Aktenzeichen M 9 S 17.51279
Leitsatz
1 Das italienische Asylverfahren und die dortigen Aufnahmebedingungen für Asylbewerber weisen keine systemischen Mängel auf. (Rn. 31 – 41) (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine psychische Erkrankung kann in Italien ausreichend behandelt werden. (Rn. 46) (redaktioneller Leitsatz)
3 Grundsätzlich steht auch der Überstellung eines unter Betreuung stehenden Asylbewerbers nach Italien nichts entgegen. (Rn. 46) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die Überstellung nach Italien im Rahmen des sog. Dublin-Verfahrens.
Der Antragsteller ist (alles nach eigenen Angaben, der Antragsteller hat keine Personaldokumente seines Heimatlandes vorgelegt) Staatsangehöriger von Sierra Leone und geboren am 10. November 1995. Auf die Niederschrift über das persönliche Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats und die persönliche Anhörung zur Klärung der Zulässigkeit des gestellten Asylantrags am 26. Oktober 2016, Bl. 25 – 28 der Bundesamtsakte, wird Bezug genommen.
Am 26. April 2017 fand das persönliche Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zur Durchführung des Asylverfahrens – Zweitbefragung statt. Dort gab der Antragsteller auf entsprechende Frage an, er wolle nicht nach Italien überstellt werden, in dem Zeltlager in Turin, wo er gewesen sei, habe er gefroren und sein Leistenbruch sei nicht behandelt worden; auf seine Beschwerden hin sei ihm gesagt worden, er sei mit der Behandlung noch nicht an der Reihe und er müsse Geduld haben, woraufhin er von dort weggegangen sei. Auf Frage nach Erkrankungen usw. gab der Antragsteller an, er habe am 31. März 2017 eine Leistenbruchoperation gehabt. Außerdem habe er einen kaputten Schneidezahn und könne seinen linken Ringfinger nicht bewegen. Zur Leistenoperation wurde ein vorläufiger Bericht der …-Klinik vom 3. April 2017 vorgelegt, auf den Bezug genommen wird (Bl. 99f. der Bundesamtsakte). Auf die Niederschrift im Übrigen wird Bezug genommen (Bl. 89 – 93 der Bundesamtsakte).
Bereits am 28. November 2016 fand außerdem noch eine Anhörung gemäß § 25 AsylG statt. Auf die Niederschrift über die Anhörung wird Bezug genommen (Bl. 57 – 61 bzw. Bl. 76 – 80 der Bundesamtsakte).
Im Lauf des Verwaltungsverfahrens wurde eine ärztliche Überweisung vorgelegt (Bl. 64 der Bundesamtsakte), auf die Bezug genommen wird.
Bereits am 2. November 2016 fand seitens der Regierung von Oberbayern – Zentrale Ausländerbehörde Oberbayern / Zentrale Passbeschaffung Bayern eine Befragung zur Identitätsklärung statt. Auf das Befragungsprotokoll (Bl. 37 – 42 sowie die Anlage Bl. 68 – 72) und die „Einschätzung“ zur Erstbefragung (Bl. 49 – 51 der Bundesamtsakte) wird Bezug genommen.
Für den Antragsteller folgt aus dem von der Antragsgegnerin vorgelegten Verwaltungsvorgang ein Eurodac-Treffer für Italien (IT2RG01WVZ).
Auf ein Übernahmeersuchen der Antragsgegnerin vom 12. Dezember 2016 an Italien erfolgte keine Reaktion.
Mit Bescheid vom 28. April 2017 lehnte das Bundesamt den Antrag als unzulässig ab (Nr. 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2) und ordnete die Abschiebung nach Italien an (Nr. 3). Die Nr. 4 des Bescheids enthält die Befristungsentscheidung hinsichtlich des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG. Auf den Bescheid und seine Begründung wird Bezug genommen.
Ausweislich der in der Bundesamtsakte enthaltenen Kopie der Postzustellungsurkunde wurde der Bescheid am 3. Mai 2017 zugestellt.
Der Antragsteller ließ hiergegen mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 6. Mai 2017, eingegangen beim Verwaltungsgericht München am selben Tag, Klage erheben (Az.: M 9 K 17.51278) mit dem Antrag, den Bescheid vom 28. April 2017 aufzuheben.
Außerdem wurde beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Hinsichtlich der Begründung der Rechtsbehelfe wird auf den Schriftsatz Bezug genommen. Dort wird u.a. ausgeführt, dass der Antragsteller außer an den im Verwaltungsverfahren bereits genannten Beschwerden auch unter psychischen Problemen, insbesondere an einer posttraumatischen Belastungsstörung leide. Nach der Leistenbruchoperation bestehe Reiseunfähigkeit, weil der Antragsteller sein Gepäck nicht tragen könne. Wegen der Einschränkung des linken Ringfingers, bei dem eine Krümmung nicht mehr möglich sei, sei zu prognostizieren, dass der Antragsteller in Italien keinen Job finden werde, um sein Überleben zu sichern. In der Anlage wurde ein Vorläufiger Arztbrief des Chirurgischen Klinikums München Süd vom 15. März 2017 sowie der bereits im Verwaltungsverfahren vorgelegte Vorläufige Bericht des …-Klinikums vom 3. April 2017 vorgelegt; auf beide Unterlagen wird Bezug genommen.
Mit Schreiben des Bevollmächtigten vom 6. September 2017 wurden außerdem noch ein Vorläufiger Entlassbrief der …-L. M. Klinik A. vom 12. Juli 2017, eine Ärztliche Bescheinigung vom 26. Juli 2017 über den Stationären Aufenthalt vom 6. bis zum 26. Juli 2017 sowie ein Betreuungsbeschluss im Wege der einstweiligen Anordnung, befristet bis 9. Januar 2018, des Amtsgerichts Miesbach vom 10. Juli 2017 vorgelegt; auf die Unterlagen wird Bezug genommen.
Mit Schreiben des Bevollmächtigten vom 9. Dezember 2017 wurde ein Gutachten einer Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie vom 14. September 2017 vorgelegt, auf das Bezug genommen wird. Außerdem wurde in diesem Schreiben ausgeführt, dass der Antragsteller unter Betreuung stehe und dass seine Arbeitsfähigkeit stark eingeschränkt sei. Auf Grund seines Gesundheitszustandes sei davon auszugehen, dass es ihm bei Rückkehr in sein Herkunftsland Nigeria [sic!] mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht gelingen werde, für sich zumindest eine existenzsichernde Lebensgrundlage zu schaffen. Darüber hinaus verfüge der Antragsteller über keinen familiären Rückhalt. Damit sei eine Unterstützung durch Verwandte oder Bekannte ausgeschlossen. Es sei davon auszugehen, dass der Antragsteller bei einer Rückkehr in seine Heimat auf der Straße leben müsste. Damit liege ein sehr außergewöhnlicher Fall vor, der die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG rechtfertige.
Mit Schreiben des Gerichts vom 18. April 2018 wurde der Bevollmächtigte aufgefordert, den angekündigten Nachweis über die Betreuung samt Aufgabenkreis vorzulegen, nachdem bislang nur die bis Anfang 2018 befristete vorläufige Betreuung vorliege; bis heute ging nichts ein.
Die Antragsgegnerin legte die Behördenakten vor, äußerte sich in der Sache aber nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten in diesem und im dazugehörigen Klageverfahren und der Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Für das Gericht ist hinsichtlich der Sach- und Rechtslage der Zeitpunkt der Entscheidung maßgeblich (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG).
Der Antrag ist zwar zulässig, insbesondere ist er fristgerecht gestellt, § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
Der Antrag ist jedoch unbegründet, denn die Hauptsacheklage hat voraussichtlich keinen Erfolg.
Der Bescheid der Antragsgegnerin vom 28. April 2017, auf den im Sinne von
§ 77 Abs. 2 AsylG Bezug genommen wird, ist voraussichtlich rechtmäßig.
Gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann.
1. Italien ist als Mitgliedstaat, über dessen Grenze der Antragsteller aus einem Drittstaat illegal eingereist ist, für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig.
Die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens richtet sich vorliegend nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO). Die Zuständigkeitskriterien der Dublin III-VO finden nach Art. 49 Abs. 2 dieser Verordnung auf Asylanträge, die – wie hier – nach dem 1. Januar 2014 gestellt worden sind, Anwendung.
Art. 3 Abs. 1 Dublin III-VO sieht vor, dass der Asylantrag von dem Mitgliedstaat geprüft wird, der nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-VO als zuständiger Staat bestimmt wird. Bei Anwendung dieser Kriterien ist ohne weiteres Italien für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig. Gemäß Art. 13 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO ist derjenige Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig, über dessen Grenze der Asylbewerber aus einem Drittstaat illegal eingereist ist. Das ist auch nach dem eigenen Vortrag des Antragstellers Italien; das wird auch bewiesen durch den Eurodac – Treffer mit der Kennzeichnung „IT2“ – die Ziffer „2“ steht für Drittstaatsangehörige, die beim illegalen Überschreiten einer Außengrenze aufgegriffen wurden (Art. 24 Abs. 4 i.V.m. Art. 14 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 vom 26.6.2013 (Neufassung) (EURODAC-VO)). Die Zuständigkeit Italiens ist auch nicht gemäß Art. 13 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO erloschen. Damit ist vorliegend Italien der für die Durchführung des Asylverfahrens zuständige Mitgliedstaat.
Da die italienischen Behörden auf das Wiederaufnahmeersuchen der Antragsgegnerin nicht reagiert haben, ist gemäß Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO davon auszugehen, dass dem Wiederaufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die betreffende Person wieder aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen (Art. 18 Abs. 1 Dublin III-VO).
2. Die Abschiebung nach Italien kann gemäß § 34a Abs. 1 AsylG auch durchgeführt werden.
Die Zuständigkeit ist nicht gem. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 3 Dublin III-VO auf die Antragsgegnerin übergegangen, weil eine Überstellung an Italien als den zuständigen Mitgliedstaat an Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO scheitern würde. Es sind keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Antragsteller im Falle einer Abschiebung nach Italien infolge systemischer Schwachstellen des dortigen Asylverfahrens oder der dortigen Aufnahmebedingungen einer hinreichend wahrscheinlichen Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausgesetzt wäre.
Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v.14.05.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 -, juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v.21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 -, juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Grundrechtscharta) entspricht. Allerdings ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für den jeweiligen Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 Grundrechtscharta ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, U.v.21.12.2011 a.a.O.). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B.v.19.03.2014 – 10 B 6.14 -, juris).
Ausgehend von diesen Maßstäben und im Einklang mit der aktuellen obergerichtlichen Rechtsprechung ist im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht davon auszugehen, dass der Antragsteller in Italien aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (vgl. BayVGH, U.v.28.2.2014 – 13a B 13.30295 -, juris; OVG NRW, B.v. 16.2.2017 – 13 A 316/17.A – juris Rn. 3 – 5; U.v.22.9.2016 – 13 A 2248/15.A -, juris Rn. 72ff.; U.v.18.7.2016 – 13 A 1859/14.A -, juris Rn. 54ff.; U.v.24.4.2015 – 14 A 2356/12.A -, juris; U.v. 07.3.2014 – 1 A 21/12.A -, juris; NdsOVG, U.v. 4.4.2018 – 10 LB 96/17 – juris; VGH BW, U.v. 16.4.2014 – A 11 S 1721/13 -, juris; OVG Rh-Pf, U.v.21.2.2014 – 10 A 10656/13.OVG -, juris; OVG LSA, U.v.2.10.2013 – 3 L 645/12 -, juris; OVG Berlin-Bbg, B.v.17.6.2013 – OVG 7 S 33.13 -, juris; NdsOVG, B.v.30.1.2014 – 4 LA 167/13 -, juris; U.v.25.6.2015 – 11 LB 248/14 -, juris; VG Osnabrück, B.v. 8.8.2017 – 5 B 212/17 – juris; vgl. auch BVerfG, Kammerb.v.17.9.2014 – 2 BvR 732/14 -, juris). Danach verfügt Italien unter Berücksichtigung der Verwaltungspraxis über ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes, richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren, welches trotz einzelner Mängel nicht nur abstrakt, sondern gerade auch unter Würdigung der vor Ort tatsächlich anzutreffenden Rahmenbedingungen prinzipiell funktionsfähig ist und dabei insbesondere sicherstellt, dass der rücküberstellte Asylbewerber im Normalfall nicht mit schwerwiegenden Verstößen und Rechtsbeeinträchtigungen rechnen muss. Obwohl sich in Teilbereichen der tatsächlichen Aufnahmebedingungen durchaus erhebliche Mängel und Defizite feststellen lassen, werden diese, weder für sich genommen noch insgesamt, als so gravierend bewertet, dass ein grundlegendes, systemisches Versagen des Mitgliedstaates vorläge, welches für einen Dublin-Rückkehrer nach dem Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit Rechtsverletzungen im Schutzbereich von Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK mit dem dafür notwendigen Schweregrad impliziert (vgl. OVG NRW, U.v.07.03.2014, a.a.O, Rn 132; OVG Rh-Pf, U.v. 21.02.2014, a.a.O, Rn 45 f.).
Das Gericht schließt sich damit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte an (vgl. EGMR, B.v.02.04.2013 – Hussein u.a../.Niederlande und Italien, Nr. 27725/10 -, ZAR 2013, 336; B.v.18.06.2013 – Halimi./.Österreich und Italien, Nr. 53852/11 -, ZAR 2013, 338). Unter Berücksichtigung der Berichte von Regierungs- und Nichtregierungsinstitutionen und -organisationen über die Aufnahmeprogramme für Asylbewerber in Italien kam der Gerichtshof zu dem Schluss, dass die allgemeine Situation und die Lebensbedingungen in Italien für Asylbewerber zwar einige Mängel aufweisen mögen, dass die vorliegenden Materialien jedoch kein systemisches Versagen der Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen für Asylbewerber als Mitglieder einer besonders schutzbedürftigen Personengruppe aufzeigen würden. Berichte des UNHCR und des Menschenrechtskommissars wiesen auf jüngste Verbesserungen der Situation hin mit dem Ziel der Mängelbeseitigung; alle Berichte zeigten übereinstimmend und ausführlich die Existenz ausgearbeiteter Strukturen von Einrichtungen und Hilfsmaßnahmen, die auf die Bedürfnisse der Asylbewerber zugeschnitten seien. Diese Rechtsauffassung hat der EGMR, dessen Rechtsprechung für die Auslegung der EMRK auch über den jeweilig entschiedenen Fall hinaus eine Orientierungs- und Leitfunktion hat (BVerfG, U.v.04.05.2011 – 2 BvR 2333/08 -, juris), durch seine Entscheidung vom 10. September 2013 (Nr. 2314/10 – HUDOC) ausdrücklich bestätigt.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Urteil des EGMR vom 4. November 2014 im Verfahren Tarakhel ./. Schweiz (Az. 29217/12, NVwZ 2015, 127 ff.). Der EGMR hat hier lediglich entschieden, dass die Schweizer Behörden die Abschiebung einer Familie nach Italien nicht vornehmen dürfen, ohne vorher individuelle Garantien von den italienischen Behörden erhalten zu haben, dass die Antragsteller in Italien in einer dem Alter der Kinder adäquaten Art und Weise behandelt werden und die Familie zusammenbleiben darf. Das Urteil beinhaltet damit keine Aussage zu eventuellen systemischen Mängeln in Italien, sondern lediglich eine Einschränkung für die Abschiebung von Familien nach Italien. Zudem hat der EGMR in seiner Entscheidung vom 5. Februar 2015 im Verfahren A.M.E. ./. Niederlande (Az. 51428/10) entschieden, dass die Struktur und die Gesamtsituation des italienischen Flüchtlings- und Asylbewerberaufnahmesystems kein genereller Grund sind, eine Überstellung im Zuge des sog. Dublin-Verfahrens zu verbieten. Unabhängig davon sind die Umstände des streitgegenständlichen Falles des Antragstellers mit denjenigen in der Entscheidung des EGMR nicht vergleichbar.
Auch aus neueren Erkenntnismitteln können keine Hinweise auf systemische Mängel entnommen werden. In dem vom Europäischen Rat für Flüchtlinge und im Exil lebende Personen (ECRE) für das Projekt AIDA – Asylum Information Database erstellten Länderbericht zu Italien vom Dezember 2015 (abrufbar unter http://www.asylumineurope.org/reports/country/italy) wird zwar ausgeführt (vgl. S. 62 ff. des Berichts), dass dort zumindest in der Vergangenheit nicht für alle Asylbewerber adäquate Aufnahmeeinrichtungen zur Verfügung gestanden haben und die Zahl von Unterbringungsplätzen nur unzureichend war. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass der italienische Staat hiergegen erfolgsversprechende Gegenmaßnahmen ergreift. Zum einen werden die Kapazitäten der Aufnahmeeinrichtungen dem vorgenannten Bericht zufolge seit 2013 deutlich erhöht. UNHCR und Nichtregierungsorganisationen beraten die staatlichen Stellen bei der Verbesserung der Aufnahmebedingungen. Speziell für Dublin-Rückkehrer wurden zum anderen Zentren zur übergangsweisen Unterbringung eingerichtet (vgl. S. 63f. des Berichts). Ein systemisches Versagen der Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen lässt sich dem AIDA-Bericht nicht entnehmen. Ein systemischer Mangel der Aufnahmebedingungen kann daher auch für die Personengruppe, der der Antragsteller angehört, nicht angenommen werden.
Auch aus dem Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe von August 2016 (vgl. Schweizerischen Flüchtlingshilfe (https://www.fluechtlingshilfe.ch/…/160815-sfh-bericht-italien-aufnahmebedingungen) ergibt sich nichts Anderes. Denn erstens handelt es sich hierbei nicht um das einzig richtige bzw. einzig maßgebliche Erkenntnismittel, vielmehr ergibt eine Berücksichtigung dieses Erkenntnismittels in der Zusammenschau mit den zahlreichen anderen vorhandenen Erkenntnismitteln eben im Ergebnis, dass systemische Mängel im italienischen Asylverfahren nicht vorliegen. Zweitens wäre die Schwelle zur unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung durch Italien erst dann überschritten, wenn absehbar wäre, dass auf die erhöhte Zahl von Einwanderern keinerlei Maßnahmen zur Bewältigung des Problems ergriffen würden. Dafür gibt es auch nach dem aktuellen Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe aus dem August 2016 keine Hinweise (vgl. VG Schwerin, U.v.26.09.2016 – 16 A 1757/15 As SN -, juris Rn. 122), auch ansonsten ist das nicht der Fall (vgl. z.B. OVG NRW, U.v.18.07.2016 – 13 A 1859/14.A -, juris Rn. 103ff.).
Die gegenwärtig hohe Zahl von Einwanderern nach Italien stellt keinen Umstand dar, der eine andere Beurteilung rechtfertigen könnte. Die Schwelle zur unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung durch Italien würde erst dann überschritten, wenn auf die erhöhte Zahl von Einwanderern hin keinerlei Maßnahmen zur Bewältigung der damit verbundenen Probleme ergriffen würden. Davon kann jedoch nicht ausgegangen werden (vgl. OVG NRW, U.v.24.04.2015 a.a.O., U.v. 18.7.2016 – 13 A 1859/14.A – juris Rn. 105).
Der Hinweis auf Entscheidungen anderer Verwaltungsgerichte ändert am Ergebnis nichts. In einem Rechtssystem mit der Regelung, dass die Richter unabhängig und nur dem Gesetze unterworfen sind, vgl. Art. 97 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), ist das Gericht nicht an die Entscheidungen anderer Gerichte gebunden, weder an Entscheidungen von im Instanzenzug übergeordneten Gerichten noch an Entscheidungen von Gerichten derselben Instanz. Im Übrigen vermag die (mittlerweile vollkommen) vereinzelte Auffassung einzelner Verwaltungsgerichte, dass das italienische Asylsystem an systemischen Mängeln leide, nicht die Richtigkeit des gegenteiligen Ergebnisses, das von einer Vielzahl von Gerichten aller Instanzen vertreten wird (vgl. oben Seite 9, wo ein kleiner Ausschnitt aus der insoweit unübersehbaren Rechtsprechung nachgewiesen ist), in Frage zu stellen.
Auch der Umstand, dass sich die Situation des Antragstellers in Italien u.U. deutlich schlechter als im Bundesgebiet darstellt, begründet keinen systemischen Mangel des Asylverfahrens (vgl. EGMR, B.v.02.04.2013 – a.a.O.).
Auch im Hinblick auf medizinische Betreuung und Versorgung ergibt sich keine Verpflichtung der Antragsgegnerin, das Asylverfahren durchzuführen (vgl. EGMR, U.v.30.6.2015 – 39350/13 – A.S. gegen Schweiz), da Italien über eine umfassende Gesundheitsfürsorge verfügt, die italienischen Staatsbürgern sowie Flüchtlingen, Asylbewerbern und unter humanitären Schutz stehenden Personen gleichermaßen zugänglich ist. Nach der bestehenden Auskunftslage funktioniert die notfallmedizinische Versorgung und der Zugang zu Hausärzten grundsätzlich ebenso wie das Angebot von psychologischer und psychiatrischer Behandlung (vgl. VG Ansbach, U.v.11.12.2015 – AN 14 K 15.50316 -, juris Rn. 26 m.w.N.). Auch der bereits erwähnte Bericht von AIDA bestätigt die Gleichstellung von Asylsuchenden und international Schutzberechtigten mit italienischen Staatsangehörigen hinsichtlich der gesundheitlichen Versorgung (vgl. dort S. 84). Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 21. Januar 2013 an das OVG Sachsen-Anhalt steht eine kostenfreie medizinische Versorgung auch Personen zu, die nicht in einer staatlichen Unterkunft untergebracht sind. Eine aktuelle Vereinbarung zwischen der italienischen Zentralregierung und den Regionen garantiert dabei die Not- und Grundversorgung auch von Personen, die sich illegal im Land aufhalten (VG Augsburg, B.v.19.09.2015 – Au 7 S 15.50412 – juris). Die Notambulanz ist für alle Personen in Italien kostenfrei (VG München, B.v.05.11.2014 – M 18 S 14.50356 – juris m.w.N.). Auch bei Überstellung von kranken Personen, deren Asylverfahren in Italien negativ abgeschlossen ist, besteht damit die Möglichkeit der Behandlung. Es ist daher davon auszugehen, dass der Antragsteller in Italien Zugang zu einer angemessenen medizinischen Versorgung hat. Soweit der Bevollmächtigte des Antragstellers in der Begründung vorbringt, der Antragsteller leide unter psychischen Problemen, insbesondere posttraumatischen Belastungsstörungen, wird dazu sogleich ausgeführt.
Individuelle, außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO notwendig machen, liegen nicht vor. Ebenso wenig liegen inlandsbezogene oder zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse vor. Auch unter Berücksichtigung des Vortrags im Verwaltungssowie im Verwaltungsstreitverfahren ergibt sich kein anderes Ergebnis.
Die geltend gemachten gesundheitlichen Einschränkungen ändern an diesem Ergebnis nichts. Soweit auf die Operation des Leistenbruchs sowie auf weitere körperliche Einschränkungen verwiesen wird, stehen diese einer Überstellung nach Italien nicht entgegen. An Hand der vorgelegten Unterlagen ist die Operation des Leistenbruchs komplikationslos verlaufen. Sie liegt auch bereits so lange zurück, dass die vom Antragstellerbevollmächtigten behauptete Einschränkung der Reisefähigkeit nicht mehr vorliegen kann, so dass es nicht darauf ankommt, ob es überhaupt in Betracht kommt, dass durch die Folgen einer Leistenbruchoperation direkt im Anschluss an diese eine Reiseunfähigkeit gegeben sein kann. Gleiches gilt im Ergebnis auch für die übrigen geltend gemachten körperlichen Einschränkungen, insbesondere ist nicht nachvollziehbar, wie eine Einschränkung am linken Ringfinger der Überstellung nach Italien soll entgegenstehen können. Soweit der Antragstellerbevollmächtigte geltend macht, dass der Antragsteller dadurch quasi arbeitsunfähig sei, ist das erstens in keiner Weise nachvollziehbar – es liegt auf der Hand, dass der Antragsteller auch mit einer Verletzung am linken Ringfinger ohne weiteres arbeiten kann – und zweitens ist das Ziel des Aufenthalts in Italien auch nicht, dass der Antragsteller dort arbeitet, sondern sein Asylverfahren betreibt.
Ebenso wenig ändern die vorgebrachten psychischen Einschränkungen etwas am Ergebnis. Zunächst ist festzustellen, dass beim Antragsteller nach Aktenlage von einer psychischen Einschränkung auszugehen ist. Unabhängig davon, dass Zweifel bestehen, ob das an das Amtsgericht – Betreuungsgericht gerichtete Gutachten vom 14. September 2017 die Anforderungen erfüllt, die für den Nachweis einer psychischen Erkrankung im gerichtlichen Verfahren bestehen, geht das Gericht hiervon aus. Das steht der Überstellung nach Italien jedoch nicht entgegen. Das Gericht hat nämlich keine Zweifel daran, dass die psychische Erkrankung des Antragstellers in Italien behandelt werden kann und behandelt wird.
Zunächst folgt aus der psychischen Erkrankung kein sog. inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis, weil dadurch keine Reiseunfähigkeit, weder im engeren noch im weiteren Sinne, begründet wird. Es ist nicht ersichtlich, wie bzw. warum es auf Grund dieses Umstands an der Reise- bzw. Transportfähigkeit hinsichtlich Italiens mit einem kurzen Rückführungsweg ohne größere Belastungen fehlen sollte. Denn daraus erwachsen zunächst ohne weiteres keine Zweifel an der Transportfähigkeit (Reisefähigkeit im engeren Sinne). Es ist aber auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten, dass sich der Gesundheitszustand als unmittelbare Folge der Abschiebung erheblich verschlechtern wird (Reisefähigkeit im weiteren Sinne). Für diese Befürchtung wäre überhaupt nur Raum, wenn nicht sichergestellt wäre, dass im Zielstaat eine (Anschluss-) Behandlungsmöglichkeit zur Verfügung steht; das ist jedoch hinsichtlich Italien sichergestellt. Denn es bestehen insbesondere unter Berücksichtigung des oben auf Seite 13 und 14 Gesagten keine Zweifel daran, dass auch in Italien eine Behandlung, immer unterstellt, eine solche ist auch wirklich erforderlich, durchgeführt werden kann, noch insbesondere daran, dass der Antragsteller in Italien behandelt wird.
Schließlich liegen auch keine zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisse i.S.v. § 60 Absatz 7 Satz 1 AufenthG vor (vgl. hierzu auch den streitgegenständlichen Bescheid vom 28. April 2017, dort Seite 2ff.). Es sind keine Umstände ersichtlich, die einen Anhaltspunkt dafür geben könnten, dass eine erforderliche Behandlung gerade nur in der Bundesrepublik Deutschland erfolgen kann und nicht auch in Italien möglich ist. Das Gericht weist in diesem Zusammenhang im Anschluss an die Ausführungen oben auf Seite 13 und 14 darauf hin, dass eine Krankenbehandlung auch in Italien in ausreichendem Umfang gewährleistet ist; das gilt ausdrücklich auch für die Behandlung einer psychischen Erkrankung. Nach der bestehenden Auskunftslage sind Asylbewerber in Fragen der Gesundheitsversorgung den italienischen Staatsbürgern gleichgestellt. Die Anmeldung beim nationalen Gesundheitsdienst ermöglicht die Ausstellung eines Gesundheitsausweises, der zur Inanspruchnahme medizinischer Leistungen nicht nur im Rahmen der Notfallversorgung, sondern auch hinsichtlich der Behandlung bei Spezialisten, etc. berechtigt. Die Überweisungen an Spezialisten sind zudem für Asylbewerber kostenfrei. Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 21. Januar 2013 an das OVG Sachsen-Anhalt steht eine kostenfreie medizinische Versorgung auch Personen zu, die nicht in einer staatlichen Unterkunft untergebracht sind. Darüber hinaus besteht gerade für Asylbewerber die Möglichkeit, an Projekten von Nichtregierungsorganisationen oder anderen privaten Trägern, deren Mitarbeiter speziell für die Behandlung psychischer Krankheiten von Flüchtlingen ausgebildet sind, teilzunehmen (vgl. zu allem VG Düsseldorf, U.v. 25.8.2015 – 13 K 1723/15.A – juris Rn. 98ff.; vgl. auch Nds. OVG, B.v. 28.5.2018 – 10 LB 202/18 – juris Rn. 74). Es bestehen vor dem dargestellten Hintergrund keine Zweifel daran, dass der Antragsteller in Italien die erforderliche Behandlung erhalten könnte. Das gilt auch in Ansehung des Umstands, dass für den Antragsteller eine bis Januar 2018 gültige vorläufige Betreuung angeordnet war. Auch unter Berücksichtigung einer beim Antragsteller bestehenden Betreuungsbedürftigkeit ist die Überstellung nach Italien nämlich möglich. Unabhängig davon, dass dem Gericht trotz entsprechender Aufforderung bis heute weder die dauerhafte Betreuung noch wenigstens die Verlängerung der Betreuung über den 9. Januar 2018 hinaus nachgewiesen wurde, steht grundsätzlich auch der Überstellung eines unter Betreuung stehenden Asylbewerbers nach Italien nichts entgegen. Das Gericht hat insofern und auch bezogen auf die psychische Einschränkung beim Antragsteller keinen Anlass daran zu zweifeln, dass die Behörden der Antragsgegnerin die bestehenden Übermittlungspflichten, hier z.B. aus Art. 31 Abs. 2 Hs. 2 lit. a Dublin III-VO, beachten.
Ob unter Berücksichtigung seiner psychischen Einschränkungen dem Antragsteller eine Rückkehr in sein Heimatland – wobei es sich dabei um Sierra Leone handelt und nicht um Nigeria, vgl. den Schriftsatz des Antragstellerbevollmächtigten vom 9. Dezember 2017 – zumutbar ist, ist im vorliegenden Verfahren nicht streitgegenständlich.
Der Vortrag in den Dublin-Anhörungen bezogen auf die Verhältnisse in Italien begründet keine – nach dem oben Gesagten nicht vorliegenden – systemischen Schwachstellen des italienischen Asylverfahrens; im Übrigen unterliegt es gerade nicht der Disposition des Antragstellers, wo er sein Asylverfahren zu durchlaufen hat.
Die Angaben des Antragstellers im Rahmen der Anhörung nach § 25 AsylG führen ebenfalls nicht zu einem anderen Ergebnis. Hierbei handelt es sich um die Geltendmachung von Umständen, die für die Überstellung des Antragstellers im Rahmen der Anwendung der Dublin III-Verordnung nicht relevant sind, vielmehr handelt es sich um sog. zielstaatsbezogenes Vorbringen, das zum Asylantrag des Antragstellers gehört, für den die Antragsgegnerin aber gerade nicht zuständig ist.
Auch gegen die Rechtmäßigkeit der Entscheidungen in den Nummern 2 und 4 des streitgegenständlichen Bescheids bestehen daher keine Bedenken.
Der Antrag wird daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abgelehnt. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).