Europarecht

Erfolgloser Eilantrag einer somalischen Staatsangehörigen gegen Überstellung nach Italien im Rahmen des Dublin-Verfahrens

Aktenzeichen  M 6 S 16.50615

Datum:
8.11.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
AsylG AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1, § 34a Abs. 1 S. 1
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2, Art. 13, Art. 18

 

Leitsatz

Mit dem Integrationsgesetz hat der Gesetzgeber zur besseren Übersichtlichkeit und Vereinfachung der Rechtsanwendung die möglichen Gründe für die Unzulässigkeit eines Asylantrags in § 29 Abs. 1 AsylG in einem Katalog zusammengefasst, ohne dass hierdurch materiell die Voraussetzungen für die Unzulässigkeit wegen anderweitiger internationaler Zuständigkeit (bislang: § 27a AsylG aF) in der Sache geändert worden sind (vgl. BVerwG BeckRS 2016, 50727). (red. LS Clemens Kurzidem)
Es besteht nicht die erforderliche Überzeugungsgewissheit, dass eine 19-jährige somalische Asylbewerberin in Italien grundsätzlich wegen systemischer Mängel des dortigen Asylverfahrens oder der dortigen Aufnahmebedingungen mit beachtlicher, also überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt würde. Dies entspricht der ganz überwiegenden Auffassung in der aktuellen obergerichtlichen Rechtsprechung, wonach in Italien systemische Mängel derzeit nicht bestehen (vgl. zB OVG Münster BeckRS 2016, 49118).  (red. LS Clemens Kurzidem)
Die gegenwärtig hohe Zahl von Einwanderern nach Italien stellt keinen Umstand dar, der bezüglich des Vorliegens systemischer Mängel eine andere Beurteilung rechtfertigen könnte. Die Schwelle zur unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung durch Italien würde erst dann überschritten, wenn auf die erhöhte Zahl von Einwanderern hin keinerlei Maßnahmen zur Bewältigung der damit verbundenen Probleme ergriffen würden, wovon derzeit jedoch nicht ausgegangen werden kann (vgl. OVG Münster BeckRS 2015, 45053). (red. LS Clemens Kurzidem)
Mit Blick auf die medizinische Betreuung und Versorgung von Asylbewerbern ergibt sich im Verhältnis zu Italien keine Verpflichtung der Bundesrepublik, Asylverfahren durchzuführen (vgl. EGMR, Urt. v. 30.6.2015 – 39350/13 – A.S. gegen Schweiz), da Italien über eine umfassende Gesundheitsfürsorge verfügt, die italienischen Staatsbürgern sowie Flüchtlingen, Asylbewerbern und unter humanitären Schutz stehenden Personen gleichermaßen zugänglich ist. Nach der bestehenden Auskunftslage funktioniert die notfallmedizinische Versorgung und der Zugang zu Hausärzten grundsätzlich ebenso wie das Angebot von psychologischer und psychiatrischer Behandlung (vgl. VG Ansbach BeckRS 2016, 40098). (red. LS Clemens Kurzidem)
Bei Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO handelt es sich um eine restriktiv zu handhabende Ausnahmebestimmung, die eine Zuständigkeitsübernahme in Fällen ermöglicht, in denen außergewöhnliche humanitäre, familiäre oder krankheitsbedingte Gründe vorliegen, die nach Maßgabe der Werteordnung der Grundrechte einen Selbsteintritt erfordern. (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die mit Bescheid vom 3. August 2016 angeordnete Abschiebung nach Italien im Rahmen eines Dublin-Verfahrens.
Die Antragstellerin ist nach ihren eigenen Angaben am … September 1997 geboren und somalische Staatsangehörige. Nach ihren Angaben im persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zur Durchführung des Asylverfahrens (Erstbefragung) reiste sie über Äthiopien, Sudan und Libyen im Oktober 2012 nach Italien und am … September 2015 nach Deutschland ein. In Italien habe sie a… Jahre gelebt (Bl. 32 der Behördenakte). Ausweislich der Feststellungen der Antragsgegnerin wurde sie am … Februar 2016 in Deutschland aufgegriffen und stellte dort am selben Tag einen Asylantrag (Bl. 22 der Behördenakte).
Die Ermittlungen der Antragsgegnerin ergaben einen Eurodac-Treffer für Italien (…; Bl. 2 der Behördenakte). Danach hatte die Antragstellerin bereits am … Oktober 2008 in Italien einen Asylantrag gestellt (Bl. 16 der Behördenakte).
Am … März 2016 richtete die Antragsgegnerin unter Berufung auf das Eurodac-Ergebnis ein Wiederaufnahmeersuchen an Italien gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. b Dublin III-VO (Bl. 18 ff. der Behördenakte). Eine Antwort Italiens auf das Wiederaufnahmeersuchen erfolgte nicht.
Bei ihrer Zweitbefragung gab die Antragstellerin auf die Frage insbesondere nach Erkrankungen an, dass sie bereits dreimal am Kopf operiert worden sei – zweimal in Italien und einmal in Deutschland – und noch ein weiteres Mal operiert werden solle. Sie wolle nicht nach Italien überstellt werden. Sie sei wegen der medizinischen Versorgung nach Deutschland gekommen. In Italien seien die Lebensbedingungen schlecht, sie habe keine Wohnung gehabt. Sie sei in Italien operiert worden, aber sie habe Schmerzen gehabt und man habe ihr nicht helfen können (Bl. 70 der Behördenakte). Auf die vorgelegten Operations- bzw. die Entlassungsberichte des Klinikums A. vom … und … September 2015 sowie vom … Dezember 2015 wird Bezug genommen.
Mit Bescheid vom 3. August 2016 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) den Antrag als unzulässig ab (Nr. 1 des Bescheids), ordnete die Abschiebung nach Italien an (Nr. 2) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes auf b… Monate ab dem Tag der Abschiebung. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, dass der Asylantrag gemäß § 27a AsylG unzulässig sei, da Italien aufgrund des dort gestellten Asylantrags gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. b Dublin III-VO für dessen Behandlung zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Antragsgegnerin veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO auszuüben, lägen nicht vor. Aufgrund der medizinischen Versorgung in Deutschland sei davon auszugehen, dass die Wunde am Kopf abheile bzw. in Italien weiter behandelt werden könne. Reiseunfähigkeit könne aufgrund der vorgelegten Unterlagen ausgeschlossen werden. Laut Postzustellungsurkunde wurde der Bescheid am … August 2016 zugestellt (Bl. 121 der Behördenakte).
Mit Schriftsatz vom … August 2016, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München eingegangen am selben Tag, erhoben die Bevollmächtigten der Antragstellerin Klage für diese (M 6 K 16.50614) und beantragten,
hinsichtlich der Abschiebungsandrohung nach Italien die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen.
Zur Begründung wird ausgeführt, dass die Antragstellerin bereits wegen eines epiduralen und subduralen Empyems in Behandlung gewesen sei. Die Antragstellerin leide an erheblichen Kopfschmerzen. Zur vollständigen Sanierung des Empyems müsse erst eine erneute MRT-Untersuchung vorgenommen werden. In der Folgezeit sei die Antragstellerin auf Antibiotika und Schmerzmittel angewiesen. Nach den Angaben der Antragstellerin sei die Behandlung in Italien völlig unzureichend gewesen. Eine nachvollziehbare Diagnose habe nicht erstellt werden können. Die Behandlung habe dazu geführt, dass sich der Infektionsherd noch verschlimmert habe. Aus diesem Grund sei nunmehr aus humanitären Gründen geboten, ein Asylverfahren in Deutschland durchzuführen. Zudem sei der Antragstellerin nach ihren Angaben nur für b… Monate Unterkunft in einer Asyl-Unterkunft gewährt worden. Danach habe sie lediglich durch die Hilfe der Caritas zeitweise unterkommen können, ansonsten sei sie obdachlos gewesen. Die Unterbringungsverhältnisse in Italien seien katastrophal. Dies könne der schwer kranken Antragstellerin nicht zugemutet werden. In dem beigefügten Kurzbrief des Klinikums A. vom … Mai 2016 wurde bei der Antragstellerin folgende Diagnose gestellt: „Epidurales und subdurales Empyem rechts, Schlecht heilende Wunde rechts, Postoperative Liquorfistel, Hypokaliämie“. Die Antragstellerin habe angegeben, seit ca. einer Woche rechtsseitig Kopfschmerzen zu haben. Der Hausarzt der Antragstellerin habe die Durchführung eines MRT empfohlen. Dies werde befürwortet.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakten im vorliegenden Antragsverfahren und im Klageverfahren M 6 K 16.50614 und die Behördenakte der Antragsgegnerin ergänzend Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag ist unbegründet.
Nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage im Fall des hier einschlägigen § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft hierbei eine eigene Ermessensentscheidung, bei der es abzuwägen hat zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids und dem privaten Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei der Abwägung sind insbesondere die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Eilverfahren nur erforderliche und mögliche summarische Prüfung, dass die Klage voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers, vom Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts zunächst verschont zu bleiben, zurück. Erweist sich umgekehrt der Bescheid nach vorläufiger Prüfung als rechtswidrig, wird das Gericht die aufschiebende Wirkung in der Regel anordnen, da kein öffentliches Interesse an der Vollziehung eines voraussichtlich rechtswidrigen Bescheids besteht. Ist der Ausgang des Verfahrens nicht absehbar, bleibt es bei der allgemeinen Interessenabwägung.
Gemessen an diesen Grundsätzen überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochten Bescheids, da nach vorläufiger Prüfung davon auszugehen ist, dass der angefochtene Bescheid sich als rechtmäßig erweisen wird und die streitgegenständliche Abschiebungsanordnung die Antragstellerin nicht in ihren Rechten verletzt.
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist dabei der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 1 Halbsatz 2 Asylgesetz – AsylG).
Der Bescheid findet seine Rechtsgrundlage in § 34a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG in der seit dem 6. August 2016 geltenden Fassung. Dass der Bescheid auf die zum Zeitpunkt seines Erlasses geltende, durch das Integrationsgesetz vom 31. Juli 2016 – BGBl. I S. 1939 – mit Wirkung vom 6. August 2016 aufgehobene Vorschrift des § 27a AsylG gestützt ist, steht seiner Rechtmäßigkeit nicht entgegen. Der Austausch der Rechtsgrundlage ist zulässig, weil sich dadurch das Wesen des hier angegriffenen Bescheids nicht ändert (OVG NRW, U. v. 24.8.2016 – 13 A 63/16.A – juris Rn. 31; VG Schwerin, U. v. 26.9.2016 – 16 A 1757/15 As SN – juris Rn. 49). Mit dem Integrationsgesetz hat der Gesetzgeber zur besseren Übersichtlichkeit und Vereinfachung der Rechtsanwendung in § 29 Abs. 1 AsylG die möglichen Gründe für die Unzulässigkeit eines Asylantrags in einem Katalog zusammengefasst (BT-Drs. 18/8615 S. 51), ohne dass hierdurch materiell die Voraussetzungen für eine Unzulässigkeit wegen anderweitiger internationaler Zuständigkeit (bislang: § 27a Asyl(Vf)G; nunmehr: § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) in der Sache geändert worden sind (BVerwG, U. v. 9.8.2016 – 1 C 6.16 – juris Rn. 8).
Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 31 – sog. Dublin III-VO), für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Die Dublin III-VO findet gemäß Art. 49 Abs. 1 und 2 Dublin III-VO auf alle in der Bundesrepublik Deutschland ab dem 1. Januar 2014 gestellten Anträge auf internationalen Schutz Anwendungen, also auch auf das hier streitgegenständliche Schutzgesuch der Antragstellerin vom … Februar 2016.
Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt, wenn ein Ausländer in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1) abgeschoben werden soll, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
1. Italien ist als Mitgliedstaat, in dem die Antragstellerin vor ihrer Einreise in die Bundesrepublik Deutschland nach ihren eigenen Angaben gelebt und laut Eurodac-Treffer bereits einen Asylantrag gestellt hat, für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig (Art. 13 Abs. 1 Satz 1 und Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO). Die Zuständigkeit Italiens ist auch nicht gemäß Art. 13 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO erloschen, da die Antragstellerin bereits im Oktober 2008 in Italien einen Asylantrag gestellt hat und keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass die in Art. 13 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO genannten Frist von 12 Monaten zu diesem Zeitpunkt bereits abgelaufen war (vgl. Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO; VG München, B. v.5.7.2016 – M 1 S 16.50364 – juris Rn. 11). Da Italien auf das Wiederaufnahmegesuch nicht innerhalb der hier maßgeblichen Zweiwochenfrist reagiert hat, ist davon auszugehen, dass dem Wiederaufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die Antragstellerin wieder aufzunehmen (Art. 18 Abs. 1 Buchst. b i. V. m. Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO). Auch die Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO ist noch nicht abgelaufen.
2. Die Zuständigkeit ist auch nicht nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 3 Dublin III-VO auf die Antragsgegnerin übergegangen. Es liegen keine Gründe im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO vor, die der Überstellung der Antragstellerin nach Italien entgegenstünden.
Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 – juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U. v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Grundrechtscharta) entspricht. Allerdings ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für den Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i. S. v. Art. 4 Grundrechtscharta ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, U. v. 21.12.2011 a. a. O.). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B. v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris).
Das Gericht konnte sich in diesem Sinne nicht die erforderliche Überzeugungsgewissheit verschaffen, dass die Antragstellerin in Italien grundsätzlich wegen systemischer Mängel des dortigen Asylverfahrens oder der dortigen Aufnahmebedingungen mit beachtlicher, also überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt würden. Es folgt damit der ganz überwiegenden Meinung in der aktuellen obergerichtlichen Rechtsprechung, wonach in Italien im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung systemische Mängel im dargestellten Sinne nicht bestehen (vgl. OVG NRW, U. v. 18.7.2016 – 13 A 1859/14A – juris; U. v. 21.6.2016, 13 A 990/13.A; U. v. 19.5.2016 – 13 A 516/14.A – jeweils juris – m. w. N.; NdsOVG, U. v. 25.6.2015 – 11 LB 248/14; B. v. 30.01.2014 – 4 LA 167/13 – jeweils juris; VGH BW, U. v. 16.04.2014 – A 11 S 1721/13 – juris; BayVGH, U. v. 28.2.2014 – 13a B 13.30295 – juris; OVG Rh-Pf, U. v. 21.02.2014 – 10 A 10656/13.OVG – juris; OVG LSA, U. v. 02.10.2013 – 3 L 645/12 – juris; OVG Berlin-Bbg, B. v. 17.06.2013 – OVG 7 S 33.13 – juris). Der teilweise hiervon abweichenden Rechtsprechung (z. B. VG Düsseldorf, U. v.15.12.2015 – 12 K 7303/15.A – juris; VG München; B. v. 8.8.2016 – M 24 S 16.50494 – juris) folgt das entscheidende Gericht nicht.
Die erkennende Kammer schließt sich damit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte an (vgl. EGMR, B. v. 02.04.2013 – Hussein u. a. ./. Niederlande und Italien, Nr. 27725/10 – ZAR 2013, 336; B. v. 18.06.2013 – Halimi ./. Österreich und Italien, Nr. 53852/11 – ZAR 2013, 338). Unter Berücksichtigung der Berichte von Regierungs- und Nichtregierungsinstitutionen und -organisationen über die Aufnahmeprogramme für Asylbewerber in Italien kam der Gerichtshof zu dem Schluss, dass die allgemeine Situation und die Lebensbedingungen in Italien für Asylbewerber, anerkannte Flüchtlinge und Ausländer, die aus Gründen des internationalen Schutzes oder zu humanitären Zwecken eine Aufenthaltserlaubnis erhalten hätten, zwar einige Mängel aufweisen mögen, dass die vorliegenden Materialien jedoch kein systemisches Versagen der Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen für Asylbewerber als Mitglieder einer besonders schutzbedürftigen Personengruppe aufzeigen würden. Berichte des UNHCR und des Menschenrechtskommissars wiesen auf jüngste Verbesserungen der Situation hin mit dem Ziel der Mängelbeseitigung; alle Berichte zeigten übereinstimmend und ausführlich die Existenz ausgearbeiteter Strukturen von Einrichtungen und Hilfsmaßnahmen, die auf die Bedürfnisse der Asylbewerber zugeschnitten seien. Diese Rechtsauffassung hat der EGMR, dessen Rechtsprechung für die Auslegung der EMRK auch über den jeweilig entschiedenen Fall hinaus eine Orientierungs- und Leitfunktion hat (BVerfG, U. v. 04.05.2011 – 2 BvR 2333/08 – juris), durch seine Entscheidung vom 10. September 2013 (Nr. 2314/10 – HUDOC) ausdrücklich bestätigt.
Etwas anderes ergibt sich weder aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte – EGMR – vom 4. November 2014 (Az. 29217/12 – Tarakhel ./. Schweiz – NVwZ 20154, 127) noch aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17. September 2014 (Az. 2 BvR 732/14 – juris). Der EGMR hat hier lediglich entschieden, dass die Schweizer Behörden die Abschiebung einer Familie nach Italien nicht vornehmen dürfen, ohne vorher individuelle Garantien von den italienischen Behörden erhalten zu haben, dass die Antragsteller in Italien in einer dem Alter der Kinder adäquaten Art und Weise behandelt werden und die Familie zusammen bleiben darf. Eine derartige Sicherstellung verlangt auch das Bundesverfassungsgericht für den Fall der Überstellung von Familien mit Neugeborenen und Kleinstkindern. Die genannten Entscheidungen beinhalten damit keine Aussage zu eventuellen systemischen Mängeln in Italien, sondern lediglich eine Einschränkung für die Abschiebung von Familien nach Italien. Als alleinstehende junge Frau gehört die Antragstellerin nicht zu dieser Gruppe besonders schutzbedürftiger Personen. Zudem hat der EGMR in seiner Entscheidung vom 5. Februar 2015 im Verfahren A.M.E. gegen Niederlande (Az. 51428/10) entschieden, dass die Struktur und die Gesamtsituation des italienischen Flüchtlings- und Asylbewerberaufnahmesystems kein genereller Grund sind, eine Überstellung im Zuge des sog. Dublin-Verfahrens zu verbieten.
Auch aus neueren Erkenntnismitteln können keine Hinweise auf systemische Mängel entnommen werden. In dem vom Europäischen Rat für Flüchtlinge und im Exil lebende Personen (ECRE) für das Projekt AIDA – Asylum Information Database erstellten Länderbericht zu Italien vom Dezember 2015 (abrufbar unter http://www.asylumineurope.org/reports/country/italy) wird zwar ausgeführt (vgl. S. 62 ff. des Berichts), dass dort zumindest in der Vergangenheit nicht für alle Asylbewerber adäquate Aufnahmeeinrichtungen zur Verfügung gestanden haben und die Zahl von Unterbringungsplätzen nur unzureichend war. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass der italienische Staat hiergegen erfolgsversprechende Gegenmaßnahmen ergreift. Zum einen werden die Kapazitäten der Aufnahmeeinrichtungen dem vorgenannten Bericht zufolge seit 2013 deutlich erhöht. UNHCR und Nichtregierungsorganisationen beraten die staatlichen Stellen bei der Verbesserung der Aufnahmebedingungen. Speziell für Dublin-Rückkehrer wurden zum anderen Zentren zur übergangsweisen Unterbringung eingerichtet (vgl. S. 63f. des Berichts). Die zuvor angenommene maximale Aufenthaltsdauer von 20 bis 35 Tagen in CARA/CDA-Zentren oder sechs Monaten in SPAR-Einrichtungen, die zudem oft überschritten wurde, gibt es für Asylantragsteller nicht mehr (OVG NRW, U. v. 19.5.2016, 13 A 516/14.A – juris Rn. 116 ff. unter Hinweis auf den AIDA-Bericht vom Dezember 2015, S. 74). Ein systemisches Versagen der Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen lässt sich dem AIDA-Bericht nicht entnehmen. Ein systemischer Mangel der Aufnahmebedingungen kann daher auch für die Personengruppe, der die Antragstellerin angehört, nicht angenommen werden.
Die gegenwärtig hohe Zahl von Einwanderern nach Italien stellt keinen Umstand dar, der eine andere Beurteilung rechtfertigen könnte. Die Schwelle zur unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung durch Italien würde erst dann überschritten, wenn auf die erhöhte Zahl von Einwanderern hin keinerlei Maßnahmen zur Bewältigung der damit verbundenen Probleme ergriffen würden. Davon kann jedoch nicht ausgegangen werden (vgl. OVG NRW, U. v. 24.04.2015, 14 A 2356/12 A. – juris Rn. 41; U. v. 19.5.2016, 13 A 516/14.A – juris Rn. 130). Dafür gibt es auch nach dem aktuellen Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) vom August 2016 keine Hinweise (abrufbar unter https://www.fluechtlingshilfe.ch/herkunftslaender/dublin-staaten/italien-1.html). Vielmehr ist das Aufnahmesystem in Italien innerhalb von vier Jahren von ca. 5.000 Plätzen auf ca. 120.000 Plätze gewachsen (vgl. SFH, Aufnahmebedingungen in Italien – Zur aktuellen Situation von Asylsuchenden und Schutzberechtigten, insbesondere Dublin-Rückkehrenden in Italien, Bern August 2016, S. 18).
Auch der Umstand, dass sich die Situation der Antragstellerin in Italien u.U. deutlich schlechter als im Bundesgebiet darstellt, begründet keinen systemischen Mangel des Asylverfahrens (vgl. EGMR, B. v. 02.04.2013 – a. a. O.).
Auch im Hinblick auf medizinische Betreuung und Versorgung ergibt sich keine Verpflichtung der Antragsgegnerin, das Asylverfahren durchzuführen (vgl. EGMR, U. v. 30.6.2015 – 39350/13 – A.S. gegen Schweiz), da Italien über eine umfassende Gesundheitsfürsorge verfügt, die italienischen Staatsbürgern sowie Flüchtlingen, Asylbewerbern und unter humanitären Schutz stehenden Personen gleichermaßen zugänglich ist. Nach der bestehenden Auskunftslage funktioniert die notfallmedizinische Versorgung und der Zugang zu Hausärzten grundsätzlich ebenso wie das Angebot von psychologischer und psychiatrischer Behandlung (vgl. VG Ansbach, U. v. 11.12.2015 – AN 14 K 15.50316 – juris Rn. 26 m. w. N.). Auch der bereits erwähnte Bericht von AIDA bestätigt die Gleichstellung von Asylsuchenden und international Schutzberechtigten mit italienischen Staatsangehörigen hinsichtlich der gesundheitlichen Versorgung (vgl. dort S. 84). Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 21. Januar 2013 an das OVG Sachsen-Anhalt steht eine kostenfreie medizinische Versorgung auch Personen zu, die nicht in einer staatlichen Unterkunft untergebracht sind. Eine aktuelle Vereinbarung zwischen der italienischen Zentralregierung und den Regionen garantiert dabei die Not- und Grundversorgung auch von Personen, die sich illegal im Land aufhalten (VG Augsburg, B. v. 19.09.2015 – Au 7 S 15.50412 – juris). Die Notambulanz ist für alle Personen in Italien kostenfrei (VG München, B. v. 05.11.2014 – M 18 S 14.50356 – juris). Auch bei Überstellung von kranken Personen, deren Asylverfahren in Italien negativ abgeschlossen ist, besteht damit die Möglichkeit der Behandlung. Es ist daher davon auszugehen, dass die Antragstellerin in Italien Zugang zu einer angemessenen medizinischen Versorgung hat.
Schließlich begründet auch die Lage der Personen, die in Italien einen internationalen Schutzstatus zuerkannt bekommen haben, keine systemischen Mängel. Dies gilt auch in Ansehung des Umstands, dass Italien kein mit dem in der Bundesrepublik bestehenden Sozialleistungssystem vergleichbares, landesweites Recht auf Fürsorgeleistungen kennt und hier nur im originären Kompetenzbereich der Regionen und Kommunen ein sehr unterschiedliches und in weiten Teilen von der jeweiligen Finanzkraft abhängiges Leistungsniveau besteht (VGH BW, U. v. 16.04.2014 – A 11 S 1721/13 – juris).
3. Die Abschiebung kann auch im Sinne des § 34a Abs. 1 Satz 1 AuslG durchgeführt werden. In der Person der Antragstellerin besteht weder ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis noch ein inlandsbezogenes Vollzugshindernis. Dass die Antragsgegnerin dies in ihrem vor der Rechtsänderung zum 6. August 2016 ergangenen Bescheid nicht ausdrücklich festgestellt hat (vgl. § 31 Abs. 3 AsylG Satz 1 n. F.), steht der Rechtmäßigkeit des Bescheids nicht entgegen. Für eine (erneute) Prüfung durch die Antragsgegnerin im Rahmen einer Zurückweisung besteht kein Raum. Über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG hat das Gericht gemäß § 31 Abs. 3 AsylG n. F. selbst zu entscheiden (VG Schwerin, U. v. 26.9.2016, 16 A 1757/15 As SN – juris Rn. 124 ff.; VG Cottbus, B. v. 11.10.2016, 5 L 387/16.A – juris Rn. 42). Ein derartiges Abschiebungsverbot liegt hier nicht vor.
Die von der Antragstellerin geltend gemachte Erkrankung führt insbesondere nicht zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Aufenthaltsgesetz – AufenthG. Danach soll von einer Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erheblich konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Allein der Vortrag, dass in Italien keine nachvollziehbare Diagnose habe gestellt werden können und keine hinreichende Behandlung der Erkrankung erfolgt sei, genügt hierfür nicht. Selbst wenn dies zutreffend sein sollte, ließe sich daraus nicht der Schluss ziehen, dass sich die Erkrankung der Antragstellerin im Fall ihrer Überstellung nach Italien (erneut) wesentlich verschlechtern würde. Schwierigkeiten bei Diagnostik und Behandlung einer Erkrankung sind der Medizin immanent und als solche noch kein Hinweis auf ein nicht hinreichend funktionierendes Gesundheitssystem. Insbesondere unter Vorlage der medizinischen Unterlagen aus Deutschland, denen sich nicht nur die hier gestellte Diagnose, sondern auch die bisher erfolgten Behandlungsschritte entnehmen lassen, erscheint eine Weiterbehandlung der Antragstellerin auch in Italien möglich. Dabei ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG).
Ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis in Form einer krankheitsbedingten Reiseunfähigkeit (vgl. § 60a Abs. 2c AufenthG) wurde weder geltend gemacht noch ist ein solches aus den vorgelegten Unterlagen ersichtlich.
4. Aus den unter 3. genannten Gründen kann die Antragstellerin auch keine Verpflichtung der Antragsgegnerin zum Selbsteintritt nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO beanspruchen. Nach dieser Vorschrift kann jeder Mitgliedstaat einen Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in der Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Bei Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO handelt es sich um eine restriktiv zu handhabende Ausnahmebestimmung, die eine Zuständigkeitsübernahme in Fällen ermöglicht, in denen außergewöhnliche humanitäre, familiäre oder krankheitsbedingte Gründe vorliegen, die nach Maßgabe der Werteordnung der Grundrechte einen Selbsteintritt erfordern. Vor diesem unionsrechtlichen Hintergrund ist die im weiten Ermessen der Antragsgegnerin stehende Entscheidung, von ihrem Selbsteintrittsrecht im Fall des Antragstellers keinen Gebrauch zu machen, hier rechtlich nicht zu beanstanden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b Abs. 1 AsylG nicht erhoben
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

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