Europarecht

Erfolgloser Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gegen Abschiebung nach Frankreich

Aktenzeichen  M 1 S 16.50357

Datum:
29.7.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
AsylG AsylG § 27a, § 34a Abs. 1, § 34a Abs. 2
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2

 

Leitsatz

Systemische Mängel des Asylverfahrens und der Flüchtlingsaufnahme in Frankreich sind nicht ersichtlich. Asylbewerbern droht keine menschenunwürdige Behandlung. Sie können dort die notwendige medizinische Behandlung erhalten und Schutz vor gewalttätigen Übergriffen in der Familie bei den französischen Sicherheitsbehörden suchen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
Die Antragsteller sind eigenen Angaben zufolge Staatsangehörige der Republik Aserbaidschan. Die Antragsteller zu 1) und 2) reisten nach ihren eigenen Angaben am 22. September 2015 in das Bundesgebiet ein, der Antragsteller zu 3) wurde am … 2015 in Fürth geboren. Sie stellten am 15. Dezember 2015 einen Asylantrag.
Bei ihrer Anhörung zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats am 11. Februar 2016 gaben die Antragsteller an, Aserbaidschan am 19. September 2015 verlassen und nach drei Tagen Deutschland erreicht zu haben. Die Reise habe sie durch die Russische Föderation geführt, der Rest des Reisewegs sei ihnen unbekannt. Sie hätten in keinem anderen Mitgliedstatt der Europäischen Union internationalen Schutz beantragt. Bei der ebenfalls am 11. Februar 2016 durchgeführten Zweitbefragung gab der Antragsteller zu 1) an, er leide an Asthma, sei deshalb in ärztlicher Behandlung und nehme auch Medikamente. Hierzu legte er einen Arztbrief vom 30. Dezember 2015 vor.
Die Antragsteller befanden sich im Besitz von französischen Schengen-Visa, weshalb das Bundesamt am 29. Januar 2016 ein Übernahmeersuchen gemäß der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) an Frankreich richtete. Unter dem 11. Februar 2016 erklärte Frankreich seine Bereitschaft, zur Rückübernahme der Antragsteller und seine Zuständigkeit gemäß Art 12 Abs. 4 Dublin III-VO für die Bearbeitung der Asylanträge.
Mit Bescheid vom 20. Mai 2016, zugestellt am 2. Juni 2016, lehnte das Bundesamt den Asylantrag der Antragsteller als unzulässig ab (Nr. 1), ordnete ihre Abschiebung nach Frankreich an (Nr. 2) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) auf 9 Monate ab dem Tag der Abschiebung. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Asylanträge seien gemäß § 27a Asylgesetz (AsylG) unzulässig, weil Frankreich aufgrund der erteilten Visa gemäß Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO für die Behandlung der Asylanträge zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO auszuüben, seien nicht ersichtlich. Zum einen habe der Antragsteller zu 1) bislang die behauptete Erkrankung nicht durch ein fachärztliches Attest nachgewiesen, zum anderen gebe es keine Anhaltspunkte dafür, dass Asthma in Frankreich nicht behandelbar sei. Nach dem Bericht von AIDA vom 7. Mai 2013 hätten Asylbewerber in Frankreich während des Verfahrens kostenlosen Zugang zur staatlichen Gesundheitsversorgung. Asylbewerber, die ein beschleunigtes Verfahren oder eine Dublinverfahren durchliefen, erhielten medizinische Grundversorgung. Gründe für die Annahme systemischer Mängel des französischen Asylsystems lägen nicht vor. Die Anordnung der Abschiebung nach Frankreich beruhe auf § 34a Abs. 1 AsylG.
Die Antragsteller erhoben am … Juni 2016 Klage gegen den Bescheid des Bundesamts vom 20. Mai 2016 und beantragen zugleich,
die aufschiebende Wirkung ihrer Klage wiederherzustellen, im Übrigen anzuordnen.
Sie seien besonders schutzbedürftig, was die Ausübung des Selbsteintrittsrechts rechtfertige. Der Asylantrag müsse im nationalen Verfahren überprüft werden. Die Antragstellerin zu 2) sei aus der Heimat geflohen, weil sie hätte zwangsverheiratet werden sollen. Sie sei mit dem Antragsteller nach Frankreich gereist, was ihre Verwandten aber inzwischen herausgefunden hätten. Diese seien hinter der Antragstellerin her, weil sie mit dem Antragsteller zu 1) ein uneheliches Kind, den Antragsteller zu 3), bekommen habe. In Frankreich gebe es Bekannte, die schon aktiv nach der Antragstellerin suchten. Die Eltern wollten einen Ehrenmord begehen. Die Familie habe auf Ehrenmord geschworen. Das Leben der Antragstellerin sei in Gefahr, wenn sie nach Frankreich zurückkehre. Sie sei durch die Geschehnisse stark traumatisiert. In Abwesenheit des Antragstellers zu 1) sei die Antragstellerin zudem in der Unterkunft von männlichen Asylsuchenden belästigt worden; auch sei es dem Neugeborenen unzumutbar, lange Reisen in die Ungewissheit zu unternehmen. Es wurde die Bescheinigung der …-Klinik über einen Termin der Antragstellerin in der dortigen psychiatrischen Ambulanz am 28. Juni 2016 vorgelegt, ferner ein allgemeinärztliches Attest vom 27. Juni 2016 für den Antragsteller zu 1), dass er wegen des „bekannten Asthma“ nur eingeschränkt reisefähig sei. Schließlich wurde ein ärztliches Attest einer Allgemein- und Kinderärztin vom 28. Juni 2016 vorgelegt, worin berichtet wird, die Ärztin sei am 20. Januar 2016 zu den Antragstellern gerufen worden. Die Antragstellerin habe verunsichert und hilflos gewirkt, der Antragsteller zu 1) habe über gesundheitliche Probleme der Atemwege im Sinne eines Asthma bronchiale mit Rezidivpneumonien und einer chronischen Pansinusitis berichtet. Diese Erkrankungen hätten eine stationäre Behandlung vom 14. bis 18. März 2016 nötig gemacht. Die Familie habe an dem Ort ihrer Unterbringung allmählich Sicherheit gewonnen und Beziehungen aufgebaut. Es sei sehr zu empfehlen, diese Entwicklung nicht abzubrechen und damit das Wohlergehen der Familie zu gefährden. Schließlich ließen die Antragsteller ein vom 28. Juni 2016 datierendes Gedächtnisprotokoll eines Arztes vorlegen, der darin sein Zusammentreffen mit den Antragstellern am 19. Januar 2016 als Koordinator des örtlichen Helferkreises schildert und deren Hilfebedürfnis hervorhebt.
Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag abzulehnen.
Zu den weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
1. Der nach § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG i. V. m. § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zulässige Antrag bleibt in der Sache ohne Erfolg.
Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen. Bei dieser Entscheidung sind das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts einerseits und das private Aussetzungsinteresse, also das Interesse des Betroffenen, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts von dessen Vollziehung verschont zu bleiben, gegeneinander abzuwägen. Da sich der angegriffene Bescheid des Bundesamts nach summarischer Prüfung als rechtmäßig erweist, führt die vorzunehmende Interessenabwägung zu einem Überwiegen des öffentlichen Vollzugsinteresses.
An der Rechtmäßigkeit der auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG gestützten Abschiebungsanordnung bestehen bei summarischer Prüfung keine Zweifel. Nach dieser Vorschrift ordnet das Bundesamt die Abschiebung des Ausländers in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (vgl. § 27a AsylG) an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
1. Frankreich hat das Übernahmeersuchen vom 29. Januar 2016 mit Schreiben vom 11. Februar 2016 akzeptiert. Gründe i. S. d. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO, die der Überstellung der Antragsteller nach Frankreich entgegenstehen, ergeben sich weder aus den Ausführungen zur Begründung des Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes noch sind sie sonst ersichtlich.
Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 – juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U. v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Grundrechtecharta) entspricht. Allerdings ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für den Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i. S. d. Art. 4 Grundrechtecharta ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, U. v. 21.12.2011 a. a. O.). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitglied-staaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B. v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris; B. v. 6.6.2014 – 10 B 35.14 – juris Rn. 5 f.).
Ausgehend hiervon stehen der Rückführung der Antragsteller nach Frankreich systemische Mängel des französischen Asylverfahrens und des dortigen Flüchtlingsaufnahmesystems i. S. d. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO nicht entgegen. Hierzu wird weder konkret vorgetragen noch sind systemische Mängel ersichtlich. In Bezug auf Frankreich ist nach aktuellem Kenntnisstand nicht davon auszugehen, dass den Antragstellern im Falle seiner Rücküberstellung dort eine menschenunwürdige Behandlung droht. Vielmehr ist davon auszugehen, dass Frankreich über ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes, richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren verfügt, welches prinzipiell funktionsfähig ist und insbesondere sicherstellt, dass der rücküberstellte Asylbewerber im Normalfall nicht mit schwerwiegenden Verstößen und Rechtsbeeinträchtigungen rechnen muss (vgl. VG München, U. v. 20.5.2016 – M 12 K 15.50772 – juris Rn. 32 m. w. N.).
Der Umstand, dass beim Antragsteller Hinweise auf ein Asthma bronchiale bestehen und die Antragstellerin zu 2) möglicherweise unter einer psychiatrischen Erkrankung leidet, führt ebenfalls nicht zur Übernahme der Zuständigkeit für die Asylverfahren der Antragsteller durch die Bundesrepublik Deutschland. Zum einen ist davon auszugehen, dass sowohl der Antragsteller zu 1) wie auch die Antragstellerin zu 2) in Frankreich die notwendige medizinische Behandlung erlangen können (vgl. die Informationen der französischen Botschaft zum Asylrecht in Frankreich http://www.ambafrance-de.org/Asylrecht-in-Frankreich sowie AIDA Länderreport Frankreich Dezember 2015, S. 85 f. http://www.asylumineurope.org/sites /default/files/report-download/aida_fr_update_iv.pdf ).
Die im Übrigen bislang nicht nachgewiesenen Erkrankungen stellen auch keinen individuellen, außergewöhnlichen humanitären Grund dar, der die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO rechtfertigen würde. Ebenso verhält es sich mit der erstmals im Gerichtsverfahren vorgebrachten Furcht der Antragsteller vor gewalttätigen Übergriffen der Familie der Antragstellerin wegen ihrer Beziehung zum Antragsteller zu 1) und der Geburt des Antragstellers zu 3). Im Falle einer tatsächlichen Gefährdung ist es den Antragstellern zumutbar, bei den französischen Sicherheitsbehörden Schutz zu suchen. Im Übrigen ist bereits nicht recht nachvollziehbar, warum die Antragsteller die behauptete Gefährdung durch einen Ehrenmord nicht schon beim Bundesamt vorgetragen, sondern im Gegenteil verschwiegen haben, in Frankreich gefährdet gewesen zu sein. Auch überzeugt nicht, warum die Antragsteller zwar in Frankreich aufgespürt worden, dann aber in Deutschland vor Entdeckung sicher sein wollen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass sie – unterstellt die behauptete Gefährdung besteht tatsächlich – in Deutschland höchstens vorübergehend unentdeckt blieben.
2. Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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