Aktenzeichen W 10 S 18.50551
EMRK Art. 3
VwGO § 80 Abs. 5
GRCh Art. 4
Leitsatz
1 Das Asylverfahren in Italien widerspricht nicht generell unionsrechtlichen Maßstäben bzw. dort herrschen nicht generell unzureichende Aufnahmebedingungen, die zu einer Verletzung der durch Art. 4 GRCh gewährleisteten Rechte führen. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2 In Italien vorhandene defizitäre Umstände sind noch nicht als generelle systemische Mängel zu qualifizieren, zumal die Annahme von Schwachstellen im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO an hohe Anforderungen geknüpft ist. Der maßgebliche Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit muss sich auf Basis einer Gesamtwürdigung sämtlicher Umstände ergeben und sich nicht nur auf einzelne Mängel des Systems beziehen. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
I.
Die Antragstellerin, nach eigenen Angaben eine am … 1997 in Edo-State geborene nigerianische Staatsangehörige mit der Volkszugehörigkeit der Edo und christlicher Religion, wurde am 23. Oktober 2018 in einem ICE von der Bundespolizei aufgegriffen und erkennungsdienstlich behandelt. Sie gab dabei an, am 22. Oktober 2018 in das Bundesgebiet eingereist zu sein.
Am 31. Oktober 2018 beantragte die Antragstellerin beim Bundesamt für … (im Folgenden: Bundesamt) Asyl. Dabei gab sie an, sie habe ihr Herkunftsland am 29. September 2016 verlassen und sei über Niger und Libyen nach Italien eingereist. Dort habe sie sich ein Jahr und 10 Monate lang aufgehalten und im Dezember 2016 einen Asylantrag gestellt. Am 3. April 2017 habe sie ein für zwei Jahre gültiges italienisches Aufenthaltsdokument erhalten.
Am 6. November 2018 wurde die Antragstellerin zur Zulässigkeit ihres Asylantrags angehört. Dabei gab sie im Wesentlichen an, sie sei am 16. Dezember 2016 in Italien angekommen, wo ihr Fingerabdrücke abgenommen worden seien. Den Aufenthaltstitel könne sie nicht vorzeigen, da er ihr gestohlen worden sei. Sie habe in Italien eine Anhörung zu ihren Asylgründen gehabt. Neue Gründe bzw. neue Tatsachen könne sie nicht vortragen. Sie habe eine positive Entscheidung über ihren Asylantrag erhalten, denn sie habe eine Aufenthaltserlaubnis für zwei Jahre bekommen.
Am 8. November 2018 ersuchte das Bundesamt die italienischen Behörden um Wiederaufnahme der Antragstellerin. Eine Antwort erfolgte innerhalb der vorgesehenen Fristen nicht.
Mit Bescheid vom 23. November 2018 lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Ziffer 1 des Bescheides), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 2), ordnete die Abschiebung nach Italien an (Ziffer 3) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 4). Auf die Begründung des Bescheides wird zur Vermeidung von unnötigen Wiederholungen Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Gegen diesen ihr am 27. November 2018 durch die Ausländerbehörde ausgehändigten Bescheid erhob die Antragstellerin am 28. November 2018 Klage, über die noch nicht entschieden ist (Az: W 10 K 18.50550).
Gleichzeitig beantragte sie im vorliegenden Verfahren gemäß § 80 Abs. 5 VwGO,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung verwies die Antragstellerin auf die Anhörung beim Bundesamt und führte ergänzend aus, sie könne nicht nach Italien zurückkehren, da sie nicht wisse, wo sie bleiben solle. Sie hätte dort keine Unterkunft und auch keinerlei sonstige Unterstützung und müsste deshalb auf der Straße leben. Davor fürchte sie sich, da sie als Frau schutzlos wäre.
Für die Antragsgegnerin beantragte das Bundesamt, den Antrag abzulehnen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtssowie der vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung (Ziffer 3 des Bescheides der Antragsgegnerin vom 23. November 2018) hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen die Abschiebungsanordnung (Ziffer 3 des streitgegenständlichen Bescheides) ist zulässig. Insbesondere ist der Antrag statthaft, weil der Klage keine aufschiebende Wirkung zukommt (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1 AsylG). Der Antrag wurde auch innerhalb der Wochenfrist des § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG bei Gericht gestellt.
2. Der Antrag ist jedoch nicht begründet.
Das Gericht trifft im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO eine eigene, originäre Entscheidung über die Anordnung bzw. die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung aufgrund der sich ihm im Zeitpunkt seiner Entscheidung gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 AsylG darbietenden Sach- und Rechtslage. Das Gericht hat dabei das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin und das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gegeneinander abzuwägen (Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, § 80 Rn. 152; Eyermann/Hoppe, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 89). Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist in der Regel abzulehnen, wenn der Rechtsbehelf in der Hauptsache nach summarischer Prüfung voraussichtlich erfolglos bleiben wird; ergibt eine vorläufige Überprüfung des Rechtsbehelfs in der Hauptsache dagegen, dass diese offensichtlich erfolgreich sein wird, so überwiegt regelmäßig das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin. Sind die Erfolgsaussichten hingegen offen, so ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen (vgl. Eyermann/Hoppe, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 90 ff.).
Gemessen an diesen Grundsätzen fällt die vom Gericht anzustellende Interessenabwägung zu Lasten der Antragstellerin aus. Nach der im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung erweist sich die Abschiebungsordnung nach Italien als rechtmäßig. Bei der nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden Interessenabwägung überwiegt daher das öffentliche Vollzugsinteresse das Interesse der Antragstellerin an der Aussetzung der Vollziehung.
Zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen wird auf die zutreffenden Gründe des streitgegenständlichen Bescheides der Antragsgegnerin verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Das Vorbringen der Antragstellerin führt zu keiner anderen Bewertung.
a) Die streitgegenständliche Abschiebungsanordnung beruht auf § 34a Abs. 1 Satz 1 2. Alt. AsylG. Danach ordnet das Bundesamt die Abschiebung des Ausländers in einen für die Durchführung des Asylverfahrens nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1a AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist. Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO sieht vor, dass Anträge auf internationalen Schutz von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft werden, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird. Lässt sich anhand dieser Kriterien der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen, so ist nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1 Dublin III-VO der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig. Die Antragstellerin hat bereits in Italien einen Asylantrag gestellt, sodass grundsätzlich die italienischen Behörden für die Prüfung desselben zuständig sind.
Da das Wiederaufnahmegesuch innerhalb der Frist des Art. 23 Abs. 2 Dublin III-VO an Italien gerichtet wurde, ist die Zuständigkeit auch nicht auf die Antragsgegnerin übergegangen. Auch auf der Grundlage von Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO ergibt sich keine Zuständigkeit der Antragsgegnerin, weil die dort geregelte Überstellungsfrist offensichtlich nicht abgelaufen ist.
b) Die Überstellung der Antragstellerin nach Italien ist auch nicht rechtlich unmöglich. Nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO besteht ein Überstellungshindernis, wenn es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in dem Mitgliedstaat, in den diese überstellt werden sollen, systemische Schwachstellen aufweisen, welche die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-Grundrechtecharta i.V.m. Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) mit sich bringen. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO beruht auf der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, dass das in Art. 4 der EU-Grundrechtecharta enthaltene Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung von fundamentaler Bedeutung ist und aufgrund der engen Verbindung zur Achtung der Würde des Menschen (Art. 1 der EU-Grundrechtecharta) und seines daraus resultierenden absoluten Charakters auch bei Überstellungen nach der Dublin-Verordnung voll umfänglich beachtet werden muss (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 – NVwZ 2012, 417; U.v. 5.4.2016 – C-404/15, C 659/15 – NJW 2016, 1709 Rn. 85, 86; U.v. 16.2.2017 – C-578/16 – NVwZ 2017, 691 Rn. 59).
Das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) beruht auf dem „Prinzip gegenseitigen Vertrauens“, dass alle daran beteiligten Mitgliedstaaten die Grundrechte sowie die Rechte beachten, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), dem Protokoll vom 1967 und in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) finden (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 – NVwZ 2012, 417 Rn. 79). Dies begründet die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat im Einklang mit den Erfordernissen der EU-Grundrechtecharta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011, a.a.O., Rn. 80). Hierbei handelt es sich zwar um eine widerlegbare Vermutung. Die Anforderungen an die Feststellung systemischer Mängel und eine daraus resultierende Widerlegung der Sicherheitsvermutung sind allerdings hoch. Im Hinblick auf das Ziel der Dublin III-VO, zügig und effektiv den für das Asylverfahren zuständigen Staat zu bestimmen, können geringfügige Verstöße hierfür nicht ausreichen. Um das Prinzip gegenseitigen Vertrauens entkräften zu können, muss vielmehr ernsthaft zu befürchten sein, dass dem Asylbewerber aufgrund genereller defizitärer Mängel im Asylsystem des eigentlich zuständigen Mitgliedstaates mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 EU-Grundrechtecharta droht (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – Rn. 6; EuGH, U.v. 21.12.2011, a.a.O., Rn. 80; VGH Baden-Württemberg, U.v. 16.4.2014 – A 11 S 1721/13 – juris Rn. 41). Erforderlich ist insoweit die real bestehende Gefahr, dass in dem Mitgliedstaat, in den überstellt werden soll, die grundlegende Ausstattung mit den notwendigen, zur Befriedigung menschlicher Grundbedürfnisse elementaren Mitteln so defizitär ist, dass der materielle Mindeststandard nicht erreicht wird und der betreffende Mitgliedstaat dieser Situation nicht mit geeigneten Maßnahmen, sondern mit Gleichgültigkeit begegnet (vgl. OVG Lüneburg, U.v. 29.1.2018 – 10 LB 82/17 – juris Rn. 34 m.w.N.). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) kann allerdings die bloße schlechtere wirtschaftliche oder soziale Stellung der Person in dem Mitgliedstaat, in welchen sie überstellt werden soll, nicht für die Annahme einer unmenschlichen Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK ausreichen (vgl. EGMR, B.v. 2.4.2013 – 27725/10 – ZAR 2013, 336, Rn. 70 f.). Der EGMR führt in seiner Entscheidung aus, dass Art. 3 EMRK keine allgemeine Verpflichtung der Vertragsparteien enthalte, jede Person innerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs mit Obdach zu versorgen oder finanzielle Leistungen zu gewähren, um ihr dadurch einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen. Einer Überstellung nach der Dublin-Verordnung stünden daher nur außergewöhnliche zwingende humanitäre Gründe entgegen.
Gemessen an diesen Grundsätzen geht das Gericht aufgrund einer Gesamtwürdigung der aktuellen Erkenntnisse im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) nicht davon aus, dass das Asylverfahren in Italien generell unionsrechtlichen Maßstäben widerspricht bzw. dort generell unzureichende Aufnahmebedingungen herrschen, die zu einer Verletzung der durch Art. 4 der EU-Grundrechtecharta gewährleisteten Rechte führen. Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen:
Italien ist als Mitgliedstaat der Europäischen Union ein sicherer Drittstaat im Sinne der Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG, § 26a AsylG. Es ist in Ermangelung anderweitiger substanzieller Anhaltspunkte davon auszugehen, dass das Asylrecht in Italien zumindest dem internationalen und europäischen Mindeststandard entspricht und jedenfalls elementare Bedürfnisse der Asylbewerber gedeckt werden können.
Asylbewerber haben in Italien entsprechend dem Grundrecht auf Asyl Zugang zu einem rechtsstaatlichen Asylverfahren mit gerichtlichen Rechtsschutzmöglichkeiten. Über den Ablauf des Asylverfahrens wird über Informationsbroschüren in unterschiedlichen sprachlichen Fassungen sowie über Betreuungsdienste Auskunft gegeben. Bei Dublin-Rückkehrern ist im Regelfall gewährleistet, dass sie nach ihrer Rückkehr nach Italien ihren ursprünglichen Antrag auf internationalen Schutz weiterverfolgen oder erstmals einen Asylantrag stellen können. Das Asylverfahren soll zwar grundsätzlich nicht länger als sechs Monate dauern (vgl. amtliche Auskunft des Auswärtigen Amtes an das OVG Nordrhein-Westfalen vom 23.2.2016). Der Umstand, dass diese Verfahrensdauer aufgrund der aktuellen Belastungssituation nicht immer eingehalten werden kann, rechtfertigt jedoch nicht die Annahme eines unzureichenden Asylverfahrens, zumal diesbezügliche Schwierigkeiten wegen des enormen Zustroms an Schutzsuchenden nicht nur in Italien, sondern in vielen europäischen Ländern bestehen.
Weiterhin erhalten Asylsuchende während des Asylverfahrens in Italien Leistungen für die Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse, insbesondere Nahrungsmittel, Hygieneartikel und Kleidung (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Italien, Stand: 27.9.2018 m.w.N.). Auch wenn Italien diesbezüglich hinter den Verhältnissen in der Bundesrepublik Deutschland zurückbleibt und insbesondere kein umfassendes Sozialsystem kennt, so begründet dies entsprechend der obigen Ausführungen keine generellen systemischen Mängel.
Asylbewerber haben darüber hinaus in gleicher Weise wie italienische Bürger einen Anspruch auf medizinische Versorgung, der mit der Registrierung eines Asylantrags entsteht. Bis zum Zeitpunkt der Registrierung werden gleichwohl medizinische Basisleistungen, wie beispielsweise kostenfreie Notfallversorgung, gewährleistet (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt, a.a.O., S. 17).
Während des Asylverfahrens haben Asylbewerber einen Anspruch auf Unterbringung. Grundsätzlich werden zahlreiche Plätze für Asylsuchende und Dublin-Rückkehrer in verschiedenen staatlichen Unterkünften zur Verfügung gestellt, die über ganz Italien verteilt sind. Sowohl das Bundesamt für … als auch Asylum Information Database (im Folgenden: AIDA) gehen von einer Gesamtkapazität von über 175.000 Plätzen aus (vgl. BAMF, Länderinformation: Italien, Stand: Mai 2017, S. 2; AIDA, Country Report: Italy, Stand: März 2018, S. 80 ff.), sodass angesichts der hohen Zahl von Asylbewerbern nach wie vor eine Überbelegung anzunehmen ist. Neben den staatlichen Einrichtungen existieren verschiedene caritative und kommunale Einrichtungen, die zusätzliche Unterkunftsmöglichkeiten bieten, um Asylbewerber vor Obdachlosigkeit zu schützen. In Einzelfällen ist es gleichwohl möglich, dass Dublin-Rückkehrer keine Unterbringung erhalten und vorübergehend obdachlos sind. Insbesondere kann es zu Problemen kommen, wenn Dublin-Rückkehrer in Italien bereits offiziell untergebracht waren, da der Anspruch auf Unterbringung in staatlichen Einrichtungen untergeht, wenn der Ausländer seine Unterkunft ohne vorherige Bewilligung verlässt oder eine ihm zugewiesene Unterkunft gar nicht erst in Anspruch genommen hat (vgl. BAMF, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Italien, Stand: 27.9.2018, S. 16). Der Anspruch kann zwar wieder aufleben. Insoweit ist allerdings ein vorheriger Antrag bei der Questura erforderlich, die ursprünglich für die Bearbeitung des Asylantrags zuständig war. Eine Unterbringung in einer staatlichen Einrichtung kann erst dann wieder erfolgen, wenn die Wiederaufnahme genehmigt wurde (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Aufnahmebedingungen in Italien, August 2016, S. 28). In dieser Übergangsphase sind Dublin-Rückkehrer auf die Hilfe von Freunden oder caritativer Einrichtungen, über deren Aufnahmekapazität es jedoch keine gesicherten und aussagekräftigen Unterlagen gibt, angewiesen, um der Obdachlosigkeit entgehen zu können. Im Ergebnis ist die Unterkunftssituation in ihrer Gesamtschau damit weiterhin problematisch.
Gleichwohl sind diese defizitären Umstände noch nicht als generelle systemische Mängel in Italien zu qualifizieren, zumal die Annahme von Schwachstellen im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO entsprechend den oben genannten Maßgaben an hohe Anforderungen geknüpft ist. Der maßgebliche Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit muss sich auf Basis einer Gesamtwürdigung sämtlicher Umstände ergeben und sich nicht nur auf einzelne Mängel des Systems beziehen. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass der italienische Staat mit Unterstützung von European Asylum Support Office der Europäischen Union (EASO) geeignete Maßnahmen ergriffen hat, um die Aufnahmekapazitäten stetig zu erhöhen und aktiv darum bemüht ist, diese auch weiterhin zu verbessern (vgl. EASO, Special Support Plan to Italy, 11.3.2015). Dies gilt umso mehr als die Anzahl der in Italien ankommenden Asylbewerber seit Beginn des Jahres 2018 stark rückläufig ist.
Auch unter Auswertung neuerer Erkenntnismittel und auf der Basis vorstehender Ausführungen schließt sich das Gericht in Übereinstimmung mit der obergerichtlichen Rechtsprechung der Einschätzung zahlreicher anderer Verwaltungsgerichte an, dass Italien grundsätzlich über ausreichende Unterbringungskapazitäten sowie ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes und richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren verfügt, das trotz bestehender Mängel noch als funktionsfähig betrachtet werden kann (vgl. VG Düsseldorf, B.v. 18.1.2017 – 12 L 3754/16.A – juris; VG Augsburg, B.v. 1.3.2018 – Au 5 S 18.50329 – juris; VG München, B.v. 6.6.2018 – M 11 S 18.51151 – BeckRS 2018, 15962; B.v. 9.8.2018 – M 26 S 18.52225, BeckRS 2018, 19472; VG Ansbach, U.v. 1.8.2018 – AN 14 K 17.50567 – juris; VG Karlsruhe, U.v. 22.3.2018 – A 5 K 15921/17 – BeckRS 2018, 7260; OVG Lüneburg, B.v. 13.6.2018 – 10 LB 204/18, BeckRS 2018, 22826; B.v. 2.7.2018 – 10 LB 249/18, BeckRS 2018, 24922; BayVGH, U.v. 18.2.2014 – 13 aB 13.30295 – juris; OVG Nordrhein-Westfalen, U.v. 22.9.2016 – 13 A 2448/15.A – juris).
Diese Einschätzung bedarf auch in Anbetracht des am 24. September 2018 erlassenen Dekrets der italienischen Regierung (sog. Salvini-Dekret) keiner Modifizierung. Soweit ersichtlich, betrifft die Regelung Änderungen in den Bereichen des Aufenthaltsrechtes aus humanitären Gründen sowie des Verlustes eines zuerkannten Schutzstatus (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Italien, Stand 27.9.2018, S. 6). Unmittelbare Auswirkungen auf die Behandlung von Asylbewerbern, deren Anerkennungsverfahren in Italien noch nicht abgeschlossen wurde, sind damit derzeit nicht zu erwarten. Im Übrigen liegt die Gewährung eines humanitären Aufenthaltsrechtes nach unanfechtbarem negativem Abschluss des Asylverfahrens gemäß Art. 6 Abs. 4 der Richtlinie 2008/115/EG über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger vom 16. Dezember 2008 (ABl. L 348/98, sog. Rückführungsrichtlinie) im Ermessen der Mitgliedstaaten. Dem gegenüber regelt Art. 9 der Rückführungsrichtlinie die Fälle, in denen kraft Unionsrechtes die Rückführung in das Herkunftsland trotz unanfechtbarer Ablehnung des Asylantrages nicht zulässig ist. Im Übrigen ist der jeweilige Mitgliedstaat kraft seiner Gebietshoheit befugt, den Aufenthalt von unanfechtbar abgelehnten Asylbewerbern in seinem Hoheitsgebiet zu beenden, zu dulden oder durch Gewährung eines zumindest befristeten Aufenthaltsrechtes zu legalisieren. Belastbare Anhaltspunkte dafür, dass die genannten Vorschriften der Rückführungsrichtlinie gegen primäres Unionsrecht, insbesondere Grundrechte der betroffenen Asylbewerber verstoßen würden oder dass in Italien in der behördlichen Praxis rechtskräftig abgelehnte Asylbewerber unter Verstoß gegen diese Vorschriften in ihr Herkunftsland zurückgeführt würden, liegen nicht vor.
Auch der EGMR führt in seiner Tarakhel-Entscheidung vom 4. November 2014 aus, dass die allgemeine Situation der Asylbewerber in Italien nicht mit der Griechenlands vergleichbar sei und keine systemischen Mängel vorlägen (EGMR, Tarakhel gegen Schweiz, Nr. 29217/12 – NVwZ 2015, 127, Rn. 114 ff.). Es könne aber nicht ausgeschlossen werden, dass eine erhebliche Anzahl von Asylbewerbern keine Unterkunft finde oder in überbelegten Einrichtungen auf engstem Raum oder in gesundheitsschädlichen oder gewalttätigen Verhältnissen untergebracht sei. Um sicherstellen zu können, dass die Aufnahmebedingungen an die besonderen Bedürfnisse von besonders schutzbedürftigen Personen angepasst seien, müssten vor deren Abschiebung individuelle Garantien von den italienischen Behörden eingeholt werden, dass diese Personen in Einrichtungen und unter Bedingungen aufgenommen würden, die ihrer Schutzbedürftigkeit angemessen seien (Rn. 120, 122 der zitierten Entscheidung).
Die Antragstellerin gehört als alleinstehende Frau ohne gravierende gesundheitliche Einschränkungen auch nicht zu einem besonders schutzbedürftigen (vulnerablen) Personenkreis im Sinne des Art. 21 der Richtlinie 2013/33/EU zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen, vom 26. Juni 2013 (ABl. L 180/96, sog. Aufnahmerichtlinie), dessen Belangen im Einzelfall besonders Rechnung zu tragen wäre. Unter Umständen müsste für eine besonders schutzbedürftige bzw. vulnerable Person eine individuelle Garantie von den italienischen Behörden eingeholt werden, dass eine Unterbringung in Einrichtungen und unter Bedingungen erfolgt, die der Schutzbedürftigkeit angemessen sind (vgl. EGMR, Tarakhel gegen Schweiz, Nr. 29217/12 – NVwZ 2015, 127, Rn. 120, 122). Bei alleinstehenden Asylbewerberinnen ohne gravierende gesundheitliche Einschränkungen handelt es sich in Italien jedoch nicht um einen besonders schutzbedürftigen (vulnerablen) Personenkreis (vgl. OVG Lüneburg, B.v. 28.5.2018 – 10 LB 202/18 – juris Rn. 88 ff. m.w.N.). Zwar sind Frauen bei einem Leben „auf der Straße“ oder in besetzten Häusern dem Risiko sexueller Gewalt ausgesetzt; auch nimmt die Schweizerische Flüchtlingshilfe an, dass in Italien viele Frauen gezwungen seien, ihren Lebensunterhalt mit Prostitution zu verdienen, und Frauenhandel ein gravierendes Problem darstelle (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Aufnahmebedingungen in Italien, August 2016, S. 52, 65). Doch kann nach Auffassung des Gerichts auch unter Berücksichtigung dieser Erkenntnisse nicht festgestellt werden, dass alleinstehende Frauen ohne gravierende gesundheitliche Einschränkungen bei einer Rückkehr nach Italien mit einem beachtlichen Grad von Wahrscheinlichkeit der Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Artikel 4 EU-Grundrechtecharta und Artikel 3 EMRK ausgesetzt und daher generell besonders schutzbedürftig sind.
Weiterhin liegen auch keine außergewöhnlichen Umstände vor, welche die Antragsgegnerin veranlassen würden bzw. müssten, von ihrem Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO Gebrauch zu machen.
c) Die Feststellung der Antragsgegnerin, dass im Falle der Antragstellerin keine zielstaats- oder inlandsbezogenen Abschiebungsverbote bestehen, ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Insoweit hat die Antragstellerin schon nichts vorgetragen. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte für zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG oder inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse im Sinne des § 60a Abs. 2 AufenthG ersichtlich.
Die Abschiebung der Antragstellerin nach Italien ist somit sowohl tatsächlich möglich als auch rechtlich zulässig, weshalb das öffentliche Vollzugsinteresse das Interesse der Antragstellerin an der Aussetzung der sofortigen Vollziehung überwiegt.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.