Aktenzeichen M 18 K 14.50381
Leitsatz
1 Es ist nicht davon auszugehen, dass Antragsteller in Italien augrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen tatsächlich Gefahr laufen, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein. (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Abscheibung nach Italien ist auch trotz eines rechtzeitig gestellten Eilantrags nicht per se rechtswidrig, wenn ein später ergangener Eilbeschluss den Antrag zurückweist und deshalb die Rechtsposition des Antragstellers nicht verbessern konnte. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
Die Klage bleibt in sämtlichen Klageanträgen ohne Erfolg.
1. Die Fortsetzungsfeststellungsklage nach Klageantrag 1. ist jedenfalls unbegründet, so dass es nicht darauf ankommt, ob ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse vorliegt. Die Abschiebungsanordnung des Bundesamts im Bescheid vom 18. Juni 2014 war rechtmäßig.
Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ordnet das Bundesamt, wenn der Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylVfG) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylVfG) abgeschoben werden soll, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Nach § 34a Abs. 1 Satz 2 AsylVfG gilt dies auch dann, wenn der Ausländer den Asylantrag in einem anderen, aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens, zuständigen Staat gestellt oder vor der Entscheidung des Bundesamtes zurückgenommen hat.
§ 34a Abs. 1 Satz 2 AsylVfG bietet eine Grundlage dafür, um einen Ausländer, der keinen Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet gestellt hat, an einen anderen Mitgliedsstaat zu überstellen, der nach Art. 18 Dublin III-VO zur Wiederaufnahme verpflichtet ist (vgl. GK-AsylVfG, § 34a, Rn. 3).
Vorliegend ist Italien nach Art. 18 Abs. 1 b Dublin III-VO zur Wiederaufnahme der Kläger verpflichtet. Die Stellung eines Asylantrages durch die Kläger in Italien ergibt sich aus den ermittelten EURODAC-Treffern (vgl. Art. 2 Abs. 3 Satz 5 VO (EG) Nr. 407/2002).
Der Einwand, durch die Vollziehung der Abschiebung sei die Stellung eines Asylantrages im Bundesgebiet unmöglich gemacht worden, rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Die Antragsteller räumen ein, zunächst nach Italien eingereist zu sein, so dass für die Entscheidung über einen solchen Antrag – wäre er gestellt worden – nach Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO Italien zuständig wäre.
Italien hat auf das binnen der Frist des Art. 23 Abs. 2 Dublin III-VO an Italien gerichtete Wiederaufnahmegesuch nicht reagiert. Dies führt nach Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO dazu, dass davon auszugehen ist, dass dem Wiederaufnahmegesuch stattgegeben worden ist.
Die Überstellung an Italien ist auch nicht rechtlich unmöglich im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO.
Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 – juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der EU den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte i. S. v. Art. 6 Abs. 1 EUV entspricht. Allerdings ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für die Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i. S. v. Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Grundrechtscharta) ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH v. 21.12.2011 a. a. O.). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B. v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris).
Ausgehend von diesen Maßstäben und im Einklang mit der aktuellen obergerichtlichen Rechtsprechung ist im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht davon auszugehen, dass der Antragsteller in Italien aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (vgl. BayVGH, U. v. 28.2.2014 – 13a B 13.30295 – juris m. w. N.). Dabei begründet auch die Lage der Personen, die in Italien einen internationalen Schutzstatus zuerkannt bekommen haben, noch keine systemischen Mängel. Dies gilt auch in Ansehung des Umstands, dass Italien kein mit dem in der Bundesrepublik bestehenden Sozialleistungssystem vergleichbar landesweites Recht auf Fürsorgeleistungen kennt und hier nur im originären Kompetenzbereich der Regionen und Kommunen ein sehr unterschiedliches und in weiten Teilen von der jeweiligen Finanzkraft abhängiges Leistungsniveau besteht (VGH BW, U. v. 16.4.2014 – A 11 S 1721/13 – juris).
Auch aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 4. November 2014 (Az.: 29217/12, NVwZ 2015, 127 ff.) ergibt sich nichts anderes. Der Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte hat hier keine systemischen Mängel in Italien gesehen, sondern lediglich entschieden, dass die Schweizer Behörden die Abschiebung einer Familie nach Italien nicht vornehmen dürfen, ohne vorher individuelle Garantien von den italienischen Behörden erhalten zu haben, dass die Antragsteller des dortigen Verfahrens in Italien in einer dem Alter der Kinder adäquaten Art und Weise behandelt werden und die Familie zusammenbleiben darf. Das Urteil beinhaltet damit keine Aussage zu evtl. systemischen Mängeln in Italien, sondern lediglich eine Einschränkung für die Abschiebung von Familien mit (kleinen) Kindern nach Italien. Die Kläger sind hingegen volljährig und ohne vorgetragene körperliche oder geistige Einschränkungen.
2. Die Klageanträge 2. und 3. haben keinen Erfolg, da es an einem Feststellungsinteresse der Kläger fehlt.
Zwar ist nach § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG die Abschiebung bei rechtzeitiger Antragstellung im Sinn von § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig. Auch ist vorliegend ein rechtzeitiger Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gegeben.
Dies führt jedoch nicht dazu, dass die Abschiebung der Kläger nach Italien per se rechtswidrig ist. Die Abschiebung hätte zwar noch nicht am 9. Juli 2014 erfolgen dürfen, sondern erst nach Erlass des Beschlusses im Verfahren M 18 S 14. 50382 vom 12. August 2014. Selbst bei einer Rückholung der Kläger aus Italien hätten diese nach Ergehen des Beschlusses vom 12. August 2014 erneut dorthin abgeschoben werden können. Mit den Klageanträgen 2. und 3. können die Kläger daher ihre Rechtsstellung nicht verbessern.
3. Der Klageantrag 4. bleibt ohne Erfolg, da ein behördlich ausgesprochenes Einreiseverbot, das aufgehoben werden könnte, nicht vorliegt. Das Einreiseverbot ist vielmehr nach § 11 Abs. 1 AufenthG von Gesetzes wegen entstanden. Die Verfügung der Bundespolizei vom 9. Juli 2014 begründet also nicht das Einreise- und Aufenthaltsverbot, sondern befristet dieses im Sinn von § 11 Abs. 2 und 3 AufenthG.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.