Europarecht

Dublin-Verfahren: Italien

Aktenzeichen  M 12 S 16.50452

Datum:
4.7.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 27a, § 34a Abs. 1 S. 1, § 36 Abs. 4
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 3 Abs. 1, Abs. 2 Unterabs. 3, Art. 7 Abs. 2, Art. 13 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Weder die auf den anhaltenden Zustrom von Flüchtlingen zurückzuführende lange Dauer der Asylverfahren in Italien noch die im Bereich der Unterbringung und Versorgung von Asylbewerbern weiterhin feststellbaren Mängel und Defizite begründen Anhaltspunkte für die Annahme systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber, welche zu einer Gefahr für die Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung iSv Art. 4 EU-Grundrechte-Charta ausgesetzt zu werden. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die ihm drohende Überstellung nach Italien im Rahmen des so genannten „Dublin-Verfahrens“.
Der am … geborene Antragsteller ist nigerianischer Staatsangehöriger. Er reiste am 10. Januar 2016 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte hier am 30. Mai 2016 einen Asylantrag.
Ein Abgleich der EURODAC-Daten am 10. Januar 2016 ergab, dass der Antragsteller bereits am 19. Juni 2014 und am 24. Juli 2014 in Italien um Asyl nachgesucht hatte (Nr. IT1…). Das daraufhin am 17. Februar 2016 an die italienischen Behörden gerichtete Übernahmeersuchen blieb unbeantwortet.
Dem Antragsteller wurden am Tag seiner Einreise in das Bundesgebiet zwei Dublin-Fragebögen in englischer Sprache ausgehändigt, die er am 8. Februar 2016 an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) zurücksandte. Gründe, die einer Rücküberstellung in einen anderen Mitgliedstaat entgegenstehen, gab der Antragsteller darin nicht an.
Bei dem persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates zur Durchführung des Asylverfahrens am 30. Mai 2016 erklärte der Antragsteller, dass er sein Herkunftsland erstmalig am 2. Februar 2014 in Richtung Libyen verlassen habe. Am 14. Juni 2014 sei er zunächst nach Italien eingereist. Dort habe er sich insgesamt 1 Jahr und 6 Monate aufgehalten und auch einen Asylantrag gestellt. Schließlich sei er über Österreich nach Deutschland weitergereist. Er habe keine neuen Gründe und Beweismittel, die nicht in dem früheren Asylverfahren geltend gemacht worden seien und die ein neues Asylverfahren rechtfertigen sollten.
Mit Bescheid vom 15. Juni 2016, ausweislich der vorgelegten Postzustellungsurkunde zugestellt am 23. Juni 2016, lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Nr. 1 des Bescheides) und ordnete die Abschiebung nach Italien an (Nr. 2 des Bescheides). Des Weiteren wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 6 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 3 des Bescheids).
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Asylantrag sei gemäß § 27a AsylG unzulässig, da Italien aufgrund des dort bereits gestellten Asylantrags gemäß Art. 3 Dublin III-VO für die Behandlung des Asylantrags zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Antragsgegnerin veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO auszuüben, seien nicht ersichtlich. Nach den dem Bundesamt vorliegenden Erkenntnissen, denen sowohl die Berichte von Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen als auch die Entscheidungen der nationalen und internationalen Rechtsprechung zugrunde liegen, lägen in Italien keine systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen im Sinne der Rechtsprechung des EGMR und EuGH vor. Daher werde der Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland materiell nicht geprüft. Die Anordnung der Abschiebung nach Italien beruhe auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG. Das Bundesamt müsse des Weiteren das Einreiseverbot gemäß § 75 Ziff. 12 AufenthG im Fall einer Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylVfG gemäß § 11 Abs. 2 AufenthG befristen. Die Frist sei nach Monaten zu bemessen, individuell festzulegen und beginne am Tag der Abschiebung. Dem Antragsteller sei durch Aushändigung der Dublin-Fragebögen am 10. Januar 2016 Gelegenheit gegeben worden, sich zur Länge der Frist zu äußern. In diesen habe er keine Gründe vorgetragen, die sich fristreduzierend auf das Einreise- und Aufenthaltsverbot auswirken könnten. Die Frist sei auf sechs Monate festgesetzt worden, entsprechend der durchschnittlichen Länge des Asylverfahrens in Italien. Es seien auch sonst keine Umstände ersichtlich, die im Rahmen des Ermessens zu seinen Gunsten berücksichtigt hätten werden können.
Hiergegen hat der Antragsteller mit Schreiben vom …. Juni 2016, bei Gericht am 29. Juni 2016 eingegangen, Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München erhoben und beantragt, den Bescheid vom 15. Juni 2016 aufzuheben (Az.: M 12 K 16.50451). Gleichzeitig wurde beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung anzuordnen.
Das Bundesamt legte mit Schreiben vom 29. Juni 2016 die Behördenakte vor. Ein Antrag wurde nicht gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte des Bundesamts Bezug genommen.
II.
Der zulässige, insbesondere innerhalb der Wochenfrist des § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG eingelegte Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die im Bescheid vom 15. Juni 2016 verfügte Anordnung der Abschiebung nach Italien hat in der Sache keinen Erfolg.
Entfaltet ein Rechtsbehelf wie hier von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 75 Abs. 1 AsylG), kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung, bei der es abzuwägen hat zwischen dem sich aus § 75 AsylG ergebenden öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der Abschiebungsanordnung und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Dabei sind insbesondere die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Eilverfahren gebotene summarische Prüfung, dass die Klage voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid bei kursorischer Prüfung als rechtswidrig, so besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung; nicht erforderlich sind insoweit erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides, denn die Regelung des § 36 Abs. 4 AsylG ist hier nicht (entsprechend) anwendbar (vgl. VG Göttingen, B.v. 9.12.2013 – 2 B 869/13 – juris Rn. 16). Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer allgemeinen Interessenabwägung.
Gemessen an diesen Grundsätzen überwiegt vorliegend das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung das persönliche Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung der Klage, da die Klage voraussichtlich erfolglos bleiben wird. Nach der hier gebotenen und ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) davon auszugehen, dass sich der angefochtene Bescheid im Hauptsacheverfahren als rechtmäßig erweisen wird und die streitgegenständliche Abschiebungsanordnung den Antragsteller nicht in seinen Rechten verletzt.
1. Die Rechtsgrundlage für die Abschiebungsanordnung findet sich in § 34a Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 AsylG. Danach ordnet das Bundesamt in Fällen, in denen der Ausländer in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a) abgeschoben werden soll, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass diese durchgeführt werden kann. Nach § 27a AsylG ist ein Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland unzulässig, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrags für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.
2. Im Fall des Antragstellers ist Italien aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union i. S.v. § 27a AsylG für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig.
Maßgebliche Rechtsvorschrift zur Bestimmung des zuständigen Staates ist vorliegend die am 19. Juli 2013 in Kraft getretene Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO). Diese findet gemäß Art. 49 Abs. 1 und 2 Dublin III-VO auf alle in der Bundesrepublik ab dem 1. Januar 2014 gestellten Anträge auf internationalen Schutz Anwendung, also auch auf das am 30. Mai 2016 gestellte Schutzgesuch des Antragstellers.
Art. 3 Abs. 1 Dublin III-VO sieht vor, dass der Asylantrag von dem Mitgliedstaat geprüft wird, der nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-VO als zuständiger Staat bestimmt wird. Bei Anwendung dieser Kriterien ist vorliegend Italien für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig. Nach Art. 13 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO ist derjenige Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig ist, über dessen Grenze der Asylbewerber aus einem Drittstaat illegal eingereist ist. Vorliegend ist davon auszugehen, dass der Antragsteller über Italien in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist und dort bereits einen Asylantrag gestellt hat. Dies ergibt sich aus dem bei einer EURODAC-Abfrage für den Antragsteller erzielten Treffer mit der Kennzeichnung „IT1“ (vgl. Art. 24 Abs. 4 i. V. m. Art. 9 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 vom 26. Juni 2013 (EURODAC-VO)). Anhaltspunkte dafür, dass diese Daten unzutreffend sind, bestehen nicht, zumal nach Art. 23 Abs. 1 lit. c) EURODAC-VO eine europarechtliche Richtigkeitsgewähr bezüglich der erhobenen und übermittelten EURODAC-Daten eingreift. Die Zuständigkeit Italiens ist auch nicht gemäß Art. 13 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO erloschen, da zum Zeitpunkt der erstmaligen Asylantragstellung der illegale Grenzübertritt noch nicht länger als zwölf Monate zurücklag (vgl. Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO). Damit ist Italien gemäß Art. 18 Abs. 1 b) Dublin III-VO verpflichtet, den Antragsteller nach Maßgabe der Art. 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen. Da die italienischen Behörden auf das Wiederaufnahmegesuch der Antragsgegnerin nicht innerhalb der nach Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO maßgeblichen Zweiwochenfrist reagiert haben, kann auch davon ausgegangen werden, dass dem Wiederaufnahmeersuchen stattgegeben wurde.
3. Der Antragsteller kann der Überstellung nach Italien auch nicht mit dem Einwand entgegentreten, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Italien systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung i. S. d. Art. 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen, so dass eine Überstellung nach Italien unmöglich wäre (Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 3 Dublin III-VO).
Das gemeinsame Europäische Asylsystem gründet sich auf das Prinzip gegenseitigen Vertrauens, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte sowie die Rechte beachten, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der Europäischen Menschenrechtskonvention – EMRK – finden (EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 – juris). Daraus ist die Vermutung abzuleiten, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der EU-Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht (EuGH, U.v. 21.12.2011, a. a. O., juris Rn. 80).
Die diesem „Prinzip des gegenseitigen Vertrauens“ (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011, a. a. O.) bzw. dem „Konzept der normativen Vergewisserung“ (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93 und 2 BvR 2315/93 – juris) zugrunde liegende Vermutung ist jedoch nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für die Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i. S.v. Art. 4 der Grundrechtscharta ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011, a. a. O.). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber aufgrund größerer Funktionsstörungen in dem zuständigen Mitgliedstaat regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVwerG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris Rn. 5 f. m. w.N.). Bei einer zusammenfassenden, qualifizierten – nicht rein quantitativen – Würdigung aller Umstände, die für das Vorliegen solcher Mängel sprechen, muss diesen ein größeres Gewicht als den dagegensprechenden Tatsachen zukommen, d. h. es müssen hinreichend gesicherte Erkenntnisse dazu vorliegen, dass es immer wieder zu den genannten Grundrechtsverletzungen kommt (vgl. VGH BW, U.v. 16.4.2014 – A 11 S 1721/13 – juris).
In Bezug auf Italien ist nach aktuellem Kenntnisstand nicht davon auszugehen, dass dem Antragsteller im Falle seiner Rücküberstellung eine menschenunwürdige Behandlung im eben beschriebenen Sinn droht. Es ist nicht hinreichend ersichtlich, dass in Italien systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber vorliegen. Das Gericht schließt sich insoweit der Bewertung des umfangreichen aktuellen Erkenntnismaterials durch verschiedene Obergerichte und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte an (vgl. OVG NRW, U.v. 24.04.2015 – 14 A 2356/12.A – juris 20 ff. m. w. N.; OVG Lüneburg, U.v. 25.06.2015 – 11 LB 248/14 – juris Rn. 47 ff. m. w. N.; BayVGH, U.v. 28.2.2014 – 13a B 13.30295 – juris; VGH BW, U.v. 16.4.2014, a. a. O., Rn. 43 ff.; OVG NW, U.v. 7.3.2014, a. a. O.; OVG RhPf, U.v. 21.2.2014 – 10 A 10656/13 – juris Rn. 41 ff; OVG Nds., B.v. 30.1.2014 – 4 LA 167/13 – juris u. 18.3.2014 – 13 LA 75/13 – juris Rn. 15 ff.; OVG BB, B.v. 17.6.2013 – 7 S 33.13 – juris Rn. 13 ff. und B.v. 24.6.2013 – 7 S 58.13 – juris; EGMR, B.v. 2.4.2013 – Nr. 27725/10 – Rn. 78, ZAR 2013, 336/337 u. B.v. 10.9. 2013 – Nr. 2314/10 – Rn. 138 ff; B.v. 5.2.2015 – Nr. 51428/10 – A.M.E. ./. Niederlande, Rn. 36, veröffentlicht auf der Internetseite des EGMR). Es mag zwar immer wieder vorkommen, dass Asylsuchende während der Bearbeitung ihres Asylantrags in Italien auf sich alleine gestellt und zum Teil auch obdachlos sind. Dies und auch die zum Teil lange Dauer der Asylverfahren sind darauf zurückzuführen, dass das italienische Asylsystem aufgrund der momentan hohen Asylbewerberzahlen stark ausgelastet und an der Kapazitätsgrenze ist. Die im Bereich der Unterbringung und Versorgung der Asylbewerber weiterhin feststellbaren Mängel und Defizite sind aber weder für sich genommen noch insgesamt als so gravierend zu bewerten, dass ein grundlegendes systemisches Versagen des Mitgliedstaates vorläge, welches für einen Dublin-Rückkehrer nach dem Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit Rechtsverletzungen im Schutzbereich von Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK mit dem dafür notwendigen Schweregrad impliziert (vgl. OVG NW, U.v. 7.3.2014, a.a.O, Rn. 132; OVG RhPf, U.v. 21.2.2014, a.a.O, Rn. 45 f.). Es ist im Grundsatz davon auszugehen, dass Italien über ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes, richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren verfügt, welches trotz einzelner Mängel nicht nur abstrakt, sondern gerade auch unter Würdigung der vor Ort tatsächlich anzutreffenden Rahmenbedingungen prinzipiell funktionsfähig ist und dabei insbesondere sicherstellt, dass der rücküberstellte Asylbewerber im Normalfall nicht mit schwerwiegenden Verstößen und Rechtsbeeinträchtigungen rechnen muss (OVG NW, a. a. O., Rn. 131). In Italien bestehen ausdifferenzierte Strukturen zur Aufnahme von Asylbewerbern, auch speziell für Dublin-Rückkehrer. Diese befinden sich in staatlicher, in kommunaler, kirchlicher oder privater Trägerschaft und werden zum Teil zentral koordiniert (vgl. VG Ansbach, U.v. 11.12.2015 – AN 14 K 15.50316 – juris Rn. 24 m. w. N.). Das italienische Recht gewährt den Asylsuchenden zudem ab dem Zeitpunkt des Asylantrags Zugang zu diesen Unterbringungsmöglichkeiten. Damit wurde die damalige europäische Aufnahmerichtlinie umgesetzt. In der Praxis wird zwar der Zugang zu den Aufnahmezentren häufig erst von der formellen Registrierung des Asylantrags (verbalizzazione) abhängig gemacht, so dass hierdurch eine Zeitspanne ohne Unterbringung entstehen kann. Die Behörden sind jedoch darum bemüht, diese zu verringern (vgl. VG Ansbach, U.v. 11.12.2015 – AN 14 K 15.50316 – juris Rn. 24 m. w. N.). Auch Dublin-Rückkehrer haben bei ihrer Ankunft in Italien nach Kapazität sofort Zugang zu bestimmten Unterkünften und es ist gewährleistet, dass sie nach ihrer Rückkehr ihr ursprüngliches Asylverfahren weiterbetreiben können, bzw. einen Asylantrag stellen können, wenn sie das noch nicht getan haben (vgl. UNHCR, Empfehlungen zu wichtigen Aspekten des Flüchtlingsschutzes in Italien, Juli 2013, S. 6 f.; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Italien: Aufnahmebedingungen, Aktuelle Situation von Asylsuchenden und Schutzberechtigten, insbesondere Dublin-Rückkehrenden, Bern, Oktober 2013, S. 7).
Auch die Lage der Personen, die in Italien einen internationalen Schutzstatus zuerkannt bekommen haben, begründet noch keine systemischen Mängel. Dies gilt auch in Ansehung des Umstands, dass Italien kein mit dem in der Bundesrepublik bestehenden Sozialleistungssystem vergleichbares landesweites Recht auf Fürsorgeleistungen kennt und hier nur im originären Kompetenzbereich der Regionen und Kommunen ein sehr unterschiedliches und in weiten Teilen von der jeweiligen Finanzkraft abhängiges Leistungsniveau besteht (VGH BW, U.v. 16.4.2014, a. a. O., juris).
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Urteil des EGMR vom 4. November 2014 im Verfahren Tarakhel ./. Schweiz (Az. 29217/12, NVwZ 2015, 127 ff.). Der EGMR hat hier lediglich entschieden, dass die Schweizer Behörden die Abschiebung einer Familie nach Italien nicht vornehmen dürfen, ohne vorher individuelle Garantien von den italienischen Behörden erhalten zu haben, dass die Antragsteller in Italien in einer dem Alter der Kinder adäquaten Art und Weise behandelt werden und die Familie zusammen bleiben darf. Das Urteil beinhaltet damit keine Aussage zu eventuellen systemischen Mängeln in Italien, sondern lediglich eine Einschränkung für die Abschiebung von Familien nach Italien. Zudem hat der EGMR in seiner Entscheidung vom 5. Februar 2015 im Verfahren A.M.E. ./. Niederlande (Az. 51428/10) entschieden, dass die Struktur und die Gesamtsituation des italienischen Flüchtlings- und Asylbewerberaufnahmesystems kein genereller Grund sind, eine Überstellung im Zuge des sogenannten Dublin-Verfahrens zu verbieten.
Auch aus neueren Erkenntnismitteln können keine Hinweise auf systemische Mängel entnommen werden. Insbesondere stellt auch die gegenwärtig besonders hohe Zahl von Einwanderern nach Italien keinen Umstand dar, der eine veränderte Beurteilung rechtfertigen könnte. In dem vom Europäischen Rat für Flüchtlinge und im Exil lebende Personen (ECRE) für das Projekt AIDA – Asylum Information Database erstellten Länderbericht zu Italien vom Dezember 2015 (abrufbar unter http://www.asylumineurope.org/reports/country/italy) wird zwar ausgeführt (vgl. S. 62 ff. des Berichts), dass dort zumindest in der Vergangenheit nicht für alle Asylbewerber adäquate Aufnahmeeinrichtungen zur Verfügung gestanden haben und die Zahl von Unterbringungsplätzen nur unzureichend war. Bei Dublin-Rückkehrern wie dem Antragsteller kann es längere Zeit dauern, bis sie einer Aufnahmeeinrichtung zugewiesen werden. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass der italienische Staat hiergegen erfolgsversprechende Gegenmaßnahmen ergreift. Zum einen werden die Kapazitäten der Aufnahmeeinrichtungen dem vorgenannten Bericht zufolge seit 2013 deutlich erhöht. UNHCR und Nichtregierungsorganisationen beraten die staatlichen Stellen bei der Verbesserung der Aufnahmebedingungen. Speziell für Dublin-Rückkehrer wurden zum anderen Zentren zur übergangsweisen Unterbringung eingerichtet (vgl. S. 63 f. des Berichts.). Ein systemisches Versagen der Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen lässt sich dem AIDA-Bericht angesichts dessen nicht entnehmen. Ein systemischer Mangel der Aufnahmebedingungen kann daher gerade auch für die Personengruppe, welcher der Antragsteller angehört, nicht angenommen werden.
4. Weiterhin bestehen nach der gebotenen summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten der Klage in der Hauptsache auch in der Person des Antragstellers keine individuellen, außergewöhnlichen humanitären Gründe, die die Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO notwendig machen würden.
5. Schließlich begegnet auch die rechtliche und tatsächliche Durchführbarkeit der Abschiebung des Antragstellers nach Italien keinen Bedenken. Da die italienischen Behörden auf das Wiederaufnahmegesuch der Antragsgegnerin nicht innerhalb der nach Art. 25 Abs. 2 Dublin-III-VO maßgeblichen Zweiwochenfrist reagiert haben, kann unterstellt werden, dass dem Wiederaufnahmeersuchen stattgegeben wurde, was die Verpflichtung nach sich zieht, die betreffende Person wieder aufzunehmen. Ein der Abschiebung nach Italien entgegenstehendes inlandsbezogenes Abschiebungshindernis ist ebenfalls nicht ersichtlich.
Nach alledem war der Eilantrag daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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