 21/12.A, DVBl. 2014, 790 – juris Rn. 46 ff. noch zum im Wesentlichen gleichlautenden Art. 10 Abs. 1 Dublin-II-VO; VG Minden, B. v. 18.2.2015 – 10 L 107/15.A – juris Rn. 22 ff.).
Damit ist vorliegend Italien der für die Durchführung des Asylverfahrens zuständige Mitgliedsstaat.
5. Das Übernahmeersuchen der Bundesrepublik Deutschland wurde am 20. Juli 2016 gestellt. Da die italienischen Behörden auf das Wiederaufnahmeersuchen der Antragsgegnerin nicht reagiert haben, ist gemäß Art. 25 Abs. 2 Dublin-III-VO davon auszugehen, dass dem Wiederaufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die betreffende Person wieder aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen (Art. 18 Abs. 1 Dublin-III-VO). Die Frist zur Überstellung des Antragstellers nach Art. 29 Abs. 1 Dublin-III-VO beginnt nach der Annahme der Aufnahme – oder Wiederausnahmegesuchs durch den anderen Mitgliedstaat und ist daher im vorliegenden Fall selbst wenn die Einreise nach Deutschland bereits am 10. August 2015 erfolgt sein sollte, nicht abgelaufen, da die Frist nicht mit der Einreise nach Deutschland, sondern erst mit der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs, das erst am 20. Juli 2016 gestellt wurde, zu laufen beginnt. Die italienischen Behörden haben nicht innerhalb der Frist von zwei Wochen gemäß Art. 25 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 Dublin-III-VO eine Antwort erteilt, weshalb das Einverständnis mit dem Wiederaufnahmegesuch fingiert wird. Die maßgebliche Überstellungsfrist von sechs Monaten begann hier mit dem Eintritt der Fiktion am 3. August 2016 und ist daher noch nicht abgelaufen.
Auch die Frist des Art. 23 Abs. 2 Dublin III-VO ist zum Zeitpunkt des Wideraufnahmegesuchs noch nicht abgelaufen gewesen, so dass Deutschland auch nicht gemäß Art. 23 Abs. 3 Dublin III-VO zuständig geworden ist. Ein Wiederaufnahmegesuch ist gemäß Art. 23 Abs. 2 Dublin III-VO sobald wie möglich, auf jeden Fall aber innerhalb von zwei Monaten nach der Eurodac-Treffermeldung zu stellen. Vorliegend datiert die Eurodac-Treffermeldung vom 10. Juni 2016, das Wiederaufnahmegesuch wurde am 10. Juli 2016 und damit innerhalb der Frist des Art. 23 Abs. 2 Dublin III-VO gestellt.
6. Die Abschiebung nach Italien kann gemäß § 34a Abs. 1 AsylG auch durchgeführt werden.
Die Zuständigkeit ist nicht gemäß Art. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 3 Dublin-III-VO auf die Antragsgegnerin übergegangen, weil eine Überstellung an Italien als den zuständigen Mitgliedsstaat an Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO scheitern würde. Es sind keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Antragsteller im Falle einer Abschiebung nach Italien infolge systemischer Schwachstellen des dortigen Asylverfahrens oder der dortigen Aufnahmebedingungen einer hinreichend wahrscheinlichen Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausgesetzt wäre.
Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 – juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U. v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedsstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Grundrechte-Charta) entspricht. Allerdings ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedsstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für den Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedsstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i. S.v. Art. 4 Grundrechte-Charta ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, U. v. 21.12.2011 – a. a. O.). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedsstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B. v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris).
Ausgehend von diesen Maßstäben und im Einklang mit der aktuellen obergerichtlichen Rechtsprechung ist im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht davon auszugehen, dass der Antragsteller in Italien aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (vgl. BayVGH, U. v. 28.2.2014 – 13a B 13.30295 – juris; VGH BW, U. v. 16.4.2014 – A 11 S 1721/13 – juris; OVG Rheinland-Pfalz, U. v. 21.2.2014 – 10 A 10656/13.OVG – juris; OVG LSA, U. v. 2.10.2013 – 3 L 645/12 – juris; OVG Berlin-Bbg., B. v. 17.6.2013 – OVG 7 S 33.13 – juris; OVG NRW, U. v. 18.7.2016 – 13 A 1859/14.A – juris Rn. 54 ff.; U. v. 6.7.2016 – 13 A 1476/15.A – juris Rn. 43 ff.; U. v. 7.3.2014 – 1 A 21/12.A – juris; U. v. 24.4.2015 – 14 A 2356/12.A – juris; NdsOVG, B. v. 30.1.2014 – 4 LA 167/13 – juris; U. v. 25.6.2015 – 11 LB 248/14 – juris; OVG NRW, U.v. 18.7.2016 -13 A 1859/14.A – juris Rn. 71 ff.). Danach verfügt Italien unter Berücksichtigung der Verwaltungspraxis über ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes, richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren, welches trotz einzelner Mängel nicht nur abstrakt, sondern gerade auch unter Würdigung der vor Ort tatsächlich anzutreffenden Rahmenbedingungen prinzipiell funktionsfähig ist und dabei insbesondere sicherstellt, dass der rücküberstellte Asylbewerber im Normalfall nicht mit schwerwiegenden Verstößen und Rechtsbeeinträchtigungen rechnen muss. Obwohl sich in Teilbereichen der tatsächlichen Aufnahmebedingungen durchaus erhebliche Mängel und Defizite feststellen lassen, werden diese – weder für sich genommen noch insgesamt – als so gravierend bewertet, dass ein grundlegendes, systemisches Versagen des Mitgliedsstaates vorläge, welches für einen Dublin-Rückkehrer nach dem Prognosemaßstab der Wahrscheinlichkeit Rechtsverletzungen im Schutzbereich von Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK mit dem dafür notwendigen Schweregrad impliziert (vgl. OVG NRW, U. v. 7.3.2014 – a. a. O., Rn. 132; OVG Rheinland-Pfalz, U. v. 21.2.2014 – 10 A 10656/13.OVG – juris Rn. 45 f.).
Das Gericht schließt sich damit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte an (vgl. EGMR, B. v. 2.4.2013 – Hussein u. a../. Niederlande und Italien, Nr. 27725/10 – ZAR 2013, 336; B. v. 18.6.2013 – Halimi./.Österreich und Italien, Nr. 53852/11 – ZAR 2013, 338). Unter Berücksichtigung der Berichte von Regierungs- und Nichtregierungsinstitutionen und -organisationen über die Aufnahmeprogramme für Asylbewerber in Italien kam der Gerichtshof zu dem Schluss, dass die allgemeine Situation und die Lebensbedingungen in Italien für Asylbewerber, anerkannte Flüchtlinge und Ausländer, die aus Gründen des internationalen Schutzes oder zu humanitären Zwecken eine Aufenthaltserlaubnis erhalten hätten, zwar einige Mängel aufweisen mögen, dass die vorliegenden Materialien jedoch kein systemisches Versagen der Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen für Asylbewerber als Mitglieder einer besonders schutzbedürftigen Personengruppe aufzeigen würden. Berichte des UNHCR und des Menschenrechtskommissars wiesen auf jüngste Verbesserungen der Situation hin mit dem Ziel der Mängelbeseitigung; alle Berichte zeigten übereinstimmend und ausführlich die Existenz ausgearbeiteter Strukturen von Einrichtungen und Hilfsmaßnahmen, die auf die Bedürfnisse der Asylbewerber zugeschnitten seien. Diese Rechtsauffassung hat der EGMR – dessen Rechtsprechung für die Auslegung der EMRK auch über den jeweiligen entschiedenen Fall hinaus eine Orientierungs- und Leitfunktion hat (BVerfG, U. v. 4.5.2011 – 2 BvR 2333/08 – juris), durch seine Entscheidung vom 10. September 2013 (Nr. 2314/10 – HUDOC) ausdrücklich bestätigt.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Urteil des EGMR vom 4. November 2014 im Verfahren Tarakhel ./. Schweiz (29217/12, NVwZ 2015, 127 ff.). Der EGMR hat hier lediglich entschieden, dass die Schweizer Behörden die Abschiebung einer Familie nach Italien nicht vornehmen dürfen, ohne vorher individuelle Garantien von den italienischen Behörden erhalten zu haben, dass die Antragsteller in Italien in einer dem Alter der Kinder adäquaten Art und Weise behandelt werden und die Familie zusammen bleiben darf. Das Urteil beinhaltet damit keine Aussage zu eventuellen systemischen Mängeln in Italien, sondern lediglich eine Einschränkung für die Abschiebung von Familien nach Italien. Die Schlussfolgerung des Bevollmächtigten, dass sich daraus ergebe, dass für eine Einzelperson noch weniger Unterbringungsplätze zur Verfügung stünden und deshalb systembedingte Mängel im Aufnahmeverfahren bestünden, wird von der aktuellen obergerichtlichen Rechtsprechung nicht geteilt (vgl. OVG NRW, U. v. 7.7.2016 – 13 A 2302 – juris). Das Gericht schließt sich insoweit der Bewertung des umfangreichen Erkenntnismaterials durch verschiedene Obergerichte an. Zudem hat der EGMR in seiner Entscheidung vom 5. Februar 2015 im Verfahren A.M.E. ./. Niederlande (51428/10) entschieden, dass die Struktur und die Gesamtsituation des italienischen Flüchtlings- und Asylbewerberaufnahmesystems kein genereller Grund sind, eine Überstellung im Zuge des sog. Dublin-Verfahrens zu verbieten.
Auch aus neueren Erkenntnismitteln können keine Hinweise auf systemische Mängel entnommen werden. In dem vom Europäischen Rat für Flüchtlinge und im Exil lebende Personen (ECRE) für das Projekt AIDA – Asylum Information Database erstellten Länderbericht zu Italien vom Dezember 2015 (abrufbar unter http://www.asylumineurope.org/reports/country/italy) wird zwar ausgeführt (vgl. S. 62 ff. des Berichts), dass dort zumindest in der Vergangenheit nicht für alle Asylbewerber adäquate Aufnahmeeinrichtungen zur Verfügung gestanden haben und die Zahl von Unterbringungsplätzen nur unzureichend war. Auch der Bericht der Schweizer Flüchtlingshilfe vom August 2016, auf den sich der Bevollmächtigte des Antragstellers beruft, weist auf zum Teil erhebliche Mängel bei den Aufnahmebedingungen in Italien, insbesondere für Dublin- Rückkehrer hin. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass der italienische Staat hiergegen erfolgsversprechende Gegenmaßnahmen ergreift. Zum einen werden die Kapazitäten der Aufnahmeeinrichtungen dem vorgenannten Länderbericht zu Italien zufolge seit 2013 deutlich erhöht. UNHCR und Nichtregierungsorganisationen beraten die staatlichen Stellen bei der Verbesserung der Aufnahmebedingungen. Speziell für Dublin-Rückkehrer wurden zum anderen Zentren zur übergangsweisen Unterbringung eingerichtet (vgl. S. 63 f. des Länderbericht zu Italien). Ein systemisches Versagen der Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen lässt sich dem AIDA-Bericht nicht entnehmen. Ein systemischer Mangel der Aufnahmebedingungen kann daher auch für die Personengruppe, der der Antragsteller angehört, nicht angenommen werden. Nach dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 18. Juli 2016 (13 A 1859/14.A – juris Rn. 71 ff.) rechtfertigen die vorliegenden Erkenntnisse nicht den Schluss, dass Asylbewerber während der Dauer des Asylverfahrens in Italien die elementaren Grundbedürfnisse des Menschen (wie z. B. Unterkunft, Nahrungsaufnahme, Hygienebedürfnisse, medizinische Grundversorgung) nicht in einer noch zumutbarer Weise werden befriedigen können. Soweit Mängel der Aufnahmebedingungen bestehen, sind diese nicht derart gravierend, dass bei jedem Rückkehrer die Gefahr einer Verletzung des Art. 4 GR-Charta zu bejahen wäre.
Die gegenwärtig hohe Zahl von Einwanderern nach Italien stellt keinen Umstand dar, der eine andere Beurteilung rechtfertigen könnte. Die Schwelle zur unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung durch Italien würde erst dann überschritten, wenn auf die erhöhte Zahl von Einwanderern hin keinerlei Maßnahmen zur Bewältigung der damit verbundenen Probleme ergriffen würden. Davon kann jedoch nicht ausgegangen werden (vgl. OVG NRW, U. v. 24.4.2015 a. a. O.).
Auch der Umstand, dass sich die Situation des Antragstellers in Italien u.U. deutlich schlechter als im Bundesgebiet darstellt, begründet keinen systemischen Mangel des Asylverfahrens (vgl. EGMR, B. v. 02.04.2013 – a. a. O.).
Auch im Hinblick auf medizinische Betreuung und Versorgung ergibt sich keine Verpflichtung der Antragsgegnerin, das Asylverfahren durchzuführen (vgl. EGMR, U. v. 30.6.2015 – 39350/13 – A.S. gegen Schweiz), da Italien über eine umfassende Gesundheitsfürsorge verfügt, die italienischen Staatsbürgern sowie Flüchtlingen, Asylbewerbern und unter humanitären Schutz stehenden Personen gleichermaßen zugänglich ist. Nach der bestehenden Auskunftslage funktioniert die notfallmedizinische Versorgung und der Zugang zu Hausärzten grundsätzlich ebenso wie das Angebot von psychologischer und psychiatrischer Behandlung (vgl. VG Ansbach, U. v. 11.12.2015 – AN 14 K 15.50316 – juris Rn. 26 m. w. N.). Auch der bereits erwähnte Bericht von AIDA bestätigt die Gleichstellung von Asylsuchenden und international Schutzberechtigten mit italienischen Staatsangehörigen hinsichtlich der gesundheitlichen Versorgung (vgl. dort S. 84). Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 21. Januar 2013 an das OVG Sachsen-Anhalt steht eine kostenfreie medizinische Versorgung auch Personen zu, die nicht in einer staatlichen Unterkunft untergebracht sind. Eine aktuelle Vereinbarung zwischen der italienischen Zentralregierung und den Regionen garantiert dabei die Not- und Grundversorgung auch von Personen, die sich illegal im Land aufhalten (VG Augsburg, B. v. 19.9.2015 – Au 7 S 15.50412 – juris). Es ist daher davon auszugehen, dass der Antragsteller in Italien Zugang zu einer angemessenen medizinischen Versorgung hat.
Schließlich begründet auch die Lage der Personen, die in Italien einen internationalen Schutzstatus zuerkannt bekommen haben, keine systemischen Mängel. Dies gilt auch in Ansehung des Umstands, dass Italien kein mit dem in der Bundesrepublik bestehenden Sozialleistungssystem vergleichbares, landesweites Recht auf Fürsorgeleistungen kennt und hier nur im originären Kompetenzbereich der Regionen und Kommunen ein sehr unterschiedliches und in weiten Teilen von der jeweiligen Finanzkraft abhängiges Leistungsniveau besteht (VGH BW, U. v. 16.4.2014 – A 11 S 1721/13 – juris).
Individuelle, außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO notwendig machen, sind weder vorgetragen noch ersichtlich wie inlands- oder zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse.
Die Antragsgegnerin prüft unter Ziffer 2 des in der Hauptsacheklage angefochtenen Bescheids die Tatbestandsvoraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG. Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren hat der Bevollmächtigte des Antragstellers den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Anordnung der Abschiebung nach Italien gestellt, die sich nach den vorstehenden Ausführungen nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen und zugleich ausreichenden summarischen Prüfung im Zeitpunkt der Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG) nach den vorstehenden Ausführungen voraussichtlich als rechtmäßig erweist, so dass der Antrag als unbegründet abzulehnen ist. Soweit der Bevollmächtigte des Antragstellers rügt, dass der Tenor des angefochtenen Bescheids im Hinblick auf Ziffer 2 in sich widersprüchlich sei, kann das Gericht selbst bei unterstellter Widersprüchlichkeit darin keine Rechtsverletzung des Antragstellers im Hinblick auf die streitgegenständliche Abschiebungsanordnung erkennen.
7. Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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